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Der Titel von J. L. Austins How to Do Things with Words (dt. Zur Theorie der Sprechakte) stellt die Frage der Performativität, nämlich was es heißt, wenn etwas mit Worten getan wird. Performativität hängt damit direkt mit dem Problem transitiver Wirkungen zusammen. Was heißt es, wenn ein Wort nicht nur etwas benennt, sondern etwas performativ herbeiführt, und zwar genau das, was es benennt? Einerseits könnte es so aussehen, daß das Wort - und im Moment soll noch unbestimmt bleiben, um welche Art von Worten es sich dabei handelt - ausführt, was es benennt, wobei dieses »Was« deutlich von seiner sprachlichen Benennung selbst und seiner performativen Ausführung unterschieden bleibt. Immerhin fragt der Titel von Austins Schrift, wie etwas »mit« Worten getan wird, so daß die Worte als Instrumente für dieses Tun erscheinen. Bekanntlich unterscheidet Austin zwischen illokutionären und perlokutionären Sprechakten, also zwischen Handlungen, die kraft der Worte, und solchen, die als Folge von Worten ausgeführt werden. Diese Unterscheidung ist allerdings heikel und nicht immer stabil. Vom perlokutionären Standpunkt aus sind Worte die Instrumente, mittels deren Handlungen ausgeführt werden, jedoch nicht die Handlungen selbst, zu deren Ausführung sie beitragen. Diese Version der performativen Äußerung legt nahe, daß Worte und die Dinge, die mit ihnen getan werden, in keiner Hinsicht identisch sind. Nach Austins Auffassung des illokutionären Sprechaktes hingegen ist die sprachliche Bezeichnung selbst performativ: Indem sie geäußert wird, führt sie selbst eine Tat aus. Die Äußerung ist zugleich ein Akt des Sprechens und die sprachliche Realisierung einer Handlung. Bei solchen Handlungen läßt sich nicht sinnvoll nach einem »Referenten« fragen, denn die Wirkung eines Sprechaktes besteht nicht darin, daß er auf etwas außerhalb seiner selbst referiert, sondern darin, daß er sich selbst vollzieht und eine merkwürdige sprachliche Immanenz in Szene setzt oder realisiert.
Austins Titel How to Do Things with Words zufolge könnte man glauben, daß es erst das perlokutionäre Handeln gibt, das Gebiet der ausgeführten Handlungen, und dann das instrumenteile Feld der »Worte«. Das würde auch bedeuten, daß der Handlung eine bewußte Absicht vorausgeht und daß sich die Worte von dem, was sie tun, klar trennen lassen.
Aber was geschieht, wenn wir den Titel eher mit Betonung auf der illokutionären Dimension des Sprechaktes lesen? Die Frage würde dann lauten, was es heißt, wenn ein Wort eine »Handlung ausführt«, und das weniger in einem instrumentellen als in einem transitiven Sinn. Oder anders gefragt: Was heißt es, wenn eine Handlung mittels eines Wortes, und d. h. hier »in« einem Wort, ausgeführt wird? Unter welchen Bedingungen ließe sich eine solche Handlung von dem Wort trennen, »mit« oder »in« dem sie ausgeführt wird, und unter welchen Bedingungen ist umgekehrt diese Verbindung nicht aufzulösen? Wenn man sagt, daß ein Wort etwas »tut«, dann wird deutlich, daß ein Wort nicht nur etwas bezeichnet, sondern daß diese Bezeichnung auch etwas ausführt. Die Bedeutung (meaning) der performativen Handlung liegt anscheinend genau darin, daß Bezeichnung und Ausführung zusammenfallen.
Und trotzdem scheint der »Handlungscharakter« der performativen Äußerung noch auf einer anderen Ebene zu liegen. Zweifellos war Paul de Man auf der richtigen Fährte, als er überlegte, ob wir vielleicht eine Trope ins Spiel bringen, wenn wir behaupten, daß Sprache »handelt« bzw. daß Sprache sich in einer Abfolge von distinkten Handlungen setzt und daß dieses periodische Handeln als ihre primäre Funktion verstanden werden kann. Bezeichnenderweise bleibt in der geläufigen Übersetzung von Nietzsches Darstellung der metaleptischen Beziehung zwischen Tun und Tat unklar, welchen Status die »Tat« hat. Denn Nietzsche behauptet, daß bestimmte Moralauffassungen ein Subjekt erfordern und deshalb das Subjekt setzen. Das Subjekt wird als Instanz eingesetzt, die der Tat vorausgeht, um eine Schuldzuweisung vorzunehmen und den Schmerz zu erklären, den manche Handlungen hervorrufen. Jemand wird verletzt - um nun diesen Schmerz moralisch zu werten, identifiziert das entsprechende Vokabular ein Subjekt, das mit Absicht handelt und als Ursprung der verletzenden Handlung fungiert. Nach Nietzsche handelt es sich um eine Moralisierung, die erstens Schmerz und Verletzung gleichsetzt und zweitens den Schmerz an eine verursachende Absicht bindet. Damit wird nicht nur das Subjekt als Ursprung und Ursache des Schmerzes, der jetzt als Verletzung fungiert, hergestellt, sondern zugleich wird das verletzende Handeln, die kontinuierliche Gegenwart eines »Tuns«, auf eine »singuläre Tat« reduziert.
Normalerweise wird folgende Stelle aus Zur Genealogie der Moral mit Betonung darauf gelesen, daß rückwirkend ein Täter gesetzt wird, der dem Tun vorausgeht. Aber dabei ist zu beachten, daß zugleich mit dieser rückwirkenden Setzung das kontinuierliche Tun moralisch in eine periodische Tat aufgelöst wird. Nietzsche schreibt, daß es kein »Sein« hinter dem Tun, Wirken, Werden gibt; »der Täter« sei zum Tun bloß hinzugedichtet - das Tun sei alles.50 Hier liegt kein Bezug auf die Tat vor, sondern nur auf das Tun und den Täter. Und es ist nicht von einem »Missetäter«, sondern ganz neutral von einem »Täter« die Rede. Es ist in erster Linie die Begrifflichkeit, mit der dem Tun rückwirkend ein Subjekt, das mit Absicht handelt, »hinzugedichtet« wird, die den Täter als »Missetäter« setzt. Darüber hinaus wird im Subjekt ein fiktiver Ursprung der Handlung festgemacht, um die Handlung einem Subjekt zuschreiben zu können. An die Stelle eines »Tuns« tritt eine von grammatischen und juridischen Zwängen geprägte Denkform, die überhaupt erst ein Subjekt als verantwortlichen Urheber einer verletzenden Handlung schafft. Damit werden das Subjekt und seine Handlungen mit einer moralischen Kausalität verklammert, die beide von dem ihnen vorausgehenden, zeitlich weiter gefaßten »Tun« abtrennt, das von diesen moralischen Erfordernissen nichts weiß.
Nach Nietzsche tritt das Subjekt nur infolge der Forderung nach »Verantwortlichkeit« in Erscheinung: Die schmerzhaften Effekte eines »Tuns« werden in eine moralische Begrifflichkeit gebracht, die ihnen als »Ursache« einen einzelnen bewußten Handlungsträger zuweist. Das Funktionieren dieser moralischen Begrifflichkeit ist durch eine bestimmte Ökonomie der paranoiden Herstellung und Effizienz geprägt. Somit geht die Frage, wer sich für eine Verletzung verantwortlich machen läßt, dem Subjekt begründend voraus, und das Subjekt selbst entsteht dadurch, daß es in diesen grammatischen und juridischen Ort eingesetzt wird.
In einem bestimmten Sinne entsteht das Subjekt bei Nietzsche erst im Rahmen eines moralischen Diskurses der Verantwortlichkeit und seiner Anforderungen. Weil Schuld zugeschrieben werden muß, figuriert das Subjekt als »Ursache« einer Tat. In diesem Sinne gibt es kein Subjekt ohne schuldhafte Handlungen, es gibt keine »Tat« außerhalb eines Diskurses, der Verantwortung zuschreibt, und, Nietzsche zufolge, ohne Strafinstitutionen.
Doch an dieser Stelle offenbart Nietzsches Erklärung der Subjektbildung, wie sie in Zur Genealogie der Moral dargelegt ist, auch etwas von ihrer eigenen Unmöglichkeit. Denn wenn das »Subjekt« erst durch eine Anschuldigung ins Leben gerufen bzw. als Ursprung verletzender Handlungen beschworen wird, dann müßte diese Anschuldigung von einer performativen Anrufung ausgehen, die dem Subjekt vorausgeht und ein vorgängiges wirkungsvolles Sprechen voraussetzt. Damit stellt sich die Frage, wer diesen das Subjekt konstituierenden Urteilsspruch fällt. Oder anders gefragt: Wenn es eine Strafinstitution gibt, in der das Subjekt gebildet wird, muß dann nicht auch eine Figur des Gesetzes existieren, das Urteile spricht und damit performativ das Subjekt ins Leben ruft? Setzt Nietzsche hier nicht in einem gewissen Sinn voraus, daß es noch ein vorgelagertes und mächtigeres Subjekt gibt? Nietzsches eigene Formulierung »der Täter ist zum Tun bloß hinzugedichtet« weicht diesem Problem aus, denn die Passivform des Verbs »hinzugedichtet« (d. h. poetisch oder fiktiv hinzugesetzt, beigefügt oder angewendet) läßt offen, wer oder was diesen folgenreichen Bildungsprozeß bewirkt.
Wird also das Subjekt, sobald es um Schmerz geht, der Handlung nachträglich als deren Ursprung und anschließend die Handlung dem Subjekt als dessen Effekt zugeschrieben, dann tritt zu dieser doppelten Zuschreibung noch eine verwirrende dritte hinzu: nämlich daß dem Subjekt und seiner Tat die verletzenden Folgen zugeschrieben werden. Die...
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