Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Man kannte ihn als Jim Carrey.
Und gegen Mitte jenes Dezembers war sein Rasen zu stumpfem, bersteinfarbenem Brösel versengt. Nachts dann, nach der von der Stadt bewilligten zehnminütigen Einnässung durch die Sprühdüsen trieben die Grashalme in den Wasserlachen - schlaff und erledigt wie das Haar seiner Mutter im finalen Morphiumschweiß.
Los Angeles war seit April zur Hölle gefahren, eine aus knochentrockenen Staubecken, tagelangen Gluthitzewellen und Wettervorhersagen, die sich wie das Glücksbringerarmband einer Sadistin lasen, 36-37-40-39. Letzte Woche war eine F-16 schnappmessergleich durch den ascherfüllten Himmel geblitzt, gerade als ein Gärtner des Anwesens an der Hummingbird Lane mit einem Sonnenstich zusammenklappte und in Krämpfe verfiel. Der Mann sträubte sich heftig, als sie ihn zum Haus trugen, brabbelte, die Jungfrau Maria habe ihm für drei Dollar einen langsamen Tanz im kühlen Schatten der Senke versprochen. Abends kamen die Santa Anas auf, diese teuflischen Winde, die einem die Seele auslaugten und Polizeisirenen zum Heulen brachten, während sich die Sonnenuntergänge durch Napalmorange zu rußigem Malvenviolett brannten. Jeden Morgen blies dann ein versmogter Atemhauch über die Canyons hinweg ins große Haus hinein, durch Luftfilter, die kürzlich mit Messfühlern aufgerüstet worden waren, um Nervengasanschläge aufzuspüren.
Er war bärtig und triefäugig nach mehreren Monaten Kollaps und Katastrophe. Er lag nackt auf seinem Bett und war so weit von seiner Bestform entfernt, dass ihn womöglich kaum erkannt hätte, wer in diesem Moment durch eine gehackte Überwachungskamera zusähe, ihn auf den ersten Blick mit einer libanesischen Geisel verwechseln könnte. Um dann von jäher Gesichtserkennung erfüllt zu begreifen: Das ist kein gewöhnliches Einigeln allein auf einem Riesenbett vorm Fernseher. Und um sich, just als das Netflix-Logo blutrotes Licht von einem unsichtbaren Bildschirm abstrahlte, zu sagen: »Ich kenne diesen Mann. Ich habe ihn auf allem Möglichen gesehen, von Werbetafeln bis zu Müslischachteln. Er ist dieser Filmstar: Jim Carrey.«
Vor wenigen Wochen erst hatte irgendein Verräter aus seinem erweiterten Personenschutzapparat dreißig Sekunden Videomaterial der Haussicherheitsanlage an den Hollywood Reporter durchgestochen. Carrey dümpelte darin kopfüber und fötal in seinem Pool und heulte unter Wasser wie ein gefangener Killerwal. Seine Presseagentin Sissy Bosch ließ Variety wissen, er bereite sich auf die Rolle Johannes' des Täufers für Terrence Malick vor, der günstigerweise eine Stellungnahme ablehnte. Das Video verkaufte sich für fünfzigtausend Dollar, eine gerade genügend hohe Summe, um die geheiligste aller tierischen Verhaltensweisen auszulösen - eine spontane Marktreaktion. Als der fünfte Paparazzo den rückwärtigen Grundstückszaun erklettert hatte, ließ seine Sicherheitsmannschaft diesen auf drei Meter erhöhen, unter Strom setzen und mit Klingendraht säumen, ein Achtzigtausenddollarjob einschließlich Schmiergeld an den Stadtrat. Seither hatte Jim das Gebrutzel und Gequieke elektrisch hingerichteter Wildtiere als traurige Notwendigkeit hinzunehmen begonnen, als Lebendopfer für seine Göttlichkeit. Und während manche Sissy Bosch die Geschichte von Johannes dem Täufer glaubten, merkten die meisten an, dass diese weder Carreys Gewichtszunahme erklärte noch wieso einige einen eindeutig chinesischen Akzent aus seinem Gestöhn heraushörten.
Es war jetzt 2:58 Uhr in der Früh.
Er hatte seit sieben Stunden ferngesehen.
Angefangen hatte das Dauerglotzen mit einer Folge von Ancient Predators über Megalodon, den schrecklichen Superhai der urzeitlichen Meere. Danach wurde in Cro-Magnon vs. Neandertal erzählt, wie sich diese Frühmenschen als Vettern in der afrikanischen Steppe trennten, nur um als Fremde in Europa wieder aufeinanderzutreffen und in einen völkermörderischen Wettbewerb zu treten. Der Cro-Magnon-Mensch hatte gnadenlos gemetzelt und ausgehungerte Neandertalerwaisen zurückgelassen, die aus französischen Höhlen in einen Schneesturm starrten, dessen grelles Weiß, wie Jim wusste, jenes völliger Auslöschung war. Er war zur Hälfte Frankokanadier und erfuhr vom Sprecher, dass er Neandertaler-Erbgut in sich berge; er stammte von diesen Waisen ab. Als er sich deren Verhängnis zu eigen machte, hatte er untröstlich zu weinen angefangen, bis ihm seine Tränen unerträglich wurden, daraufhin drückte er mit pizzafettigem Daumen auf PAUSE, und die winzigen Neandertalergesichter auf dem Bildschirm froren ein. Zehn Minuten lang lag er zitternd da und murmelte immer wieder: »O Gott .«, bis Netflix gierig auf die eigene Bandbreite zum Hauptmenü zurückschaltete und sein rotes Licht auf ihn und seine Wachhunde warf - eineiige Rottweilerzwillinge mit stählernen Gebissen, die beide auf »Jophiel« hörten. Sie teilten sich den Namen um der Zeitersparnis im Notfall willen, sollte nämlich einer von Jim Carreys vielen Feinden ins Haus einbrechen und er nur wenige Sekunden haben, könnte er beide im selben Atemzug rufen.
In banger Sorge, dies sei der Augenblick, da er seine eigene lang währende Nichtexistenz erkennen würde, gar am Wert einer Existenz als Teil einer Gattung zweifeln könnte, die sich immerzu zwischen Grauen und Gram im Kreis drehte, rätselte er, ob die jüngste, seine Presseagenten plagende virale Nachrichtenstory stimmte. War er tatsächlich beim Snowboarden in Zermatt ums Leben gekommen? Er hatte ein YouTube-Video darüber gesehen, wie seltsam sich die Zeit beim Tod verhält, sich jemandes letzte Sekunden zerdehnen und pralles Erleben auf einen einbrandet. Wenn er nun dieser Tage gestorben und in keinem Himmel und keiner Hölle, sondern einem Fegefeuer der Bettlägerigkeit gelandet war?
Er hatte Geschichten gehört über die Leichenhalle von Los Angeles. Dass gelangweilte Wärter schauerliche Bilder von berühmten Abgängen machen und an TMZ für Anzahlungen auf Häuser im Valley verhökern. Er schaltete zu YouTube um, dessen Algorithmen, als läsen sie seine Gedanken, einen Zusammenschnitt aus Promi-Todesfotos anboten. Einen Schnappschuss von John Lennon. Gesicht in Lache auf Rollbahre. Für die Massen bloßgestellt. Wenn sie das mit John Lennon fertigbrachten .
Nun beschwor sein Kopf ein Bild seiner eigenen leblosen Hülle herauf, aufgedunsen und faulig, von den Grobianen der Leichenhalle überragt, im Blitzlichtgewitter.
»Fuck .«, hauchte er, unsicher, ob er es gehaucht hatte oder nicht.
Er war ins Bad gegangen für den Versuch, Daseinsgewissheit kraft eines warmen Urinstrahls durch seine nicht mehr junge Harnröhre zurückzugewinnen. Sein Herz raste. Wenn es nun im Schlaf versagte und sie ihn am Morgen fänden, mit dem eigenen Kot verkrustet? Wenn nun die ganze paranoide Flucht, die ihn zu diesem Augenblick der Todesfurcht geführt hatte, die Vorahnung eines kommenden Todes und das Snowboard-Unglück in Zermatt nur geschickte Irreführung durch das Schicksal war?
Nein, sollte der Tod eintreten, würde er blendend aussehen - mit blitzblankem Gedärm.
Solcherart entschlossen, hatte er sich auf seine japanische Toilette gesetzt, einen schlaffschlüpfrigen Schiss hervorgepresst, sich abgewischt und war unter die Dusche gehüpft, um die Körperöffnung gründlich zu schrubben und sich dann abzutrocknen und zu pudern. Er trat vor den Kosmetikspiegel und machte weiter, stutzte seine drahtigen Brauen, zupfte sich das Fell aus den Ohren, rieb sich Bräunungscreme auf Stirn, Hals und in weitem Bogen rings um sein Schlüsselbein, bis er wie eine griechische Büste aussah.
Jetzt war er bereit für die Heinis in der Leichenhalle.
Er war ein großer Star, würden alle sagen. Ein Kinokassengott, wie sie heutzutage nicht mehr gemacht werden.
Jetzt war ihm etwas weniger bange zumute.
Er legte sich wieder auf dem Bett zurecht und rief das Erstbeste auf, was Netflix zu bieten hatte: Pompeii Reconstructed: Countdown to Disaster.
»Es war das Long Island, war die Riviera der Antike«, sagte der Moderator Ted Berman, ein Indiana Jones für Arme mit Filzhut aus dem Gebrauchtwarenladen. Wieder mal fühlte Jim, wie die Wirklichkeit zu Dichtung verschwamm, als eine digital animierte Glutaschewolke aus dem Vesuv emporquoll, die computerisierte Denkfigur eines Kamerastandpunkts mit ihr aufstieg, hoch über die Stadt, dann innehielt und in den Vulkankrater hinüberschwenkte, der auf einmal dermaßen abgrundtief und alles verschlingend wirkte, dass Carrey ausrief: »Sicherheitslage!«
»Innenzonen frei«, erwiderte sein Haus mit der Stimme einer singapurischen Opium-Erbin, die den Sommer in der Provence verbringt. »Sie sind sicher, Jim Carrey.«
»Status Abwehrbarriere?«
»Voll elektrifiziert.«
»Drehen wir die Spannung hoch. Nur zur Sicherheit.«
Der Lichtschein des Fernsehers wurde schwächer, als er ein Geräusch hörte, als würde ein riesiger Reißverschluss rings um das Grundstück zugezogen, und zwanzigtausend Volt durch seinen Klingendrahtzaun jagten.
»Sag noch mal, dass ich sicher bin«, sagte Carrey. »Und geliebt werde.«
»Sie sind sicher. Und werden geliebt.«
»Sag was Nettes über mich.«
»Ihr monatlicher Wasserverbrauch ist um drei Prozent gesunken.«
»Schmeichlerin.«
Der Fernseher strahlte wieder hell. Die Sendung wurde fortgesetzt.
Soeben hatte ein Erdbeben Pompeji erschüttert, ein Naturereignis, das die Römer noch nie erlebt hatten. Einige hielten es für die erste Stufe eines Wunders und blieben,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.