Schweitzer Fachinformationen
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Argentinien, 1876: Die jung verwitwete Annelie Wienand ist mit ihrer Tochter Mina aus Frankfurt am Main eingewandert, um ein zweites Mal zu heiraten. Doch ihre Ehe ist eine bittere Enttäuschung. Für die vierzehnjährige Mina sind einzig die Treffen mit dem Nachbarssohn Frank Lichtblicke in ihrem rauen Familienalltag. Doch eines Tages geschieht etwas Schreckliches, und Frank muss fliehen ...
»Ein intensives Leseerlebnis, das in eine völlig fremde Welt eintauchen lässt, ein großes Stück Geschichte vermittelt und sowohl vom Plot als auch von der Sprache her überzeugt.« HISTO-COUCH.DE
Mit ihrer fesselnden Auswandersaga entführt Sofia Caspari die Leserinnen und Leser in das Argentinien des 19. Jahrhunderts - in die Welt von Arm und Reich, Ehrbahren und Verruchten, Hassenden und Liebenden.
Band 1: Im Land des Korallenbaums Band 2: Die Lagune der Flamingos Band 3: Das Lied des Wasserfalls
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Stocksteif stand Mina in ihrem Versteck. Durch den schmalen Spalt, den die Tür ihr ließ, konnte sie genauestens beobachten, was in der Küche vor sich ging. Der Fünfzehnjährigen stockte der Atem. Philipp, ihr Stiefbruder, war eben von draußen hereingekommen. Gerade noch rechtzeitig hatte sie ihn bemerkt. Im letzten Moment war sie in die kleine Vorratskammer geschlüpft. Die Blutspritzer auf seinem Gesicht und sein blutbeflecktes Hemd hinterließen ein flaues Gefühl in ihrem Magen. Gespenstisch beleuchtete die Öllampe auf dem Tisch Philipps gleichfalls blutverschmierte Finger. Kurz betrachtete er sie mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck, dann griff er nach seinem Rock, der über einer Stuhllehne hing, und zog eine goldene Uhr aus der Tasche. Er lächelte breit, während die Uhr an der Kette sanft hin- und herpendelte. Entschlossen steckte er sie wieder weg und entblößte seinen breiten, muskulösen Oberkörper, indem er sein Hemd auszog. Das Lächeln auf seinem Gesicht verlor sich nicht, als er nun an den Eimer mit Frischwasser herantrat und prustend begann, sich Gesicht und Hände zu waschen. Mina sah, dass sich das getrocknete Blut löste und ihm, mit dem Wasser vermischt, in rötlichen Schlieren über Gesicht, Handrücken und Arme lief, bevor es auf den Boden tropfte. Mit Mühe unterdrückte das junge Mädchen einen Anflug von Übelkeit.
Hoffentlich entdeckt er mich nicht, fuhr es heiß durch sie hindurch, hoffentlich entdeckt er mich nicht.
Sicherlich hatte der Stiefbruder wieder einmal einen Unschuldigen verprügelt, jemanden, der neu in der Gegend war und keine Verbündeten hatte. Jemanden, dem deshalb niemand helfen würde. Mit Philipp Amborn oder seinem Vater Xaver legte sich niemand an.
»Mein Philipp«, so pflegte Xaver Amborn zu sagen, »hat einen kurzen Zündfaden. Jeder weiß das und beherzigt den Rat, ihn besser nicht zu reizen. So ist er eben, aber im Kern ist er ein guter Junge . Das war er immer. Mir war er stets treu.«
Die Hand auf den Mund gepresst unterdrückte Mina ein Stöhnen.
Er darf mich nicht sehen, bitte, lieber Gott, er darf mich nicht sehen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie Philipp so nach Hause kommen sah. Neu war allerdings, dass er dieses Mal eine goldene Uhr in seinem Rock versteckt hielt. Heute, dachte Mina, ist er einen Schritt zu weit gegangen. Er hat gestohlen. Würde er ihr glauben, dass sie nichts gesehen hatte, nichts wusste und nichts sagen würde? Er darf mich hier nicht entdecken, schoss es ihr erneut durch den Kopf, er darf mich hier nicht sehen.
Sie wusste ja auch nicht, welcher Laune er war. Manchmal war es gar nicht nötig, ihn zu reizen. Dann schlug der Stiefbruder zu, weil er Spaß daran hatte, weil er gern sah, wenn andere Schmerzen litten. Das hatte sie als Erstes gelernt, kurz nachdem ihre Mutter Annelie und sie vor nunmehr fünf Jahren nach Esperanza gekommen waren. Philipps Äußeres, das dunkle kräftige Haar, das markante Gesicht, sein einnehmendes Lachen, die funkelnden Augen und der muskulöse Körper, täuschte nur zu leicht darüber hinweg, welcher Teufel in seinem Inneren schlummerte.
Der Stiefbruder betrachtete jetzt erneut seine Hände, schaute dann an sich hinunter. Offenbar schien er zufrieden mit dem, was er sah, denn im nächsten Moment griff er nach einem Tuch und rieb sich Gesicht und Oberkörper trocken. Dann überprüfte er sein Hemd, warf es endlich mit einem Seufzer zur Seite. Ganz offenbar war das Blut nicht das des Stiefbruders. Philipp war nicht verletzt, so viel konnte Mina aus ihrem Versteck erkennen.
Ein plötzliches Knarren ließ das junge Mädchen zusammenzucken. Die Haustür wurde aufgestoßen, und der Stiefvater trat ein. Er schien überrascht, seinen Sohn zu sehen, denn er blieb abrupt stehen.
»Du bist schon zurück?«
»Es gab einen Unfall«, beschied Philipp ihn knapp.
So, wie die beiden Männer dort standen, kamen sie Mina mit einem Mal vor wie Strauchdiebe, Renegaten, desperados. Aber warum erkannte das niemand? Warum waren Xaver und sein einundzwanzigjähriger Sohn immer noch angesehene Männer der Gemeinschaft? Warum galt ihr Wort in jedem Fall mehr als das Minas oder das ihrer Mutter? Warum war es nach fünf Jahren immer noch so, als seien sie gerade erst angekommen? Warum gab sich niemand die Mühe, hinter die Fassade zu schauen?
Mina sah, wie ihr Stiefvater die Stirn runzelte.
»So?«
»Meine Freunde und ich wurden angegriffen.«
Er lügt, dachte Mina und presste die Lippen aufeinander, er lügt.
Angesichts des ganzen Blutes wagte sie es kaum, sich vorzustellen, was mit dem Unglücklichen geschehen war, der Philipp heute begegnet war.
»Ist Mina schon zurück?«, fragte der Stiefbruder jetzt.
»Wieso?« Misstrauen schlich sich in Xavers Stimme.
»Hab sie heute mit Frank Blum gesehen.«
Philipps Stimme klang unbekümmert, doch Mina wusste genau, dass er eben einen seiner Giftpfeile gesetzt hatte.
»Hölle und Teufel, ich habe ihr doch streng verboten, sich noch einmal mit diesem nichtsnutzigen Lumpen abzugeben. Ich glaube, ich muss dem widerspenstigen Weib wieder einmal eine Lektion erteilen.«
Mina erschrak bei seinen harschen Worten so sehr, dass sie den Halt verlor und gegen die Tür der Vorratskammer stolperte. Die knarrte leise ob der unbeabsichtigten Bewegung. Wie auf ein Wort sahen Vater und Sohn in Minas Richtung, dann wechselten sie einen kurzen Blick miteinander.
»Mina, Süße«, rief Philipp, ein maliziöses Grinsen auf dem Gesicht, »bist du etwa da drin?«
***
Einige Wochen zuvor
Das Abendlicht goss seinen rotgoldenen Honig über die weite Ebene aus und verwandelte die Landschaft in ein Meer aus Gras, dessen Wellen in der Ferne gegen die hohen Berge schlugen.
»Bleib stehen, du verdammtes Balg!«, donnerte die Stimme ihres Stiefvaters hinter Mina her, doch das junge Mädchen rannte einfach weiter.
Rennend hatte Mina das Haus verlassen, und sie würde rennen, bis sie Xavers verhasste Stimme nicht mehr hörte. Wenn man sie in diesem Moment gefragt hätte, ob sie keine Angst vor ihrem Stiefvater habe, hätte Mina nur die Achseln gezuckt. Man konnte kein Leben führen, in dem man ständig Angst vor irgendetwas hatte, das sah sie an ihrer Mutter. Annelie Amborn, geborene Wienand, verwitwete Hoff, hatte viel zu viel Angst. Mina wollte keinesfalls werden wie sie. Später, wenn sie nach Hause zurückkehrte, würde Xaver sie selbstverständlich verprügeln, doch das kümmerte sie jetzt nicht. In diesem Augenblick, hier draußen, war sie frei wie ein Vogel. Das war alles, was zählte.
Als Mina weit genug gelaufen war, blieb sie stehen, breitete die Arme aus und lachte laut. Es war ein starkes, kräftiges Lachen. Manchen hätte es gewiss verwundert, denn es wollte so gar nicht zu ihrer zierlichen Gestalt passen. Doch sie hatte schon auf dem Schiff so manchen getäuscht. Mina hatte keine Angst gehabt - sie war auch bei starkem Wind an Deck geblieben. Sie hatte nie unter Seekrankheit gelitten, und sie hatte auch nie daran gezweifelt, dass sie ankommen würden, so wie mancher Mitreisende, der seine Zeit an Bord heulend und betend verbracht hatte.
Mina ließ die immer noch weit ausgebreiteten Arme sinken und rannte weiter. Manchmal, dachte sie, wünschte ich mir wirklich, einfach meine Flügel ausbreiten zu können und davonzufliegen. Aber sie war ein Mensch, dazu bestimmt, auf der Erde zu leben.
Abrupt verzögerte sie ihren Lauf und schaute sich um. Sie hatte ihren Treffpunkt, eine in der endlosen Weite kaum merkliche Vertiefung, erreicht. Frank, ihr bester Freund, war allerdings noch nicht da. Mit einem kleinen Seufzer ließ Mina sich auf dem Boden nieder. Sie war froh, dass ihr Stiefvater stets zu faul war, ihr mehr als ein paar Meter zu folgen. Ab und an hetzte er ihren Stiefbruder auf sie, doch der war an diesem Tag noch nicht zu Hause gewesen. Sie selbst hatte ihn mittags mit einem Mädchen tändeln sehen. Mina war sich sicher, dass es spät werden würde, bis er zurückkam. Sicherlich würde er sich im Laufe des Abends betrinken. Ja, sie hatte heute wirklich Glück, und sie wusste das zu schätzen.
Wieder blickte Mina auf die untergehende Sonne, die sich, einem Feuerball gleich, stetig dem Horizont näherte. Ein wenig Zeit würde Frank und ihr noch bleiben, bis es ganz dunkel wurde, nicht viel allerdings. Sie hoffte sehr, dass er bald kam.
Für einen Moment horchte sie in die Weite hinaus. Nicht wenige fürchteten sich davor, das Dorf um diese Uhrzeit noch zu verlassen. Manchmal durchstreiften Indios die Gegend - Tobas aus der weiter im Norden gelegenen Provinz Chaco beispielsweise -, stahlen Vieh oder entführten Frauen und Kinder. In besonders nah an den Indianergebieten liegenden Ortschaften standen die Häuser deshalb dicht beieinander und waren von einem soliden Palisadenzaun umgeben. Die Siedler dort trugen stets Waffen bei sich, auch bei der Feldarbeit. Jedes Jahr fand eine Strafexpedition in den Chaco statt. Dann zerstörte man ein paar tolderías, wie die Indianerdörfer genannt wurden, tötete ein paar Indios und machte Gefangene, die sich bald darauf im Dienste reicher Städter wiederfanden oder auf den Zuckerrohrfeldern rund um Tucumán.
An den Strafexpeditionen nahmen stets auch Minas Stiefvater und Stiefbruder teil, obwohl sie selbst noch niemals Opfer eines malón, eines Indianerüberfalls, geworden waren. Ihnen bereitete der Krieg Vergnügen. Sie liebten es, zu töten. Einmal hatte Mina zu fragen gewagt, wie man sich denn für ein Leid rächen könne, das einem gar nicht widerfahren sei. Die Antwort ihres Stiefvaters hatte sich noch Tage danach in Form einer erst rot, dann bläulich, später gelbgrün...
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