Schweitzer Fachinformationen
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Glas ist eine amorphe Masse, die selbst in flüssigem Zustand von hoher Dichte ist. Das empfindliche, transparente und faszinierende Material entsteht aus der Verbindung von Quarzsand und Kalk, der man Sodapulver oder Pottasche hinzufügt, um die Schmelztemperatur auf 800°C zu verringern, damit die Glasbläser es bearbeiten können.
An dem Tag, an dem Juliet Meriwether zum ersten Mal in das hohle Eisenrohr blies, geschah etwas Wunderbares: Die glühende Glasmasse am anderen Ende dehnte sich aus und wurde zu einer Kugel.
Eine kleine Kugel, eher für ein Kind geeignet, die Kristalle auf der Oberfläche waren geschmolzen und zu einem spiralförmigen Motiv geworden, das sie sehr mochte. Sie hatte ihre Vorstellung in die Tat umgesetzt, langsam hatte sie Form und Dimension angenommen, und sie hatte dabei zugesehen. Trotz der offensichtlichen Fehler liebte Juliet die Kugel und war immer vorsichtig, wenn sie sie in die Schublade zurücklegte.
Fast immer.
Denn dieses Mal war ihr die Kugel aus der Hand geglitten, zu Boden gefallen und in unzählige kleine Scherben zerbrochen. Sie hatte sie alle aufgesammelt und in eine kleine Schachtel gelegt. Ob sie die Scherben so wieder zusammensetzen könnte? Eine rhetorische Frage, sie wusste genau, dass das unmöglich war.
»Du kannst eine noch schönere Kugel machen«, murmelte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Es ist nur ein Gegenstand«, führte sie den Monolog mit sich selbst weiter. Eine schlechte Angewohnheit, die sie schon seit Kindertagen begleitete.
Normalerweise war sie nicht so emotional, aber hinter ihr lagen anstrengende Tage, genauer gesagt, zehn, seitdem ihr der Postbote den Brief ausgehändigt hatte.
Sie stand auf, stellte die Schachtel auf die Arbeitsplatte und zog sich weiter an. Doch der Gedanke an den Moment, als sie in den Ärmel geschlüpft und mit dem Arm gegen die Kugel gestoßen war, ließ sie nicht los. Wenn sie sie nur am Vorabend nicht auf der Kommode hätte liegen lassen .
»Hör auf zu grübeln, denk an etwas Positives.« Wer weiß, vielleicht war das ein gutes Omen und ab jetzt würde alles gut. Denn eines war klar: Nichts wäre mehr wie vorher.
Sie schloss die Schnallen der Stiefel, warf einen Blick in den Spiegel, seufzte und flocht die lila Strähnen zu Zöpfen, um sie unter den kupferfarbenen Haaren zu verstecken. »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«, sagte sie auf Italienisch, zog die Jacke über, griff nach ihrer Tasche, nahm den Brief und schob ihn vorsichtig hinein. Dann verließ sie das Gebäude und sah sich um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartete ein Taxi auf sie. Während sie Platz nahm, begrüßte sie den Fahrer und legte einen Tulpenstrauß und den Kuchen, den sie am frühen Morgen gebacken hatte, neben sich auf den Rücksitz. Danach ließ sie sich mit einem Seufzer ins Polster zurücksinken.
Einmal im Monat versammelte sich ihre Familie zu einem gemeinsamen Abendessen in der Villa, die Luigi, das Familienoberhaupt, vor mehr als einem halben Jahrhundert im schönsten Viertel Seattles erworben hatte. Juliet mochte diese Abendessen nicht sonderlich und ließ sich öfter entschuldigen, aber dieses Mal . Ah! Das war ihr Abend, der Augenblick, auf den sie schon immer gewartet hatte.
Durch das Fenster sah sie die Stadt an sich vorbeiziehen, die Dämmerung brach herein und die ersten Lichter flammten auf. Die dichte Bebauung ging in großzügige Wohnviertel mit riesigen viktorianischen Villen, pittoresken, bunt gestrichenen Häuschen, schmale Straßen und Gärten über. Jedes Haus ließ Erinnerungen und Gefühle aufsteigen. Sie überließ sich ihren Gedanken, bis sie wahrnahm, dass sie angekommen war. »Sie können mich hier rauslassen, behalten Sie den Rest.«
Das Trinkgeld konnte sie sich eigentlich nicht leisten, aber heute war ein besonderer Tag. Ein Fest. Sie erwiderte das Lächeln des Taxifahrers, und während sie den Hügel hinaufging, dachte sie wieder an den Brief in ihrer Tasche.
Unter ihr, zu ihrer Rechten, spiegelten sich die Lichter der Schiffe im Wasser der Elliott Bay. An Sonnentagen leuchtete das Meer tiefblau. Aus dem Zimmer im zweiten Stock, das vor langer Zeit einmal ihr Schlafzimmer gewesen war, hatte man den besten Blick. Jedenfalls so lange, bis ihr Vater es hatte vergittern lassen.
Die Hand glitt über ihren Arm, und ihr Lächeln erlosch. Dieses eine Mal hatte sie es übertrieben. Als kleines Mädchen hatte sie gedacht, sie könne alles erreichen, sogar fliegen.
Sie ging durch den Garten, stieg die Marmortreppe nach oben und hatte ihre Hand schon gehoben, um zu klingeln. Aber dann überlegte sie es sich anders.
»Nur eine Minute«, murmelte sie. Ihr Herz klopfte, sie legte die Stirn an die Glasscheibe der Eingangstür. »Ich brauche nur noch eine Minute.«
Sie setzte sich auf die oberste Stufe, ganz vorsichtig, um die Tulpen nicht zu zerdrücken, und strich sich das Kleid glatt. »Tief atmen, das ist nur das Gefühl. Es geht vorbei.« Am Himmel begannen die Sterne zu funkeln, der Abend war schön. Es konnte nur besser werden. Es würde alles gut gehen, sie musste nur daran glauben. »Mit der richtigen Überzeugung geht alles.« Sie sah sich um in der Hoffnung, irgendwo etwas zu finden, das ihr Kraft gab, den Plan, den sie im Kopf hatte, bis zur letzten Konsequenz umzusetzen.
Plötzlich hörte sie ein Rascheln.
Wie aus dem Nichts tauchte eine Katze vor ihr auf. Der Schwanz war hoch aufgerichtet, wie ein Stock, sie hatte lange Beine und gespitzte Ohren, alles an ihr strahlte Würde aus. Juliet blieb unbeweglich sitzen und wagte kaum zu atmen. Ihre Hand ruhte auf ihrem Knie. In diesen smaragdgrünen Augen lag keinerlei Zögern, das war offensichtlich. Es kam ihr vor, als würde die Zeit stillstehen, als würden verdrängte Gefühle wieder aufleben. Die wohlbekannte brennende Unsicherheit, das Bewusstsein, dass ein falscher Schritt alles verändern konnte, die Vorsicht, zu der ihr die Narben aus der Vergangenheit rieten. Aber da war noch etwas anderes: das Bedürfnis, die drängende Notwendigkeit, sich auf unbekanntes, gefährliches und doch lang ersehntes Terrain vorzuwagen.
Sie streckte eine Hand nach der Katze aus. »Ciao, meine Kleine, hast du dich verlaufen?«
Den Körper unter dem seidenweichen nachtschwarzen Fell durchlief ein Zittern, eine vibrierende Energie. Die Katze haarte ein wenig, normal für diese Jahreszeit, sie miaute und kam näher. Als sie sich berühren ließ, seufzte Juliet auf.
»Du bist mutig«, sagte sie und streichelte ihr sanft über das Fell, »sehr mutig.« Und sie? Das Schnurren des Tieres wirkte beruhigend auf sie. Ihre Hand glitt zu ihrer Tasche und dem Geheimnis, das sich darin verbarg. Auch der Brief schien unter ihren Fingerspitzen zu zittern, als sie ihn berührte.
Plötzlich schwang die Tür hinter ihr auf und ein schmaler Lichtkegel fiel auf die Treppe. Juliet zuckte zusammen und drehte sich um. Dann lächelte sie. »Ciao, Tata.«
»Meine Güte, Giulietta, was machst du denn hier draußen?«
»Du hast die Katze verjagt.«
Die alte Dame schaute sich um. Dann wandte sie den Blick wieder ihr zu. Juliet war inzwischen aufgestanden.
»Immer gut für einen Scherz! Lass dich anschauen, mein Mädchen, ich habe dich so sehr vermisst.«
Diese Bezeichnung mochte Juliet eigentlich nicht, aber bei Gina gab sie sich der wohltuenden Zuneigung hin.
»Du hast dich verändert«, sagte die alte Dame und griff nach dem Kuchen und den Blumen.
»Findest du?«, Juliet wandte den Blick ab.
»Ja, du siehst ihr sehr ähnlich.«
Die arme Gina, sie wurde alt. Tatsächlich sah sie ganz anders aus als ihre Mutter. Ellen war zierlich und brünett, sie war hochgewachsen und eher rotblond, ein Erbe der Familie ihres Vaters. Wie alt war ihr ehemaliges Kindermädchen eigentlich? Sie wusste es nicht. Sie war als junges Mädchen mit der Familie ihres Großvaters in die USA gekommen, die Meriwethers waren eng mit ihr verbunden, sie hatte sie von Anfang an geliebt. Gina war ihr Halt gewesen, sie hatte sie immer ermuntert, auf die Stimme des Herzens zu hören. Als Juliet größer geworden war, war sie als Gouvernante im Haus geblieben und nicht in Pension gegangen.
»Bin ich die Letzte?«, fragte sie mit einem Blick in den Salon.
»Nein, keine Sorge. Dein Bruder hat angerufen, ihm kam etwas dazwischen.«
»Daniel kommt nicht?« Aus ihrer Stimme sprach leise Enttäuschung.
»Er war wie immer pünktlich und plaudert jetzt mit deinen Eltern.«
Dann ging es also um Paul. Juliet zog die Jacke aus und hängte sie an die Garderobe neben der Eingangstür. Sie betrachtete das Muster, das der Schatten der Lampe auf die Wand warf. Wunderschön und geheimnisvoll sah das aus. Die zerbrochene Glaskugel kam ihr in den Sinn, was sie traurig stimmte. Sie war ihr erstes Werk gewesen und hatte ihr viel bedeutet.
Eine sonore Stimme summte eine Jazzmelodie. Juliet versank in Erinnerungen. In ihrer Kindheit und bei wichtigen Anlässen hatte ihr Vater Lucas oft für sie gesungen. Der Gedanke daran erfüllte sie mit Freude. Mit einem Lächeln auf den Lippen, aber noch immer zögernd blieb sie vor der Tür stehen.
»Gibt es etwas zu feiern?«
Von ihrer Position aus konnte sie ihre Eltern sehen, elegant wie immer. Sie steckten die Köpfe zusammen und sprachen leise miteinander, jeder in einer Hand ein Glas. Ihr Anblick erfüllte sie mit Freude. Mit einer schüchternen Geste hob sie grüßend die Hand, dann tastete sie wieder nach dem Brief.
»Sie können es kaum erwarten, dich in die Arme zu schließen«, flüsterte Gina hinter...
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