Schweitzer Fachinformationen
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Ailsa dachte, sie würde mit ihrem Outfit (Haarreif mit aufgestecktem Einhorn und Regenbogenschweif) in London Aufsehen erregen, doch kein Mensch beachtet sie, als sie aus dem Zug steigt, durch den Bahnhof von King's Cross läuft und ein Taxi nimmt, das sie zum Radiosender bringt. Auch Betsy, die sie am Empfang abholt und in die Lounge für Studiogäste bringt, kommentiert ihr Aussehen nicht; wahrscheinlich hat sie ständig mit seltsamen Fabelwesen zu tun. Ailsa ist ein wenig irritiert. Soll sie jetzt erleichtert oder enttäuscht sein? Bisher hat sie jedenfalls nicht genug Futter für eine gute Blogstory. Während sie wartet, fotografiert sie ihren Besucherpass und schreibt ihrer Mutter eine SMS: Bin gut angekommen - habe nicht die U-Bahn genommen und wurde auch von niemandem angehustet.
Die Einladung zu der Radiosendung hatte sie bekommen, weil sie für ihren Blog ausgezeichnet wurde. Ihr war angeboten worden, ins Edinburgher Studio zu kommen und von dort aus zugeschaltet zu werden, aber sie wollte lieber nach London. Wenn schon, denn schon; Apple schien auch ganz wild auf London zu sein. Und beim Untersuchungstermin letzten Donnerstag hat Dr. Mokbel ihr grünes Licht gegeben.
Ihre Mutter hatte darauf bestanden, sie zum Bahnhof zu bringen, und zum Abschied umarmten sie einander fest. Sie haben sich noch nicht daran gewöhnt, dass sich nun nicht mehr jeder Abschied so anfühlen muss, als könnte er der letzte sein. Hayley hatte sich den blaugrauen Regentagsschal umgelegt; er hat noch immer das kleine Loch an der Stelle, wo sie damals im Krankenhaus damit hängen blieb. Als Ailsa ihr zumurmelte, dass sie sich keine Sorgen machen solle, nickte sie nur und drückte sie noch fester. Wenn Ailsa zurückkommt, müssen sie unbedingt reden.
In der Lounge gibt es Kaffee. Schwarzer ist bei der Paleo-Diät erlaubt. Sie gießt sich einen Becher ein. Er schmeckt nur unwesentlich besser als der Kaffee in der Klinik, dem immer der Geruch nach Krankheit anhaftete. Ailsa überlegt, ob sie ihr Notizbuch hervorholen soll, doch dann lehnt sie sich zurück und schaut durch die Glasscheiben der Wartelounge dem geschäftigen Treiben in der Redaktion zu; Leute tippen an Computern, laufen herum, unterhalten sich wild gestikulierend mit Kollegen. Worüber sie wohl reden? Eines Tages wird sie auch so sein: eine Frau mit einem Job, die hektisch mit den Händen wedelt und mit anderen Dingen als mit ihrem Herzen beschäftigt ist.
Die Tür geht auf. »Ailsa, das ist Sebastian, unser anderer Studiogast heute«, sagt Betsy lächelnd. Sie hat sich den Pferdeschwanz neu gebunden und trägt jetzt Lippenstift. »Sebastian, das ist Ailsa. Sie ist Bloggerin.«
Klopf-klopf-klopf. Apple schlägt definitiv lauter als Ailsas altes Herz.
Ein Typ mit schwarzer Ray-Ban und Messenger-Bag lässt sich auf eins der Sofas fallen; die Tasche schmeißt er lässig auf den Boden. »Hi. Alle nennen mich Seb.« Seine Stimme ist tief und klangvoll, wie bei einem Opernsänger.
»Hi«, sagt Ailsa. »Mich nennen alle Ailsa.« Ihr Name lässt sich nicht abkürzen, was einer der Gründe ist, warum ihre Mutter ihn aussuchte. Doch dieses Detail behält sie für sich. Stille breitet sich aus.
Sebastian - Seb - nimmt sich eine Zeitschrift und legt sie wieder hin. Das Kunstledersofa knarzt bei jeder seiner Bewegungen. Er trägt eine zerschlissene schwarze Jeansjacke, dazu einen rosafarbenen Schal. (Gott sei Dank keinen roten. Ailsa kann heute kein schlechtes Omen gebrauchen.) Sein kurzes rotblondes Haar ist zerzaust, und er hat Bartstoppeln. Leider setzt er seine Sonnenbrille nicht ab, sodass sie unmöglich erkennen kann, ob er sie anschaut oder nicht.
Vielleicht holt sie doch besser ihr Notizbuch heraus. Sie hat ebenfalls eine Messenger-Bag dabei, aber sie ist nicht aus Leinen wie seine, sondern aus türkisfarbenem Leder und schon ganz abgewetzt. Ihre Lieblingstasche; Lennox hatte sie ihr zum achtzehnten Geburtstag geschenkt, als Messenger-Bags noch nicht in waren, er hatte einfach gemeint, dass sie gut zu ihr passte. Als sie sich nach vorn beugt, um ihre Tasche zu öffnen, verrutscht ihr Haarreif, und das Einhorn fällt ihr übers Gesicht. Sie schiebt es wieder zurück.
»Schickes Horn«, sagt Seb.
»Danke«, antwortet Ailsa.
»Ich wurde schon vorgewarnt. Scheint ein schräger Samstag zu werden.« Er lächelt. Ein langsames Lächeln, kein breites Grinsen. Sie hofft, dass er endlich die Sonnenbrille abnimmt. Doch stattdessen steht er auf, gießt sich etwas Kaffee in einen Becher, schnuppert daran, wirft den Becher in den Mülleimer und sich selbst wieder aufs Sofa.
»Gute Entscheidung«, sagt Ailsa. »Schlechter Kaffee.«
»Das Leben ist zu kurz dafür«, erwidert Seb.
»Ganz genau.«
Ailsa ist in ihrem Leben schon diversen attraktiven Männern begegnet. Leider hören sie ihr in der Regel mit einem Stethoskop die Brust ab und schauen dabei zur Decke. An der Uni hatte es natürlich auch den einen oder anderen Kommilitonen gegeben, der so gut aussah, dass sie zweimal hinschaute. Ihr schaute man früher auch hinterher - kein Wunder, denn sie war kreidebleich, und manchmal musste sie sogar einen Gehstock benutzen.
Aber Seb ist mit Abstand der attraktivste Mann, den sie je gesehen hat.
»Ich werde dich nicht fragen, warum du ein Einhorn bist«, sagt er. »Ich rate lieber noch ein bisschen. Vielleicht hält mich das bei diesem Zirkus hier ja wach.« Er scheint nicht viel von der Radiosendung zu halten, zu der er eingeladen wurde.
»Das habe ich meinem Blog zu verdanken«, sagt Ailsa. »Oder besser gesagt, den Leuten, die ihn lesen. Die haben das bei einer Umfrage entschieden.«
»Tja, das war's dann wohl mit Raten.«
Wenn er doch nur seine dunkle Sonnbrille abnehmen würde, dann könnte sie sehen, ob er bloß Spaß macht. Es klang allerdings ernst. Aber das liegt vielleicht nur an . verdammt. Sie ist zwar nicht mehr todkrank, aber das Leben ist trotzdem zu kurz, um Zeit mit Spekulationen zu verschwenden.
»War das jetzt ein Witz, oder bist du sauer? Ich kann es leider nicht erkennen, weil du deine Sonnenbrille aufhast.«
Er lächelt. »Das war ein Witz. Ich muss meine Augen schützen. Wegen der Transplantation.«
»Transplantation?«, fragt Ailsa erschrocken. Es ist noch immer sonderbar für sie, das Wort aus dem Mund eines anderen Menschen zu hören.
»Mir wurde eine neue Hornhaut eingesetzt«, antwortet Seb.
Autsch. »Tut mir leid, das war mir nicht klar«, sagt Ailsa. »Normalerweise bin ich diejenige, die wegen ihrer Transplantation in Erklärungsnot gerät.«
»Verstehe. Deshalb bist du ein Einhorn.«
Ailsa muss unwillkürlich lächeln. »Genau. Wenn du eine Herztransplantation hinter dir hast, stehst du mindestens ein Jahr lang unter Einhorn-Schutz. Im Ernst.«
Da kommt Betsy herein, um sie ins Studio zu bringen. Seb lässt Ailsa den Vortritt. Sie hat den Eindruck, dass er sie anschaut, aber mit der Ray-Ban ist das schwer zu sagen.
Kat: Und das war »Hip to Be Square« von Huey Lewis and the News, noch ein Song zu unserem heutigen Thema Transplantation, und vorgeschlagen hat ihn Pippa aus Rochester. Danke an Pippa! Apropos »hip«: Man hat mich gerade darüber aufgeklärt, dass künstliche Hüften keine Transplantate sind. Wieder was dazugelernt! Aber nun wieder zurück zu unseren Studiogästen: Ailsa Rae ist bei uns; viele kennen sie als BlueHeart. Seit zweieinhalb Jahren folgen Tausende von Fans ihrem Blog; sie war auf der Transplantationsliste, weil sie dringend ein Spenderherz benötigte, und inzwischen hat sie eines bekommen. Außerdem bei uns: Der Schauspieler Sebastian Morley, der wegen einer Augeninfektion zu erblinden drohte, was durch eine Hornhauttransplantation verhindert werden konnte. Hallo noch mal.
Seb: Hallo, Kat.
Ailsa: Hi.
Kat: Vorhin haben wir darüber gesprochen, warum Ailsa sich als Einhorn verkleidet hat, und ein Foto von ihr mit dem Link zu ihrem Blog getweetet. Ailsa, du machst ja regelmäßig Umfragen in deinem Blog, um dir Unterstützung bei bestimmten Entscheidungen zu holen. Gibst du damit nicht ein bisschen zu sehr die Kontrolle über dein Leben ab? Oder würdest du sagen, dass darin eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung zum Ausdruck kommt, die darauf hinausläuft, dass viele Menschen sich lieber mit ihrem virtuellen Dasein als mit ihrem wirklichen Leben beschäftigen?
Ailsa: Also, ich kann natürlich nur für mich selbst sprechen, nicht für andere. Für das, was sonst noch im Internet passiert, trage ich keine Verantwortung.
Seb: Da hat sie recht, Kat!
Kat: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich ergebe mich. Zwei gegen einen, da bin ich machtlos. Natürlich ist Ailsa nicht für alles verantwortlich, was im Internet passiert.
Ailsa: Da bin ich aber froh, dass du das sagst! Doch jetzt mal im Ernst - ich wollte mit meinem Blog kein Statement über das Leben im 21. Jahrhundert abgeben, darum ging es mir überhaupt nicht. Mein Blog ist entstanden, weil ich über mich und meine Situation nachgedacht habe.
Kat: Erzähl uns etwas mehr über deinen Blog. Du hast dafür sogar einen Preis bekommen. Was war das für ein Gefühl?
Ailsa: Das war natürlich toll. Viele Blog-Beiträge sind im Krankenhaus entstanden, manche aber auch zu Hause. Meistens schreibe ich, wenn ich allein bin. Natürlich sehe ich die Statistiken und Kommentare, und dadurch weiß ich, dass es Menschen gibt, die meinen Blog lesen, aber ich hätte nie gedacht, dass das, was ich schreibe, irgendeinen Einfluss auf jemanden hat.
Kat: Warum...
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