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Dann rief ihn Padre Clemente an einem hundsgewöhnlichen Dienstag um die Mittagszeit zu sich.
"José, ich muss jemanden nach Santiago de Querétaro schicken."
"Wo ist das?"
"Das ist eine Stadt ziemlich weit im Norden und ein wenig westlich, von hier aus gesehen."
"Wie weit?"
"Genau weiß ich es auch nicht. Je nach Wetter etwa zwei Monate mit einem Wagen, denke ich, vielleicht eine Woche mehr."
"Was ist dort zu tun?"
"Das Ordinariat hat uns gebeten, einen Priester in ein Dorf dort oben zu entsenden. Der alte ist kürzlich verstorben, er war auch ein Ordensbruder, deshalb hat sich das neue Bistum da oben an uns gewandt."
"Sie ziehen weg, Pater?"
"Nein, doch nicht ich, Padre Leonardo ist dafür vorgesehen, er kommt aus der Gegend da und kennt sich aus."
Padre Leonardo war ein schon älterer, kleiner, rundlicher Mann, den er noch nie schlecht gelaunt erlebt hatte. Sie konnten sich freilich nur schwer verständigen, Leonardos Latein war noch schlechter als Josefs Spanisch. Da allerdings holte Josef mit Riesenschritten auf. Mittlerweile verstand er schon ziemlich viel von dem, was sich die Leute erzählten. Schwierig wurde es höchstens, wenn er selbst versuchte, etwas zur Unterhaltung beizutragen. Wenn er ein Wort nicht wusste, versuchte er es erst mit Italienisch, dann auf Latein. Nicht selten haute es hin, natürlich nicht immer. Aber er lernte jeden Tag etwas dazu.
Hm, das wären zwei Fliegen mit einer Klappe. Er müsste den Pater mit einem Karren zu seinem Bestimmungsort bringen, wohl auch auf der Reise beschützen und mehr oder weniger für ihn sorgen. Aber gleichzeitig wäre er selbst weit weg von Österreichern und Franzosen, vielleicht sogar endgültig in Sicherheit. Mit einem Mönch als Begleiter zu reisen wäre zudem eine hervorragende Tarnung. Mittlerweile hatte er ja schon so seine Erfahrungen als Flüchtling gesammelt. Er willigte ein, ohne lange nachzudenken. Nur, vor der Abfahrt wollte er noch was regeln.
Lieber Nando, lieber Matteo, liebe Carla, liebe Kinder!
Noch einmal lieber Matteo. Ich denke, Du wirst den anderen diesen Brief vorlesen, so er Euch erreichen sollte, was ich von ganzem Herzen hoffe. Dass ich ihn überhaupt schreiben kann, verdanke ich einzig und allein Eurer Hilfe und Güte. Ihr werdet staunen: Ich bin mittlerweile in einem Land namens Mexiko, das ist in Amerika. Wahrscheinlich habt Ihr noch nie davon gehört, hatte ich auch nicht, bevor ich nach Triest kam. Es geht mir gut, ich bin gesund, obwohl ich in nur wenigen Monaten schon so einiges erlebt habe. Nicht alles davon war schön, aber das ist es wohl nirgends. Wenn ich kann, werde ich meine Erlebnisse später irgendwann aufschreiben, jetzt geht es noch nicht. Morgen breche ich in aller Früh zusammen mit einem Franziskaner an einen Ort auf, an dessen Namen ich mich im Augenblick gar nicht erinnere. Ich müsste Padre Clemente wecken und ihn fragen, aber es ist spät und die Patres schlafen alle schon. Padre Clemente - das ist der Klostervorsteher hier in San Estéban, das heißt Santo Stefano auf Spanisch - hat mir versprochen, den Brief und das Geld einem Mitbruder mitzugeben, der in die Alte Welt zurückbeordert wurde. Ja genau, hier sagen die Leute Alte Welt zum Kontinent Europa. Jedenfalls hat mir Padre Clemente versichert, dass Euch Brief und Geld über den ordenseigenen, nicht den königlich-kaiserlichen Postdienst ausgehändigt würden. Es wird vielleicht ein wenig länger dauern, aber es ist sicher. Nicht einmal die Kaiserlichen trauen sich, klösterlichen Briefverkehr zu überprüfen. Ach ja, das Geld. Damit zumindest hatte ich Glück. Schon jetzt habe ich es zu einigem Wohlstand gebracht, den ich aber nicht genießen kann, solange ich nicht an einem Ort ankomme, an dem weder Österreicher noch Franzosen das Sagen haben. Das mit dem Geld und den Franzosen erzähle ich Euch ein andermal, das würde jetzt zu lange dauern. Auf jeden Fall habe ich den Wagen in Triest verkauft, auch die Maultiere, obwohl die ja dem Militär gehörten. Ich hoffe, Ihr hattet deswegen keine Ungelegenheiten. Sie haben mir da einen recht guten Preis gezahlt, wie ich meine. Das Geld gehört natürlich Euch und liegt diesem Brief bei.
In ewiger Dankbarkeit und Zuneigung, Euer
Josef Oberkalmsteiner
PS: Sobald ich kann, schreibe ich Euch wieder und erzähle Euch mehr.
Padre Clemente hatte ihm Papier, Gänsekiel, Tinte und Löschsand zur Verfügung gestellt. Josef löschte das Schreiben ab, überflog den Brief noch einmal und schüttelte den Kopf. Daraus konnte ja kein Mensch schlau werden. Aber fürs Erste musste es reichen. Jedenfalls würden sie wissen, dass er lebte und wohlauf war. Und zumindest seine weltlichen Schulden hätte er getilgt.
Was für eine Stadt, was für ein Land! Oberst Franz Ferdinand von Rebitzki hatte Mühe, Haltung zu bewahren. Schon die Einfahrt in den Hafen hatte ihn Böses ahnen lassen. Der Hafen selbst sah zwar recht ordentlich aus, mit Kaimauern und allem, was sonst so dazugehört. Dem Hafen gegenüber stand eine Festung, auch die schien gut in Schuss zu sein. Aber schon vom Schiff aus konnte man sehen, dass gleich hinter der Hafenanlage selbst nicht mehr viel von dem war, was zivilisierte Menschen sonst als Stadt bezeichneten. Der Eindruck hatte sich bestätigt, kaum war er an Land. Da gab es ein paar notdürftig befestigte Straßen zu den Verwaltungsgebäuden und um sie herum. Da standen auch die einzigen Steinhäuser. Doch, recht stattlich, musste er zugeben. Das war wohl spanisch. Woher sollte er so was wissen? Er war schließlich böhmischer Polizeioffizier und kein spanischer Baumeister. Um diese kleine Kernsiedlung herum erstreckte sich ein unübersichtliches Gewirr: ein paar Straßen, viele Gassen, Gässchen und unzählige, notdürftig aus ein paar Brettern und Stroh zusammengeschusterte Hütten. Armselig war gar kein Ausdruck. Bei ihm zu Hause auf dem Gutshof hatten sogar die Schweine einen besseren Koben. Und erst das Volk! Zerlumpt, wie die herumliefen, sollte man das Pack ohne viel Federlesens geschlossen wegen Landstreicherei einsperren. Die meisten liefen barfuß, nur ein paar hatten mönchsähnliche Riemensandalen an den Füßen. Erbärmlich. Mein Gott, wenn man ihn nur ließe, da würde er schon aufräumen.
Sie hatten ihn gnadenlos abgeschossen. In Innsbruck hatte ihn nicht einmal der Statthalter persönlich empfangen, er war von einem einfachen Bezirkshauptmann abgefertigt worden, einem Zivilisten! Der hatte ihm mit amtlich unbeteiligter Miene eröffnet, ihm sei die große Ehre zuteilgeworden, Erzherzog Ferdinand Maximilian Joseph Maria von Österreich, dem zukünftigen Kaiser von Mexiko, als Berater in Sicherheitsfragen dienen zu dürfen. Als ob nichts wäre, händigte man ihm noch dazu den Marschbefehl aus. Eigentlich war's ja der Befehl, sich unverzüglich in Triest einzufinden, um sich auf einer französischen Fregatte einzuschiffen. Immerhin war Ihro Hoheit schon am neuen Bestimmungsort eingetroffen. Er durfte noch nicht einmal nach Hause zurück, um sich zu verabschieden - besser so, wäre ihm ohnehin nur peinlich gewesen.
Immerhin hatte er in Veracruz ein paar Leute bekommen, die ihn zur Hauptstadt geleiteten, in der er seinen Dienst anzutreten hatte. Soldaten zwar, keine Polizisten, aber Österreicher und besser als nichts. Sie hatten sich alle freiwillig gemeldet, eröffnete ihm der französische Major bei der Übergabe, mit einer Prise Schadenfreude unter dem Schnurrbart, wie ihm schien. Zuerst hatte er sich gewundert, weil ihm nicht klar war, was gegen Freiwillige einzuwenden war. Aber schon am zweiten Reisetag verstand er. Einige waren genauso freiwillig hier wie er selbst. Von denen waren Motivation und Diensteifer kaum zu erwarten. Man musste schon froh sein, wenn sie nicht bei der erstbesten Gelegenheit desertierten. Die anderen waren zwar wirklich freiwillig aus den verschiedensten Winkeln im Reich gekommen, aber nur, weil sie hier viel besseren Sold als in der Heimat bekamen und außerdem ziemlich offen auf Beute aus waren. Das waren durch die Bank mehr oder weniger abenteuerlustige, verwegene, gewalttätige, undurchschaubare, habgierige, alles eher als vertrauenswürdige Gesellen, ohne Disziplin, Schulung, Erfahrung und Ehrgefühl. Staat war mit denen keiner zu machen. Viel schlimmer war, er hatte das Gefühl, hier war mit überhaupt nichts Staat zu machen.
Er war jetzt mit seiner Don-Quijote-Truppe seit einer Woche unterwegs und würde das kaiserliche Hauptquartier in einer weiteren erreichen - falls nichts dazwischenkam. Nichts von dem, was er seit seiner Ankunft zu sehen bekommen hatte, war geeignet gewesen, ihm Zuversicht einzuflößen. Das riesengroße Land - er hatte sich die Karten sehr gründlich vorgenommen - war praktisch unbeaufsichtigt. Die Franzosen hielten etwa fünfzehntausend Mann im Land. General Graf Thun-Hohenstein hatte zwar...
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