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In einem kleinen Dorf bei Barcelona haben sich die Geschwister Annabel, Albert und Nina um das Totenbett ihres Vaters versammelt, als dieser nach einem Priester verlangt und die letzte Beichte ablegen will. Angeblich hat er vor über zwanzig Jahren einen Mann umgebracht. Sein Geständnis verschlägt den drei Geschwistern die Sprache - und weckt zugleich eine Flut von Erinnerungen. Denn jene sternenklare Nacht, in der ihr Vater zum Mörder wurde, hat nicht nur sein Leben für immer verändert ... Eine wunderschöne Familiengeschichte
Als Vater nach einem Priester verlangt, kommt das für uns drei sehr überraschend, schließlich hat er immer gesagt, seit seiner Erstkommunion habe er keine Kirche mehr von innen gesehen. Doch wir trauen unseren Ohren nicht, als er sagt, warum.
»Ich habe . einen Mann . umgebracht .«, stößt er mühsam hervor.
Meine Geschwister und ich schauen uns kurz an, dann sagt Albert: »Das bildest du dir ein, Vater. Du hast niemanden getötet.«
Als Vater das hört, wird er noch unruhiger, es sieht aus, als wollte er aufstehen, um den Priester selbst aufzusuchen. Mit vereinten Kräften können wir ihn gerade noch aufhalten und sanft zurück ins Bett legen. Sein Röcheln ist grässlich, man hört, wie er vergeblich nach Luft ringt.
Und trotzdem fängt er wieder an: »Lasst mich, ich muss beichten . So kann ich nicht gehen .«
»Aber Vater, du glaubst doch nicht an Gott.«
»Ich weiß, aber für alle Fälle .«
Aha, für alle Fälle also. Schon unsere Großmutter hat immer gesagt, dass uns die heilige Barbara erst einfällt, wenn es donnert. Mit einem Wink gibt Nina uns zu verstehen, sie werde den Priester holen, und verschwindet. Ich beuge mich über Vater.
»Keine Angst, der Pfarrer kommt gleich.«
»Gott sei Dank«, antwortet er, nun entspannter.
Aufmerksam mustere ich ihn und hätte zu gern gewusst, was es mit dieser ungeheuerlichen Bemerkung auf sich hat. Vater wirkt ruhiger, auch wenn er unverändert keucht. Mit einem Mal fängt Albert an, ihm Fragen zu stellen, als säßen sie im Wohnzimmer auf dem Sofa und hielten ein Schwätzchen.
»Also wirklich, Vater, wie kommst du bloß darauf, du hättest einen Mann umgebracht? Wann soll denn das gewesen sein? Hast du etwa bei der Jagd auf jemanden geschossen?«
Vater war Jäger, als er jung war, zumindest sagt er das.
»Nein, nein, ach was . Nein, nein . Es ist Jahre her«, stößt er hervor und macht eine schwache Handbewegung.
»Ach ja? Wie viele Jahre? Was ist passiert?«
Albert kommt direkt auf den Punkt, und ich tue nichts, um ihn zu bremsen, denn ich will nicht, dass Vater stirbt, ohne uns zu erklären, was er gemeint hat.
Vater schnauft und sagt: »Damals in dieser Nacht . in dieser unendlich langen Nacht.«
Er verstummt und scheint das Bewusstsein zu verlieren. Doch Albert lässt nicht locker.
»In welcher Nacht, Vater?«
Mit einem Mal schlägt er die Augen auf und sieht uns an. Dann fallen sie wieder zu, und er sagt: »Am 23. Februar.«
»Am 23. Februar?«, wiederholen wir beide gleichzeitig.
Vater nickt, noch immer schwer atmend. Dann verlangt er wieder nach dem Pfarrer. Ich nehme seine Hand, und Albert redet beruhigend auf ihn ein, der Priester sei schon unterwegs. Wir schauen uns einen Augenblick lang fragend an. Dann trete ich ein Stück zurück, setze mich auf einen Stuhl und schließe die Augen. In diesem Haus riecht es nach Tod. Und am 23. Februar 1981 war der Geruch nach Tod allgegenwärtig, wenngleich es ein anderer Geruch war. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, ist, ob Vater womöglich etwas mit den Militärs zu tun hatte, die an jenem Abend den Staatsstreich angezettelt hatten. Ob er ihnen irgendwie geholfen hatte. Oder ob es umgekehrt war, und jemand war zu ihm gekommen und hatte ihm einen Befehl erteilen wollen, und als er sich weigerte, hatte dieser Jemand ihn bedroht, und er musste sich verteidigen.
Aber das kann nicht sein. Vater war hier im Dorf, und er hatte mit den Militärs nichts zu tun. Er kümmerte sich um den Hof und Mutter um die Parfümerie. Dass es einen Putschversuch gegeben hat, haben hier alle aus dem Radio erfahren, denn im Fernsehen wurde darüber erst spät in der Nacht berichtet.
Ach ja, das Fernsehen. Seinerzeit war es noch schwarz-weiß. Zumindest bei meinen Eltern, einen Farbfernseher bekamen sie erst 1985. Wozu brauchen wir denn einen neuen?, brummte Vater, wenn das Gespräch darauf kam. Und Mutter verdrehte die Augen, seufzte und ließ die Sache auf sich beruhen. Meine liebe Mutter. Falls Vater etwas Schlimmes getan hat, wusste sie mit Sicherheit nichts davon, denn sie liebte ihn bis zum Schluss auf ihre typische sanfte, herzliche Art. Sie hatte für jeden eine zärtliche Geste und einen liebevollen Blick.
Ach Unsinn, Vater hat bestimmt nichts getan. Es heißt doch, das Gehirn wird kurz vor dem Tod nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, und man fängt an zu halluzinieren. Das muss es sein.
»Ihr wart nicht da. Ihr wart beide nicht da .«
Bei diesen Worten schlägt er die Augen auf und versinkt gleich darauf in schwermütige, beklemmende Lethargie. Nein, ich war nicht hier. Ich schaue Albert an, der hastig erklärt: »In der Nacht war ich nicht im Dorf. Ich hab zu der Zeit in Ripoll gewohnt.«
Beschwören kann ich es nicht, aber ich meine, mein Bruder sei rot geworden. Wie auch immer, Nina war bestimmt zu Hause. Sie muss hier gewesen sein. Wir schweigen beide, bis unsere Schwester mit dem Pfarrer zurück ist. Aus dem Hausflur dringt Murmeln zu uns, und dann steckt der Priester den Kopf zur Tür herein. Mit einem »Gott segne euch« betritt er rasch das Krankenzimmer.
»Gütiger Himmel, ich dachte nicht .«, sagt er, kaum dass er Vater erblickt. Und befindet: »Wir müssen ihm die Letzte Ölung spenden.«
Vater öffnet ein Auge und sieht ihn. »Herr Pfarrer, ich habe einen Mann umgebracht.«
Der Priester lässt sich anscheinend nicht aus der Fassung bringen. »Das erzählst du mir gleich. Keine Bange, Gott vergibt alles.«
»Ich glaube nicht an Gott, aber ich habe wirklich einen Mann getötet.«
Vater scheint wiederaufzuleben, nun da er den Priester vor sich hat. Der dreht sich um und schaut uns an.
»Wenn ihr uns jetzt bitte allein lassen wollt . Das fällt unter das Beichtgeheimnis.«
»Nein, nein!«, widerspricht Vater. »Sie sollen bleiben. Sie müssen es erfahren . alles.«
Ich mag nichts hören aus dieser Nacht. Ich will nicht an sie erinnert werden. An endloses Warten, das kein glückliches Ende genommen hat, sollte man sich nicht erinnern. Besser, man behält nur das im Gedächtnis, was gut ausgegangen ist oder irgendwie angenehm war. Und es gibt nichts Schlimmeres, als ohne Hoffnung, ohne Zukunft zu warten. Albert zieht Nina in eine Ecke. Vermutlich fragt er sie, ob sie weiß, was Vater da über den 23. Februar redet. Als sie zurückkommen, schütteln beide den Kopf. Das heißt, Nina hat auch keine Ahnung. Vielleicht der Junge . Aber wenn der Junge da überhaupt schon auf der Welt war, dann war er noch ganz klein und ging noch nicht bei uns ein und aus.
Eigentlich würde ich jetzt gern gehen, nur Vaters Wunsch hält mich zurück. Obwohl es mich neugierig macht, behagt mir der Gedanke, seine makabre Geschichte zu hören, gar nicht. Die arme Nina. Bevor sie sich hinsetzt, um Vater mit großen Augen anzustarren, hat sie rasch noch eine neue Plastikflasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit an den Ständer gehängt, von dem Schläuche bis zum Arm des Sterbenden führen.
»Das wird ihn beruhigen«, sagt sie mit einem leisen Lächeln.
Als Jugendliche wollte Nina Nonne werden. Vater machte damals ein Riesentheater. Was ist mit den Frauen in dieser Familie nur los, warum seid ihr bloß alle so sehr darauf aus, den Schleier zu nehmen?, murrte er. Damit spielte er darauf an, dass Mutter bereits Novizin im Konvent von Vic gewesen war, als er sie sich angelte. Ausgerechnet ihm hatte das passieren müssen. Eine Weile war er zum Essen ins Kloster gegangen, wie viele Männer, die mittags sonst nicht wussten, wohin, und da gab es eine Novizin, die ihm jeden Tag das Essen servierte, eine Novizin, die er kannte, weil sie aus demselben Dorf stammte, eine engelsgleiche Novizin, die ihm ein Lächeln entlockte. Und das wollte etwas heißen, denn Vater zum Lächeln zu bringen, war geradezu ein Ding der Unmöglichkeit. Die Novizin Schwester Isabel, meine Mutter, streifte mit den Ärmeln ihrer Robe immer so sanft sein Haar, dass Vater eine Gänsehaut bekam. Dann waren es nicht mehr nur die Ärmel, sondern das ganze Habit, mit dem sie ihn sacht berührte. Es waren leise, subtile Andeutungen, Kleinigkeiten, eine eigene Sprache aus Blicken, Gesten und leisem Erbeben, wenn sie ihm eine Extraportion zuteilte oder den besten Nachtisch aufhob. Ihr Nonnengewand verfing sich in der Kleidung meines Vaters. So sehr, dass es eines Tages durch die Luft flog. So etwas soll vorkommen; weder meine Geschwister noch ich haben je erfahren, was geschah, doch Fakt ist, dass die hübsche Novizin aus dem Kloster binnen Kurzem meinen Vater heiratete und ich wenig später zur Welt kam. Es heißt, ich war ein Achtmonatskind.
Vater hatte Mutter hergebracht, ins Haus seiner Familie, das er geerbt hatte. Aber du musst mir erlauben, unsere Kinder im christlichen Glauben zu erziehen, hatte sie ihn damals offenbar gebeten. Und er hatte zugestimmt, sie solle tun, was sie wolle, und aus uns so gute Christen machen, wie es ihr beliebe. Dennoch war er nicht darauf gefasst gewesen, dass seine jüngste Tochter ebenfalls Nonne werden wollte, wie ihre Mutter. Ein Glück, dass sie sich das wieder aus dem Kopf geschlagen hat, rief er, als Nina sich dann doch dagegen entschied.
Und jetzt hat er den Pfarrer rufen lassen. Ich selbst gehe selten zur Kirche, aber ich habe Gutes über den Mann gehört. Verstohlen mustere ich ihn, er ist im mittleren Alter und sieht ganz vernünftig aus. Und nun, da er sich anschickt zuzuhören, nun, da wir alle uns anschicken, Vaters Beichte zu...
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