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Eleonora Duse zieht die Handschuhe der anderen an, nur dass sie sie verkehrt angezogen hat. Und all das hat sie mit einer unendlichen Grazie und einer unbekümmerten Unbewusstheit getan. Sie ist also eine große Schauspielerin, sogar eine sehr große Schauspielerin, aber sie ist keine Künstlerin.
SARAH BERNHARDT
Sarah, ich kann das Urteil, das Sie über meine Kunst gefällt haben, nicht ignorieren - ich kann es weder ignorieren noch akzeptieren, noch vergessen.
ELEONORA DUSE
Paris, 1. Juni 1897
Im Saal des Théâtre de la Renaissance hält man den Atem an. Es ist ein erhabener Moment. Mit der Anmut eilfertiger Dienerinnen huschen die Lichter Richtung Dunkelheit. Eine einzige Loge beleuchtet: Der Auftritt der divine scandaleuse, der als göttlich gefeierten und skandalös verrufenen Berühmtheit des französischen Theaters, ist nicht zu übersehen. Ein Auftritt, der demjenigen, der in wenigen Minuten auf der Bühne erwartet wird, in nichts nachstehen darf.
Sarah Bernhardt - ihr legendäres rotes Haar ist mit Rosen bekränzt, sie trägt ein Kleid aus Seidendamast und eine Kette mit einer auffälligen schwarzen Perle - kommt leichtfüßig einhergeschritten. Ihre hypnotisierenden grünen Augen strahlen die Zuschauer an. Das Licht hebt deutlich scharlachrote, zu einem maliziösen Lächeln verzogene Lippen hervor. Mit einem Nicken bedeutet sie ihrem Sohn Maurice und dessen Frau, Prinzessin Maria Teresa Wirginia Klotylda Jablonowska, neben ihr Platz zu nehmen. In der Nebenloge erkennt das Publikum die Schauspielerinnen Réjane und Julia Bartet, Prinz und Prinzessin Murat und in der Loge darüber Prinzessin Mathilde Bonaparte, eine leidenschaftliche Kunstmäzenin. Im Parkett, neben den stocksteifen französischen Kritikern und den aus Wien, London und Berlin angereisten Journalisten, sitzt ein Haufen bis gerade eben noch lebhaft schwatzender Italiener. Nicht anwesend ist der italienische Dichter Gabriele D'Annunzio, und das ist kein Zufall.
Das jetzt in Schweigen gehüllte Publikum wagt es nicht, die Erhabenheit dieses Moments auch nur durch einen schüchternen Applaus zu stören. Alle wissen, dass dieses Theater Sarahs Zuhause ist, dass sie es ersteigert hat und seit dem 25. Mai 1893 regiert wie die Zarin eines kleinen Imperiums. Alle haben gelesen, dass sie ein Vermögen für den Umbau ausgegeben und die Zuschauergewohnheiten auf den Kopf gestellt hat, denn gekaufter Applaus beziehungsweise ebensolche Buhrufe und turmhohe Frisuren, die den Blick verstellen könnten, sind nun verboten. Selbst wenn es für die Pariser, die sich nur bedingt für das Stück und dafür umso mehr für Skandale interessieren, in erster Linie ein gesellschaftliches Ereignis ist, bei dem Kunst mit Klatsch und Tratsch Hand in Hand geht, ist niemandem entgangen, dass diese Uraufführung anders ist als alle davor. Die neunhundert Plätze waren innerhalb weniger Stunden ausverkauft.
Schon in den letzten Tagen ließ die von krankhafter Neugier getriebene Pressemeute nichts unversucht, um an Sarahs Gast heranzukommen, über den die Zeitungen schon seit Wochen berichteten. Um diese Dame aus nächster Nähe sehen zu können, gaben sich Reporter als Kutscher aus und fuhren sie zum Hotel, servierten ihr in Kellnerschürze das Frühstück oder ließen sich als Bühnenarbeiter am Théâtre de la Renaissance anstellen.
Der berühmten italienischen Schauspielerin haben die höheren Weihen von Paris bisher noch gefehlt.
Und da ist sie auch schon, dank der erstaunlichen Großzügigkeit Sarah Bernhardts, die, nachdem sie vom Impresario Joseph Schürmann erfahren hatte, dass »die Kollegin« nach einem Theater für ihr Frankreich-Debüt sucht, keine Sekunde zögerte, ihr ein Gastspiel anzubieten: um sie zu vernichten? Oder um ihr ihre Überlegenheit zu beweisen?[1] Es ist bestimmt ein Versehen, dass man ihr eine ebenso unpraktische wie schmucklose Garderobe zugewiesen hat, die sie zwingt, die Bühne über eine Feuertreppe zu betreten. Die Garderobe Sarahs steht nicht zur Verfügung, vollgestopft, wie sie ist, mit ihren Kostümen, die selbstverständlich nicht weggeräumt werden können.
Doch Eleonora Duse ist derjenigen dankbar, die sich als »größte Schauspielerin aller Zeiten« feiern lässt, und bereit, sich dem anstrengenden vierwöchigen Probemarathon zu stellen, sich jeden Abend in einem anderen Stück mit ihr zu messen: Heimat von Hermann Sudermann, Mirandolina von Carlo Goldoni, Claudes Gattin von Alexandre Dumas dem Jüngeren, Cavalleria rusticana von Giovanni Verga und dann noch der Einakter, den Gabriele D'Annunzio widerwillig für sie geschrieben hat: Traum eines Frühlingsmorgens. Denjenigen, die ihr rieten, auf Französisch zu spielen, sagte sie mit patriotischem Stolz, dass »im Théâtre de la Renaissance bis zum 30. Juni Italienisch gesprochen wird«.
Unter Vermittlung von Graf Giuseppe Primoli und dem Dandy Graf Robert de Montesquiou, Marcel Prousts Mentor und Freund von allen, die in Paris Rang und Namen haben, umarmten sich die beiden Primadonnen vor wenigen Stunden in Sarahs Atelier wie zwei alte Freundinnen. Wer das Glück hatte, bei dieser Schmierenkomödie dabei zu sein, berichtete, das Treffen sei wie ein schwindelerregender elektrischer Kurzschluss gewesen, »ein Aufeinanderprallen«, wobei sich die beiden Bühnendamen »so fest umarmt haben, dass es so aussah, als würden sie miteinander ringen«.[2]
Ah, das Theater, eine einzige Kunst der Verstellung!
In ihrer Loge lässt sich Sarah nun von ganz Paris für ihre uneigennützige, großzügige Geste bewundern. Sie wird während der gesamten Vorstellung fast völlig regungslos verharren, nur an normalerweise wenig beachteten Stellen applaudieren. Und diese von den meisten ignorierten Momente werden ausschließlich ihr gehören. Auch wird sie sich Zeit nehmen, um ihre Gäste und diejenigen, die sie in den Pausen zwischen den Akten besuchen, zu unterhalten.
Im Grunde tut sie einfach nur einen Gefallen.
Es war der 14. April, als die hochelegant in einen Mantel von Paul Poiret gekleidete Eleonora Edmond Rostands Weib von Samaria in der Ehrenloge sah, die zu diesem Anlass mit weißen Orchideen geschmückt war. Als der Vorhang aufging, warf ihr die Französin einen Luftkuss zu, den die Italienerin leise seufzend erwiderte.
Wie ein Engel in Gestalt einer ernsten Puppe blieb sie während der gesamten Aufführung in ehrfürchtigem Respekt stehen.
Heute Abend ist die ätherische Duse an der Reihe, sich dem Urteil der Bernhardt zu stellen, und zwar im Meisterwerk von Dumas dem Jüngeren, der Kameliendame - nicht zufällig die Titelrolle, mit der sich Sarah in die Herzen der Welt spielte. Sei es nun dreiste Frechheit oder schlichte Provokation - nach Jahren des indirekten Wettbewerbs bekommt das Publikum die Animositäten zwischen den beiden Primadonnen jetzt wie auf dem Silbertablett serviert.
Denn da gab es schon den Winter 1893 in Neapel, als die Duse im Teatro Sannazaro auftrat und die Bernhardt im Bellini: Der Adel in den Logen und vorderen Parkettreihen begeistert sich ganz snobistisch für die Französin, während die Kritiker, auch wenn sie sich von der exotischen Anziehungskraft der Ausländerin durchaus verführen lassen, von der Landsmännin aus der Lombardei erobert werden. Von einer Garderobe zur anderen werden Blumensträuße geschickt: gespielte Höflichkeit. Besuche? Kein einziger. Auch wenn anonyme Zeugen berichten werden, Eleonora habe einen ihr treu ergebenen Freund gebeten, ihr einen Platz in Galerienähe zu besorgen, und sei heimlich vollständig vermummt ins Bellini gegangen.[3]
In London wird das Duell im Frühling 1895 keinen Kilometer voneinander entfernt ausgetragen: Sarah tritt im Daly's Theatre am Leicester Square auf, Eleonora im Drury Lane Theatre, sie spielen im selben Stück: Heimat von Sudermann.
»Die Rivalität zwischen den beiden ist mit Händen zu greifen«[4] - zur großen Freude der Kritiker und Journalisten, die zwischen...
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