3
Lena
Ob sie es übertrieben hatte? Ein klein wenig vielleicht? Der arme Kerl, den ihr Vater ihr ans Bein gebunden hatte, saß mit verkniffenem Gesichtsausdruck vor der Kabine und seine Augen wirkten, als wollten sie Lena bei lebendigem Leib verbrennen. Ob er noch immer so verstimmt aussah, wusste sie nicht, zumindest war das bei jedem Mal der Fall gewesen, wenn sie ihm neue Klamotten präsentierte. Ihre Lippen zuckten voll freudiger Erwartung, dann streifte sie Outfit Nummer achtzehn über und trat grinsend aus der Umkleidekabine heraus. »Oder das hier?« Sie drehte sich einmal um sich selbst und strich dabei den Stoff des hautengen, weißen Minikleids mit zartgelben Blütenapplikationen darauf glatt. Wohl wissend, dass diese Farben ihrem leicht gebräunten Teint und ihren blonden Haaren schmeichelten, hörte sie nicht auf, Connor zu provozieren. Das Kleid war dermaßen eng und besaß einen äußerst freizügigen Ausschnitt, sodass es ihr geradezu diebische Freude bereitete, ihn zu ärgern. Ihre perfekte Figur verdankte sie schließlich nicht dem Zufall, sondern dem täglichen, eisernen Einsatz von Jorge, ihrem Personaltrainer. Weshalb sollte sie also die Waffen, die sie besaß, nicht einsetzen?
»Mmh.«
Grummelnd nickte der Secret-Service-Typ, wie auch all die Male zuvor. Wie lange er wohl noch durchhalten würde? »Sie haben recht, es ist ganz nett, aber zum Tanzen nicht unbedingt geeignet. Zum Glück ist die Auswahl hier endlos.« Lena musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er mehr als nur genervt war. »Dann probiere ich das Nächste an, bis gleich.« Das boshafte Lächeln, mit dem sie das Innere der ausladenden Umkleidekabine betrat, strafte ihre freundliche Stimme Lüge. Sie hätte nicht gedacht, dass es so großen Spaß machen würde, ihrem unliebsamen Babysitter das Leben schwer zu machen.
Das nächste Outfit war eher langweilig, ein schwarzes Cocktailkleid mit Spitzenapplikationen am Ausschnitt. So etwas trug Lena lediglich zu offiziellen Anlässen, wenn sie ihren Dad begleiten musste. Der eigentliche Grund, weshalb sie es dennoch ausgewählt hatte, war, dass es nur mit einem Reißverschluss am Rücken zu schließen war. Sie würde also tatkräftige Unterstützung benötigen. Während sie hineinschlüpfte, freute sie sich diebisch auf Connors Reaktion. Selbstverständlich trug sie keinen BH darunter, sodass er ihren blanken Rücken präsentiert bekäme. Bevor sie ihn zu sich rief, musste sie sich jedoch mehrmals räuspern und schüttelte verwundert den Kopf. Weshalb zur Hölle stellten sich bitte nun ihre Nackenhärchen bei dem Gedanken auf, dass seine Finger sie gleich berühren würden? War sie noch bei Trost?
»James?«, rief sie mit einer Spur Verunsicherung in der Stimme, sobald sie sich einigermaßen gefasst hatte. »Ich benötige Ihre Hilfe!«
Vor der Tür hörte sie ihn deutlich fluchen und das selbstsichere Lächeln kehrte wieder in Lenas Gesicht zurück, während sie sich umdrehte, um ihm ihre Kehrseite zu präsentieren.
»Connor!«, sagte er grimmig, als er eintrat, und natürlich wusste sie seinen Namen. Es machte einfach zu viel Spaß, ihn zu verärgern. »Was ist los?«
»Wenn Sie so freundlich wären, und den Reißverschluss für mich schließen könnten? Ich komme leider nicht dran.« Den Blick unverwandt auf den mannshohen Spiegel gerichtet, der in der Kabine hing, wartete sie gespannt auf seine Reaktion. Deutlich sah sie in dem grellen Licht, wie er endlich ihren Rücken anstarrte. Für den Bruchteil einer Sekunde regte er sich nicht, doch seine Augen sprachen Bände. Obwohl er sie zu schmalen Schlitzen zusammenpresste, blitzte kurz etwas in ihnen auf.
»Ich bin nicht Ihre Kammerzofe«, erwiderte er schroff und wandte sich bereits zum Gehen um.
»Das ist mir durchaus bewusst, doch leider wurde mir ja verboten, meine Freundinnen mit zum Shoppen zu nehmen, weshalb Sie nun bedauerlicherweise der Einzige sind, der mir behilflich sein kann.« Sie versuchte es mit der Das-Schlechte-Gewissen-Tour, und es schien zu funktionieren. Connor hatte die lautstarke Diskussion mit ihrem Vater am Telefon vorhin deutlich mitbekommen, in welcher ihr untersagt worden war, andere Personen ebenfalls in potenzielle Gefahr zu bringen. Der Secret Service war einzig zu ihrem Schutz da, nicht, um ihre Freunde ebenfalls zu beschützen.
Angespannt beobachtete sie im Spiegel, wie Connor verharrte, kurz zögerte und sich schließlich tief durchatmend wieder zu ihr umwandte. »Schön, von mir aus.«
Sobald er zu dem Reißverschluss griff und seine Fingerkuppen ihre Haut berührten, zuckte sie kaum merklich zusammen. Plötzlich wurde ihr warm, und an der Stelle, an der Connor zog, entstand ein wohliges Prickeln, das umgehend in ihren restlichen Körper ausstrahlte. Überfordert mit der unerwarteten Reaktion, hielt Lena die Luft an und sah ungläubig auf Connors Spiegelbild. Was geschah da gerade?
Endlich fügte sich der Verschluss und sie spürte, wie Connor ihn quälend langsam hochzog. Auf einmal sah er auf und fixierte ihren Blick im Spiegel. Unfähig, sich davon abzuwenden, nahm Lena nur am Rande wahr, wie ihr Herz unversehens schneller zu schlagen begann. Als müsste sie in den unergründlichen Tiefen seiner dunklen Augen nach den Geheimnissen suchen, die jeder in sich verbarg, war sie nicht imstande, wegzusehen. Der Blick in seine Seele wurde ihr jedoch verwehrt, stattdessen schien die Luft um sie herum regelrecht zu lodern. Möglicherweise waren es auch ihre Sinne, die ihr einen unschönen Streich spielten, vielleicht sollte sie einfach endlich nur wieder atmen. Richtig. Luft holen.
Gerade, als sie den erlösenden Sauerstoff tief in ihre Lunge sog, beugte sich Connor bedächtig zu ihr vor, bis er direkt an ihrem Ohr innehielt. Sein heißer Atem streifte die empfindliche Haut an ihrem Hals, während sein Blick im Spiegel sie zu verschlingen schien. Lenas Atmung ging flach, die Hitze in diesem Raum drohte, sie zu versengen.
»Das sollte besser das letzte Kleid sein, das Sie anprobieren. Wir wollen Daddy doch nicht verärgern«, raunte er derart sinnlich in ihr Ohr, dass sie einige lange Sekunden benötigte, um zu verstehen, was er eigentlich sagte.
Sie bemerkte erst, wie sehr sie sich wünschte, dass er etwas anderes, zu dieser sinnlichen Stimme Passendes gesagt hätte, als seine Worte sie wie eine eiskalte Dusche trafen. Sogleich straffte sie sich und bedachte ihn mit dem teilnahmslosesten Blick, den sie zustande brachte. »Das lassen Sie mal mein Problem sein«, erwiderte sie kalt und betete, dass er nichts von dem Feuer in ihrem Inneren mitbekam, das noch immer brannte und vergeblich darum kämpfte, nicht zu erlöschen.
Mit einem Ruck zog er den Reißverschluss wieder herunter, grinste geradezu unverschämt und ging anschließend einfach aus der Kabine heraus. Lena hatte keine Ahnung, wie lange sie nur so dagestanden hatte, darauf wartend, dass sich ihr Puls beruhigte. Sie musste sich eingestehen, dass sie gerade von Connor übertrumpft worden war. Sobald sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, funkelte sie ihr Spiegelbild an. »Das bekommst du zurück«, murmelte sie verärgert. »Ich habe noch keine Ahnung, wie, aber mir wird sicher genug einfallen, wie ich dir das Leben ebenfalls schwer machen kann.« Zufrieden nickte sie dem Spiegel zu und schlüpfte schließlich aus dem Kleid. Zu ihrem Verdruss fühlten sich ihre Beine noch immer wacklig an, als sie ihre Jeans überzog. Dieser Kerl sah nicht nur zum Anbeißen aus, er wusste auch ganz genau, wie er dies zu seinem Vorteil einsetzen konnte. Lena schnaubte. Bitte, sollte er doch. Dieses Spiel kannte sie zur Genüge und sie verlor nicht gern. Sie würde ihm sein dämliches Grinsen schon noch austreiben!
»Brauchen Sie noch mal meine Hilfe?«, ertönte es belustigt von draußen.
»Danke, nein. Alles bestens.« Das war zwar gelogen, aber bald würde es das sein, dafür würde sie schon sorgen.
Es war befremdlich, bei jedem Schritt, den sie tat, jemanden an ihrer Seite zu wissen. Connor behinderte sie in ihrer Freiheit, was sekündlich nerviger wurde. Ständig mischte er sich in alles ein, wie eben, als er die Damen im Queen of Nails grob anfuhr, die Lena zur Maniküre in einen separaten Raum mitnahmen und ihm den Zutritt verweigern wollten. Gut, vielleicht hatte Lena auch zufällig vergessen, die Damen über ihn aufzuklären und daher war er ihnen wie ein Stalker vorgekommen, dennoch nervte er! Er musste doch nicht überall dabei sein? Es genügte völlig, wenn er irgendwo draußen wartete, am besten so weit weg wie möglich.
»Erzähl mir alles über ihn!«, unterbrach sie Tina, die für ihre Nägel zuständig war.
»Da gibt es nichts zu erzählen. Mein Dad ist der Meinung, dass er mir einen Gorilla aufdrücken muss und der folgt mir jetzt überallhin.«
»Na ja, wie ein Gorilla sieht er ja nicht aus.« Tina kicherte vergnügt, während sie die Feile neu ansetzte.
Da hatte sie allerdings recht. »Ja, er sieht ganz passabel aus, das stimmt. Aber das bringt mir alles nichts, wenn ich dafür keinen Schritt gehen kann, ohne ihn ständig an der Backe zu haben.«
»An deiner Stelle würde ich dieses Schnittchen ja so schnell wie möglich in mein Bett locken.«
»Tina!«
»Was denn? In meinem Alter tickt die innere Uhr schon ohrenbetäubend laut, da hat man keine Zeit mehr für unnötiges Geplänkel und man kommt direkt zur Sache.« Wieder kicherte sie über ihren eigenen Scherz.
»Du spinnst doch.« Lena lächelte, doch ihr war nicht wirklich danach zumute. Sie war erst Anfang zwanzig, ihre innere Uhr war noch sehr leise. Und sie hatte nicht vor, die kommenden Jahre mit Connor zu...