Schweitzer Fachinformationen
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Väter, Bestien, Werwölfe - die Frauen in Märchen haben seit jeher kein einfaches Los. In Angela Carters Kult-Nachdichtungen von etwa Blaubart, Der gestiefelte Kater oder Die Schöne und das Biest wird die traditionelle Rollenverteilung nicht nur umgekehrt, sondern in die Luft gejagt. Hier werden Frauen zu Tigerbräuten und Schöne zu Biestern, Erlkönige mit dem eigenen Haar erwürgt und Werwolfsgroßmütter von ihren Enkelinnen erledigt. Die Antiheldinnen und Heldinnen dieser Märchen sinnen in gleichem Maße auf Rache, wie sie nach Liebe streben.
Angela Carter ist die Godmother der feministischen (Horror-)Literatur. Ihre abgründig-erotischen Neuerzählungen von Märchen bestechen auch mehr als fünfzig Jahre nach ihrem Erscheinen mit unvermittelter Wucht.
Draußen vor ihrem Küchenfenster glitzerte die Gartenhecke, als würde der Schnee von innen heraus leuchten. Als der Himmel gegen Abend dämmerte, blieb hinten über der Winterlandschaft ein unwirklicher, blasser Schimmer liegen, während die Flocken noch immer sanft herabfielen. Das hübsche Mädchen, dessen Haut ebenfalls so innig leuchtet, dass man meinen könnte, sie sei selbst ganz aus Schnee, unterbricht ihre Hausarbeit in der kleinen Küche und schaut auf die Landstraße. Den ganzen Tag ist hier niemand vorbeigekommen; die Straße liegt weiß und unberührt da wie eine ausgerollte Stoffbahn aus Brautseide.
Dass er vor Einbruch der Nacht zurück sei, hatte ihr Vater gesagt.
Der Schnee hatte sämtliche Telefonleitungen gekappt; er hätte nicht anrufen können, auch nicht mit noch so guten Neuigkeiten.
Die Straßen sind schlecht befahrbar. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.
Doch der alte Wagen war steckengeblieben, bewegte sich nicht einen Zentimeter; der Motor keuchte, heulte auf und starb ab, und er war weit weg von zuhause. Einmal ruiniert, dann noch einmal und endgültig ruiniert - er hatte es erst heute Morgen von seinen Anwälten erfahren. Am Ende eines mühsamen, langwierigen Versuchs, sein Vermögen zu retten, hatte er seine Taschen auf links gedreht und gerade noch genug Kleingeld für die Tankfüllung nach Hause gefunden. Es war nicht einmal genug übrig, um seiner Schönen, seinem kleinen Mädchen, seinem Engelchen, die eine weiße Rose zu kaufen, die sie sich gewünscht hatte; das einzige Souvenir, das sie sich gewünscht hatte, egal, wie die Sache ausgehen würde, gleichgültig, wie reich er vielleicht abermals sein würde. Sie hatte nach so wenig gefragt, und nicht einmal das konnte er ihr erfüllen. Er verfluchte den nutzlosen Wagen, der ihm noch den allerletzten Nerv raubte; dann blieb ihm nichts übrig, als seinen alten Schafspelz enger zu ziehen, den Blechhaufen von Auto zurückzulassen und sich den langen Weg die verschneite Straße hinunter aufzumachen, um nach Hilfe zu suchen.
Hinter gusseisernen Toren schlängelte sich eine kurze, verschneite Zufahrt auf die perfekte Miniatur einer kleinen, klassizistischen Villa zu, die sich schüchtern hinter den schneebeladenen Röcken einer uralten Zypresse wegzuducken schien. Es war fast Nacht. Das Haus hätte in seiner zurückhaltenden, melancholischen Anmut vollständig verlassen gewirkt, wäre da nicht ein Licht gewesen, das schwach in einem Fenster im Obergeschoss flackerte, schwach wie der Widerschein eines Sterns, wenn durch den Schnee, der jetzt noch dichter fiel als zuvor, überhaupt Sterne sichtbar gewesen wären. Durchgefroren drückte er die breite Klinke des Gartentors hinunter und sah, es versetzte ihm einen Stich in die Brust, dass im verwitterten Dornengestrüpp am Torbogen der verblasste, zerfledderte Rest einer weißen Rose hing.
Mit einem Knall fiel das Tor hinter ihm ins Schloss. Für einen Moment hallte es so endgültig, schwer und unheilvoll nach, als hätte das Tor die ganze Welt jenseits des ummauerten winterlichen Gartens hinter sich weggesperrt. Und aus der Ferne, auch wenn er nicht sagen konnte, von wie weit, hörte er das seltsamste Geräusch der Welt: ein dumpfes, raubtierartiges Brüllen.
Zu sehr in Bedrängnis, um sich davon aufhalten zu lassen, ging er auf die jetzt vor ihm liegende Mahagonitür zu. Sie war mit einem Beschlag in Form eines Löwenkopfes versehen, der einen Ring durch die Nase trug; als er die Hand danach ausstreckte, fiel ihm auf, dass der Löwenkopf nicht wie erwartet aus Messing war, sondern aus purem Gold. Noch bevor er sich durch ein Klopfen selbst ankündigen konnte, schwang die Tür in gut geölten Angeln geräuschlos nach innen auf und sein Blick fiel in eine weiße Halle, in der die Kerzen eines ausladenden Kronleuchters ihr feierliches Licht auf unzählige Blumen in großen, freistehenden Kristallvasen warfen. Ihm war, als würde ihn der Frühling höchstpersönlich mit einem tiefen, duftenden Luftzug ganz in sich hineinatmen. Keine Menschenseele war zu sehen.
Die Tür schloss sich so leise hinter ihm, wie sie sich geöffnet hatte, wobei er dieses Mal keine Angst verspürte, auch wenn er in dieser durchdringenden Atmosphäre entrückter Realität sehr wohl wusste, dass er einen privilegierten Ort betreten hatte; einen Ort, an dem die Gesetze der Welt, wie er sie kannte, nicht notwendigerweise galten, denn übermäßig wohlhabende Menschen neigen zu Exzentrik, und das Haus war fraglos das eines unermesslich reichen Mannes. Wie dem auch sei - als niemand kam, um ihm aus dem Mantel zu helfen, zog er ihn selbst aus. Da klimperten die Kristalle des Kronleuchters, als würden sie vergnügt kichern, und vor ihm öffnete sich, ganz von selbst, die Tür zu einer Garderobe. In der Garderobe hing nicht ein weiteres Kleidungsstück, nicht einmal der für diese Art Landhaus standesgemäße Gärtnerkittel hieß seinen rangniedrigen Schafsmantel willkommen, doch als er in die Halle zurückkam, erwartete ihn schließlich doch ein Gruß - ausgerechnet ein braun-weiß gescheckter King Charles Spaniel hockte mit hellwach gerecktem Köpfchen auf dem orientalischen Läufer. Er nahm es als weiteren, beruhigenden Beweis für den Wohlstand und die Extravaganz seines unsichtbaren Gastgebers, dass die Hundedame statt eines Halsbands ein daumendickes Diamantcollier trug.
Die Hündin sprang zur Begrüßung auf alle viere und eskortierte ihn beflissentlich (wie entzückend!) in ein kleines, ledergetäfeltes Arbeitszimmer im ersten Stock, wo ein niedriger Tisch an ein prasselndes Kaminfeuer gerückt war. Auf dem Tisch stand ein Silbertablett; um den Hals einer Whiskykaraffe hing ein ebenfalls silbernes Etikett mit der Aufschrift Trink von mir, während auf der Servierhaube über dem wiederum silbernen Teller daneben in schwungvoller Schrift die Aufforderung Iss von mir eingraviert war. Unter der Haube fand er ein dickes, saftiges Roastbeef-Sandwich. Den Whisky nahm er mit etwas Mineralwasser zu sich, das Sandwich mit einem hervorragenden Senf, der vorsorglich in einem kleinen Steinguttopf bereitgestellt war, und nachdem die Spanieldame sichergestellt hatte, dass er sich bediente, dackelte sie davon, um sich ihren eigenen Angelegenheiten zu widmen.
Was noch fehlte, um den Vater der Schönen rundum zufriedenzustellen, fand er in einer kleinen Nische hinter einem Vorhang: nicht nur ein Telefon, sondern auch die Visitenkarte einer 24-Stunden-Reparaturwerkstatt. Einige Anrufe später hatte er die Bestätigung, dass abgesehen vom bemerkenswerten Alter seines Wagens und von dem ganzen Schnee glücklicherweise kein ernsthafter Schaden vorlag . Ob er ihn in einer Stunde aus dem Dorf abholen könne? Der Ton am anderen Ende der Leitung wurde deutlich hochachtungsvoller, als er durchgab, von wo aus er angerufen hatte. Man beschrieb ihm den Weg zur Ortschaft, die nur eine halbe Meile entfernt war.
Er war verdutzt, angesichts seiner mittellosen Umstände aber vor allem erleichtert zu hören, dass die Rechnung an die Adresse seines spendablen, wenn auch unsichtbaren Gastgebers ginge. Keine Frage, versicherte ihm der Mechaniker, das sei beim Herrn des Hauses so üblich.
Er genehmigte sich einen weiteren Whisky, während er vergeblich versuchte, die Schöne zu erreichen, um ihr mitzuteilen, dass er sich verspäten würde; aber die Leitung war noch immer unterbrochen, obwohl der Sturm wundersamerweise aufgehört hatte, jetzt, wo der Mond aufgegangen war, und als er die Samtvorhänge beiseiteschob, fiel sein Blick auf eine Landschaft, die dalag wie silbrig durchwirktes Elfenbein. Dann tauchte die Spanieldame wieder auf, sie trug vorsichtig seinen Hut im Maul und wedelte fröhlich mit dem Schwanz, als wollte sie ihm mitteilen, dass es Zeit sei, zu gehen, die magische Gastfreundschaft sei nun vorbei.
Als die Tür hinter ihm zufiel, sah er, dass die Augen des Löwen aus grünem Achat waren.
Wie eine dicke Schicht Quark lag der Schnee auf den Rosenbüschen, und als er auf seinem Weg zum Tor einen Zweig streifte, fiel eine kalte Ladung davon zu Boden und legte, als wäre sie wie durch ein Wunder darunter bewahrt worden, eine einzelne, vollkommene Rose frei, gewiss die letzte Rose, die in diesem weißen Winter überlebt hatte, und ihr Duft war so stark und fein zugleich, dass sie wie eine Zither in der eiskalten Luft zu klingen schien.
Bestimmt würde sein mysteriöser, umsichtiger...
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