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Ein Schriftsteller jenseits der Siebzig, der sich trotz schwankender Verfassung gern mit Berliner Hobbykickern im Tiergarten trifft, erhält eine Einladung zu einem Buchbasar im brandenburgischen Ort Schönberg. Anfangs läuft dort alles ziemlich rund, die Leute und die Unterbringung in der Alten Kantorei sind comme il faut. Doch dann ist der Mann plötzlich weg - und wacht in immer neuen Höllenparadiesen auf. Was geschieht ihm und wo ist er . Schönberg oder Schöneberg? Wie weit kann man in einer Badewanne reisen? Über die Torlinie zum Jenseits und zurück? Die Videobeweise der Erinnerung rotieren. Läuft etwa schon die Nachspielzeit?
Bangemachen gilt nicht - wie befreit feiert Bernd Cailloux mit dieser realphantastischen Novelle über die An- und Abpfiffe des Lebens seinen achtzigsten Geburtstag.
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Das wär's dann, Ende des Spiels - einige hatten es zuvor hin und her über die Wiese gerufen. >Letztes Tor< lautet die Ansage, fällt es, ist sofort Schluss, der Tiergartenkick für heute vorbei. Aber halt, Proteste werden laut, hier und dort im Feld wird gegen das nahe Ende angemault, ja was denn nun, ruft einer, weiter oder nicht? Also warten wir die Entwicklung noch für Momente ab. Sollte das Spiel wirklich schon aus sein? Immer gibt es ein paar, die nicht genug kriegen können, die diese nun mal geltende Sudden-Death-Regel aus Daffke oder sonst einem Grund ablehnen. Als das letzte Tor dann fällt, erschallen auch gleich die Rufe, die vehement ein neues >letztes Tor< und damit das Weiterspielen auf unbestimmte Zeit fordern.
Doch heute gibt es keine Extrafrist, das Maulen verebbt, manchmal gewinnen halt die Regeln. So trotten wir mehr oder weniger zufrieden rüber zur großen Buche, einem uralten und lang vertrauten Prachtstück, zu den dort gelagerten Klamotten. Familienväter raffen ihre Sachen zusammen, verabschieden sich mit großem Hallo und brechen als Erste auf. Unter den Übrigen, die ermattet auf der Wiese liegen, laufen die Diskussionen über die Partie. Wie immer ist in den vergangenen zwei Stunden unendlich viel passiert.
Mich beschäftigt vor allem eine Szene, die auch rundum vielfach kommentiert wird, ein besonderes Ereignis, das in den kommenden Tagen und Wochen und vermutlich darüber hinaus als Kurzfilm in meinem Gedächtnis 8aufploppen dürfte. Es muss ganz gut ausgesehen haben. Von rechts hatte Brandon, unser Kanadier, halbhoch nach innen geflankt, ein mustergültig geschlenzter Ball, dem ich, für mich selbst überraschend ballettartig, entgegengesprungen war - in der Luft kurz mit der Hacke angetippt - touché - ins Tor. Man muss sich das in telegener Zeitlupe vorstellen, um die Schönheit des Bewegungsablaufs zu erkennen, ein perfekter Move, der mir zuvor so nie gelungen war. Okay, geht doch, geht noch. Sofort hatte auch Jonny, einer der großen, heute pausierenden Könner, vom Spielfeldrand ins Feld gefeixt: Das Ding steht schon auf YouTube! Ja, danke Brandon, der Mensch ist unberechenbar, vor allem, wenn er spielt. Mein Passgeber gilt allgemein als erratisch herumwuselnder Stolperkönig, auf dessen endlich mal brauchbare Vorlage man als Stürmer wochenlang wartet.
Heute muss mich keiner trösten - von wegen Oldie, Senior, Sense, ach komm, war doch gar nicht so schlecht. Allerdings wird in solchen Glücksmomenten auch die sonst gern überspielte Tatsache bewusst, dass die meisten hier jünger sind, einige sogar wesentlich. Dabei sind wir keine alten weißen Männer, eher eine bunte Truppe, alterslos und farbenblind. Unterm Baum ruhen mindestens drei Jungs jenseits der siebzig, mich eingerechnet. Mittlerweile bin ich hier wohl gar der Älteste, wie mir heute wieder klar wird. Denn mein Vorgänger in dieser Rolle taucht schon seit Monaten nicht mehr auf. Unser Dietrich war zuletzt 85 oder 86, ein ehemaliger Opernsänger mit entsprechend mächtigem Brustkasten, wer mit ihm zusammenprallte, lag im Gras. Inmitten eines tobenden Spiels blieb er gelegentlich stehen und hau9te zu aller Freude eine Arie raus . ach wie so trügerisch . populäre Hits, belustigend vor allem für die in Südamerika geborenen Mitspieler . mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh, ist Schweinespeck. Mit kräftigem Bariton füllte er den ganzen Wiesengrund, was seine ansonsten limitierte Einsatzbereitschaft mehr als wettmachte. Während seiner Gesangseinlagen lief das Match an anderer Stelle weiter. Dieser Extremsportler fehlt jetzt.
Ciao Fabricius, va bene - auch lange nicht dabei gewesen, denke ich, und vorhin mit großem Bohei begrüßt. Hier darf jeder kommen, wie er will und kann. Die italienischen wie andere, verklungene Sprachfetzen hängen noch im Ohr, Spanisch, Portugiesisch, englische Scherze und Flüche - öfter die von Mossie, halb Ire, halb Engländer. Er kann mit britischer Härte austeilen, schreit aber umgekehrt bei jedem Hauch einer Berührung theatralisch auf: Foul, fucking foul! Die Jungs von der lateinamerikanischen Fraktion, schon lang im Land, bringen ihre Sprüche auf gut Deutsch rüber, die spanisch-portugiesischen Halbsätze wiederum werden von den deutschen Spielern übers Feld gerufen . Der große Trickser Antonio, gebürtiger Ecuadorianer und Onetti-Fan wie ich, erwähnte kürzlich seinen zweiten Vornamen, Enrique, weshalb er sich ab jetzt Heinrich nennen werde. Französisch ist seltener zu hören, nur zwei kommen aus frankophonen Gegenden, einer heißt Hanoman, ursprünglich von der Elfenbeinküste. Ihm musste ich blöderweise auch heute wieder meine Theorie aufdrängen, er sei doch sicher nach dem deutschen Lastwagen Hanomag zu seinem Namen gekommen, ei10nem beliebten Geschenk der früheren bundesrepublikanischen Entwicklungshilfe für Afrika. Barer Unfug. Und von ihm wie stets postwendend abgeschmettert, in Wahrheit sei Hanoman eine hinduistische Gottesgestalt, das kleine >n< hinten kein >g<. Hanoman, längst Deutscher, ist seit zwanzig Jahren verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Und ich habe an den Schienbeinen ein paar schöne Narben von dir, oh Hanoman, mit deinen elfenbeinharten Knochen!
Es ist nicht immer leicht mit unserer Weltauswahl auf der Tiergartenwiese. Seit >Wir schaffen das< kommen mehr und mehr syrische Spieler. Omar ist bereits Jahre dabei, ebenso Jaques, ein Aramäer und begnadeter Tänzer vor dem Herrn, den ich anfangs Jesus rief, bis er mir das strikt verbot. Seit kurzem kommt auch Alah, ein brutal guter Spieler, der meinem Ziehsohn Marco ähnelt, Statur, Frisur, der angesagte Henriquatre-Bart. Keiner weiß, warum, aber wir umarmen uns vor jedem Spiel, eine rätselhafte Innigkeit. Wer wollte all das missen?
Auch die Banker sind zurück, die Welt ist wieder in Ordnung. Keine Überraschung, dass sie heute erschienen sind - nach ihrem Winterschlaf tauchen vier, fünf von ihnen an den ersten warmen Tagen auf. Unser Zusammenspiel hat sich irgendwann ergeben. Ein Zweimetermann - seinen und den Namen der Bank muss ich erst wiederfinden - kommt stets direkt vom Job zu spät, legt Businessanzug, Schlips und Kragen fein gefaltet auf die Wiese und steigt ein . Auch für ihn ist der Sport der Bruder der Arbeit. Sie sind mir willkommen, intelligente Spieler, zwei haben Prokura und Häuser in den Vororten. Auch Roland war heute dabei, ihn hab 11ich im Winter mal in der Tagesschau gesehen, mit Mappe in Peking ein paar Schritte hinter dem fülligen Wirtschaftsminister - unmöglich, ihm gesprächsweise etwas über den Amtsträger oder die ökonomische Situation zu entlocken; er sagt nur das, was sowieso jeder weiß. Wenn die Mannschaften aufgeteilt werden, ziehe ich meist die Seite der Banker vor, sie geben mir im Spiel Kredit. Anders wäre die ganze Truppe wohl auch nur schwer zu organisieren, mit der verpflichtenden Ordnung eines deutschen Vereinslebens hat es hier niemand. Was uns jeden Mittwochabend eint, ist die Freude darüber, eine Leidenschaft aus der Kindheit gerettet und hierhergebracht zu haben - auf die sieben-, achthundert Quadratmeter einer rumpligen Tiergartenwiese. Nach dem Spiel gehen die Banker ins Restaurant am See, eine andere Gruppe drängt zu einer Dönerbude in der Nähe. Beide Fraktionen wirken leicht enttäuscht, als ich mich auch heute wieder nirgends anschließe.
Alle sind dann nach und nach verschwunden. Tatsächlich sitze ich jetzt ganz allein unter dem Baum, der hängende Linksaußen hängt nach Ende der Partie noch etwas ab. Zu viel Zeit gebraucht fürs Runterkommen, für das Lösen der verknoteten Schnürsenkel, die Versuche, das schweißnasse Hemd von der Pelle zu kriegen, ein professionell beflocktes Trikot, auf dem Rücken »Union Südost Tiergarten«, leider aus irgendeiner anbappenden Kunstfaser. Auch beim Umziehen längst zu langsam, wie bei den Positionswechseln im Spiel - ja, das Alter, wie soll man dagegen angehen . Vielleicht mit der Methode Arthur Rubinstein? Hoch in seinen Acht12zigern gab der Pianist den Tipp, zur Camouflage der geriatrischen Erlahmung müsse man die langsamen Passagen halt besonders laangsam spielen, damit die schnellen, wenn auch langsamer als früher, weiter schnell erscheinen. Rhythmische Kapriolen sind auch bei unserem Spiel durchaus erkennbar, sonst aber ein schwer hinkender Vergleich . außer bei Toni Kroos vielleicht, dem Meister der Temposimulation . Aber Flinkheit hin oder her, der Truppenälteste hat nach meiner...
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