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Kapitel 2
Fort Laramie war nicht so trostlos, wie Abigail erwartet hatte. Eigentlich war es sogar überraschend zivilisiert. Da es nicht von Palisaden umgeben war und es keine Tore gab, ähnelte es eher einem Dorf als einer Militäreinrichtung. Wären die Männer in Uniform nicht gewesen, die um den zentralen Platz marschierten, dann hätte Abigail vielleicht geglaubt, es handele sich um eine ganz gewöhnliche Stadt. Aber nichts in Wyoming war gewöhnlich.
Als die Banditen das Weite gesucht hatten, war der Leutnant auf den Kutschbock geklettert, um neben dem Kutscher Platz zu nehmen. Abigail war mit der auffallend stillen Mrs Dunn und den offensichtlich erschütterten Fitzgeralds im Inneren der Kutsche zurückgeblieben. Das Ehepaar klammerte sich aneinander, während Mrs Dunn am anderen Ende der Rückbank kauerte, die Kordeln ihres Pompadours verknotete und etwas murmelte, das wie „alles falsch“ klang. Obwohl Abigail vermutete, dass die Witwe damit den gescheiterten Überfall meinte, hätte man die Worte auch auf Abigails eigene Reise beziehen können. Was daheim in Vermont noch nach einer guten Idee ausgesehen hatte, schien jetzt vollkommen falsch zu sein. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Vielleicht brauchte Charlotte sie gar nicht. Vielleicht hatte Gott gar nicht gewollt, dass sie nach Wyoming reiste.
Abigail wischte ihre Zweifel zur Seite und sah sich um, während sie versuchte, mit Leutnant Bowles Schritt zu halten. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass ein anderer Offizier die Postkutsche bis nach Deadwood begleitete, hatte er darauf bestanden, Abigail zum Haus ihrer Schwester zu begleiten. Zudem hatte er ihr versprochen, dass ihr Koffer später dorthin nachgeliefert werden würde.
„Hier sind Sie in Sicherheit“, beruhigte er sie.
Obwohl Abigail davon überzeugt war, dass sie sich erst wieder sicher fühlen würde, wenn sie nach Vermont zurückgekehrt wäre, war sie erleichtert, dass Charlottes Haus nicht in der kahlen, baumlosen Prärie stand, die sie gerade durchquert hatte. Obwohl niemand in Fort Laramie den Ausdruck „Wald“ benutzen würde, gab es ein paar Bäume. Eine Ansammlung von Pappeln wuchs neben dem Fluss, andere Bäume säumten drei Seiten des zentralen Platzes, von dem ihr der Leutnant berichtet hatte, dass es sich um den Paradeplatz handelte; wiederum andere schmückten die Vorgärten von Häusern, deren Veranden und Giebel sie unerwartet attraktiv machten. Ganz zu schweigen von den gepflegten Palisaden. Und obwohl der Paradeplatz eindeutig für militärische Übungen gedacht war, hatte man in den Ecken etwas eingebaut, bei dem es sich, wie der Leutnant erklärt hatte, um Vogelbäder handelte. Die flachen, mit Zement ausgekleideten Bassins von gut einem Meter Durchmesser waren mit Ziegelsteinen eingefasst und dienten – der Zahl der Vögel nach zu urteilen, die daraus tranken – einem wichtigen Zweck.
Wer hätte gedacht, dass ein Fort der Armee so einladend wirken konnte? Weiß getünchte Gebäude, Bürgersteige, Straßenbeleuchtung, ja sogar gepflegter Rasen. Das war mehr, als Abigail für möglich gehalten hätte.
Sie schnappte nach Luft. Leutnant Bowles – nein, Ethan, korrigierte sie sich. Er hatte darauf bestanden, dass sie ihn Ethan nannte, und sie hatte ihm ebenfalls erlaubt, ihren Vornamen zu benutzen. Ethan legte ein ordentliches Tempo vor. Vielleicht hatte er vergessen, dass sie sich erst noch an das andere Klima gewöhnen musste. In der gleißenden Sonne, bei dem trockenen Wind und in der ungewohnten Höhe war es Abigail unmöglich, sich in ihrer normalen Geschwindigkeit fortzubewegen, ohne zu keuchen oder, noch schlimmer, sich einer Ohnmacht nahe zu fühlen. Im Gegensatz zu Mrs Dunn und Mrs Fitzgerald wurde Abigail niemals ohnmächtig.
„Jeffrey hat nicht erwähnt, dass er und Charlotte Besuch erwarten“, sagte Ethan, als sie um die Ecke bogen. Seine Augenbrauen waren überrascht in die Höhe geschnellt, als sie ihm den Ehenamen ihrer Schwester genannt hatte. Neidisch bemerkte Abigail, dass seine Stimme nicht die geringste Spur der Atemnot enthielt, die sie plagte.
Er stampfte mit dem Fuß auf den hölzernen Gehweg und verjagte dadurch das kleine Rudel Hunde, das ihnen mittlerweile folgte. Das war ein weiterer Unterschied zu Vermont. Während Abigail zu Hause gelegentlich den einen oder anderen Hund hatte frei herumlaufen sehen, war sie noch nie einem ganzen Rudel offensichtlich wilder Hunde begegnet. Aber der Leutnant wollte nicht über die Zahl der Hunde, die im Fort lebten, sprechen. Er hatte nach Jeffrey und Charlotte gefragt.
„Sie wussten nicht, dass ich komme“, gestand Abigail. „Charlotte hätte vielleicht versucht, mich davon abzuhalten, wenn ich es ihr erzählt hätte.“
Und Abigail hatte auf den Rat, zu Hause zu bleiben, lieber verzichten wollen. Sie liebte Charlotte sehr, doch ihre übergroße Vorsicht konnte manchmal etwas einengend sein. Sobald Charlotte von den Möchtegern-Banditen hörte, würde sie Abigail zweifelsohne erklären, dass sie unvernünftig gehandelt hatte. Aber was sollte sie als Schwester sonst tun, wenn ihre Fragen unbeantwortet blieben und sich ihre Sorgen mit jedem Brief vergrößerten?
Zielsicher steuerte Ethan mit energischen Schritten auf Charlottes neues Zuhause zu. Es befand sich, so hatte er erklärt, am anderen Ende des Paradeplatzes, der südöstlichen Ecke. Die Offiziersunterkünfte und öffentlichen Gebäude wie das Lagerhaus säumten die südliche und westliche Seite des Paradeplatzes. An den anderen Seiten standen zahlreiche Kasernen.
„Also sind Sie einfach in den Zug gestiegen und haben den ganzen Weg aus Vermont zurückgelegt, wobei Sie beinahe ausgeraubt und möglicherweise sogar entführt worden wären? Sind Sie immer so impulsiv?“
Impulsiv? Vielleicht. Papa hatte behauptet, Abigail gehorche ihrem Herzen und vernachlässige ihren Kopf, aber das wollte sie diesem Mann gegenüber nicht zugeben. Vielleicht war diese Einschätzung früher einmal zutreffend gewesen. Aber eine Lehrerin musste selbstbeherrscht und mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb hatte sie sich jahrelang darin geübt, erst einmal nachzudenken, bevor sie handelte.
„Ich ziehe es vor, in mir die vernünftige Schwester zu sehen.“ Das war der Begriff, den Woodrow benutzte, und er behauptete, dass es sich dabei um eine ihrer herausragendsten Charaktereigenschaften handelte. Woodrow hatte sie nie beschuldigt, impulsiv zu sein.
Der groß gewachsene Leutnant, der so anders war als Woodrow, grinste. „Und dann kam die vernünftige Schwester plötzlich auf die Idee, ins langweilige Wyoming zu reisen.“
Obwohl Ethan dies wie eine Feststellung formulierte, spürte Abigail, dass er nach einer Erklärung suchte. Doch sie wich aus, indem sie fragte: „Haben Sie Geschwister, Ethan?“
Als Ethan verneinte, nickte Abigail nachdenklich. „Dann verstehen Sie vielleicht nicht, wie sehr ich meine Schwester vermisse. Das letzte Mal hab ich sie bei ihrer Hochzeit vor mehr als einem Jahr gesehen.“
Abigail hielt es nicht für nötig, ihm zu gestehen, dass seit dem Tod ihrer Eltern nur noch ihre Schwestern von ihrer Familie übrig geblieben waren.
Ethan verscheuchte eine weitere Gruppe von Hunden. „Jeffrey erwähnte, dass sie erst kurz vor ihrer Ankunft geheiratet hätten. Seine Kompanie wurde ein paar Monate vor meiner hierher verlegt.“
Abigail sah sich um. Obwohl das Fort einladender war, als sie sich das vorgestellt hatte, konnte es längst nicht mit Vermonts idyllischer Lage mithalten. Die umliegenden Hügel waren längst nicht so grün wie zu Hause. Den Bäumen fehlte die Vielfalt, die Wesley und die anderen kleinen Städte auszeichnete, in denen Abigail und ihre Schwestern gelebt hatten. Und obwohl man nicht leugnen konnte, dass ein besonderer Charme von den Mansardendachhäusern ausging, bezweifelte Abigail, dass sie so luxuriös waren, wie Charlotte es sich immer erträumt hatte.
„Ich kann mir hier keine romantische Hochzeitsreise vorstellen.“
Der Leutnant verlangsamte seine Schritte ein bisschen und sah auf Abigail herab, wobei seine blauen Augen funkelten und er sein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. „Ob Sie es nun glauben oder nicht, Abigail – einige von uns finden Wyoming tatsächlich schön.“ Er deutete in die Ferne. „Man kann so weit sehen, wie das Auge reicht. Hier draußen wird man nicht von Bäumen eingeschlossen.“
„Das mag stimmen, aber wer möchte meilenweit Grasland sehen? Es ist …“
„… langweilig.“ Genau wie in der Postkutsche zuckten seine Mundwinkel, als versuchte er, ein Lächeln zurückzuhalten. „Sie irren sich. Die Prärien sind nicht langweilig. Wenn Sie genauer hinsehen, werden Sie eine größere Vielfalt entdecken, als Sie sich vorstellen können.“
„Das muss ich Ihnen unbesehen glauben.“ Egal, wie sehr Ethan Bowles auch schwärmte, hatte Abigail nicht die Absicht, lang genug hierzubleiben, um die Umgebung erkunden zu können. Sobald sie sich davon überzeugt hatte, dass es Charlotte gut ging, würde sie in den Osten zurückkehren. Vermont – und noch viel wichtiger, Woodrow – wartete auf sie.
„Wir sind fast da.“ Sie waren eine Straße mit schönen Häusern entlanggegangen. Ethan erklärte, dass sich hierin die Offiziersquartiere befanden. Jetzt näherten sie sich der nächsten Ecke des Paradeplatzes. Direkt hinter der Biegung lag ein großes Gebäude, das sich noch im Bau befand. Der Wind trug das Schlagen der Hammer und die Rufe der Arbeiter zu ihnen herüber.
„Das neue Verwaltungsgebäude“, erklärte Ethan, als Abigail in die...
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