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Der Klang seiner Stimme war unverändert - der brüchige Bass, der rheinische Tonfall, ganz er und sofort vertraut, als hätten wir erst gestern telefoniert. Dabei herrschte zwischen uns schon ewig Funkstille. Die letzte Begegnung lag mehr als dreißig Jahre zurück, ein halbes Leben, in dem jeder für sich ein anderer geworden war. Das am Telefon vereinbarte Treffen mit ihm, dem früheren Freund und Partner, beschäftigte mich. Kein einfaches Wiedersehen, so wie die Dinge damals zwischen uns gelaufen waren.
Über lange Jahre hatte es keiner von uns bedauert, den anderen aus den Augen verloren zu haben und die einstige Freundschaft zur bloßen Erinnerung an eine ferne Vergangenheit verkommen zu lassen. Büdinger hatte aus einem Berliner Hotel angerufen, aus den bekannten Gründen, wie er sagte. Dass wir uns gegen jede Erwartung noch einmal begegnen würden, machte mich natürlich neugierig, trotz des Risikos, sich in unguten Erinnerungen zu verheddern. Dabei war ich meistens dankbar, wenn mich jemand aus dem durchritualisierten, mediensedierten Trott herausholte, zumal jemand wie er, der mehr mit mir teilte als andere - eine intensive gemeinsame Lebensepisode.
Mit der wieder aufgefrischten Geschichte im Kopf, etwas nervös, ging ich die kommende Begegnung Schritt für Schritt durch, als wär's ein Theaterstück, wo Proben halfen . eine krankhafte Angewohnheit, permanent gedanklich vorgreifen zu wollen, zu imaginieren, was nicht zu imaginieren ist . das Vertrauliche oder Befremdliche der ersten Momente, die hin- und hergehenden Blicke und Gesten, die auf der Zunge liegenden Dinge . etwa die Frage, ob er immer noch annahm, er sei der Kopf gewesen und ich bloß der Arm, immer noch glaubte, wir hätten am Ende um irgendeinen Gewinn gewürfelt . aber, okay, keine Ahnung. Unsere Konflikte waren längst Geschichte und sollten am besten nicht mehr angesprochen werden.
Das Wiedersehen ging auch nicht von uns aus. Zwei Redakteure einer Sonntagszeitung hatten sich an unsere Story heranrecherchiert und ein brauchbares Randereignis gefunden, das sich zu einer geilen Achtundsechziger-Geschichte aufblasen ließ. Ohne die Einladung dieses popkulturell gelegentlich bemühten, ansonsten strunzbürgerlichen Blattes wären wir uns in diesem Leben nicht mehr begegnet.
Bis heute könnte ich nicht sagen, was genau Andreas Büdinger und mich als achtzehn-, neunzehnjährige Spunde seinerzeit zusammengebracht hatte . War's ganz simpel dieses aristotelische Motiv für Freundschaft als des Sich-gegenseitig-Gebrauchens? War's die Sehnsucht nach einer großen, gemeinsam zu vollbringenden Tat? Der Rausch der berühmt-berüchtigten Studentenrebellion? Oder nutzten wir bloß eine zufällige Business-Chance? Unsere Fähigkeiten ergänzten sich, die Charaktere harmonierten damals - zwei große Kinder, die eine Weile mit Licht spielten, bis sie es leid wurden.
Zuletzt begegnet waren wir uns bei einer Verhandlung vor dem Arbeitsgericht in Hamburg-Altona. Einer aus der vielköpfigen Schar der Mitarbeiter, wie er sie stets nannte, hatte ihn, der mittlerweile längst Alleininhaber war, verklagt, und ich, sein früherer Partner, sollte als Zeuge zu den internen Zahlungsmodalitäten aussagen. Angesichts des damaligen Firmengebarens kam das hartnäckige Nachkarten des Klägers den meisten Beteiligten lächerlich vor - schließlich war es in dieser Firma von Anfang bis Ende eher informell zugegangen. Lohn, Gagen, Honorare wurden nach situativer Einschätzung von Leistung, Person und Kassenlage bar in die helfende Hand und nicht nach irgendwelchen Tarifen bezahlt, im Underground gab's keine Gewerkschaften. Auf Verträge oder schriftliche Regelungen wurde szeneüblich gepfiffen, was anfangs als rebellische Tugend galt . Wir machen alles anders, sagten wir, wir sind Freunde, Teilemann und Söhne. Dieser freundschaftliche modus vivendi band ein paar Jungs mit ein paar anderen Jungs auf zunehmend ungerechte Weise aneinander. Die einen produzierten, die anderen kassierten, das ging nach einer Weile nicht mehr gut. Drei Leute hatten ihre Erträge noch einfach teilen können, dreißig schon nicht mehr. In Wahrheit war's nichts anderes als ein nur leicht verschleiertes Ausbeutungsmodell. Auch die Gegenkultur brach nicht mit den Verhältnissen, sondern spiegelte sie bloß auf zerbrochenen Splittern. Der Kläger, ehemals Fahrer und beliebtes Mädchen für alles, legte ein paar zerknitterte Quittungen auf den Richtertisch, die Gegenseite konterte mit anderen, besser erhaltenen. Dem Richter schienen kleinunternehmerische Mauscheleien nicht völlig fremd zu sein. Meine Zeugenaussage stützte den Kläger und hätte ihm günstigstenfalls zu zweitausend Mark Nachschlag verholfen, doch Büdingers Anwalt legte Widerspruch ein - die peinliche Angelegenheit sollte auf dem Instanzenweg gemächlich versanden.
Nach Prozessende standen wir noch für ein paar klamme Momente beieinander, wobei ich beinahe entschuldigend zu Büdinger gesagt hatte: Tja, tut mir leid, mein Lieber, aber bei der Bezahlung ist es nun wirklich nicht immer fair gelaufen. Ausgerechnet du musst hier den Moralisten raushängen lassen, erwiderte er, das steht dir doch gar nicht . Geld essen Freundschaft auf, eine nicht eben neue Erkenntnis, auch für Büdinger und mich mochte sie gelten. An diesem Tag wurde nicht mehr viel geredet, die Beteiligten zerstreuten sich in alle Winde.
Verdammt lang' her, das alles - die Firma hätte demnächst ihr fünfzigjähriges Bestehen feiern können, ein goldenes Jubiläum mit Fotos und Präsentkörben für einen ehemals schrägen Haufen. Ende der Sechziger hatten Büdinger und ich sie als »The Leisure Society« in einer Düsseldorfer Gartenlaube offiziell gegründet, die Unterzeile des Briefkopfs verhieß vollmundig »Ideas and Experiments in Art and Technology« . eine jugendlich hochgestochene, doch nicht völlig leere Behauptung.
Über unseren Aufstieg und Fall hatte ich vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben und insgeheim auf eine Reaktion von Büdinger gewartet. Ein knappes Jahr nach Erscheinen kam tatsächlich ein Brief von ihm, E-Mails folgten bald . Seltsam, jetzt das erste Mal nach Jahrzehnten seine Stimme wieder zu hören, den alles entschärfenden rheinischen Tonfall, in dem er erzählte, wie er im Urlaub in Tunesien am Strandkiosk eine angegilbte Ausgabe der ZEIT gekauft und darin eine Rezension erst überflogen und dann mit zunehmender Verwunderung studiert hätte, weil ihm das alles immer bekannter vorgekommen sei. Solange wir beide da sind, wandte ich ein, ist nichts vergangen . und lässt sich aufarbeiten, frei nach Kierkegaard: vorwärts leben und rückwärts begreifen . die Knackpunkte suchen, die frühen, unkorrigierbaren Schlüsselszenen finden . es war einmal. Es waren einmal zwei Freunde, die lange harmonierten und doch zwischen Kameraderie und Rivalität schwankten, bis eines unschönen Abends der eine bei dem anderen für die große Ernüchterung sorgte - der Ernüchterte verließ das Büro, die Firma und die Stadt noch in derselben Nacht, der andere blieb. Der Laden und dessen phantastische Zukunft gehörte von da an ihm allein.
Und dann saßen wir nach all den Jahren wieder beisammen - in einem gläsernen Pavillon, dem Café der Kunsthöfe, und unterhielten uns mit ungealterter Sympathie, so als wäre die raue Geschichte, die uns verband und trennte, nie geschehen oder läge erst noch vor uns. Inmitten der aufgekratzten Touristen und Kunstfreunde fielen wir nicht weiter auf, niemand sah uns an, dass die Leitung uns hierher eingeladen hatte, um den morgigen Termin zu bequatschen. Was man uns ansehen konnte, war nur die erreichte Altersklasse . Mensch, auch du jetzt siebzig, sagte Büdinger - Ja, shit, hatte ich erwidert, siebzig, jetzt wird's ernst.
Wer hätte das gedacht . wir beide wieder mal zusammen . und noch nicht verweht.
Gesichter von früher wichtigen, nun gealterten Gefährten bleiben zeitlos im Gedächtnis, verändern sich nicht, die ohneeinander verbrachten Jahre spielen keine Rolle. Bei der unerwarteten Wiederbegegnung mit einem im Lauf des Lebens verlorengegangenen Freund bewahrt der Einstiges und Jetziges zusammensehende Blick auf ihn noch Restwärme aus den guten Phasen der Gemeinsamkeit . ein trügerischer, wie durch ein Photoshopping geschönter Blick .
Doch vom ersten Moment an schienen wir zugewandt wie eh und je, ohne Anlaufprobleme, ...
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