1. KAPITEL
Was für ein Aufwand, nur um in den Hafen der Ehe einzulaufen!
Matt bahnte sich den Weg durch die Besucher, die gerade den prachtvollen Ballsaal des historischen Riverway-Herrenhauses bewunderten. Einst hatte die Plantage zu den wichtigsten Baumwollproduzenten der Welt gehört, heute aber wurde das hochherrschaftliche Gebäude nur noch am Wochenende für Veranstaltungen und Führungen genutzt. Schon auf dem Weg in den weitläufigen Garten, wo die offizielle Begrüßung der Hochzeitsgäste stattfand, entdeckte Matt zwei Südstaaten-Schönheiten in historischen Kleidern.
Er fand es geschmacklos, den amerikanischen Bürgerkrieg zum Thema einer Hochzeit zu machen. Aber vielleicht gefiel dem Brautpaar gerade diese Anspielung? Unabhängig davon hätten das Herrenhaus und die prachtvollen Kostüme der Gäste Scarlett O'Hara in Vom Winde verweht zur Ehre gereicht. Die Hochzeitsplanerin war entweder genial oder komplett verrückt. Matt vermutete eher das Letztere, wenn er die Szenerie so überblickte. Schließlich hätte sie seinen Vorschlag rundheraus abgelehnt, wenn sie eine vernünftige, berechenbare Frau wäre. Dann wäre sein Plan, hierher zu fliegen, das Problem zu lösen und das nächste Flugzeug zurück zu nehmen, gescheitert. Und er wäre keinen Schritt weiter gewesen.
Es war nicht schwierig, die beiden Damen in ihren ausladenden Kleidern aus dem 19. Jahrhundert einzuholen. Ihre Reifröcke erwiesen sich als äußerst hinderlich bei dem Versuch, die Türen zur Terrasse zu öffnen. Und danach scheiterten sie daran, dass sie gemeinsam durch die Tür gehen wollten.
Matt verkniff sich ein Grinsen und versuchte, die Müdigkeit zu bekämpfen. Er war seit sechsunddreißig Stunden auf den Beinen und hatte im Flugzeug nur zwei Stunden geschlafen. Galant öffnete er den zweiten Flügel der Tür, um den beiden Frauen hinauszuhelfen.
Die eine, in einem hässlichen gelben Kleid, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. "Vielen Dank."
"Es ist bestimmt eine Qual, in diesem Aufzug auf die Toilette zu müssen", sagte Matt.
Die andere - sie trug ein lavendelfarbenes Kleid - lachte. "Sie ahnen nicht, wie sehr!"
"Wissen Sie zufällig, wo ich Callie LaBeau finde?", erkundigte er sich.
Die Lavendel-Lady deutete auf den Empfangstresen, der im Garten aufgebaut war. "Vorhin war sie dort an der Bar."
Eine gute Nachricht, befand Matt. Alkohol würde die Hochzeitsplanerin vielleicht ein bisschen milder stimmen.
"Sie ist die Einzige in einem blauen Kleid", ergänzte die Gelbe, und Matt meinte, einen Anflug von Neid in ihrer Stimme zu hören.
Matt trat hinter den beiden Damen durch die Flügeltüren hinaus in den parkähnlichen weiten Garten. Es roch nach frisch gemähtem Gras. Auf den mit weißem Leinen gedeckten Tischen standen stilechte Gaslampen, in den mächtigen alten Eichen baumelten kleine Laternen. Die Kronen der Bäume bildeten einen schützenden Baldachin über der Szenerie.
Er hoffte nur, die Flammen der Lampen waren nicht echt, denn sonst würde das malerische Ambiente wahrscheinlich in kürzester Zeit vom leuchtenden Orange unzähliger Feuerwehruniformen überlagert.
Zum Glück war es trotz der Beleuchtung so dämmerig, dass Matt in seinen dunklen Hosen und dem weißen Hemd leicht für einen der Ober gehalten werden konnte, denn die männlichen Gäste waren als Soldaten verkleidet. Matt musterte die farbenfrohen Ballroben der Damen und hielt Ausschau nach einem blauen Kleid. Endlich entdeckte er es an einem historischen Leiterwagen, der zu einer Bar umfunktioniert worden war.
Erleichtert entspannte er sich. Der Vier-Stunden-Flug nach New Orleans war turbulent und heiß gewesen, er hatte kein Auge zugetan, und ein Bier würde seine Lebensgeister jetzt wecken.
Er steuerte auf die improvisierte Bar zu und lehnte sich gegen das Holz. "Callie LaBeau?"
Die Frau in Blau drehte sich um, und ihr Anblick raubte Matt den Atem. Sie hatte honiggolden schimmerndes Haar, große braune Augen und einen schlanken Körper, dessen Rundungen ihr Kleid dennoch perfekt ausfüllten. Ein plötzliches Verlangen übermannte ihn, doch er ignorierte es.
"Matt Paulson", stellte er sich vor.
"Colin hat mich schon angerufen und mir mitgeteilt, dass Sie kommen werden."
Kurz und fest drückte sie seine Hand. Ihr für den Süden typischer schleppender Tonfall ließ Matt an schwüle Nächte denken, an heiße Haut und verlockend zarte Schenkel.
Halt dich an deinen Plan, Paulson. Konzentriere dich auf dein Problem und sieh zu, dass du wieder verschwindest.
Sie ließ seine Hand los und verzog leicht die Lippen. "Er hat jedoch nicht erwähnt, dass Sie so schnell kommen."
Es war keineswegs ein erstaunter Tonfall, sondern der eines Menschen, der wusste, dass das Leben Überraschungen bereithielt, und damit würdevoll umgehen konnte. Matt fand sie auf Anhieb sympathisch.
"Colin sagte mir, dass ich Sie hier finden würde." Er ließ den Blick über die Gästeschar schweifen. "Allerdings habe ich gedacht, Sie sehen sich das Herrenhaus für eine geplante Veranstaltung an. Ich hatte keine Ahnung, dass ich hier mitten in eine Hochzeitsgesellschaft platze."
"Colin ist ein sehr guter Freund, und ich verdanke ihm viel. Aber er ist ein Spieler", gab sie mit einem vielsagenden Schulterzucken zurück.
Matt wusste, was sie meinte. In den vergangenen zwei Jahren hatte er gelernt, dass die Computerwelt auf den Schultern derer aufgebaut worden war, deren Leben sich ausschließlich um Spiele drehte. Sie hatten oft gar keine sozialen Kontakte außerhalb dieser Szene mehr. Sein eigener Bruder arbeitete für Colin und hatte unendlich viel Zeit damit verbracht, das Computerspiel Das Verlies des Zhorg zu entwickeln. Mit dieser Leidenschaft war es Tommy gelungen, sich von einer anderen Sucht zu befreien, und Matt hoffte nur, dass das auch so bleiben würde. Dass die Drachen und Trolle den Konsum von Crystal Meth langfristig besiegen konnten.
Unweigerlich machte sich wieder der alte Schmerz breit, als Matt sich an die Zeit erinnerte, in der sein Bruder ausgemergelt und verwirrt gewesen war. Er hatte förmlich zusehen können, wie Tommy sein Leben wegwarf.
Er riss sich zusammen. "Wollen wir uns lieber morgen treffen, oder haben Sie eine Minute Zeit?"
"Samstag bin ich den ganzen Tag unterwegs. Wie lange bleiben Sie in New Orleans?"
"Bis Sonntagmorgen."
Amüsiert lachte sie auf. "Tja, dann haben wir wohl keine Wahl."
Als Callie in ihr Mieder griff und er sah, wie sie mit ihren schlanken Fingern ihr Dekolleté berührte, war seine Kehle wie zugeschnürt. Eine absolute Überreaktion, die nur daher rührt, dass ich vollkommen übermüdet bin, sagte er sich voller Selbstironie.
Mit einem leichten Lächeln zog sie eine winzige Taschenuhr hervor.
"Ich versuche, meine Verkleidung so authentisch wie möglich zu gestalten, aber gleichzeitig muss ich aufpassen, dass alles perfekt nach Zeitplan läuft." Sie schaute auf die Uhr und blies sich eine vorwitzige Strähne ihres honigblonden Haares aus dem Gesicht. "Meine Assistentin kann hier kurzfristig übernehmen. Sie haben genau zwanzig Minuten, dann muss ich mich darum kümmern, dass die Hochzeitstorte angeschnitten wird."
Zwanzig Minuten waren nicht wirklich viel Zeit, um jemanden zu überzeugen, das Unmögliche zu wagen.
Er bestellte ein Bier, Callie nahm ein Wasser. Dann gab sie ihrer Assistentin einige Anweisungen. Sie trug das gleiche Kleid wie ihre Chefin, bemerkte Matt, allerdings in Rot, und sie wirkte weitaus nervöser als die Hochzeitsplanerin. Nachdem Callie alles geregelt hatte, steuerte sie eine Sitzecke auf der Rückseite des Hauses an, wo sie ungestört waren.
"Ich würde alles darum geben, mich jetzt entspannt zurücklehnen zu können", stöhnte Callie und warf einen sehnsüchtigen Blick auf einen Sessel. "Aber es ist leider unmöglich, sich in diesem Kleid irgendwo gemütlich hinzusetzen."
"Ihre Aufmachung sieht nicht wirklich bequem aus", stimmte Matt zu.
"Die Unterröcke sind steif, und das Korsett erlaubt es kaum, Luft zu holen." Aufseufzend lehnte sie sich an die leere Theke. "Also, erzählen Sie mir von Ihren Hochzeits-Fantasien, Mr. Paulson."
Unwillkürlich lachte er auf. Himmel, bevor er so weit gehen würde, musste er erst mal lange genug an einem Ort bleiben, um jemanden näher kennenzulernen. Und das würde ganz sicher nicht so bald geschehen. Wenn überhaupt.
Wie oft hatte er schon versucht, eine Wochenendbeziehung zu führen? Es war jedes Mal schiefgegangen. Er schaffte es ja nicht mal, überhaupt eine Beziehung zu führen. Guter Sex war das Eine, aber damit hielt man eine Frau nicht. Er hatte Verpflichtungen Tommy gegenüber, und die Frauen fühlten sich schnell als fünftes Rad am Wagen. Früher oder später war noch jede seiner Freundinnen gegangen.
Matt räusperte sich. "Eigentlich bin ich nicht hier, um über meine Fantasien zu sprechen."
Fantasien.
Seine zweideutige Wortwahl traf ihn selbst unvorbereitet und ließ ihn zusammenzucken. Im Moment hatten seine Fantasien ausschließlich mit einer dunkeläugigen Schönheit zu tun, die ein historisches Kleid mit einem unfassbar breiten Reifrock trug. Die Vorstellung,...