Schweitzer Fachinformationen
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Der Unterschied zwischen kulinarischer DNA und einer Pizza-Schachtel
Der Märzmorgen war nass, trist und ungemütlich. Sogar der schlanke Turm der Immanuelkirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte sich hinter einem Mantel aus Schauerschwaden versteckt. Die Regentropfen prasselten laut gegen die Fensterscheiben des Sitzungszimmers. So laut, dass Helene sich anstrengen musste, um die Worte ihres dort am Tischende stehenden Vorgesetzten überhaupt verstehen zu können.
»Es soll der Auftakt zu einer mehrteiligen Sonderedition werden. Ganz im Zeichen der Bewahrung des europäischen Kulturerbes«, erklärte Jürgen Heck, der Chefredakteur des Kultur- und Reisemagazins Globo. Euphorie strahlte aus seinem Gesicht und ließ ihn einen Moment lang wie einen Teenager mit grau meliertem Stoppelbart und schütterem Haar wirken. Erst vor zwei Wochen hatten sie auf seinen sechzigsten Geburtstag angestoßen.
Es war Montagmorgen um 9:30 Uhr und damit Zeit für die allwöchentliche Redaktionssitzung. Dieses Mal war jedoch etwas anders als sonst, bemerkte Helene. Es waberte nicht, wie sonst üblich, die geschäftsmäßige Konzentration, sondern eine erwartungsvolle Spannung durch die Luft. Zusammen mit dem Geruch nach frisch aufgebrühtem Filterkaffee.
Sie ließ den Blick unauffällig über die Runde der Anwesenden gleiten. Ausnahmsweise saßen heute alle sechs Hausredakteure, die drei festen freien Mitarbeiter sowie die vier Fotojournalisten des Verlags am Tisch. Eine wahre Seltenheit, denn normalerweise war immer jemand von ihnen abwesend. Meistens auf Recherchereise irgendwo auf der Welt. Globo gehörte nicht umsonst zu den renommiertesten Reise- und Kulturzeitschriften auf dem Deutsch sprechenden Markt, das sich vor allem durch spannende und ausführlich recherchierte Foto- und Textreportagen auszeichnete. Es verging kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens ein Artikel des Magazins für den Stern-Preis nominiert wurde und ihn nicht selten auch gewann.
Die Augen aller Anwesenden hingen nun aber an Jürgen, dem Chef. Der hatte die Sitzung bereits vor zwei Wochen mit dem Vermerk »Wichtigkeit: hoch« bekannt gegeben. In den vier Jahren, in denen Helene bereits bei Globo arbeitete, hatte er noch nie eine solche Ankündigung gemacht.
»Ein Mehrteiler? Es hat doch immer geheißen, die wären zu aufwendig in der Produktion und generierten zu wenig Umsatz.« Die Bemerkung kam von dem neben Helene sitzenden Mann. Sein Name war Holger Petersen. Er gehörte zu ihren langjährigen Journalisten-Kollegen.
»Das ist richtig. Normalerweise jedenfalls.« Jürgen nickte. »Außer wenn sich ein Auftrag von höherer Stelle anbietet, der zugleich für einen mächtigen Imagepush sorgt.« Sein Grinsen wurde noch breiter, und er drückte den Knopf auf der Fernbedienung in seiner Hand. Das leise Surren des Beamers ertönte, zugleich erschien ein Bild auf der Wand hinter Jürgen: die Europaflagge auf blauem Hintergrund, darunter der Hashtag #europeforculture. »Erinnert ihr euch noch an die Ausschreibung des Cultural Heritage Forums?«
Helene stutzte. »Die Expertengruppe der EU? Aber die Ausschreibung ist doch schon fast drei Jahre her.«
»Die internationalen Mühlen mahlen nun einmal langsam.« Jürgen zuckte die Schultern. Dann jedoch ließ er den Blick langsam und zufrieden von einem zum anderen wandern, während er erneut den Knopf der Fernbedienung drückte. Auf der Projektion hinter ihm erschienen sieben Titelseiten verschiedener Magazine. Helene erkannte das britische Magazin Wanderlust oder Echappée Belle aus Frankreich. Und auch eine Titelseite des Globo-Magazins. »Viel wichtiger ist hingegen .«, nahm Jürgen seine Rede erneut auf, ». dass wir zusammen mit sieben anderen europäischen Kulturmagazinen den Zuschlag bekommen haben. Unser Globo-Magazin.« Unüberhörbarer Stolz schwang in seiner Stimme mit. »Wir sind somit Teil einer groß angelegten, von EU-Geldern gesponserten Kampagne und haben zugleich die Exklusivität auf dem gesamten Deutsch sprechenden Markt. Dit wird en janz dickes Ding, sach ick euch.«
»Wow.« Mehr brachte Helene nicht heraus. Wie alle anderen Kollegen brauchte sie einen Moment, um die Neuigkeit sickern zu lassen: eine von der Europäischen Union gesponserte, mehrteilige Sonderedition. Das war nicht nur eine Auszeichnung für Globo, sondern bedeutete zugleich europaweite Werbung und damit eine um ein Vielfaches erhöhte Auflage. Ein ganz dickes Ding, tatsächlich.
Damit die Produktion der üblichen Magazinausgaben trotzdem geregelt weiterlaufen konnte, würden sie sich in mehrere Rechercheteams, bestehend aus jeweils drei Journalisten und einem Fotografen, aufteilen, die abwechselnd nur für die Sondereditionen zuständig waren. »Jedes Team stellt eine Leitungsperson, die für die Koordination der Artikel sowie das Bildmaterial verantwortlich ist«, bestimmte Jürgen.
Sogleich begannen in Helenes Kopf die Gedanken zu rotieren, und ihre Finger trommelten auf den Rand des vor ihr liegenden E-Ink-Tablets.
Eine mehrteilige Sonderedition mit Fokus auf die Bewahrung des europäischen Kulturerbes. Das bedeutete geschätzt pro Ausgabe je ein bis zwei Hauptthemen mit vielleicht zehn dazugehörigen Artikeln. Und es gab eine schier unermessliche Anzahl von Ländern, Kulturen und Geschichten, über die man schreiben könnte.
Sie griff zum Eingabestift und begann, Ideen auf den Bildschirm zu kritzeln. Die Stichworte kamen wie von selbst, hörten gar nicht mehr auf zu sprudeln:
~ Türkei: Osmanisches Reich, Konstantinopel, Tor zum Orient, internationaler Handel, Seidenstraße, Nordafrika
~ Spanien: arabische Invasion, Alhambra, Córdoba, Andalusien, Kastilien, Aragón, Reconquista, Habsburger .
Bald schon war Helene ganz in ihre Notizen vertieft und bekam nur noch am Rande mit, worüber die anderen redeten.
So war es schon immer gewesen. Kulturen, Länder und Traditionen kennenzulernen und darüber zu schreiben . Dass das ihr Traumberuf werden würde, war ihr bereits klar gewesen, als sie im letzten Grundschuljahr einen Aufsatz über die Hopi, eine indigene Bevölkerungsgruppe in Arizona, geschrieben hatte. Seit jenem Tag hatte Helene während ihrer gesamten schulischen Laufbahn einzig und allein auf dieses Berufsziel hingearbeitet, den Bachelor in Medienkommunikation und Journalismus gemacht, um anschließend Berufserfahrungen zu sammeln. Erst bei verschiedenen Tageszeitungen, zwischendurch sogar bei einer Lifestyle-Zeitschrift, für die sie Reportagen und Kolumnen im Kulturteil schrieb. Das war zwar noch längst nicht das, was sie eigentlich wollte. Sie wollte Storys mit Gehalt und Tiefe schreiben. Über Themen, die den Lesern in Erinnerung blieben.
Solche zu finden, war allerdings nicht einfach, im Gegenteil. Viele eröffneten sich einem erst nach einer langwierigen Recherche, über andere stolperte man hingegen ganz zufällig. Doch die richtig guten Themen erkannte Helene inzwischen sofort. Wobei, es war kein Erkennen im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr ein Gefühl. Ein Gespür - ja, fast eine Art Vorahnung, bei der sich ihr jedes Mal die Härchen im Nacken aufrichteten und ein warmes Kribbeln verursachten.
So arbeitete sie unermüdlich und mit verbissener Hartnäckigkeit weiter. Schrieb sich Tag und Nacht, Zeile um Zeile ihrem Ziel entgegen. Sehr zum Unverständnis ihrer Eltern.
Oh, die waren natürlich immer stolz auf sie gewesen, aber sie hatten den verbissenen Ehrgeiz ihrer Tochter nie so recht nachvollziehen können. Obwohl Mutter seit dem Beginn von Helenes Journalistenkarriere all ihre Artikel ausschnitt, um sie sorgfältig in Ordnern mit Sichtmäppchen aufzubewahren und dann bei jedem Verwandten- oder Bekanntenbesuch vorzuzeigen. Inzwischen war so eine ordentliche Sammlung zustande gekommen. Vor allem seit sie für das Globo-Magazin schrieb.
~ Griechenland: Wiege Europas, Antike, Seefahrermächte, Philosophie, Wissenschaften, Sparta, Troja, Odysseus, Byzantinisches Reich .
»Helene?«
Jemand stieß sie mit dem Ellenbogen an. »Helene!«
»Hm?« Gedankenversunken sah sie von ihrem Tablet auf. »Oh.« Und fühlte im selben Moment, wie ihr die Röte in die Wangen schoss, sobald sie die amüsierten Blicke von Jürgen und den übrigen Kollegen bemerkte. Sie fasste sich jedoch sogleich wieder und sagte in gekonnt professionellem Ton: »Ich habe inzwischen schon ein kleines Brainstorming zu möglichen Themen gemacht.«
Sogleich hörte sie Holger neben sich glucksen. »Hätte mich auch gewundert, wenn unser Helenchen bei so einer Gelegenheit nicht gleich die Griffel wetzen würde.« Er knuffte sie erneut kumpelhaft mit dem Ellenbogen. »Ich bin froh, dass wir uns nur auf Europa beschränken. Wenn's nach dir ginge, wäre bestimmt von einem möglichst unaussprechlichen Land in der hintersten Ecke der Welt die Rede, stimmt's?«
»Wie voriges Jahr«, rief eine Fotografin, die eigentlich Susanne hieß, jedoch von allen nur Sue genannt wurde. »Als du mich für eine Reportage über alte Steppenvölker in die Mongolei geschleppt hast.« Ihr Tonfall klang vorwurfsvoll, als sie fortfuhr: »Deinetwegen musste ich drei Wochen lang nur gegorene Stutenmilch trinken.« Doch ihr spitzbübisches Grinsen strafte ihre Worte Lügen. Die Tage im Terelj-Nationalpark und in Ulan-Bator waren fantastisch gewesen.
Helene schenkte den beiden ein zuckersüßes Lächeln als Antwort. Sie liebte Sue über alles. Zu...
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