Schweitzer Fachinformationen
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An diesem Abend aßen wir im Hof. Nachdem wir uns um den Tisch versammelt hatten, betete Papa: »Herr, segne diese Speise . Beschütze unsere Lieben, wo sie auch sein mögen . Gib, o Herr, dass wir dir auf dem rechten Wege folgen .« In schlichteren Worten hieß das, er sei dankbar für die lieblichen Düfte des Sommerabends, für den ersten Stern, der an unserem Blitzableiter aufgespießt zu sein schien, und für die frischen Tomaten aus dem eigenen Garten. Aber er hätte es als heidnisch empfunden, seine Freude und Dankbarkeit in der Sprache des Alltags zu äußern. Also wählte er die Form, die er für angemessen hielt, und Gott, dem solche Gebete vertraut sind, wird es schon richtig übersetzt haben. ». Und nimm uns dereinst gnädig zu dir in dein himmlisches Reich, unsere ewige Heimat. Gewähre uns diese Bitte um Jesu Christi willen. Amen.«
Ein leichtes Füßescharren füllte die Anstandspause zwischen dem Amen und dem Herumreichen des Brotes aus.
»Nun langt ordentlich zu«, forderte Mama uns auf. »Aber lasst noch ein bisschen Platz für das Gefrorene.« Wenn sie fein sein wollte, sagte sie >Gefrorenes< statt >Eiscreme<.
Niemand kehrte sich an diesen Rat. Das hinderte uns jedoch nicht, nach Schinken, Tomaten und Zuckermais riesige Portionen >Gefrorenes< zu vertilgen. Leonie stocherte in der Eismaschine herum und rief: »Jessica, mach, dass du fertig wirst, hier ist noch was.«
»Immer her damit«, sagte Jessica.
»Kind, dir wird schlecht werden«, warnte Mama.
»Ach wo. Es schmeckt herrlich. Und so schön stark nach Vanille.«
»Ja, nicht wahr, die Vanille ist gut. Ich hab heute das neue Glas aufgemacht, das von dem Teehändler.« Mama gehörte zu jenen Frauen, die den Überredungskünsten eines Hausierers einfach nicht widerstehen können.
Jessica formte mit dem Löffel eine komische Figur aus ihrem Eis. »Na bitte, jetzt spielst du schon damit«, stellte Mama fest. »Du hast genug.«
»Aber es ist ja noch so viel da.«
»Bringt es doch Miss Hagar«, schlug Papa vor.
»Das ist eine Idee«, stimmte Mama freudig zu. »Einer von euch kann schnell mal rüberfahren.«
Soames und ich stiegen in den MG, ich balancierte das Kühlgefäß auf meinen Knien, und so fuhren wir in die Nacht hinein. Es war sehr dunkel. In dem offenen Wagen erschien mir die Finsternis, die sich auf der einsamen Landstraße über und um uns auftürmte, wie eine körperliche Bedrohung. Ich dachte an die mittelalterliche Vorstellung von der Pestilenz, >die da kommt wie der Dieb in der Nacht<, und eine Gänsehaut überlief mich - ob vor Angst oder Vergnügen, das wusste ich allerdings nicht.
Kurz vor Miss Hagars Anwesen zweigte ein Weg ab, der zwischen zwei Zedernreihen zu Mr. Corcorans Haus führte, einem alten Backsteinbau, in dem er einsam und verbittert gehaust hatte, bis sein Sohn auf ihn schoss.
»Wirklich ein stilechter Tatort«, sagte ich.
Soames nahm Gas weg. »Wollen wir's uns mal aus der Nähe ansehen?«
»Das Haus?«
»Ja.«
»Meinetwegen . Wer soll uns schon was tun?«
Haarscharf am Briefkasten vorbei bog er in das Friedhofsdunkel der Zedernallee ein. Der kleine Wagen hüpfte über die Schlaglöcher. Im Licht der Scheinwerfer tauchte die hohe Backsteinfassade auf, die mit ihren geschlossenen Fensterläden so abweisend wirkte, als hüte sie ein Geheimnis. Eine Weile saßen wir stumm da. Das Raunen der Zedern und das leise Pochen des Motors schienen die Stille ringsum noch zu vertiefen. In so einer finsteren Nacht hatte sich der verrückte Junge mordlüstern ins Haus geschlichen. Ich glaubte, geräuschlos aufgehende Türen zu sehen, ein Gesicht am Fenster .
»Bloß weg von hier«, murmelte Soames.
Er wendete, und wir fuhren unter den Zedern zurück bis zur Kreuzung. Dann ging es auf der Straße weiter. Der Gedanke an Miss Hagars unerschütterliche Ruhe hatte etwas Tröstliches.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte ich, als wir das Haus erreicht hatten. Ich ging mit dem Eisbehälter zur Vordertür und klopfte. Keine Antwort. Drinnen brannte Licht, also musste Miss Hagar noch wach sein. Ich klopfte etwas stärker.
»Wer ist da?«, fragte eine dünne Stimme.
»Ich.«
»Wer?«
»Mary Jo - Mrs. Soames' Tochter.«
»Oh! Einen Augenblick bitte.« Ich hörte ein Schurren, als würde ein schweres Möbelstück über die Dielen geschoben. Ein Riegel knarrte, die Tür öffnete sich, und Miss Hagar stand auf der Schwelle. Dumpfe, heiße Luft strömte an ihr vorbei in die Nacht hinaus.
»Ach herrje, ich hatte ja keine Ahnung, wer das sein könnte!«
»Entschuldigen Sie, Miss Hagar - habe ich Sie geweckt?«
»Ich hab bloß so ein bisschen gedöst. Kommen Sie doch, kommen Sie rein!«
»Vielen Dank, aber wir müssen zurück. Wir wollten Ihnen nur eine Kostprobe von unserer Eiscreme bringen.«
»Wie lieb von Ihnen. Die wird mir schmecken - in so einer Nacht. Bitte kommen Sie doch rein! Ich tu das Eis gleich in eine Schüssel.«
»Ach, lassen Sie nur, das ist nicht nötig.«
»Wollen Sie denn den Behälter nicht mitnehmen?«
»Der kann auch ein andermal abgeholt werden.«
»Aber ein Weilchen werden Sie doch wohl Zeit haben«, drängte sie.
»Es ist spät, wir müssen nach Hause.«
»Ach bitte .« Sie ergriff meine Hand, als wollte sie mich ins Haus ziehen. Dabei trat sie einen Schritt vor, und nun konnte ich ins Zimmer hineinsehen. Eine schwere Kommode stand schräg zur Tür, und über die Fensterscheiben war Papier geklebt. Am Bett lehnte eine Axt. Miss Hagar fürchtete sich! »Nun ja - ein paar Minuten kann ich wohl bleiben«, sagte ich.
»Hier, setzen Sie sich in den Schaukelstuhl - rücken Sie ihn näher zur Tür, wenn Sie wollen.«
In dem kleinen Raum war es unerträglich heiß. Ich hatte das Gefühl, grün und lappig wie ein Königskerzenblatt zu werden. Während ich tapfer Konversation machte und mir immer wieder das Gesicht wischte, saß Miss Hagar auf dem Bettrand und löffelte das Eis direkt aus dem Behälter. Ihr gieriges Schlucken verriet, dass sie nach so einer Erfrischung gelechzt hatte. Ich malte mir aus, wie Miss Hagar die lange, einsame Nacht hindurch in diesem stickigen Zimmer liegen und angstvoll lauschen würde, ob irgendein Geräusch - ein Kratzen am Fenster, ein Knirschen auf dem Kies - das Nahen des Mörders anzeigte. Und ich dachte an unser Haus auf dem Nachbarhügel, an die weit offenen Fenster, die wehenden Gardinen, das Lachen und Schwatzen in allen Zimmern, das Lampenlicht, das in den Hof hinausdrang und einen Schutzkreis um uns zog.
»Miss Hagar«, sagte ich, »kommen Sie doch mit und übernachten Sie bei uns.«
Das verhutzelte braune Gesicht blickte mich sehnsüchtig an, und ich sah, wie sie mit der Versuchung kämpfte.
»Nein, danke schön«, antwortete sie. »Ihr seid doch am liebsten unter euch, und so ist es auch richtig.« Nicht die Spur eines Vorwurfs war in ihrer Stimme.
Soames und ich fuhren ohne sie heim.
»Sofort kehrt ihr um und holt sie«, befahl Mama, als sie meinen Bericht gehört hatte. »Wenn sie Nein sagt, achtet ihr gar nicht darauf.«
Und so geschah es. Wir nahmen Miss Hagar mit nach Hause und machten ihr im Esszimmer das alte Feldbett zurecht. Dann gingen wir anderen ins obere Stockwerk hinauf und versuchten zu schlafen. Aber sogar in unseren großen, offenen Räumen war es glühend heiß. Kein Lüftchen regte sich. Schon nach kurzer Zeit waren wir alle wieder auf den Beinen, wechselten die Betten, kreisten umeinander wie Mais im Popcornröster. Soames zog mit einer Decke auf die vordere Veranda. Jessica und ich befestigten zwei Armee-Hängematten im Hof. Mama, mit einer Taschenlaterne bewaffnet, lief wie ein geschäftiger Hausgeist bald hierhin, bald dorthin und bemühte sich, es jedem bequem zu machen. Am Himmel stand ein gelber zerfließender Mond, und in der Ferne donnerte es.
Eine Stunde später kam Wind auf, und die ersten Regentropfen fielen. Die ganze Familie, abermals aufgescheucht, rannte im Dunkeln hin und her, um die Fenster zu schließen. Türen knallten, Scheiben klirrten, Stühle kippten um. Soames stürmte hinaus und fuhr meinen Wagen in den Speicher. Mama rief aufgeregt, Papa solle schnell den Waschtrog unter die Regenrinne stellen. Es goss in Strömen, und die Luft wurde kalt. Da wir nun doch alle hellwach waren, zündeten wir die Lampen an und kochten Kakao.
»Alle Wetter«, sagte Miss Hagar und schmunzelte über ihre Tasse hinweg, »wenn das nicht gemütlich ist!«
Nach einer Weile ging Papa in den Hof. »Es zieht schon ab«, rief er. »Schön ist es jetzt hier draußen.« Ich war ihm gefolgt und stand barfuß neben ihm in dem nassen Gras. Der Regen hatte aufgehört, die dicken Wolken wälzten sich ostwärts, der Mond hing kalt und weiß über den Wäldern im Westen. Plötzlich sagte mein Vater: »Sieh mal da, Tochter!«, und deutete nach Osten. Ein weißer Mondregenbogen schimmerte vor den abziehenden Wolken.
Es war fast drei Uhr morgens, und doch spannte sich dieser Geist eines Regenbogens über den Himmel. Unsere Farm lag unter dem zauberischen Gebilde des Mondlichts wie in Silber gerahmt. Aus dem nassen Blattwerk des Pfirsichbaumes leuchtete das weiße Gefieder aufgeflogener Hühner. Der regenfeuchte Zaun glänzte. Die neuen Dachziegel hoben sich silbrig von dem Schwarz der Scheune ab.
Nun kamen auch die anderen heraus. Wir standen und schauten, die Arme fest über der Brust gekreuzt, denn es war kalt. Mama hatte ein weißes Kopftuch umgebunden. Mein Vater ribbelte einen Maiskolben, um die Finger zu beschäftigen, und die blanken Körner fielen in reines...
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