Schweitzer Fachinformationen
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Um halb neun Uhr am nächsten Morgen verließ Susanna nach einem kurzen Frühstück an der Bar das Hotel. Sie wollte möglichst früh die biblioteca erreichen, die in den Gebäuden der Uffizien untergebracht war, um mit ihren Recherchen zu beginnen. Das Jünglingsporträt und Wagners Auftrag duldeten keinen weiteren Aufschub. Und sosehr sich Susanna freute, in Florenz zu sein, so sehr fühlte sie sich Wagner verpflichtet. Seine Autorität, die er am Montagmorgen mit aller Deutlichkeit in seinem Büro ausgespielt hatte, blieb wie üblich nicht ohne Wirkung auf sie. Der ehemalige Trödelhändler, der sich mit Wohnungsauflösungen und Flohmärkten nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in den siebziger Jahren seine ersten Brötchen verdient hatte, war inzwischen als Autodidakt in Sachen Kunst und Antiquitäten zu Geld gekommen. Selbst auf dem heißumkämpften Kunstmarkt Münchens hatte er sich mit seinem Auktionshaus einen guten Ruf erworben, und er war alles andere als zimperlich, wenn es ums Geschäft ging. Nur so waren seine beneidenswerten Gewinne zu erklären. Nicht immer war Susanna mit seinen Geschäftspraktiken einverstanden. Nicht immer ließ sich Wagner von ihr überzeugen, dass er einfach nicht alles verkaufen konnte, nur weil es den Weg in sein Auktionshaus gefunden hatte. Während sie die Via della Scala entlangging, hatte sie keinen Blick für die Auslagen der kleinen Geschäfte, weil ihr Kopf voll war mit den Ereignissen der vergangenen Tage. Die Art und Weise, wie das Jünglingsporträt nach München gelangt und schließlich in der Lagerhalle Wagners gelandet war, entsprach überhaupt nicht dem üblichen Weg, auf dem Kunstwerke normalerweise in ein Auktionshaus gelangten.
Als sie am Freitagnachmittag mit einer Tasse Kaffee am Fenster ihres Büros stand, das sie sich mit ihrer Freundin und Kollegin Beate teilte, und auf den Innenhof des Auktionshauses hinunterschaute, dachte sie an nichts Böses. Lediglich eine kurze Verschnaufpause wollte sie sich gönnen, und dabei beobachtete sie, wie eine schwarze Limousine langsam vor die Laderampe fuhr. Ein dunkelhaariger und dunkelgekleideter Mann mittlerer Statur stieg aus und öffnete den Kofferraumdeckel. Mit nur mäßigem Interesse verfolgte Susanna, wie Hausmeister Gruber ohne Eile, wie es seine Art war, mit einer Sackkarre hinzukam und gemeinsam mit dem Fremden eine flache, aber breite Holzkiste aus dem Kofferraum wuchtete und auf die Karre auflud. Dabei wurde nicht viel gesprochen. So viel bekam Susanna mit, denn der ganze Ausladevorgang dauerte nur wenige Minuten. Dann fuhr die Limousine, ein schwarzer Alfa, langsam wieder aus dem Innenhof und hinaus auf die Straße. Susannas letzter Blick galt dem Nummernschild des Wagens, der demnach aus Italien stammte. Eine Entdeckung, die sie dann doch etwas verwunderte. Angeliefert und abgeholt wurde täglich etwas. Aber aus dem Ausland trafen die Lieferungen entweder per Bahn oder per Lkw-Fracht im Auktionshaus ein. Eine Privatlieferung mit dem eigenen Auto machten nur wenige Kunden. Aber danach sah es ganz offensichtlich aus.
«Komm, Bea», sagte Susanna und stellte ihre Kaffeetasse auf dem Schreibtisch ab, «ich möchte doch wissen, was da gerade angeliefert wurde.»
Nur widerwillig ließ sich Beate stören.
«Du und deine Neugier! Bedeutet doch nur Arbeit, egal, was da geliefert wurde. Wir haben mit dem, was hier auf den Tischen herumliegt, genug zu tun.»
«Komm schon!» Susanna ließ nicht locker. Für sie hatten die täglichen Lieferungen, selbst nach drei Jahren Arbeit bei Wagner, nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Sie fand es immer wieder spannend, welche Schätze sich in den Kisten und Kartons verbargen.
Gemeinsam gingen sie zu Gruber in den Lagerraum und kamen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Hausmeister aus der Kiste zwei Bilder heraushob. Es handelte sich einmal um ein wunderschönes Altarblatt der italienischen Gotik. Das erkannte Susanna sofort. Das kleine, goldgrundige Kunstwerk war eine echte Rarität und unglaublich wertvoll. Das andere Bild zeigte einen Jünglingskopf, den Susanna bei genauerem Hinsehen für eine Fälschung hielt. Der Maler versuchte sich darin, zugegebenermaßen sehr gekonnt, ein Renaissancebild zu kopieren. Dennoch wirkten die Farben zu frisch, die Oberfläche zu glatt für ein Bild dieser Zeit. Die Kombination aus hochklassiger und wertloser Ware in ein und derselben Lieferung fand Susanna äußerst seltsam. Noch alarmierter war sie dann, als sie feststellen musste, dass außer einem Geschäftsbrief in englischer Sprache keine weiteren Papiere die Kunstwerke begleiteten. Keine Fracht- oder Zollpapiere, keine Expertisen und keine Eigentümernachweise, wie sie bei Kunstgegenständen, die die italienische Grenze passierten, obligatorisch waren. Eigens abgestellte Gutachter und Kuratoren von Museen mussten hinzugezogen werden, wenn eine Galerie, ein Museum oder ein Privatsammler Kunstgegenstände ins Ausland veräußern wollte. Straffreier Export war nur mit eindeutigem Herkunftsnachweis möglich. Natürlich fanden sich immer Mittel und Wege, die gesetzlichen Bestimmungen zu unterlaufen. Doch fehlten die Papiere, war für den Händler besondere Vorsicht geboten. Nach all den Erfahrungen, die Susanna mit dieser Art von Sendungen über die Jahre gesammelt hatte, handelte es sich dabei um Schmuggelware, im schlimmsten Fall sogar um Diebesgut. In dem beiliegenden Brief bat die Einsenderin Cosima Bettone, wohnhaft in Florenz, lediglich darum, die Kunstwerke zum nächstmöglichen Termin zu versteigern. Nicht einmal Mindestgebote hatte sie abgegeben. Hinweise auf die Künstler, denen die Bilder zuzurechnen waren, fehlten ebenfalls. Befremdet sahen sich Susanna und Beate an.
«Na, toll!», konnte sich Beate dann nicht verkneifen. «Wusste ich's doch. Arbeit . und dann auch noch von der ganz feinen Art. Ich habe nichts gesehen. Vor Montag brauchst du mir damit gar nicht erst zu kommen.» Mit dieser wenig hilfreichen Bemerkung hatte sie die Lagerhalle verlassen. Susanna kannte Beate gut genug, um zu wissen, dass das heikle Gespräch über die dubiose Ware mit Wagner an ihr hängenbleiben würde. Und sie sollte recht behalten.
Susanna stand an einer Ampel gegenüber dem Palazzo Strozzi in der Via Tornabuoni. Die Rustica-Fassade des Palazzo wurde an seiner linken Flanke vom hellen Licht der Morgensonne angestrahlt. Sie schaute zum blauen, wolkenlosen Himmel hinauf. Es versprach ein weiterer sehr warmer Septembertag zu werden. Susanna fühlte sich plötzlich unerwartet glücklich. Es genügte, einfach dazustehen, angekommen zu sein, um in ihr ein Gefühl der Freude aufsteigen zu lassen. Der Spritzenwagen der Stadt fuhr langsam an ihr vorbei. Er hinterließ dunkle feuchte Flecken auf dem Asphalt. Es roch nach nassem Staub, nach Moder, der aus uralten Hauseingängen strömte und nach ribollita, der unvermeidlichen toskanischen Suppe, die, mehrmals aufgewärmt, täglich dicker wurde und zu den Standardgerichten Florentiner Familien und Gasthäuser gehörte. Es roch so typisch nach Florenz, dass Susanna tief einatmete und dieses Duftgemisch richtiggehend in sich aufsog.
Einen Moment zögerte sie, dann gab sie ihrem Impuls nach. Ein kleiner Abstecher konnte doch nicht schaden! Ihr Besuch in der Bibliothek würde nicht lange dauern. Sie war sicher, die Beweise für die Fälschung rasch zu finden. Sie hatte ganz bestimmt Zeit, einen Blick in die Geschäfte der Via Tornabuoni zu werfen. Erfolgreich beruhigte sie ihr Gewissen. Gleich nach der Bibliothek würde sie ins Hotel zurückgehen, das Porträt holen und Cosima Bettone aufsuchen. Vermutlich stellte sich dabei heraus, dass die ganze Aufregung auf einer Reihe von Missverständnissen beruhte. An einen echten Schwindel oder gar Betrug vonseiten der Signora mochte sie nicht so recht glauben. Vielleicht auch einfach deshalb, weil die Aussicht auf unbeschwerte Tage in Florenz, und das ganz auf Kosten von Heribert Wagner, unwiderstehlich war. Heute Abend schon würde sie ihre Freundin Elisabetta treffen, und dann könnten sie ausgiebig in alten Erinnerungen schwelgen, über ehemalige Kommilitonen herziehen, und vielleicht würde Elisabetta auch die eine oder andere Neuigkeit über Andreas ausplaudern.
Die Via Tornabuoni hatte von jeher eine seltsame Faszination auf sie ausgeübt. Die Läden der weltberühmten Einkaufsstraße, die Nobelmarken Armani, Gucci, Valentino und Dolce & Gabbana, reihten sich wie Perlen auf einer Schnur aneinander. An den Auslagen einfach nur vorbeizugehen, obwohl überall noch die schützenden Eisengitter heruntergezogen waren, brachte Susanna nicht fertig. Einmal ohne Jochen Mode zu bewundern, ohne seine Kommentare wie: «Du kaufst ja doch nichts» oder «wir müssen weiter, was gibt es denn da so Interessantes zu sehen», oder noch besser «das ist doch alles maßlos überteuert», war einfach zu verführerisch.
Als Studentin hatte sie der ungeniert ausgestellte, dekadente Luxus belustigt, hatte sie vor allem an den Nachmittagen und am frühen Abend Frauen jeglichen Alters dabei beobachtet, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich in diesen Läden bewegten, Sonnenbrillen probierten, Handtaschen an Seidenröcke hielten, ob die Farbe auch passte, und Verkäuferinnen mit nicht enden wollendem Anprobieren nervten. Aber sie hatte niemals ernsthaft das Verlangen verspürt, es ihnen nachzumachen und sich eines dieser teuren Teile zu leisten. Nicht, dass es etwa im Bereich ihrer finanziellen Mittel gelegen hätte! So freigebig war der bayerische Staat nun wieder nicht. Allerdings war ihr auch bewusst, dass sie so nie wirklich dazugehörte. Nur zu gut kannte sie die prüfenden Blicke völlig unbekannter Passanten, die sie ungeniert musterten, ob sie nicht wenigstens eine...
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