Schweitzer Fachinformationen
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Ein gutes Stück des Weges war Zlata vollkommen allein gewesen. Es war noch sehr früh am Morgen, nur das Gezwitscher der Vögel und die eigenen schnellen Schritte auf dem steinigen Untergrund, die sie von ihrem Elternhaus in Richtung Hafen führten, zerrissen die Stille. Die Luft war frisch, vom Meer her wehte eine leichte Brise. Ein Hahn stakste ein Stück am Wegrand neben ihr her, plusterte sich auf und entließ ein Krähen in den sich langsam aufhellenden, von rosa- und lilafarbenen Wolkenfetzen überzogenen Morgenhimmel. Nach und nach standen die Häuser dichter, ab und zu fiel nun ein Lichtschein auf den Weg. Eine Frau kam ihr entgegen, sie grüßten einander, und Zlata wusste, dass diese Begegnung spätestens zum Frühstück Gesprächsthema sein würde. Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken.
Sie zog die hellgraue Strickjacke enger um die Schultern, beschleunigte ihre Schritte, um so rasch wie möglich Abstand zwischen sich und ihr Elternhaus zu bringen, doch sie gab acht, dass sie nicht in der Morgendämmerung stolperte und sich womöglich den Fuß verstauchte. Dann wäre alles umsonst gewesen.
Als sie das Bett verlassen hatte, um zur Tür hinauszuschleichen - kaum fünf Minuten schien das her zu sein -, da hatte sie befürchtet, ihre Mutter würde von ihrem laut hämmernden Herzen geweckt werden. Aber nichts war geschehen. Aleksija hatte gleichmäßig atmend in ihrem Bett auf der gegenüberliegenden Seite des Schlafraumes gelegen und sich nicht gerührt, auch nicht, als Zlata ihre Kleider zusammengerafft hatte und in den Flur hinausgeschlichen war. Während sie sich so lautlos wie möglich angekleidet hatte, hatte sie immer wieder innegehalten, um zu horchen, doch bis auf ihre eigenen kaum hörbaren Geräusche war alles ruhig geblieben.
Als sie endlich vorsichtig die Tür geöffnet hatte, nur so weit, dass sie nicht quietschen konnte, hatte sie aus der Ferne das erste Hahnenkrähen gehört. Wieder hatte sie verharrt, hatte sich versichern wollen, ob die Mutter nicht geweckt worden war, doch nichts . Behutsam war Zlata die Stufen hinuntergestiegen. Ihre Schritte hatten auf dem Kiesweg geknirscht, als sie vom Haus weg auf das Tor zugegangen war. Alles war ihr unglaublich laut erschienen, doch niemand war hinter ihr hergekommen, niemand hatte grob ihren Arm gepackt, um sie an ihrem Tun zu hindern.
Vor dem Tor hatte sie erneut gezögert und war dann doch entschlossen auf die Straße getreten. Und jetzt hatte sie den Hafen fast erreicht. Da waren so viele Gedanken, die ihr durch den Kopf jagten. Was sollte sie den Menschen sagen, die ihr jetzt begegneten? Sollte sie überhaupt etwas sagen? Sie hoffte, dass niemand Notiz von ihr nahm, sie war nur eine junge Frau, die beabsichtigte, frischen Fisch zu kaufen, eine gute Tochter, die der Mutter Arbeit abnahm. Sie wollte nicht, dass geredet wurde. Gerede würde ihr die Mutter sehr übel nehmen.
Weiter ging es, Schritt um Schritt. Zlata hob den Blick, als sie die Gasse verließ. Das Meer breitete sich vor ihr aus, irgendwo da vorne wartete das Schiff, das ihn von ihr wegbringen würde.
Ihr Herz klopfte schneller. Bald würde sie sie sehen - den einen mit dem struppigen dunkelbraunen Haar, den sie liebte, und den anderen mit dem glatten, halblangen blonden Haar, der sie liebte. Das hatte er ihr vor einigen Tagen gestanden. Seitdem war alles anders.
Würde sie sich auf ihn verlassen können?
Das Ende des Sommers, den Herbst . Sie würde viele Monate ohne ihren Branko verbringen.
Ich werde auf dich warten, eigentlich habe ich jetzt schon damit begonnen.
Zlata wandte sich zum Festland um. Über den Bergen wurde der noch fahle Schein der Sonne stärker. Er berührte die Bergspitzen und übergoss sie mit goldenem Licht. Bald würde er die Insel aus dem Meer emporheben. Die Schatten veränderten sich bereits.
Zlata wandte den Blick ab und schaute zu den Fischerbooten - zu denen, die schon an ihren Plätzen vertäut waren, und danach zu denen, die den Hafen ansteuerten. Sie hörte, wie die Wellen gegen die Kaimauer schwappten.
Die Stimmen wurden lauter. Die Fischer verkauften den Fang der Nacht, große und kleine Fische, silbrige und bunte, dicke und dünne. Erste helle Sonnenflecken tanzten auf dem Wasser, stets für einen Augenblick nur, dann waren sie wieder verschwunden.
Im nächsten Augenblick sah Zlata die beiden. Branko rauchte. Klaus hatte die Arme verschränkt, als würde er frieren, und schaute auf das Schiff, das sie von hier fortbringen sollte.
Wieder einmal ließ ihr die Angst die Kehle eng werden. Sie hatten so oft darüber gesprochen. Es war eine Chance. Branko hatte ihr erzählt, dass es das Beste sei. Er würde richtiges Geld verdienen, und wenn er zu ihr zurückkam, würden sie ein Haus bauen und einen Stall voller Kinder bekommen und niemals mehr Sorgen haben. Sie würden die großzügigsten Gastgeber sein. Keiner musste hungrig oder durstig von ihrem Tisch aufstehen.
Zlata sah, wie Branko sein verknautschtes Päckchen Tabak aus der Hose zog. Er betrachtete es, schien abzuwägen. Es war Klaus, der sie zuerst entdeckte und zögernd die Hand hob. Zlata nickte ihm zu.
Er hat mir versprochen, auf ihn aufzupassen. Er weiß, wie das Leben in Deutschland ist. Ich kenne ihn. Man kann sich auf die Deutschen verlassen.
Vier Jahre war es jetzt her, dass sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. Neunzehn war sie damals gewesen, und sie hatten sich noch wie Kinder gefühlt. Erwachsen zu sein hatte in weiter Ferne gelegen. Sie hatten herumgealbert und »Fang die Kuh« gespielt, auch Klaus, der schon studierte und sich ganz allein auf Reisen befand. Er wollte Lehrer werden.
»Zlata!«
Klaus kam auf sie zu. Er sah sie anders an, seit diesem, vielleicht auch schon seit dem vergangenen Sommer. Er hatte sich in sie verliebt, aber natürlich wusste er, dass sie Branko gehörte, und er respektierte das. Er war ein anständiger Mann.
»Klaus .«
Sie lächelte. Für einen Moment standen sie sich unsicher gegenüber. Branko kam herbeigeschlendert, steckte den Tabak wieder ein, täuschte vor, keine Angst zu haben. Aber sie kannte ihn. Sie sah ihm an, wie verunsichert er war. Er hatte die Insel noch niemals verlassen. Sie war mit ihrer Mutter zumindest einmal in Rijeka gewesen, denn dort kam die Mutter her. Ein Stadtmensch war sie, niemals wirklich auf Cres angekommen.
»Du bist da.«
Branko sagte es leise. Zu viele Augen gab es hier. Sie dachte daran, dass sie sich am Abend zuvor hätten verabschieden sollen und dass es jetzt zu spät war. Ihn nicht berühren zu können fühlte sich wie körperlicher Schmerz an.
»Mama hat mir aufgetragen«, sagte sie zu laut und zu steif, »frischen Fisch zu holen.« Sie schaute an Brankos Schulter vorbei auf das Schiff.
»Es wird uns nach Rijeka bringen«, sagte er, als hätte er sie nicht gehört.
Zlata nickte. Ihr Blick fiel auf Klaus' Leinenrucksack, den er immer bei sich trug. Im letzten Jahr hatte er zu nah am Feuer gelegen und war seitdem an der Seite schwarz von den Flammen. Daneben stand ein abgenutzter Koffer. Brankos neues Leben steckte in diesem Koffer. Ihr neues Leben steckte in diesem Koffer.
Im Winter würde er sie besuchen. Zu Weihnachten. Wenn er sich eingelebt hatte, würde sie ihn sicherlich auch einmal besuchen. Sie freute sich darauf und fürchtete sich zugleich. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme gestürzt, doch es war unmöglich. Ihre Mutter würde es zu hören bekommen. Einer der Fischer sah bereits seit einiger Zeit zu ihnen herüber. Sie fühlte sich unwohl. Klaus streckte ihr die Hand hin.
»Auf nächstes Jahr!«, sagte er langsam auf Kroatisch. Er hatte ganz gut gelernt in ihren gemeinsamen Sommern.
»Pass auf ihn auf«, flüsterte sie.
»Das tue ich.« Sie trat einen Schritt zurück.
Branko kam ein wenig näher. »Vergiss mich nicht, Zlata«, sagte er mit belegter Stimme.
»Niemals.«
Sie überlegte, ob sie ihn doch umarmen konnte, ganz kurz, dann entschied sie sich, auch ihm nur die Hand zu reichen. Enttäuschung und Verständnis zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. Er ging auf das Schiff zu und balancierte über ein schmales Brett hinüber auf das Deck. Klaus folgte ihm.
Zlatas Augen brannten. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würde ihre Umgebung nur noch verschwommen sehen. Keine Tränen, dachte sie, nicht hier, nicht jetzt, nicht in der Öffentlichkeit.
Klaus und Branko standen nebeneinander an der Reling. Zwei Freunde.
»Bring ihn mir zurück«, sagte sie lautlos.
»Du Hure!«
Ihre Mutter hatte gewartet, bis Zlata die Tür leise hinter sich zugezogen hatte, um sich dann mit geballten Fäusten auf ihre Tochter zu stürzen. Das Paket mit dem frischen Fisch entglitt Zlatas Händen, als sie die Arme hochriss, um sich zu schützen.
Nur um sich zu schützen, niemals würde sie die Hand gegen die Mutter erheben. Sie hatten nur einander. Ihre Mutter war eine Außenseiterin, und sie war ebenso eine, denn die Kinder von Außenseitern konnten nichts anderes sein.
Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn ihr Vater noch leben würde. Nach dessen Tod hatte ihre Mutter sie allein aufgezogen - seine Familie hatte nichts von Aleksija und ihrem Kind wissen wollen. Oft war es hart gewesen, das Geld für sie beide zu verdienen, aber die stolze junge Frau hatte sich nie geschont.
Ein neuer Schlag. Aus dem Halbdunkel kroch das weiße Gesicht ihrer Mutter gespenstisch auf sie zu.
»Wo warst du? Warum schleichst du dich morgens...
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