Der junge Johnny Morgan ist wie vor den Kopf geschlagen, als seine Mutter ihm nach langen Jahren die Wahrheit gesteht: Sein Vater, den er für tot gehalten hatte, sitzt im berüchtigten Zuchthaus von Yuma. Unschuldig! Das behauptet wenigstens die Mutter. Und Johnny zweifelt keine Sekunde, dass es wirklich so ist. Da keimt ein unglaublicher Gedanke in dem blutjungen Johnny auf: Er will den verzweifelten Vater aus dem streng bewachten Höllenloch von Yuma befreien .
»Nun beeil dich, Johnny. Die ersten Gäste lassen nicht mehr lange auf sich warten. Wo bist du nur mit deinen Gedanken? Wenn Mr. Henderson erscheint und du mit deiner Arbeit nicht fertig bist, gibts wieder Ärger.«
Der dicke Barman im >Silberdollar-Saloon< von Tombstone nickte Johnny Morgan aufmunternd zu und wischte dabei über seine Glatze, auf der sich der Schein einer Kerosinlampe spiegelte.
Johnny lächelte ernst.
Der hochgewachsene, hagere Junge mochte höchstens 17 oder 18 Jahre alt sein. Blonde Locken fielen ihm in die Stirn. Das schmale Gesicht wurde von zwei blauen Augen beherrscht, die stets ein wenig misstrauisch blickten. Ein verkniffener, etwas trotziger Zug lag um seinen Mundwinkeln.
Johnny trug abgewetzte Jeans, die mit vielen Flicken ausgebessert waren, und ein verwaschenes Hemd, das ihm zu klein war und in den Schultern spannte. Die abgetragenen Schuhe hatten auch schon bessere Zeiten gesehen und wirkten alt und brüchig.
Der Junge schwang verbissen den Besen, um auch den letzten Schmutz durch die offenstehenden Pendeltüren ins Freie zu kehren. Schritte dröhnten auf der knarrenden Treppe, die vom oberen Stockwerk hinunter in den Schankraum führte.
»Johnny, komm her, zum Geier!«
Johnny Morgan zuckte zusammen. Sein hagerer Körper versteifte sich einen Herzschlag lang in stummer Abwehr.
Resignation überschattete sein gebräuntes Gesicht, in dem sonst lustige Sommersprossen tanzten.
Er zögerte, ging dann aber auf den älteren Mann zu, von dem etwas Raubtierhaftes ausging. Schuld daran waren wohl die blonden, langen Haare, die den wuchtigen Schädel von James Henderson wie eine Löwenmähne umgaben. Der Besitzer des >Silberdollar-Saloon< blieb breitbeinig stehen, wippte auf den Stiefelsohlen und hatte die Hände herausfordernd in die breiten Hüften gestemmt, um den Jungen einzuschüchtern.
»Was treibst du den ganzen Tag über?«, schrie Henderson. »Die Spucknäpfe sind nicht gesäubert und die Theke nicht poliert, überall liegt noch Schmutz, außerdem hast du kaum Gläser gespült! Glaubst du, dass ich noch länger deine Faulheit unterstütze und mein schwerverdientes Geld einem Faulenzer nachwerfe? Nein, so geht das nicht. Da spiele ich nicht mehr mit. Ich hatte dich schon vor einigen Tagen verwarnt.«
James Henderson holte tief Atem, ehe er weiterbrüllte.
»Raus mit dir! Ich will dich in meinem Saloon nicht mehr sehen! Ist das klar, du verdammter Bengel? So nutzt du meine Güte aus. Es gibt eine ganze Menge Jungens, die sich um deinen Job reißen. Wir sind miteinander fertig. Ein für alle Mal. Und deine Mutter kann mir gestohlen bleiben. Sie braucht erst gar nicht wieder um Schönwetter zu bitten. Das habe ich nun davon, dass ich dem Sohn eines Bastards eine Chance gegeben habe!«
Johnny Morgan, der bis dahin die Strafpredigt ohne jede Regung über sich hatte ergehen lassen, zuckte jetzt wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Sein Kopf ruckte hoch, während sein Gesicht die Farbe eines frischgebrannten Backsteins annahm, so stark rötete es sich. Seine Brust hob und senkte sich schwer. Die Hände ballten sich zu Fäusten.
Im ersten Moment sah es aus, als wolle er sich auf den löwenhaften Salooner stürzen, der breit zu feixen begann.
»Jähzornig bist du auch noch. Das hätte ich mir denken können. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Auch dein Vater .«
»Mr. Henderson«, rief der dicke Barkeeper mit schriller Stimme. »Sie sollten den Jungen jetzt in Ruhe lassen. Sie dürfen .«
James Henderson warf dem Dicken einen schrägen Blick zu. Der Glatzköpfige verstummte jäh. Große Schweißperlen rannen ihm über die Stirn.
»Warum haben Sie meinen Vater einen . einen .« Das Schimpfwort schien nicht über Johnnys Lippen dringen zu wollen, die sich hart aufeinanderpressten. Dann gab er sich einen Ruck und stieß heraus: »Warum haben Sie ihn einen Bastard genannt? Mein Dad war ein aufrechter Mann.«
James Henderson grinste gemein, dann lachte er schallend. Er hieb sich sogar auf den Oberschenkel, dass es krachte.
»Geh heim zu deiner Mutter, Kleiner. Lass dich mal aufklären. Ich finde, dass du inzwischen alt genug geworden bist, um die Wahrheit zu erfahren.«
»Aber Mr. Henderson«, rief der Barmann. »Sie können .«
»Ich kann«, unterbrach Henderson den dicken Mann. »Es ist eine Schande, dass in unserer Stadt .« Der Salooner schwieg plötzlich und winkte lässig ab. »Ach was, das alles geht mich nichts an. Raus mit dir, Johnny. Zieh Leine - und lass dich hier nicht mehr sehen!«
»Der Junge musste mehrere Stunden für Ihre Frau arbeiten, Mr. Henderson. Er hat Holz gehackt, den ganzen Nachmittag. Nur darum konnte er hier in der Schenke mit seiner Arbeit nicht fertig werden.«
James Henderson fixierte den dicken Barman mit hartem Blick.
»Mach nur so weiter, Billy«, sagte er gefährlich leise, »dann kannst du dir auch bald einen neuen Job suchen.«
Der Dicke schwieg eingeschüchtert, schnappte einen Lappen und begann Gläser abzutrocknen. Dabei musterte er mitleidig den Jungen, der das aber nicht zu bemerken schien.
Johnny Morgan lehnte den Besen gegen den Tresen, wandte sich wortlos um und verließ den >Silberdollar-Saloon<, ohne James Henderson noch eines Blickes zu würdigen.
*
Johnny blieb vor der kleinen Blockhütte am Rand von Tombstone stehen. Nur langsam beruhigte sich sein keuchender Atem. Die ganze Strecke vom Saloon bis hierher war er gerannt, als wäre der Leibhaftige hinter ihm hergewesen.
Der Junge starrte auf die Hütte, in der er mit seiner Mutter hauste. Sie bot einen jämmerlichen Anblick. Noch nie hatte Johnny das so stark empfunden wie jetzt, als er die Hütte betrat. Er schloss für einen Moment die Augen.
»Du bist schon zurück?«, fragte Mary Morgan erstaunt, als der Junge zu ihr trat. »Was ist geschehen?« Sie seufzte tief. »Hattest du schon wieder Ärger mit Mr. Henderson? Erzähl mir schon, mein Junge, was geschehen ist. Wir beide haben doch keine Geheimnisse voreinander. Und darauf bin ich sehr stolz. Sprich schon, Johnny.«
Johnny setzte sich rittlings auf einen Stuhl und sah seine Mutter ernst an. Sie trug ein einfaches Kleid und darüber eine Schürze. Vor ihr auf dem Tisch lag ein Wäscheberg, mit dem sie bestimmt bis tief in die Nacht hinein beschäftig sein würde.
Mary Morgan wusch für einige Bürger von Tombstone. Manchmal flickte sie die Wäschestücke auch noch. Vormittags putzte sie in einigen Geschäften und half auch hin und wieder im General Store aus. Das Leben in der wilden Goldgräberstadt war teuer.
Und es fiel Mary Morgen immer schwerer, den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu verdienen. Johnny half seit einigen Wochen mit, fegte und putzte im Saloon, doch er konnte Henderson nichts recht machen, so sehr er sich auch bemühte.
Der Junge legte das Kinn auf die Stuhllehne. Noch immer sah er seine Mutter forschend an.
»Was ist los, Sohn? Sprich doch!«
Mary Morgan stand auf, strich die Schürze glatt und trat zu ihrem Jungen. Sie streichelte ihm zärtlich über den blonden Lockenschopf.
Johnny hob plötzlich den Kopf. Seine Mutter erschrak unwillkürlich, als sie den tiefen Ernst im Gesicht ihres Sohnes erkannte. Sie ahnte, dass etwas geschehen war, das Johnny tief erschüttert hatte.
»Setz dich, Mutter. Ich muss mit dir sprechen. Es ist sehr wichtig.«
»Gut, mein Junge. Willst du vorher etwas essen? Ich habe dein Abendessen warm gestellt und .«
»Nein!«
Mary zuckte zusammen und sah ihren Sohn fassungslos an. Er hatte dieses Wort hart, fast hasserfüllt ausgestoßen.
»Entschuldige, Mam«, fuhr Johnny ruhiger fort. »Ich kann jetzt nichts essen. Zuerst muss ich dir einige Fragen stellen. Ich bitte dich, mir die Wahrheit zu sagen.«
Mary Morgan sah ihren Sohn hilflos an. Sie nahm Platz und faltete die Hände in ihrem Schoß.
»Sprich, Johnny. Ich will dir zuhören und auch deine Fragen beantworten, wenn es mir möglich ist.«
»Mr. Henderson schimpfte mich den Sohn eines Bastard«, brach es aus Johnny hervor. »Er meinte, du solltest mich endlich darüber aufklären, was mit Vater geschehen ist. Mutter, was ist mit Dad? Du hast mir erzählt, dass er vor zehn Jahren gestorben ist, und zwar als ein aufrechter Mann, der sein Leben für andere Menschen aufs Spiel setzte!«
Mary war bei diesen anklagenden Worten zusammengezuckt. Sie senkte den Kopf, konnte dem forschenden Blick ihres Sohnes nicht länger standhalten. Ein tiefer Seufzer brach von ihren Lippen.
»Bitte antworte, Mam. Wir hatten niemals Geheimnisse voreinander. Das hast du noch vor wenigen Minuten selbst gesagt. Was ist mit Vater? War er wirklich ein . ein .«
Johnny schwieg, als seine Mutter den Kopf schüttelte. Eine fahle Blässe bedeckte ihre Wangen. Sie wischte über die Augen, als könne sie so die bittere Erinnerung verscheuchen.
»Es ist wirklich an der Zeit, dir alles zu sagen, Johnny. Glaube mir, es war nicht einfach, lange Jahre zu schweigen und dich im Unklaren zu lassen. Irgendwann musstest du es erfahren. Ich hätte schon lange mit dir sprechen müssen. Dafür gibt es keine Entschuldigung.«
»Du machst mir...