Schweitzer Fachinformationen
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Es hätte ein guter Abend werden können, einer von den leisen, zurückhaltenden, wie ein höflicher alter Herr, der sich nicht aufdrängt und die Luft nicht mit Klagen und Schelten erfüllt - ein freundlicher alter Abend, der keine besonderen Freuden bereithält, außer der Abwesenheit von neuem Kummer und zusätzlichen Sorgen, ein Abend, an dem das Herz aufatmen kann und die Welt den Mund hält.
Als ich zu Hause ankam, nahm mir Mutter den Korb aus der Hand.
»Süßigkeiten!«, sagte sie streng, als sie den Honigtopf erblickte. »Christine, manchmal bist du wie ein Kind!« Sie schüttelte den Kopf, dabei wusste ich, dass sie das meiste davon vertilgen würde.
»Wir haben kein Salz mehr. Du müsstest noch«, sie inspizierte den Korb, »zwei Pfennige haben. Geh zu Berthe und kauf Salz.«
»Schick Héloise«, gab ich zurück.
»Héloise hat genug zu tun. Wir haben den ganzen Nachmittag Brot gebacken!«
»Jean hätte gehen können.«
»Jean lernt.«
»Céline!«
»Céline hat Näharbeit mehr als genug.«
Ich wäre, auch wenn ich das Geld noch gehabt hätte, nur äußerst ungern zu Berthe gegangen.
»Also gut. Ich gehe schon.«
Unser Turm war Teil der alten Stadtmauer von Philippe Auguste. In Notzeiten konnte er mittels einer schweren Eisenkette mit der Ile St. Louis verbunden werden, um den Fluss zu kontrollieren. Im Schatten der Mauer drängten sich Häuser, Werkstätten und Läden. Nebenan hatte ein Genueser Kaufmann im Obergeschoss seine Wohnung und unten sein Kontor.
Er handelte mit Gewürzen, Stoffen und mit allerhand hübschen Dingen für Haus und Eitelkeit, je nachdem, was seine Schiffe ihm von ihren Reisen brachten.
Die Tür stand offen. Ich nahm einen tiefen Atemzug, straffte meinen Rücken, reckte den Kopf und ging hinein. Berthe verhandelte mit einer wohlhabenden Bürgerin über ein Stück gelbes Tuch. Sie zog den Stoff rumpelnd vom Ballen und hielt ihn der Käuferin hin.
»Es würde Euch hervorragend stehen. Gelb lässt Euren Teint leuchten, es bringt Eure feine Haut recht gut zur Geltung. Und dann, wenn ich Euch raten darf«, sie zog eine kleinere Rolle aus dem Regal hinter sich, »ein grünes Brusttuch aus Lyonnaiser Taft, so zart wie eine Spinnwebe, verdeckt nichts! Und Ihr habt doch so eine schöne Büste!«
Die Zusammenstellung war fürchterlich, und die Dame würde in Gelb aussehen wie ausgespien. Ein feines Lächeln kam mir ganz von selbst auf die Lippen. Pfui!, schimpfte ich mich. Bist du etwa missgünstig? Ein kleines Stoßgebet um Vergebung murmelnd strich ich durch den Laden, berührte einen Teppich, hob einen schönen Wandteller hoch, während Berthe mich aus den Augenwinkeln beobachtete.
»Lass das stehen«, rief sie mir zu. »Du kannst es doch nicht bezahlen!« Und zu ihrer Kundin: »Ich weiß nicht, warum Leute alles in die Hände nehmen müssen, wenn sie doch kein Geld haben! Nachher wirft sie es noch herunter und kann es nicht mal ersetzen!«
Die Antwort der Kundin hörte ich nicht. Mir sauste das Blut in den Ohren vor Zorn. Wie konnte sie mich nur so blamieren! War ich eine Bettlerin? Eine Diebin? Berthe und ich kannten uns seit zwanzig Jahren! Ich setzte den Teller ab, als wäre er glühend heiß.
»Vorsicht! Der ist zerbrechlich!«, musste sie rufen. Berthe war klein, dürr und ungefähr so liebenswert wie sieben Jahre Pech. Sie hatte einen nicht zu bändigenden Mopp von schwarzem Haar auf ihrem Kopf, von dem ständig Strähnen aus der Haube rutschten, sodass sie eine Stunde nach dem Frisieren aussah wie die Medusa mit ihrem Schlangenhaupt.
Ihre Mundwinkel zeigten nach unten, und trotz des Wohllebens hatten sich rechts und links der Nase tiefe Furchen permanenter Übellaunigkeit eingegraben. Die einzige Freude ihres Daseins war ihr Sohn Aldo, an dem niemand sonst etwas Erfreuliches zu finden wusste: ein dicklicher Jüngling mit einem Hinterteil wie eine Kiste und einem Gesicht wie eine traurige Kuh. Er war schon sechzehn oder siebzehn Jahre alt, längst erwachsen. Dennoch spielte er im Geschäft nur eine untergeordnete Rolle.
Die feine Dame hatte ihre Entscheidung getroffen: Gelb und Grün. Hör nicht auf Berthe - du wirst aussehen wie Pickel auf Spinat, hätte ich sie gern gewarnt, doch hätte sie auf mich gehört?
»Aldo! Trag der Gnädigen den Stoff nach Hause, mein Schatz.«
Der Schatz erhob sich von dem Schemel im hinteren Teil des Ladens, wo er Datteln gegessen und in einem schön bebilderten Buch geblättert hatte. Schweigend ließ er sich die Ballen aufladen. Schweigend, mit einem Nicken und freundlichem Blick aus seinen feuchten, braunen Augen schlurfte er an mir vorbei.
Die Medusa wandte sich mir zu.
»Kein Kredit mehr!«
»Habe ich darum gebeten?«
»Du wirst gleich darum bitten.«
Wie unangenehm es ist, wenn solche Leute recht haben! Ich hatte ja die zwei Pfennige für Honig und das Halsband ausgegeben. Daher ging ich zum Angriff über.
»Gib mir nur ein Säckchen Salz, Berthe, sei so gut.«
»Aha.« Sie hielt die Hand auf.
»Jetzt stell dich nicht so an. Wenn dein Mann da wäre, er würde es mir geben. Schließlich habe ich unsere letzten fünfhundert Goldstücke in sein Schiff investiert! Ich habe also sehr wohl Kredit bei euch!«
Berthe drehte mir den Rücken zu und gab vor, bunte Bänder zu sortieren.
»Kein Geld, kein Salz. Bettelpack! Es wird immer dreister. Ihr wohnt in einem herrschaftlichen Turm - verkauft den doch und zieht aufs Land, wo Leute wie ihr hingehören. Verdient gefälligst Geld, anstatt einfach weiterzuleben, als wären noch goldene Zeiten. Unverschämtheit so was! Nase hoch tragen, aber mit blanker Kehrseite!« So schimpfte sie vor sich hin, ohne mich anzusehen.
Ich hatte große Lust, ihr eins von ihren Ausstellungsstücken über den Schädel zu ziehen, aber dann hätte ich es ja ersetzen müssen.
Zu meinem Glück kam der »Genueser« herein, Massimo, der aus Genua stammte. So ungeheuer fettgefüllt waren seine Glieder, dass er beim Laufen die Beine umeinander herum bewegen musste, was seinem Gang etwas Schaukelndes verlieh. Aber er war großzügig und immer höflich, ganz gleich, ob man Pfeffer und Zimt oder nur getrocknete Saubohnen kaufte.
»Herr im Himmel, ich danke dir«, flüsterte ich. »Ich will auch nie wieder missgünstig sein.«
»Oh, guten Tag, Christine! Geht es dir gut?« Er strahlte mich an; ich weiß, dass er eine Schwäche für mich hat.
»Danke, alles in Ordnung, Monsieur Massimo. Wie gehen die Geschäfte?«
»Bestens, und .« Er beugte sich etwas zu mir herüber, so weit, wie es sein Gewicht erlaubte. Er schwitzte, das Gesicht glänzte speckig. »Ich habe Nachricht von unserem Schiff! Aus Catania, wo es angelegt, Wein und Weizen aufgenommen hat, den sie mit Vorteil in der Levante verkaufen werden. Sie wollten nach Zypern wegen dem Kupfer und nach Beirut, um Spezereien, Weihrauch, Purpurissimum und Lapislazuli aufzunehmen. Der Kapitän eines Schiffes, das sich auf der Rückreise nach Genua befand, hat einen Brief mitgebracht. Ich habe ihn eben erhalten!«
»Dann müsste unser Schiff .« Es machte mir Freude, dass er es als »unser« Schiff bezeichnete, obwohl meine Einlage von fünfhundert Talern doch relativ gering gewesen war. ». jetzt schon auf dem Heimweg sein! Vielleicht schon wieder in der Adria?«
»Unser Schiff! Unser Schiff«, schnaufte Berthe. »Ihr gehören gerade mal ein Fass Pökelfleisch und eine Handvoll Nägel.«
Massimo strahlte mich an: »Nimm es nicht krumm! Meine Berthe, die muss halt immer nörgeln. Sonst ist sie nicht froh.« Er tätschelte sie liebevoll.
»Mein Salz, bitte?«, erinnerte ich.
Berthe schaute giftig, während sie unter dem wohlwollenden Blick des fetten Massimo Salz in einen Sack füllte. Die runde Holzschippe machte ein feucht-kratzendes Geräusch, als Berthe sie heftig in die Tonne stieß. Im Beisein ihres Mannes wagte sie nicht, so mit mir umzuspringen, wie sie es tat, wenn wir allein waren. Ihre einzige kleine Rache war, dass sie mir klumpiges, graues Salinensalz gab statt feines weißes, die Blüte der bretonischen Salzgärten.
Ich nahm ihr den Sack aus der Hand.
»Danke, Nachbarin! Schreib es an, auf meinen Anteil am Schiff«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. »Wiedersehen, Berthe. Bonne journée, Massimo!«
Vielleicht hat sie ja recht, dachte ich bei mir, während ich auf unseren Turm zuging. Mit einem Tritt vertrieb ich ein Schwein, das sich vorm Eingang suhlte. Es grunzte und ließ sich kaum stören, bewegte den Wanst nur ein winziges Stück beiseite. Wenn nur meine Seele ebenso gepanzert wäre wie diese Schweineschwarte!
Jemand von uns sollte arbeiten, Geld verdienen. Wir können nicht ewig so weitermachen: aufbrauchen, was man uns hinterlassen hat, und nach allen Seiten das Unheil nur in Schach halten. Jean ist noch zu jung. Und er wird auch lieber eine eigene Familie gründen, als Mutter, Schwester, Großmutter und Tante durchzufüttern. Es wäre eine zu schwere Last für ihn. Aber womit könnte ich Geld verdienen? Ich bin keine Händlerin und katastrophal im Umgang mit Geld. Ein Handwerk habe ich nicht gelernt - halt, doch, eines habe ich gelernt und kann es gut: Ich kann schreiben.
Meine Mutter empfing mich mit Klagen.
»Was?« Sie schaute in den Sack und nahm einen rosa-weißlichen Klumpen heraus, so groß wie ein Daumennagel. »Grobes Salz? Was hast du dir da wieder aufschwatzen lassen. Das ist für Vieh!«
»Es kann im Mörser zerkleinert werden und ist viel billiger als feines Salz. Du willst doch immer, dass ich sparsam bin, Mutter!«
Sie ließ den Sack fallen und stemmte die Arme in die Seiten.
»Ach was! Sparsam! Wärest du nicht so egoistisch und würdest wieder...
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