Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Don Pitrino Vadalà war sechs Jahre zuvor mit seiner Frau nach Vigàta gekommen. Nach dem, was man sich im Ort über ihn erzählte, war er steinreich, doch keiner wusste, was er machte und woher er kam. Er hatte die Villa des Barons Lúmia gekauft, die außerhalb der Ortschaft fast am Meeresufer lag, und dort lebte er, ohne jemals sein Haus zu verlassen. Die beiden Bediensteten, die er mitgebracht hatte, gingen alles besorgen, was er brauchte, und um die Sonntagsmesse kümmerte sich ein Priester, der sie in der Kapelle der Villa las. Es hieß, Don Pitrino sei nach Vigàta gekommen, weil die Ärzte ihm gesagt hätten, dass Meeresluft gut gegen seine Krankheit sei und er außerdem viel Fisch essen müsse. Daher hörte Adelio ihm voller Wissbegier und Verwunderung zu.
«Ich», sagte Don Pitrino, «komme aus einem Ort, der Castrogiovanni heißt. Dort habe ich viele Ländereien, Häuser, Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen. Nun hat mir einer meiner Jagdaufseher mitteilen lassen, dass er einen Jungen braucht, und da habe ich an Giurlà gedacht.»
«Und was müsste mein Sohn tun?», fragte Adelio.
«Er soll Ziegen hüten.»
Adelio musste lachen.
«Aber Giurlà hat es doch mit Fischen zu tun, nicht mit Ziegen! Er ist ein Küstenjunge!»
«Da gehört doch nicht viel dazu, um ein Landjunge zu werden! Und dann denk mal nach: Du wolltest ihn dem Mann aus Alagona mitgeben, damit er Tag und Nacht unter der Erde schuftet. Wenn du ihn aber mir gibst, lebt er immer an der frischen Luft. Und ich zahle ihm eineinhalb Lire pro Tag, auch an Sonn- und Feiertagen. Er bekommt kostenlos Brot und Käse. Sonntags steht ihm ein Teller Brei aus dicken Bohnen zu oder ein Teller Caponatina und danach gebratenes Lamm. Milch kann er trinken, so viel er will. Denk drüber nach und gib mir vor dem 15. März Bescheid, denn dann kommt der Jagdaufseher. Wenn Giurlà zustimmt, wird er am selben Tag noch abreisen müssen.»
«Wie lange wird er dann wegbleiben?»
«Mindestens drei Monate. Danach entscheidet er selbst, ob er heimkehren oder bleiben will. Ach ja, wenn er annimmt, dann statte Giurlà mit einem Wollpullover aus, ebenso mit einer Decke und einem Paar Schuhe. In der Gegend dort wird es nachts ziemlich kalt.»
«Ich werde jetzt gleich noch mit meiner Frau sprechen», sagte Adelio. «Und morgen schon geben wir Euch Bescheid. Gott segne Euch!»
Er sah seinen Sohn an, der während Don Pitrinos Rede nicht einmal den Mund aufgemacht hatte, und Giurlà sagte:
«Gott segne Euch!»
Vater und Sohn wollten hinausgehen.
«Ach ja», sagte Don Pitrino. «Eine meiner Hausbediensteten muss zurück in ihr Heimatdorf. Würde es deiner Frau etwas ausmachen, herzukommen und ihre Stelle anzutreten?»
«Auf keinen Fall!», sagte Zina resolut. «Wenn ich dahin gehe und Hausbedienstete bei Don Pitrino werde, welche Notwendigkeit besteht dann noch, dass Giurlà uns verlässt?»
Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Adelio und Zina redeten die ganze Nacht miteinander. War es nicht besser, dass Giurlà diese Gelegenheit beim Schopf packte? Wenn er größer wurde, welche Arbeit würde er dann im Ort finden können? So aber, da sie dann zu dritt Geld verdienen würden, könnten sie das halbe Boot schneller und leichter abbezahlen. Und es bestand ja auch die Möglichkeit, dass es Adelio gelingen würde, gar ein ganzes Boot für sich zu kaufen.
Am nächsten Morgen, als es noch dunkel war, weckte Adelio seinen Sohn.
«Wir haben beschlossen, dass du fortgehst. Heute Abend sag ich's Don Pitrino.»
«Ganz wie ihr wollt.»
Doch in der Zwischenzeit musste Geld aufgetrieben werden, um die Dinge zu kaufen, die Giurlà brauchte. Bis zum 15. März waren es nur noch sieben Tage. Da hatte Zina einen guten Einfall: Sie verpfändete eine Halskette und Ohrringe, die ihre Tante ihr vererbt hatte, und so konnte sie nicht nur eine warme Bettdecke kaufen und die Schuhe, sondern auch zwei Pullover, zwei Unterhosen und vier Paar Wollsocken.
Dass er abreisen würde, erzählte Giurlà seinen beiden Freunden Pippo und Fofò, als sie sich am Strand trafen. Die beiden waren wie er echte Küstenjungen, nur dass sie weniger gut Fische mit der Hand fangen konnten.
«Und was machst du da, wo du jetzt hingehst?», fragte Pippo.
«Ich werde Ziegen hüten.»
Zuerst sahen die beiden ihn verblüfft an, dann brachen sie in Gelächter aus.
«Was gibt's denn da zu lachen?», fragte Giurlà.
«Fofò», sagte Pippo und fing an, alberne Gesten zu machen, «riechst du nicht auch diesen merkwürdigen Gestank?»
«Ja, doch», erwiderte Fofò geistesgegenwärtig. «Aber was ist das bloß für ein Gestank?»
«Meiner Meinung nach stinkt's hier nach Ziege. Da ist doch sicher ein Ziegenhirt irgendwo in der Nähe.»
Giurlà wurde wütend und versetzte ihm einen Fausthieb gegen die Brust. Pippo packte ihn mit beiden Händen und versuchte, seinen Kopf unter Wasser zu drücken.
Ach, war das herrlich, sich miteinander im Meer zu balgen!
In der Nacht auf den 15. März konnte einzig Maria ruhig schlafen. Zina hingegen weinte nur. Adelio, der beschlossen hatte, nicht zum Fischen hinauszufahren, damit er seinen Sohn begleiten konnte, wälzte sich unaufhörlich von einer Seite auf die andere, während es Giurlà, der kein Auge zutun konnte, fürchterlich heiß war, wie wenn er einen Fieberanfall hatte, und er versuchte verzweifelt, sich das Leben vorzustellen, das ihn erwartete.
Um elf Uhr am nächsten Morgen nahm Zina die Wolldecke, packte Giurlàs Sachen hinein und verknotete die Zipfel miteinander. Eine halbe Stunde später, als Adelio und Giurlà sich zum Aufbruch fertig machten, sagte sie:
«Wartet auf mich, ich komme auch mit!»
Und Maria sagte: «Ich will auch mitkommen.»
«Nein», entgegnete Zina. «Du bleibst hier, bringst das Haus in Ordnung und bereitest das Essen vor.»
Und so verstand Maria, dass sie nun erwachsen geworden war.
An der Haltestelle der Überlandbusse nach Montelusa standen schon der Jagdaufseher Don Sisino und die Hausbedienstete, die in ihr Dorf zurückkehren wollte und Zuda hieß. Sie hatte einen großen Koffer bei sich.
Still warteten sie, bis der Autobus kam.
Adelio reichte dem Busschaffner Giurlàs Bündel, der es in den Gepäckraum legte. Don Sisino machte das Gleiche mit Zudas Koffer. Zina war außerstande, Giurlàs Hand loszulassen, da trennte Adelio sie beide voneinander, gab seinem Sohn einen Kuss auf den Kopf und bugsierte ihn in den Bus.
In Montelusa stiegen sie aus, gingen zum Bahnhof und nahmen den Zug nach Castrogiovanni. Noch nie war Giurlà mit einem Zug gefahren. Ach, wie der raste! Und wie viel Krach der machte! Und plötzlich sah er durch das kleine, halb geöffnete Fenster das Meer in der Ferne. Er sprang auf und stellte sich ans Fenster.
Und da stand er wie verzaubert. Wie kam das nur? Wenn er im Meer badete, kam ihm das Wasser wie etwas Unendliches vor, aber jetzt war es ein schmaler Streifen geworden, der mit dem Horizont verschmolz und nach und nach immer schmaler, immer feiner wurde. Und während er das feststellte, spürte er, wie sein Herz schneller zu rasen begann als der Zug.
Dann verschluckte die Landschaft das Meer, und er setzte sich wieder hin.
«Was ist denn? Weinst du?», fragte Zuda ihn.
«Nein, mir ist nur ein Staubkorn von der Kohle ins Auge gekommen», antwortete er.
Das stimmte. Aber trotzdem war es auch eine halbe Lüge. Denn er hatte schon vorher angefangen zu weinen.
Sie erreichten den Bahnhof von Castrogiovanni, als die Sonne bereits unterging. Zuda wurde von ihrem Sohn mit einem Karren abgeholt, der sie auf ein Landstück in der Umgebung brachte.
Vor dem Bahnhof gab Don Sisino Giurlà das Bündel.
«Trag du's.»
«Wo ist denn nun das Dorf?»
«Guck mal nach oben!»
Giurlà hob den Blick, doch musste er auch den Kopf heben, um es zu sehen, dieses Dorf, hoch oben auf der Kuppe eines Berges, der so riesig war, dass es einem angst und bange wurde. Er fühlte, wie sein Herz erstarb.
«Bis da hinauf müssen wir klettern?»
«Keine Sorge, mein Haus liegt auf halber Höhe.»
Nach einer halben Wegstunde fühlte er sich vollkommen erschöpft.
Es war nicht wegen des Gewichts des Bündels, es war auch nicht wegen der ansteigenden Straße, es war die Luft, die ihn müde machte. Eine solche Luft hatte er noch nie eingeatmet, sie war trocken, frisch und leicht. Und laff. Wenn er sich nämlich mit der Zunge über die Lippen fuhr, so schmeckte er nicht den Hauch von Salz, der in der Luft am Meer lag. Und es war eine Luft, die einem großen Appetit machte; er fühlte sich so hungrig, als hätte er schon seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen.
Dann, als hätte es der Herr der Ewigkeiten so gewollt, waren sie plötzlich da. Don Sisinos Haus war eingeschossig, sauber und aufgeräumt. Seine Frau war um die fünfzig und spindeldürr; sie kam Giurlà vor wie eine in Salz eingelegte Sardine. Sie hieß Assunta und redete ununterbrochen. Während sie den Tisch deckte, erzählte sie Giurlà, dass sie vier Kinder hatte, zwei Jungen und zwei Mädchen, alle verheiratet, und dass sie auch schon vier Enkelkinder hatte.
«Kurz und gut», klagte sie, «obwohl ich also diese herrliche Familie habe, bin ich doch alleine, denn jedes meiner Kinder hat sein eigenes Haus, und Sisino macht sich immer schon bei Tagesanbruch auf und kommt erst bei Nacht zurück.»
Noch nie hatte er Pasta mit Soße und Schweinefleisch gegessen. Wie gut es ihm schmeckte! Mal ganz zu schweigen von der Mettwurst!
Am Ende sagte Don Sisino:
«Jetzt gehen wir schlafen, denn morgen früh...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.