Schweitzer Fachinformationen
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Innerhalb eines Augenblicks kann sich das Leben vollkommen ändern. Für Dr. Felicity Knight geschah das zwischen dem ersten Schrei eines neugeborenen Babys und dem letzten Atemzug von dessen junger Mutter.
Fliss, wie Felicity von ihren Freunden genannt wurde, ging durch den staubigen Flur des Farmhauses, das mittlerweile zu ihrem Zuhause geworden war. Ihre dicken Socken hinterließen verwischte Fußspuren auf dem abgenutzten Boden. Egal, wie oft sie fegte, der feine Sandstaub des Outback wehte durch die undichten Fensterrahmen immer wieder herein. Sie unterdrückte ein Schaudern. Was sich sonst noch durch die Risse und Spalten des alten Gemäuers einen Weg nach drinnen bahnte, wollte sie lieber nicht wissen.
Ihre Schwester Cressy hatte sie immer wieder wegen des Spalts unter der Hintertür gewarnt. Eine Maus und sogar ein Tannenzapfenskink konnten sich dort hindurchzwängen. Und Fliss wollte mit Sicherheit auch keine Bekanntschaft mit einer der braunen Schlangen machen, die sich in ihrem wuchernden Garten heimisch fühlten. Auch wenn sie bisher noch keine von ihnen gesehen hatte, die trockene Schlangenhaut am Tor bewies, dass hier nicht nur die kleinen Prachtstaffelschwänze die Frühlingssonne genossen.
An der Vordertür schlüpfte sie in ihre Arbeitsstiefel. Wegen der dicken Socken musste sie sich regelrecht hineinzwängen. Cressy hatte ihr die dunkelblauen Wollsocken voriges Weihnachten geschenkt. Damals hatte Fliss sich nicht vorstellen können, sie jemals zu tragen, denn da wohnte sie noch in Sydney. In ihrem neuen Leben hatte sie sie sofort hervorgekramt, nachdem sie sich die ersten Blasen gelaufen hatte. Jetzt waren die Socken ihr bevorzugtes Modeaccessoire. Bei ihrem letzten Ausflug nach Woodlea hatte sie sich dann sechs solche Paare gekauft.
Sie stieß die Fliegengittertür auf und trat nach draußen. Die Welt hier war ihr so vertraut, und doch hätte sie vor Kurzem nie gedacht, dass sie noch einmal im Outback leben würde. Hier schrillten keine Sirenen durch eine Landschaft aus Beton. Hier hingen keine Abgase in der Luft. Stattdessen umwehte sie ein frischer warmer Wind, der den süßen Glyzinienduft und die Stille des Buschlands mitbrachte. In den vergangenen zehn Minuten war nur das fröhliche Zwitschern der zwei Nymphensittiche zu hören gewesen, die tief über den Blausteinstall hinweggeflogen waren.
Fliss blieb an der Verandatreppe stehen und blickte hinauf in den granitgrauen Himmel. Die Wolken kündigten noch mehr Regen an. Es war ein nasser Winter gewesen, und jetzt folgte ein nasser Frühling. An den Straßenrändern wuchs üppiges grünes Gras, die Weideböden waren durchweicht und die Bäche vom Regenwasser angeschwollen. Es kam ihr vor, als weinte Mutter Natur die Tränen, die sie selbst nicht fließen lassen konnte.
Bei dem Gedanken wurde sie wieder von Trauer und Angst überschwemmt. Mit weichen Knien ließ sie sich auf die oberste Verandastufe sinken. Sosehr sie auch versuchte, ihre Gefühle unter Verschluss zu halten, sie kamen immer wieder hoch, wie ein Korken, der unablässig an die Wasseroberfläche drängte. Langsam atmete sie tief ein und aus und ließ die Heiterkeit ihrer Umgebung auf sich wirken.
Sie durfte sich nicht länger in Selbstmitleid ergehen und jede der Entscheidungen anzweifeln, die sie während der Behandlung getroffen hatte. Die Tragödie jener Nacht durfte nicht noch ein Leben zerstören. Das war sie der Familie ihrer Patientin schuldig. Der betrunkene Autofahrer hatte ihnen schon genug genommen. Karl schickte ihr regelmäßig Fotos von der kleinen Jemma, damit sie sah, wie wunderbar das Mädchen sich entwickelte, und um ihr das Gefühl zu nehmen, sie sei für den Tod seiner Frau verantwortlich. Um zu bekräftigen, dass sie alles Menschenmögliche getan hatte.
Es war trotzdem ihre Schuld. Sie hätte mehr tun müssen. Sie hatte das Leben der jungen Mutter nicht gerettet.
Das heisere Tuckern eines Dieselfahrzeugs störte die Stille und durchbrach Fliss' quälende Erinnerungen. Auf dieses Geräusch hatte sie gewartet. Sie stemmte sich von der Stufe hoch und wischte sich den Hosenboden ab. Großstadtgewohnheiten waren nun einmal schwer abzulegen. Sie hätte die Veranda fegen können, aber der Staub saß tief in den Holzrillen und ließ sich nie endgültig verbannen.
Ein Sonnenstrahl brach durch die Wolken, und Fliss schirmte die Augen mit einer Hand ab, während sie die Zufahrt zu ihrem Hof hinunterspähte. Der Regen der vergangenen Nacht hatte die pulverige rote Erde in zähen dunklen Schlamm verwandelt. Heute Morgen hatte sie törichterweise gedacht, sie könnte zu der Milchkanne am vorderen Tor laufen, um die Post zu holen. Schon nach vier Schritten war sie ausgerutscht und wäre fast aufs Gesicht gefallen.
Das Motorbrummen wurde lauter, als der ehemals weiße Land Cruiser in die Straßensenke steuerte, durch die das Regenwasser strömte. Die Scheibenwischer arbeiteten beständig gegen den Dreck an, der bei der Fahrt auf die Frontscheibe spritzte. Fliss bewunderte, wie geschickt und mühelos ihre jüngere Schwester bei Nässe fuhr. Hätte sie selbst am Steuer gesessen, wäre sie mit Sicherheit in den Straßengraben oder gegen einen Baum gerutscht. Sie wollte nicht enden wie die Unfallopfer, die sie bisher behandelt hatte.
Cressy behielt ihr Tempo bei und steuerte zielstrebig auf den Hof zu. Nur an der Biegung beim Gartentor, wo der Boden aufgeweicht und schlammig war, entschleunigte sie den Wagen, bis die Reifen wieder Halt fanden. Fliss trat von der Veranda herunter und lief auf dem festen Schotterweg. Der Anblick ihres vernachlässigten Rasens erinnerte sie daran, dass sie unbedingt den Machtkampf mit dem launischen Rasenmäher gewinnen musste. Wenn der bei Denham anspringen konnte, dann gefälligst auch bei ihr.
Ihre Schwester hatte den Land Cruiser mittlerweile geparkt und stieg aus. Als Fliss sie sah, breitete sich ein warmes Gefühl in ihrer Brust aus. Anders als Cressy hatte sie keine Farmergene geerbt, aber so verschieden sie waren, hatten sie schon immer eine enge Bindung zueinander gehabt. Cressy war mehr als eine Schwester, sie war Fliss' beste Freundin, und sie liebte und unterstützte sie bedingungslos.
Der Wind frischte auf und zerrte an Cressys schwarzem Woodlea-Rodeo-Hut, und sie drückte ihn sich fester auf den Kopf. Heute trug sie ihre üblichen Stiefel, ein violettes Arbeitshemd und ausgebleichte Jeans. Ausnahmsweise hatte sie Tippy, ihren betagten Kelpierüden, und die junge Juno nicht bei sich.
»Na du?« Fliss trat durch das Gartentörchen und umarmte ihre Schwester. Cressy roch immer nach Orangenblüten. »Heute ohne Hunde?«
»Ja. Juno hat sich im Schlamm gewälzt. Sie kommt definitiv nicht nach ihrer Schaupudel-Mutter. Tut mir leid, bin spät dran.«
»Macht nichts. Ich war mir nicht sicher, ob du es überhaupt schaffst. Nach dem Regen von heute Nacht stehen die Straßen bestimmt unter Wasser.«
»So ist es.« Cressys hellbraune Augen, die ihren so ähnlich waren, leuchteten auf. »Und es sollte unser kleines Geheimnis bleiben, dass Denhams Land Cruiser auf dem Weg hierher mit dem Heck ein bisschen gerutscht ist.«
»Meine Lippen sind versiegelt. Ich weiß, wie sehr er an dem Wagen hängt.« Als Cressy die Beifahrertür öffnete, entdeckte Fliss mehrere Taschen mit Lebensmitteln auf dem Beifahrersitz. »Aber an dir hängt er mehr.«
Cressy lächelte ihr über die Schulter zufrieden zu, und Fliss versuchte, das brennende Gefühl von Einsamkeit, das in ihr aufstieg, zu ignorieren. Lange Zeit hatte sie sich nur für ihre Karriere als Ärztin interessiert, aber das war nicht der einzige Grund, warum keine ihrer Beziehungen gehalten hatte. Kein Mann hatte sie je so angesehen wie Denham seine Cressy. Und wenn sie ehrlich war, verdiente sie eine so tiefe Liebe auch nicht. Sie hatte immer eine gewisse Zurückhaltung gewahrt. Ihr war noch kein Mann begegnet, den sie atemberaubend fand und für den sie alles aufgeben wollte, um mit ihm zusammen zu sein.
Cressy überreichte ihr ein großes Vorratsglas mit Marmeladenplätzchen. »Liebe Grüße von Meredith.«
»Danke.« Die Plätzchen von Denhams Tante aß sie am liebsten, und sie konnte sich nie mit nur einem begnügen. »Ich brauche dringend eine Zuckerdröhnung.«
Cressy schaute zu der dichten Wolkendecke auf, die jetzt keinen Sonnenstrahl mehr durchließ. »Besser, wir bringen alles schnell ins Haus.«
Nachdem sie die dritte Fuhre in der Küche abgeladen hatten, blickte Fliss auf den großen Sack Nudeln, den sie gerade auf der Sitzbank abgestellt hatte. »Möglich, dass ich wieder vom Wasser eingeschlossen werde, aber das sind genug Vorräte, um ganz Woodlea zu ernähren.«
Ihre Schwester stellte ein paar Tüten auf den Tisch und sah sie ernst an. »Wir haben doch neulich erst darüber gesprochen, wie sehr ich mir Sorgen um dich mache, weil du ganz allein hier draußen bist.«
»Ja. Und wie ich da bereits sagte, ist das kein Problem für mich, wirklich. Ich kann auf mich aufpassen. Ich bin nicht die Risikofreudige von uns beiden, wenn du dich erinnerst.«
»Stimmt.« Schmunzelnd griff Cressy in eine der Einkaufstüten. »Normalerweise machst du dir um mich Sorgen.«
Sie holte eine Dose Kaffee heraus, und Fliss runzelte die Stirn. Sie trank keinen Kaffee.
»Wann genau kommt Denhams alter Rodeofreund? Nächste Woche, oder?«
Cressy stellte die Dose auf den Tisch, bevor sie antwortete. »Es gab eine kleine Planänderung. Er . kommt heute schon.« Sie legte ihre Hand auf Fliss'. »Ich habe dir nicht Bescheid gesagt, weil du dann einen Vorwand gefunden hättest, um nicht hier sein zu müssen.«
Fliss seufzte. Cressy kannte sie zu gut. Die...
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