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Das spektakuläre Finale – der sizilianische Kult-Kommissar in seinem allerletzten Fall
Ein früher Anruf reißt Commissario Montalbano aus dem Schlaf. Er möge zu einem Treffen mit mehreren Freunden erscheinen, verlangt ein gewisser Riccardino – und legt auf. Kaum im Kommissariat angekommen, erreicht Montalbano die Nachricht von einem Mord auf offener Straße durch einen unerkannt geflohenen Täter. Als Montalbano die Identität des Opfers erfährt – ein Mann namens Riccardino –, fangen seine Probleme erst an. Denn kurz darauf muss der Commissario sich mit einer mysteriösen Anfrage des örtlichen Bischofs und mit einer Wahrsagerin auseinandersetzen, die von seltsamen Vorkommnissen in ihrem Viertel berichtet, in welche anscheinend auch Riccardino verstrickt war.
Das Telefon klingelte in dem Moment, als er endlich eingeschlafen war, zumindest kam es ihm so vor, nachdem er sich stundenlang im Bett hin- und hergewälzt hatte. Er hatte alles probiert, vom Zählen mit Schäfchen und Zählen ohne Schäfchen bis hin zu dem Versuch, sich an den Anfang des Ersten Gesangs der Ilias und an das berühmte Incipit von Ciceros Reden gegen Catilina zu erinnern. Nach »Quousque tandem, Catilina« gab er auf. Gegen diese Schlaflosigkeit half nichts, dabei hatte er sich weder den Bauch vollgeschlagen noch wurde er von bösen Gedanken gequält.
Er machte Licht und sah auf die Uhr: noch nicht einmal fünf. Vermutlich kam der Anruf aus dem Kommissariat, demnach musste etwas Schwerwiegendes passiert sein. Ohne Eile stand er auf, um das Gespräch im Nebenzimmer anzunehmen.
Den Anschluss neben seinem Nachttischchen verwendete er schon länger nicht mehr, denn er war überzeugt, dass sich im Falle eines nächtlichen Anrufs auf dem kurzen Weg in den anderen Raum die Traumgespinste in seinem Kopf auflösen würden.
»Pronto?«
Er klang nicht nur verärgert, sondern auch ziemlich verschlafen.
»Riccardino hier!«, hörte er eine Stimme, die im Unterschied zu seiner wach und fröhlich klang.
Das ärgerte ihn. Wie konnte man um fünf Uhr morgens wach und fröhlich sein? Und dann war da noch ein nicht unerhebliches Detail: Er kannte keinen Riccardino. Der Commissario öffnete den Mund, um den Anrufer zum Teufel zu jagen, der aber kam ihm zuvor.
»Was ist los? Hast du unsere Verabredung vor der Bar Aurora vergessen? Alle sind hier, nur du nicht! Es ist noch bewölkt, aber es wird ein wunderschöner Tag!«
»Entschuldigt, tut mir wirklich leid . In zehn Minuten, spätestens einer Viertelstunde bin ich da.«
Damit legte er auf und ging wieder schlafen.
Na gut, das war gemein von ihm, er hätte die Wahrheit sagen sollen: dass Riccardino sich verwählt hatte. Jetzt würden die den halben Vormittag auf ihn warten.
Andererseits hatte niemand das Recht, um fünf Uhr morgens ungestraft die falsche Nummer zu wählen.
An Schlaf war jedoch nicht mehr zu denken. Gut, dass Riccardino gesagt hatte, es würde ein schöner Tag werden. Montalbano fühlte sich versöhnt.
Der zweite Anruf kam kurz nach sechs.
»Dottori, ich bitte um Vergebnis und Entschulligung. Hab ich Sie geweckt?«
»Nein, Catarè, ich war schon wach.«
»Sicher, Dottori? Oder sagen Sie das nur aus Höflichkeit?«
»Nein, Catarè, sei unbesorgt. Sprich!«
»Dottori, gerade eben hat Fazio mich angerufen und mir gesagt, man hat ihn angerufen.«
»Und warum rufst du dann mich an?«
»Weil Fazio mir gesagt hat, anrufen sollen Sie.«
»Ich? Wen?«
»Nicht mich, Dottori. Fazio.«
Wenn das so weiterging, würde er nie dahinterkommen, was los war. Er legte auf und wählte Fazios Handynummer.
»Was gibt's?«
»Entschuldigen Sie die Störung, Dottore, aber jemand wurde niedergeschossen.«
»Tot?«
»Ja. Zwei Schüsse ins Gesicht. Wäre gut, wenn Sie kommen könnten.«
»Ist Augello denn nicht da?«
»Dottore, wissen Sie nicht mehr? Er ist mit seiner Frau und Salvuzzo zu den Schwiegereltern aufs Land gefahren.«
Voll Bitterkeit erkannte Montalbano, dass seine Frage nach Mimì Augello ein Zeichen der Zeit war oder vielmehr ein Zeichen seiner eigenen, ganz persönlichen Zeit und all der Jahre, die er auf dem Buckel hatte.
Früher hätte er mit allerlei Tricks versucht, Mimì Augello von einem Ermittlungsfall fernzuhalten. Nicht aus Neid oder um ihm seine Karriere zu vermasseln, sondern einzig und allein, um das unbeschreibliche Vergnügen, den Täter zu jagen, nicht mit ihm teilen zu müssen. Jetzt aber überließ er ihm gern die Ermittlungen. Gewiss, wenn er einen Fall bearbeitete, legte er sich immer mächtig ins Zeug, aber jetzt hätte er sich am liebsten gedrückt.
Die Wahrheit lautete, dass er schon seit einer ganzen Weile keine Lust mehr hatte. Nach all den Jahren als Commissario war er zu dem Schluss gekommen, dass es der Gipfel der Dummheit war zu glauben, ein Problem ließe sich mit Mord lösen. Von wegen Mord als schöne Kunst betrachtet, wie De Quincey es in seinem Essay dargelegt hatte!
Knallköpfe allesamt. Jene, die aus Habgier, Eifersucht oder Rache einen Mord begingen, ebenso wie diejenigen, die im Namen der Freiheit, der Demokratie oder - noch schlimmer - im Namen Gottes reihenweise Leute abschlachteten. Und er war es leid, es immer nur mit Durchgeknallten zu tun zu haben. Sicher, einige waren gerissen, manche sogar intelligent, wie Leonardo Sciascia scharfsinnig festgestellt hatte. Aber man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, auf alle Fälle waren sie nicht ganz richtig im Kopf.
»Wo ist das passiert?«
»Mitten auf der Straße, vor etwa einer Stunde.«
»Gibt es Zeugen?«
»Ja.«
»Der Mörder wurde also gesehen?«
»Gesehen ja, Dottore. Aber offenbar ist keiner der Zeugen imstande, ihn zu beschreiben.«
Was war anderes zu erwarten, hier in diesem schönen Land? Man sieht den Mörder, kann ihn aber nicht beschreiben. Man ist vor Ort, kann aber nichts Genaues zum Geschehen sagen. Man hat den Mord gesehen, aber nur verschwommen, weil man die Brille zu Hause gelassen hat. Andererseits ist das Leben eines jeden, der zu sagen wagt, dass er den Mörder beim Morden gesehen hat, heutzutage automatisch ruiniert. Weniger durch den auf Rache sinnenden Täter selbst als durch Polizei, Staatsanwälte und Journalisten, die den Unglückseligen im Kommissariat, im Gerichtssaal und im Fernsehen fertigmachen.
»Haben sie ihn verfolgt?«
»Soll das ein Witz sein?«
Was war anderes zu erwarten, hier in diesem schönen Land? Sissignore, ich war vor Ort, aber ich konnte ihm nicht hinterherlaufen, weil mein Schnürsenkel offen war. Sissignore, ich habe alles gesehen, aber ich konnte nicht eingreifen, weil ich Rheuma habe. Andererseits: Wie viel Mut braucht es, um unbewaffnet jemanden zu verfolgen, der soeben einen Menschen erschossen und mindestens noch eine weitere Patrone im Lauf hat?
»Hast du den Staatsanwalt benachrichtigt, den Gerichtsmediziner, die Spurensicherung?«
»Alle.«
Montalbano spielte auf Zeit, das war ihm bewusst. Aber drücken konnte er sich nicht. Und so fragte er lustlos:
»Wie heißt die Straße?«
»Via Rosolino Pilo, in der Nähe von .«
»Ich weiß, wo die ist. Ich komme.«
Schreiend, fluchend und unter ohrenbetäubendem Hupen bahnte er sich seinen Weg durch einen Pulk von etwa fünfzig Personen, die sich anlocken ließen wie die Fliegen von einem Scheißhaufen. Sie verstopften Leuten, die von der Via Nino Bixio kamen wie er, die Zufahrt zur Via Rosolino Pilo. Doch der Zugang zum Tatort war von einem quer stehenden Polizeiauto versperrt und wurde von Inzolia und Verdicchio kontrolliert, zwei Polizisten, die im Kommissariat unter dem Namen »i vini da tavola«, die Tafelweine, besser bekannt waren. Das andere Ende der Straße, hin zur Via Tukory, bewachten in einem zweiten Wagen die »wilden Tiere« in Gestalt der Polizisten Lupo und Leone. Die Sektion »Hühnerstall« aus dem Kommissariat, also Gallo und Galluzzo, stand zusammen mit Fazio in der Mitte der Straße. Dort lag eine Leiche auf dem Boden. Ein Stück entfernt standen drei Männer gegen ein heruntergelassenes Rollgitter gelehnt.
Von Fenstern, Balkonen und Terrassen aus verfolgten Alte und Junge, Frauen und Männer, Kleinkinder, Hunde und Katzen das Geschehen. Um besser zu sehen, lehnten einige sich so weit hinaus, dass sie riskierten, auf das Pflaster hinunterzustürzen. Sie schrien und lachten, weinten und beteten - es war ein Höllenlärm wie bei der Festa di San Calò. Und wie am Feiertag zu Ehren des heiligen Calogero schossen die einen Fotos mit der Kamera, die anderen hielten die Szene mit winzigen Mobiltelefonen fest, die heutzutage schon Neugeborene bedienen können.
Der Commissario stellte seinen Wagen am Gehsteigrand ab und stieg aus.
Und sofort erhob sich über seinem Kopf lebhaftes Geschnatter.
»Schaut mal! Schaut! Der Commissario ist gekommen!«
»Da ist Montalbano!«
»Wer? Der Montalbano aus dem Fernsehen?«
»Nein, der echte.«
Das nervte Montalbano wahnsinnig. Vor zehn Jahren hatte er die geniale Idee gehabt, einem Autor aus der Gegend von seinen Ermittlungen zu erzählen, und dieser Autor hatte daraus sofort einen Roman zusammengestrickt. Da in Italien kaum mehr jemand Bücher las, blieb die Sache folgenlos. Und so hatte er dem Autor, der einfach nicht lockerließ, einen zweiten, dritten und vierten Ermittlungsfall geschildert, den dieser nach seinem Geschmack umschrieb, in einer erfundenen Sprache und mit viel Phantasie. Diese Romane wurden, weiß der Geier, warum, in Italien zum Bestseller und sogar in andere Sprachen übersetzt. Dann kamen die Geschichten ins Fernsehen und waren auch dort außerordentlich erfolgreich. Von dem Moment an änderte sich alles. Jetzt kannten alle Commissario Montalbano, allerdings nur als Fernsehfigur. Das ging ihm dermaßen auf die Eier! Er fühlte sich wie in einer Komödie eines anderen Autors aus dieser Gegend hier, eines gewissen Luigi Pirandello.
Zum Glück hatte der wirklich hervorragende Schauspieler, der ihn im Film verkörperte, keinerlei Ähnlichkeit mit ihm, und er war zehn Jahre jünger (der Mistkerl!). Sonst wäre das Ganze nicht auszuhalten gewesen. Montalbano hätte nicht mehr aus dem Haus gehen können, ohne bei...
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