Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Felicitas hatte sich sofort in ihr Zimmer begeben, als sie erfahren hatte, dass Vater Besuch hatte. Als sie am Kamin saß und lauschte, sprachen die beiden Männer gerade über den Ball. Vater erklärte, die jungen Damen sollten Ausschau halten nach interessanten Bekanntschaften. Der Graf erzählte davon, dass sein Sohn mit dem Kronprinzen bekannt sei, und Vater erklärte, dass sie natürlich mit dem Grafensohn tanzen solle. Dieser Rudolph wollte sie anscheinend einmal kennenlernen. Soweit fand Felicitas es noch nicht bemerkenswert. Doch dann hörte sie, wie ihr Vater sagte:
»Ich möchte mich andererseits auf dem Fest natürlich nicht . mit etwas aus dem Fenster lehnen, das später nicht eingehalten werden kann. Für mich wäre es also sehr günstig, wenn die Dinge, die ich klären muss, vor dem Fest geklärt würden. Auch ich habe auf den Ruf meiner Familie, meiner Töchter zu achten.«
Sie stutzte. Auf den Ruf seiner Töchter achten? Wie sollte der Ruf denn geschädigt werden können? Womit könnte Vater sich denn aus dem Fenster lehn. Sie erschrak. Doch nur, wenn . Nachmittägliche Teegesellschaft, mehrere Tänze auf dem Ball, mit etwas aus dem Fenster lehnen - alles zusammen machte den Eindruck, als hätte Vater bereits einen Heiratskandidaten ins Auge gefasst. Stand schon fest, mit wem sie verlobt werden sollte? Ihre Eingeweide zogen sich zusammen. Ihr wurde heiß und kalt zur gleichen Zeit. Aber nein, sie durfte sich nicht verrückt machen. Offensichtlich kannte Vater den Grafensohn nicht einmal persönlich. Würde er tatsächlich über ihren Kopf hinweg entscheiden? Wie alt war dieser Rudolph überhaupt? Die Stimme des Besuchers klang alt. Der Kronprinz ging auch schon auf die dreißig zu. Das würde Vater ihr doch wohl nicht antun. Oder doch? War am Ende gar eine Vermählung mit dem Grafensohn Vaters Weg aus den Schulden? Durfte sie ihm das abschlagen? Andererseits, Adelige heirateten Bürgerliche selten aus Liebe. Sie vermählten sich nur unter ihren Stand, weil sie verarmt waren. Normalerweise heirateten mittellose Adelige in neues Geld ein. Aber wenn Vater pleite war, dann wäre es hier ja genau andersherum. Was war dann der Grund, warum der Graf eine Hochzeit in Betracht zog? War sein Sohn ungewöhnlich hässlich? Neugierig drückte sie ihr Ohr gegen das gusseiserne Gitter, das vor dem Lüftungsschacht hing.
»Selbstverständ.«
Verdammt! Es klopfte, und kurz darauf ging die Tür auf. Felicitas riss ihren Kopf vom Gitter und strich sich verlegen das Kleid glatt. Fräulein Korbinian trat ein. Felicitas war mehr als froh, dass sie gleich an die frische Luft kam.
»Ich wäre dann so weit«, sagte diese gallig. Sie war gar nicht damit einverstanden, jetzt ausreiten zu müssen. Aber Felicitas wollte unbedingt an die frische Luft, und die Alternative wäre ein Spaziergang im Matsch. Sie waren schon ewig nicht mehr draußen gewesen. Es regnete seit Tagen, aber heute Nachmittag schien es trocken zu bleiben.
»Herr Krumbach wartet unten«, sagte Fräulein Korbinian verschnupft. Wenigstens hatte sie durchgesetzt, dass sie nicht zum Pferdestall Tattersall gingen. Der ganze Matsch, igitt. Ihre Pferde warteten in der Remise.
»Ich bin schon fertig«, sagte Felicitas und griff ganz in Gedanken nach ihrem Reitmantel. Sie gingen hinunter.
Unten stand Balduin für sie gesattelt. Felicitas holte einen Apfel aus der Manteltasche, und er biss zu. Unruhig tänzelte er auf der Stelle. Vermutlich konnte er es gar nicht erwarten, endlich in den Park zu kommen. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich. Viel zu lange schon war sie nicht mehr mit ihm ausgeritten. Pferde brauchten Auslauf. Sie brauchten Freiheit, frische Luft, Bewegung. Darin erkannte Felicitas sich selbst. Sie nahm sich vor, demnächst wieder öfter auszureiten. Sie drückte ihre Nase in sein Fell. Was für ein herrlicher Geruch.
Über ein kleines Treppchen stiegen sie auf. Fräulein Korbinian saß auf einem Drei-Horn-Sattel, der es den Frauen erleichterte, im schrägen Damensitz auf dem Pferd zu bleiben. Felicitas hatte durchgesetzt, wenigstens auf einem normalen Sattel ausreiten zu dürfen.
Langsam setzten sie sich in Gang. Felicitas tätschelte Balduins Hals. Wer war dieser Rudolph?
Wie immer, wenn es zu Pferde hinausging, war Fräulein Korbinian übel gelaunt. Und strafte sie mit Schweigen. Erst, als sie bereits im Tiergarten waren, hob sie ihre Stimme.
»Sie sind so still, Fräulein Felicitas.«
»Ja . ich .« Sie beendete den Satz nicht. Tatsächlich war sie in Gedanken ganz woanders. Wenn der Besucher mit dem Kronprinzen bekannt war, dann war er von Stand. Natürlich, Vater beschwerte sich ständig darüber, nicht in diesen illustren Kreis aufgenommen zu werden. Seine Tochter mit einem Freiherrn oder Grafen verheiraten zu wollen, sähe ihm ähnlich.
Würde sie sich einen Mann nach eigenem Willen und Sympathie aussuchen dürfen? Früher hatte Vater ihr das oft in Aussicht gestellt. Jetzt schien es so, als würde er ihr jemanden präsentieren. Hatte er sie deswegen nicht eingeweiht, als er einen Zeremonienmeister engagiert hatte? Fand er deswegen nie Zeit, um mit ihr die Gästeliste zu besprechen? Es rumorte in ihr.
»Ich habe den Schnitt für das Ballkleid anpassen lassen.«
Vermutlich dachte Fräulein Korbinian, dass Felicitas noch immer verärgert war und deswegen so wortkarg.
»Es wird eine Symbiose aus Ihren und meinen Vorstellungen«, gab die Gouvernante vorsichtig zu.
»Nein! Das wird es nicht. Ich hatte mich da ganz klar ausgedrückt.«
»Aber dann können Sie ja gleich in einem Nonnengewand auf dem Ball erscheinen.«
»Wenn ich überhaupt auf dem Ball erscheine«, sagte Felicitas wütend.
Alle Entscheidungen wurden über ihren Kopf hinweg getroffen, daran sollte sie sich vielleicht einfach gewöhnen. Sie hatte nichts zu sagen. Und wenn sie erst einmal verheiratet wäre, hätte sie noch weniger zu sagen. So hatte sie sich ihr Leben nicht vorgestellt. Dass alle anderen über sie bestimmen durften, während sie sich allem und jedem fügen musste. Obwohl es noch kalt war, glühte heiße Wut in ihr. Felicitas trieb Balduin an. Fräulein Korbinian kam kaum mit.
»Nicht so eilig. Wir haben doch Zeit«, rief sie ihr hinterher.
Felicitas reagierte nicht. Ihr Zorn wuchs. Ein allzu freizügiges Ballkleid. Irgendein Rudolph. Eine Verlobung, schon auf dem Ball verkündet. Diese Themen schwirrten ihr unentwegt durch den Kopf. Entgegen allem, was Fräulein Korbinian ihr hinterherrief, verfiel sie in einen Trab, dann in einen leichten Galopp. Sie war so unendlich wütend auf Vater, auf die ganze Welt. Sie war wütend darüber, was sie alles nicht durfte. Was sie alles nicht tun sollte. Sie hatte einfach keine Lust mehr, sich immer anderen fügen zu müssen.
»Fräulein Felicitas .! Warten Sie!«, hörte sie Fräulein Korbinian wieder von weiter hinten.
Es war ihr egal. Es musste jetzt mal endlich Schluss sein damit, dass sie ständig machen musste, was andere wollten. Ihr war bewusst, dass die Frage des Ehemanns die vermutlich wichtigste Entscheidung für den Rest ihres Lebens war. Natürlich hatte ihr Vater erheblichen Einfluss darauf. Sie durfte nicht einfach irgendjemanden heiraten. In Ermangelung eines Sohnes würde schließlich ein Schwiegersohn Vaters Nachfolge antreten. Trotzdem, sie durfte ihm diese Entscheidung nicht alleine überlassen.
Aus purem Trotz gab sie Balduin noch einmal die Sporen. Sie flogen nur so dahin. Felicitas erhob sich aus dem Sattel. Nur hier, nur auf dem Rücken eines Pferdes spürte Felicitas Freiheit. Eine begrenzte Freiheit, aber wenigstens ein bisschen Freiheit. Sie lehnte sich nach vorne und wurde noch schneller. Im Galopp näherte sie sich einer Wegkreuzung. Plötzlich scheute das Tier und stieg hoch. Felicitas hatte Mühe, im Sattel zu bleiben. Sie hörte ein Scheppern und ein Fluchen. Das Pferd tänzelte und ließ sich kaum bändigen.
Felicitas nahm die Zügel kurz und tätschelte dem Pferd den Hals. »Ganz ruhig, Balduin. Ganz ruhig.« Sobald sie ihr Reittier wieder unter Kontrolle hatte, schaute sie nach unten.
Jemand saß dort im Schlamm. Ein junger Mann in einem braunen Wollanzug, der nun überall Flecken vom Matsch und vom Regenwasser hatte, schüttelte seine Hände aus. Er fluchte und stand auf, ohne hochzuschauen. Nun griff er nach etwas, was Felicitas auf den ersten Blick nicht identifizieren konnte. Er hob ein Drahtgestell aus dem Matsch.
»Es tut mir so leid. Es tut mir furchtbar leid.« Weiter hinter hörte sie Fräulein Korbinians aufgeregte Stimme.
»Es tut mir so leid. Ich werde alles ersetzen, was kaputtgegangen ist. Und auch die Reinigung Ihres Anzuges übernehmen. Ich war nicht aufmerksam genug.«
Doch der junge Mann untersuchte derweil gründlich sein Drahtgestell, ohne von ihr Notiz zu nehmen. Erst, als er damit fertig war, schaute er hoch. Für einen Moment lag ein böser Blick auf Felicitas, dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln.
»Ich glaube, es ist alles noch mal gut gegangen.«
»Aber der Anzug .«
Nun schaute er an sich herunter, als würde er erst jetzt bemerken, dass er im Matsch gelandet war. Seine ganze Aufmerksamkeit hatte bis eben dem Gestell mit den zwei Rädern gegolten.
Ihre jetzt auch. »Was ist das?«
»Kennen Sie keine Fahrräder?«
»Nicht so eins.«
»Man nennt es Sicherheits-Niederfahrrad. Ich habe es selbst gebaut.«
»Sie haben es selbst gebaut?«, stieß Felicitas verblüfft aus.
»Ja.« Er kramte in seiner Jackentasche nach einem Taschentuch und wischte sich damit die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.