Schweitzer Fachinformationen
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Jake Sawyer war kein Spion. Er hasste dieses Wort. Hasste es auf drei Kontinenten und in vier Sprachen. Weil es ein Wort für Kinder war. Für Novizen und Zivilisten.
Wenn überhaupt, dann war er ein Agent. Aber auch das klang ihm fast noch zu sehr nach Smokingtragendem Hollywoodschauspieler mit einem Stall voller Stuntmen und Hightech-Autos mit Katapultsitzen. Sein Beruf war keine Fassade, keine Rolle, in die er schlüpfte. Sondern sein Alltag. Und er hatte ihn satt, diesen Alltag. Diesen Job. Und seine Aufträge und seine Gegner. Und seine Verbündeten auch.
Allen voran Alex.
Als er sie vorhin wie tot auf der Straße hatte liegen sehen, war er einen Augenblick lang sicher gewesen, dass er zu spät war. Aber dann war wieder Leben in sie gekommen, und sie hatte ihn angesehen, gegen das Dunkel angeblinzelt. Er hatte nicht zweimal hinzuschauen brauchen, um zu erkennen, dass sie eine Gehirnerschütterung hatte. Und auf einmal hatte Sawyer etwas empfunden, das ihm eigentlich schon lange fremd war: Mitgefühl. Und Wärme, obwohl es so kalt war, dass ihm fast sein bestes Stück abfror.
Er kannte Alex seit bald fünf Jahren. Und er vertraute ihr. Aber noch nie hatte er sie so gesehen. So schwach und wehrlos. So zerbrechlich. Und das jagte ihm eine Heidenangst ein.
Er musste sie finden. Bis dahin würde er sich mit dem Gedanken trösten müssen, dass sie zumindest auch sonst niemand finden würde, wenn er es nicht tat. Jedenfalls hoffte er das.
Sie würde sich in ein sicheres Versteck retten. Es gab mehr als genug Safe Houses hier in der Stadt. Und dann würde sie eine Weile die Füße stillhalten. Sich hinter einem Dutzend Wände und Sprengfallen verschanzen. Weil Alex so paranoid war wie kaum jemand sonst, den er kannte. Und er war ein Spion - nein, verdammt! Er war Agent!
Der Schnee fiel nicht mehr ganz so dicht, und schon bald würde die Stadt erwachen, und nach und nach würden sie alle aus ihren Löchern gekrochen kommen. In den Bäckereien gingen bereits die ersten Lichter an, und aus den Lüftungen drang warme Luft, die nach frischem Brot roch. Sein Magen knurrte, doch er lief weiter. Sah sich ausnahmsweise nicht nach möglichen Verfolgern um.
Weil er wusste, dass er längst tot gewesen wäre, wenn sie ihn aufgespürt hätten.
Sirenen. Hatten sie die ganze Zeit schon durch die kalte Nachtluft geschrillt? Alex war sich nicht sicher, also hielt sie den Kopf gesenkt und setzte sorgfältig einen Fuß vor den anderen. Hier gibt's nichts zu sehen, sollte ihre Haltung signalisieren. Ich bin total uninteressant.
Ein Niemand.
Aber der Schnee war so tief, dass sie einen Bordstein übersah und der Boden nicht dort war, wo sie ihn erwartet hätte, und so knickte ihr der Fuß weg, und sie landete unsanft mitten auf der Straße. Mal wieder.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, ertönte eine Stimme, und Alex stützte sich weit genug hoch, um den Mann zu erkennen, der hastig den Gehweg verließ und auf sie zueilte. Die Straße schien eigentlich rege befahren zu sein, da der Schnee platt gedrückt und von vereisten Reifenspuren übersät war. Vorsichtig rappelte sie sich auf.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
Ihr erster Instinkt lautete, auf Abstand zu gehen, aber ihr Fußgelenk schmerzte, und in ihrem Kopf drehte sich alles, und der Mann sah aus, als ob er irgendjemandes Großvater war. Als würde er sehnsüchtig auf seine Pensionierung warten, damit er endlich seiner wahren Leidenschaft nachgehen konnte: Dokus über den Zweiten Weltkrieg.
»Haben Sie sich verirrt? Soll ich jemanden für Sie anrufen?«
»Oh, danke, mir geht es gut.« (Ging es nicht.) »Ich weiß, wo ich hinmuss.« (Wusste sie nicht.) »Ich brauche keine Hilfe.« (Oh, und wie sie Hilfe brauchte.)
Ihr war bewusst, wie sie aussehen musste mit ihrer zerrissenen Strumpfhose und den vereisten Schneeklumpen im Haar, den blutigen Knien und dem blauen Fleck an der Schläfe. Aber ihre Entscheidung war gefallen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Ich bin einfach nur ein bisschen tollpatschig.« Sie ahmte nach, wie sie auf dem Eis ausrutschte, was dazu führte, dass sie wirklich auf dem Eis ausrutschte und sich erst im letzten Moment fangen konnte.
»Ich begleite Sie besser, bis Sie Ihr Ziel erreicht haben«, bot der Mann an. »Sie sollten bei diesem Wetter nicht allein unterwegs sein.«
Aber sie war nicht allein. Sie hatte eine Tube Lippenbalsam und vier Euro, ein nasses Taschentuch und eine Stimme im Hinterkopf, die mit jeder Sekunde lautere Warnsignale absetzte.
»Kommen Sie, darf ich Ih.«
»Sie sprechen Englisch«, sagte sie aus einem Grund, den sie aktuell selbst nicht nachvollziehen konnte.
Er lachte auf. »Sie doch auch.«
Sie wich einen Schritt zurück. Dann noch einen und noch einen, bis sie erneut über den Bordstein stolperte, diesmal glücklicherweise aber, ohne sich aufs Eis zu legen. »Warum? Warum sprechen Sie Englisch?«
Er gab ein joviales kleines Lachen von sich. »Nun, weil Sie Englisch sprechen.«
»Aber Sie haben zuerst etwas gesagt. Dabei konnten Sie gar nicht wissen, dass ich keine Französin bin. Wieso haben Sie mich nicht auf Französisch angesprochen?«
Die Warnsirene in ihrem Kopf schrillte inzwischen ohrenbetäubend laut. Und das war, ehe sie mit dem Rücken gegen die Hauswand stieß und begriff, dass sie in der Falle saß. Ehe sich der Gesichtsausdruck des Mannes veränderte und das freundliche Kriegsdoku-Pensionärslächeln einem bösartigen Grinsen wich. »Weil Sprachen noch nie deine Stärke waren, Alex.«
Sie wollte laufen, aber der Mann war schon zu nah, der Lärm der Sirenen und Motorräder zu laut. Über ihr ertönte ein Knacken, ein knirschendes Splittern, das sie irgendwo schon einmal gehört hatte. Also hörte sie auf zu denken und schubste den Mann.
Ihr Angriff war ungelenk und ungeübt und musste ihn vollkommen unerwartet getroffen haben, weil er zwei, drei Schritte rückwärts stolperte und sie ansah, als könnte er nicht fassen, wie stümperhaft sie sich anstellte. Aber dann ertönte erneut das Knacken, und eine dicke Eisscholle brach vom Dach über ihnen ab, riss den Mann von den Füßen und begrub ihn teilweise unter sich. Einen Sekundenbruchteil lang musterte sie seinen fassungslosen Gesichtsausdruck, dann nahm sie die Beine in die Hand.
Und rannte.
Bis zum nächsten Häuserblock. Bis zur nächsten Querstraße. Bis zum Ende der Welt. Aber das war nicht weit genug, und sie war nicht schnell genug, denn die Sirenen waren näher, lauter, und als sie sich umdrehte, sah sie die Motorräder auf sich zuschießen. Drehte sich wieder um, wollte in die nächste Straße abbiegen, aber es handelte sich um eine Sackgasse. Eine Wand aus Muskeln und Motorrädern und Männern rückte immer dichter auf. Alex wich auf wackligen Beinen zurück und trat dabei in eine eiskalte Pfütze.
Okay, sagte sie sich. Ich hab alles im Griff. Hatte sie doch, oder? Schließlich wusste doch jeder, dass Spione, die mit Gedächtnisverlust aufwachten, vielleicht Sachen wie Hotelnamen und Zimmernummern vergaßen, sich aber immer noch auf ihr Muskelgedächtnis verlassen konnten. Ihr Körper wusste durch das jahrelange Training, wie man kämpfte. Sie musste einfach nur abwarten, bis er auf Autopilot umstellte und sich ganz von ihren erlernten Fähigkeiten leiten ließ.
Als die Männer von ihren Motorrädern stiegen und näher kamen, konnte sie blutige Lippen und blühende Veilchen erkennen und versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, dass sie dafür verantwortlich war. Sie hatte doch selbst im Fernsehen gesehen, wie sie diese Typen zu Brei geschlagen hatte. Das brauchte sie jetzt einfach nur zu wiederholen.
»Na, sucht ihr mich, Jungs?«, fragte sie so selbstbewusst, wie sie konnte, und der Schlägertrupp sah sich fragend um.
»Öhm . Ja?«, sagte Brutalo Numero uno, als hätte sie ihm eine Fangfrage gestellt.
»Gib uns den Datenträger, Alex«, blaffte ein anderer.
»Hä? Datenträger? Welchen Datenträger?«
Sie lachten, als hätte sie einen Witz gemacht. Offenbar war ihnen nicht bekannt, dass ihr wertvollster Besitz aktuell eine halbleere Tube Lippenbalsam war.
»Rück ihn raus, und niemand wird verletzt.« Brutalo Numero uno wechselte einen Blick mit seinen Freunden und lachte spöttisch auf. »Na gut, sagen wir, dann bemühen wir uns, dir ein bisschen weniger wehzutun. Deine Entscheidung.«
Der Klang seiner Stimme erinnerte sie an den Geschmack von Wodka, und irgendwo in ihrem Hinterkopf flüsterte es: Russisch. Das sind Russen. Einen Moment lang stand sie einfach da und wartete, dass sich ihr Gedächtnis wieder regte. Dass irgendein vertrautes Gefühl in ihr hochkam. Aber da war nur ein dumpfes Pochen in ihrem Kopf und das Wissen, dass sie hoffnungslos in der Unterzahl war. Was halb so schlimm war, sagte sie sich. Weil ihre Muskeln doch wussten, was zu tun war.
»Also, was das betrifft . Witzige Geschichte: Ich hab keinen Datenträger. Echt nicht. Pfadfinderehrenwort.« Die Männer kamen auf sie zu, und Alex versuchte, möglichst unbeeindruckt zu klingen, als sie sagte: »Na gut, dann wollt ihr es also auf die harte Art.«
Und dann griff sie...
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