Schweitzer Fachinformationen
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Es gab eine Epoche, in der man, wenn verschiedene Lebewesen aufeinander trafen, nicht genau wusste, ob es sich um Tiere oder Götter, Dämonen oder Ahnen handelte. Oder einfach um Menschen. Eines Tages, der viele tausend Jahre dauerte, machte Homo etwas, das noch keiner versucht hatte: Er begann die Tiere nachzuahmen, die ihn jagten, die Raubtiere. Er wurde zum Jäger. Es war ein langer und schwieriger Prozess, der Spuren und Narben in Riten und Mythen und im Verhalten hinterließ.
Zahlreiche Kulturen, räumlich und zeitlich weit voneinander entfernt, brachten einige dieser dramatischen und erotischen Geschehnisse in Verbindung mit der Himmelsregion zwischen Sirius und Orion: dem Ort des Himmlischen Jägers. Dessen Geschichten, in dieses Buch hineingeflochten, greifen in viele Richtungen aus, reichen vom Paläolithikum über Ägypten und das alte Griechenland bis zur Turingmaschine. Sie erkunden die verborgenen Verbindungen innerhalb dieses einen, nicht einzugrenzenden Territoriums, das der Geist ist.
Zur Zeit des Großen Raben war auch das Unsichtbare sichtbar. Und verwandelte sich unablässig. Die Tiere waren damals nicht unbedingt Tiere. Es konnte geschehen, dass sie Tiere waren, aber auch Menschen, Götter, Herren einer Spezies, Dämonen, Vorfahren. Und so waren auch die Menschen nicht unbedingt Menschen, sondern konnten auch die vorübergehende Form von etwas anderem sein. Es gab keine Mittel, um zu erkennen, wer erschien. Man musste ihn schon kennen, wie man einen Freund oder einen Gegner kennt. Alles geschah, von den Spinnen bis zu den Toten, innerhalb eines einzigen Flusses von Formen. Es war das Reich der Metamorphose.
Die Veränderung kannte keinen Stillstand - wie es später nur in der Höhle des Geistes der Fall war. Dinge, Tiere, Menschen: niemals klare, stets provisorische Unterscheidungen. Als sich ein großer Teil des Existierenden ins Unsichtbare zurückzog, hörte er deshalb doch nicht auf zu geschehen. Aber man konnte leichter denken, er geschehe nicht.
Wie konnte das Unsichtbare wieder sichtbar werden? Indem es die Trommel belebte. Dieses gespannte Fell eines toten Tieres war das Reittier, war die Reise, der goldene Wirbel. Es führte dorthin, wo die Gräser brüllen, wo die Binsen stöhnen, wo nicht einmal eine Nadel in die Dichte des Graus eindringen könnte.
Als die Jagd aufkam, war da nicht ein Mensch, der ein Tier verfolgte. Da war ein Lebewesen, das ein anderes Lebewesen verfolgte. Niemand hätte mit Sicherheit sagen können, wer der eine und wer der andere war. Das verfolgte Tier konnte ein verwandelter Mensch oder ein Gott oder einfach ein Tier oder ein Geist oder ein Toter sein. Und eines Tages fügten die Menschen ihren vielen Erfindungen eine weitere hinzu: Sie begannen sich mit Tieren zu umgeben, die sich den Menschen anpassten, während es unendlich lange die Menschen gewesen waren, die die Tiere nachahmten. Sie wurden sesshaft - und schon etwas weniger lebhaft.
Warum zögert man so lange, ehe man die Jagd auf den Bären beginnt? Weil der Bär auch ein Mensch sein könnte. Vorsicht war geboten beim Sprechen, denn der Bär konnte alles hören, was man über ihn sagte, so weit man auch entfernt war. Auch wenn er sich in seine Höhle zurückzog, auch wenn er schlief, verfolgte er weiter die Ereignisse der Welt. »Die Erde ist das Ohr des Bären«, hieß es. Wenn man zusammenkam, um sich zur Jagd zu verabreden, wurde der Bär nie genannt. Ja, er wurde überhaupt, wenn von ihm die Rede war, nie beim Namen genannt: Er war »der Alte«, »der Schwarze Alte«, »der Großvater«, »der Cousin«, »der Ehrwürdige«, »das Schwarze Tier«, »der Onkel«. Wer sich auf die Jagd vorbereitete, tat den Mund nicht auf. Vorsichtig, konzentriert, wussten sie, dass der geringste Laut genügen würde, das Unternehmen scheitern zu lassen. Wenn der Bär unerwartet im Wald auftaucht, ist es ratsam, beiseitezutreten, den Kopf zu entblößen und zu sagen: »Geh deiner Wege, Ehrenwertester.« Oder aber man versucht ihn zu töten. Alles am Bären ist wertvoll. Sein Körper ist ein Heilmittel. Wenn es ihnen gelang, ihn zu erlegen, machten sie sich schnellstens aus dem Staub. Dann erschienen sie wie zufällig wieder an derselben Stelle, als wären sie auf einem Spaziergang. Und entdeckten zu ihrer großen Verwunderung, dass Unbekannte den Bären getötet hatten.
Das erste göttliche Wesen, dessen Namen man nicht aussprechen durfte, war der Bär. Darin war der Monotheismus keine Neuerung, sondern eine Wiederaufnahme, eine Verschärfung. Neu war das Bilderverbot.
Sie sprachen mit dem Bären, ehe sie auf ihn losgingen - oder gleich danach -, wohl wissend, dass der Bär jedes Wort verstand. »Wir sind es nicht gewesen«, sagten einige. Sie dankten dem Bären, weil er sich töten ließ. Oft entschuldigten sie sich. Einige gingen so weit zu sagen: »Ich bin arm, darum mache ich Jagd auf dich.« Einige sangen, während sie den Bären töteten, sodass der Bär im Sterben sagen konnte: »Mir gefällt dieses Lied.«
Sie hängten den Schädel des Bären zwischen die Äste eines Baumes, manchmal mit Tabak zwischen den Zähnen. Manchmal mit roten Streifen verziert. Sie hängten Bänder an ihn, packten die Knochen in ein Bündel und hängten sie an einen anderen Baum. Wenn ein Knochen verlorenging, gab der Geist des Bären dem Jäger die Schuld. Die Nase landete an irgendeinem geheimen Ort in den Wäldern.
Wenn sie ein Bärenjunges fingen, steckten sie es in einen Käfig. Oft gab die Frau des Jägers ihm von ihrer Muttermilch. So wuchs es heran, bis eines Tages, nach der Öffnung des Käfigs, »das liebe kleine göttliche Wesen« zu dem Fest eingeladen wurde, auf dem es geopfert werden sollte. Alle tanzten unter Händeklatschen um den Bären. Die Frau, die ihn mit ihrer Milch genährt hatte, weinte. Dann richtete ein Jäger ein paar Worte an den Bären: »O du Göttlicher, du bist in die Welt geschickt worden, damit wir dich jagen. O du teure kleine Gottheit, wir verehren dich; hör unser Gebet. Wir haben dich genährt und wir haben dich aufgezogen mit vieler Mühe, da wir dich lieben. Jetzt, wo du groß geworden bist, schicken wir dich zu deinem Vater und deiner Mutter. Wenn du zu ihnen kommst, sprich gut von uns und sage ihnen, wie freundlich wir gewesen sind; bitte, komm wieder zu uns, wir werden dich dann opfern.« Dann töteten sie ihn.
Das älteste Denken, dasjenige, das zum ersten Mal nicht das Bedürfnis verspürte, als Erzählung aufzutreten, zeigte sich in der Form der Aphorismen über die Jagd. Wie ein Flüstern, zwischen Zelten und Feuern, wie Kinderreime sind sie weitergegeben worden:
»Das Wild ist den Menschen ähnlich, nur ist es heiliger.«
»Die Jagd ist etwas Reines. Das Wild liebt die reinen Menschen.«
»Wie könnte ich auf die Jagd gehen, wenn ich vorher nicht zeichnete?«
»Die größte Gefahr im Leben ist, dass die Speise der Menschen ganz aus Seelen besteht.«
»Die Seele des Bären ist ein Bär in klein, der sich in seinem Kopf befindet.«
»Der Bär könnte sprechen, doch vermeidet er es lieber.«
»Wer mit dem Bären spricht und ihn beim Namen nennt, macht, dass er freundlich und ungefährlich wird.«
»Ein Stümper, der opfert, fängt mehr Wild als ein tüchtiger Jäger, der nicht opfert.«
»Die Tiere, die man jagt, sind wie Frauen, die kokettieren.«
»Die Weibchen der Tiere verführen die Jäger.«
»Jede Jagd ist Jagd auf Seelen.«
Am Anfang war nicht einmal klar, wozu die Jagd diente. Wie ein Schauspieler auf der Bühne, der sich in eine Figur hineinzuversetzen sucht, probierten sie, Raubtiere zu werden. Bestimmte Tiere aber konnten schneller laufen. Andere waren imposant und vorsichtig. Und Töten, was war das eigentlich? Kaum etwas anderes als sich töten. Wenn der Mensch zum Bären wurde, erschlug er, wenn er ihn tötete, sich selbst. Und noch dunkler war die Beziehung zwischen Töten und Essen. Wer isst, lässt etwas verschwinden. Das war sogar noch geheimnisvoller als das Töten. Wohin verschwindet das, was verschwindet? Im Unsichtbaren. Das am Ende von Anwesendem wimmelt. Es gibt nichts Belebteres als die Abwesenheit. Was war also zu tun im Hinblick auf all jene Wesen? Vielleicht sollte man ihnen den Übergang in die Abwesenheit erleichtern und sie auf einem Abschnitt ihrer Reise begleiten. Die Tötung war wie ein Gruß. Und wie jede Begrüßung verlangte sie bestimmte Gesten, bestimmte Worte. Sie begannen, Opfer zu zelebrieren.
Am Anfang ist die Jagd eine unumgängliche Handlung, am Ende ein willkürlicher Akt. Sie bildet eine Folge von rituellen Praktiken aus, die dem Akt (der Tötung) vorausgehen und auf ihn folgen. Der Akt kann zeitlich eingekreist werden, mehr nicht, so wie die Beute im Raum. Aber der Verlauf der Jagd selber ist unnennbar und unbeherrschbar, wie der Koitus. Man weiß nicht, was zwischen dem Jäger und der Beute geschieht, wenn sie aneinandergeraten. Gewiss ist allerdings, dass der Jäger vor der Jagd Demutsgesten vollzieht. Und nach der Jagd fühlt er das Bedürfnis, sich von einer Schuld zu befreien. Er nimmt das getötete Tier wie einen vornehmen Gast in seine Hütte auf. Vor dem soeben erschlagenen Bären murmelt er ein zuckersüßes, schwindelerregendes Gebet: »Erlaube mir auch in Zukunft, dass ich dich töte.«
Die Beute verlangt die Fokussierung: den Blick, der isoliert und das Gesichtsfeld auf einen Punkt zusammenzieht. Es ist eine Erkenntnis, die durch...
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