Schweitzer Fachinformationen
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Was Beziehungen angeht, gibt es zwei Arten von Frauen. Diejenigen, die beim ersten Anzeichen von Problemen die Flucht ergreifen, und die, die um jeden Preis bei der Stange bleiben - und sei es auch nur, um genau mitzukriegen, wie holprig der Weg wird, der vor ihnen liegt.
Ich gehöre eindeutig in die zweite Kategorie.
Weswegen ich vermutlich auch hier gelandet bin. Nicht dass ich die leiseste Ahnung hätte, wo ich bin. Eigentlich weiß ich nur, dass dieser Ort sehr friedlich ist und sehr, sehr still. Nur ich und meine Gedanken. Irgendwie nett. Gefällt mir. Beinahe so erholsam wie ein Tag im Wellnesscenter, nur ohne die Anwendungen und das nervige Panflötengedudel.
Über mir müssen sich unzählige Kubikmeter Luft befinden, die mich von dieser anderen Welt trennen, die ich, glaube ich, nicht wirklich verlassen habe - ich mache sozusagen nur eine kleine Werbepause. Bis ich meinen Kopf wieder sortiert habe und das Chaos, in dem ich mich befinde, sich etwas lichtet. Aber je länger ich hier unten bin, ungestört und ruhig, desto weniger möchte ich zurück.
Nicht dass sie das aufhalten würde: Meine Mutter, meine Schwester, meine beste Freundin Fiona - eigentlich alle, denen ich in meinem ganzen Leben begegnet bin - scheinen wild entschlossen, mich hier wieder rauszuholen. Jemand muss ihnen erklärt haben, dass Menschen in meinem Zustand auf physische Reize reagieren und dass das Gehör das Sinnesorgan ist, das am längsten erhalten bleibt - und dass sie deshalb, wenn sie mit mir plaudern oder mir Musik vorspielen oder mir allgemein emotionales Cheerleading angedeihen lassen, eine reelle Chance haben, mich aus der Tiefe wieder emporzulocken.
Wenn sie so weitermachen, bringen sie mich lediglich um den Verstand.
Im Ernst, sie veranstalten eine Art Wettbewerb: Wer schafft es, mich zurückzuholen? Tag und Nacht erzählen sie mir bis ins kleinste Detail alles, was in der Welt draußen vor sich geht - und ich meine damit wirklich alles. Mum beschreibt mir in aller Ausführlichkeit, was für ein leckeres Bananensoufflé Delia Smith gestern Abend im Fernsehen zubereitet hat, Fiona erzählt mir von dem Kerl, den sie bei Facebook getroffen hat und der ihr - ungelogen! - beim ersten Date gestanden hat, dass er in einer Frau so etwas wie einen weiblichen John Wayne sucht. Aber beim Thema Männergeschichten sollte ich den Mund wahrscheinlich nicht zu voll nehmen. Fiona will trotzdem noch ein paar Dates mit ihm arrangieren, wie ein Eichhörnchen, das Nüsse für den Winter bunkert. Sie hat die Fähigkeit, romantische Begegnungen zu speichern und noch monatelang zu verwerten.
Mum, es ist mir egal, wenn Delia sagt, es ist okay, wenn man ein bisschen mogelt, und Fiona, du musst aufhören zu glauben, dass du im Netz die große Liebe findest, sonst nennt dich bald jeder nur noch Facebook-Fifi.
Mein Zustand muss wohl ziemlich besorgniserregend sein, wenn um mich herum alle so penetrant optimistisch sind, vor allem Mum. Jeder Fernsehprediger würde vor Neid erblassen. Dann noch die Musik, die sie mir in Endlosschleife vorspielen, lauter Zeug, von dem sie meinen, dass ich es gern höre. Von wegen. Es sind Sachen, die sie gern hören. Anscheinend ist Mum zu der Überzeugung gelangt, dass ich Swing mag, und wenn sie mir noch einmal »My Way« vorspielen, dann bleibe ich endgültig hier unten, ohne Scheiß.
Die Sachen legst du nur auf, weil sie dich an Dad erinnern, Mum. Er hat Frank Sinatra geliebt, und sein liebster Partysong war immer ...
»You're Nobody Till Somebody Loves You«, seufzt Mum leise und voller Wehmut. Wenn sie von Dad spricht, bekommt sie sofort eine ganz andere Stimme. »Das kam vorhin im Radio, als ich zum Krankenhaus gefahren bin, und bis zum heutigen Tag krieg ich einen Kloß im Hals, wenn ich es höre, weißt du. Ich werde nie vergessen, wie euer Vater mir bei unserer Silberhochzeit diesen Song vorgesungen hat. Natürlich warst du damals erst vierzehn oder so ...«
Aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, Mum.
»Er hatte so eine schöne Stimme. Alle haben immer gesagt, er hätte als Sänger Karriere machen können. Ach, wenn Gott ihn doch nicht schon so jung zu sich gerufen hätte. Na ja, Liebes, jedenfalls hab ich gute und schlechte Nachrichten für dich. Die schlechte ist, dass dein Auto Totalschaden hat ...«
Das ist nun wirklich meine geringste Sorge. Du hast den Slip nicht gesehen, den ich anhatte, als man mich hierhergebracht hat. Bis unter die Achseln ausgeleiert und eine Farbe wie nasser Zement.
»Aber die gute Nachricht ist, dass ein sehr hilfsbereites Mädchen von der Versicherung angerufen hat, und na ja, sie hat gesagt, in Anbetracht dessen, was passiert ist, kriegst du, sobald du hier rauskommst und alles wieder normal ist, ein schönes neues Auto.«
Ach Mum, wie ich deinen schrankenlosen Optimismus liebe!
»Diesmal suchst du dir aber bitte einen Wagen aus, der deutlich sicherer ist, hörst du, Charlotte? Ein Toyota Yaris wäre doch genau das Richtige. Vielleicht könntest du ja auch was ganz Verrücktes tun und dir einen hübschen, vernünftigen Ford Ka zulegen. Und wenn du je mit der Idee spielst, schneller als zwanzig Stundenkilometer zu fahren, dann musst du das vor mir verantworten. Ich möchte nämlich so etwas nicht noch mal erleben.«
Ach, komm schon, es war ein Unfall! Ich hab das nicht absichtlich gemacht.
»Wie auch immer, jedenfalls bin ich gestern mit diesem sehr attraktiven Arzt aus Ghana ins Plaudern gekommen - frag mich jetzt bitte nicht, wie er heißt, ich kann seinen Namen nicht aussprechen -, und er hat gesagt, die nächsten Tage sind kritisch, aber wenn alles einigermaßen gut läuft, müsste die Schwellung im Gehirn etwas zurückgehen. Irgendein kompliziertes Wort hat er benutzt, ich konnte es mir leider nicht merken. Aber ich hab Sarah, die Nachtschwester, die gestern Dienst hatte, nach dem Arzt ausgefragt. Anscheinend ist er geschieden, hat zwei Kinder, momentan aber keine feste Beziehung. Also, den könnte ich mir sehr gut mit dir zusammen vorstellen.«
Hier liege ich im Koma, und du versuchst mich zu verkuppeln, Mum?
»Und da ist noch was, Liebes - die haben zwar auch was von möglichen Langzeitschäden gefaselt, aber du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen, ich hab alles im Griff. Ich bete drei verschiedene Novenengebete, eins zur Heiligen Jungfrau, weil sie mich noch nie im Stich gelassen hat, eins zum heiligen John Licci, dem Schutzheiligen für Kopfverletzungen ... ich wusste gar nicht, dass es dafür einen extra Heiligen gibt, das hat mir deine Tante Anne erzählt, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob sie ihn nicht mit diesem anderen verwechselt hat, der sich darum kümmert, wenn Leute schlimm verkatert sind. Aber egal, ich bete für alle Fälle auch noch eine dritte, absolut zuverlässige Novene zum heiligen Judas Thaddäus, damit wir auf der sicheren Seite sind ...«
So quasselt sie immer weiter, und mir ist klar, dass sie sich schrecklich um mich sorgt, denn dann reagiert sie so: Sie füllt die Luft mit Worten. Leider kann ich ihr nicht mitteilen, dass es mir eigentlich ganz gut geht und dass ich einfach nur eine kleine Auszeit nehme, weiter nichts. Also lasse ich mich wieder in die wundervolle, friedliche Tiefe hinuntergleiten. Hier habe ich keine Schmerzen, nichts, ich fühle mich ruhig, warm und absolut glücklich. Besser als auf einer tropischen Insel. Wenn man mir noch eine Margarita, ein bisschen Bräunungsspray und einen guten Schundroman dazugibt, würde ich mir fast vorkommen wie im Himmel.
Allem Anschein nach verabreicht man mir erstklassige Medikamente.
Keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, aber nach einer Weile komme ich wieder nach oben, weil ich spüre, dass Fiona da ist. Ich weiß, dass sie es ist, weil mir der Geruch von Cheese-and-Onion-Pringles in die Nase steigt und sie die einzige Person in meiner Bekanntschaft ist, die immer einen Notvorrat an Chips mit sich herumschleppt. Fiona ist Lehrerin an einem Mädchengymnasium (Englisch und Geschichte, Oberstufe), muss wahnsinnig viele Aufsätze korrigieren - über Themen wie: »Hat Heathcliff aus >Sturm- höhe< selbst mehr Unrecht erlitten als anderen zugefügt?« - und findet deshalb oft keine Zeit, sich wie ein normaler Mensch an den Tisch zu setzen und eine Mahlzeit mit Teller und allem Drum und Dran zu sich zu nehmen. Deshalb isst sie entweder unterwegs oder zu Hause vor dem Computer, gewöhnlich während sie bei Facebook nachschaut, wer von ihren Freunden gerade online und chatbereit ist.
Sie klingt so fertig, dass sie mir von Herzen leidtut.
» ... James hat x-mal angerufen, er macht sich totale Sorgen um dich, Charlotte, so hab ich ihn noch nie erlebt. Ehrlich, er ist in meiner Achtung deutlich gestiegen. Übrigens hat er auch erwähnt, dass ihr kurz vor deinem Unfall eine kleine Auseinandersetzung hattet, stimmt das?«
Nein, Süße, das war keine kleine Auseinandersetzung. Dieser Scheißkerl hat mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen und mich dann ganz cool gefragt, wann ich bereit bin auszuziehen.
Aus SEINEM Haus. Nur damit da kein Irrtum aufkommt.
» ... er hat sogar gesagt, dass er versuchen will, nachher noch vorbeizuschauen ...«
Na toll, genau das hab ich noch gebraucht.
Dann kommt wohl meine Mum zurück ins Zimmer, denn...
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