Schweitzer Fachinformationen
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Die Schatten des Abends wuchsen schon eine ganze Weile auf den Wänden meines Büros. Eigentlich hätte ich längst die Schreibtischlampe einschalten müssen. Je dunkler es wurde, desto heller leuchtete das Bild auf meinem Computermonitor.
Unter blauem Himmel, der von hier aus so fern wie die Südsee schien, ragte ein tonnenförmiges Gebilde auf. Es war ein Turm mit rötlichen und weißen Mauerflächen, gekrönt von einer Brüstung, die auf dem Dach einmal rundumlief. Mit den runden Fenstern, die irgendwie verheißungsvoll in die Landschaft schauten, hatte er etwas von einem Leuchtturm.
Doch dieser Turm stand nicht am Meer, sondern im Bergischen, auf der Wuppertaler Elisenhöhe. Morgen würde er Schauplatz eines ganz besonderen Ereignisses werden.
Ich war so in das Bild versunken, dass ich Wonne erst bemerkte, als sie in mein Zimmer getreten war. Bis eben hatte ich sie noch nebenan in der Küche unserer gemeinsamen Wohnung gehört. Sie war damit beschäftigt, ihre gesammelten Kochbücher einzuräumen, die wir in vielen Umzugskisten aus Bergisch Gladbach hergeschafft hatten.
Wie immer schob sie die typische Duftmischung ihres Duschgels und eines Parfüms, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, vor sich her. Sanft legte sie mir die Hand auf die Schulter, beugte sich nach unten, und dann spürte ich ihre warmen Lippen auf meiner Wange. In solchen Momenten schien in mir stets etwas zu schmelzen.
»Es wird alles wunderschön werden morgen«, sagte sie, den Blick ebenfalls auf den Monitor mit dem strahlenden Elisenturm gerichtet. »Danach werden wir erst mal eine Weile nur an uns denken. Ich glaube, Jutta schenkt uns eine Hochzeitsreise .«
Eine winzige Dissonanz in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Mit einer Bewegung meiner Schulter machte ich mich los. »Was ist?«, fragte ich alarmiert. »Ist irgendwas passiert? Hat er schon wieder .«
Sie reichte mir ihr Handy, das sie in der Hand gehalten hatte. Darauf war eine Nachricht. Es war eine Mail.
Sie lieben nur mich. Mich allein. Seien Sie sich dessen bewusst. Ihre Hochzeit ist ein großer Fehler.
Ich sah Wonne an. Ihr kaum kleinzukriegender Ausdruck von fröhlicher Zuversicht, ihr Lächeln, das mich immer wieder aufs Neue faszinierte, war zu einem kümmerlichen Rest zusammengefallen. Sie seufzte, hob ratlos die Schultern und setzte sich auf einen der Stühle, die für die Kunden meiner Detektei vorgesehen waren.
»Er hat sich seit drei Tagen nicht mehr gemeldet«, sagte ich. »Ich dachte, er hätte endlich begriffen, dass er dich in Ruhe lassen soll.«
Die Mails kamen seit etwa einem Monat. Absender war ein Unbekannter, der ihr unter der Freemail-Adresse »wonnesromeo@gmx.de« schrieb. Zuerst hatte es eine wahre Flut von Mitteilungen gegeben. Hauptsächlich Liebesschwüre, Bewunderungssalven und Treuegelöbnisse gegenüber Wonne. Anfangs noch ohne Erwähnung unserer geplanten Hochzeit. Der unbekannte Schreiber war dabei mehrmals auf Wonnes blondes Haar eingegangen - was hieß, dass er sie persönlich kannte. Nach einiger Zeit musste der Verfasser dann mitbekommen haben, dass Wonne heiraten wollte. Und seitdem versuchte er, sie mit seinen Nachrichten davon abzuhalten.
»Vielleicht sollten wir doch die Polizei einschalten«, sagte ich. »Was hier passiert, ist Stalking, und das ist eine Straftat.«
Sie schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir doch schon gesprochen, Remi. Was soll die Polizei schon machen?«
Mittlerweile war es in meinem Büro noch dunkler geworden, aber ich konnte sehen, wie sie bedrückt den Boden anstarrte.
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es gefiel mir nicht, diesem Scheißkerl so ausgeliefert zu sein. Wir hatten keine Ahnung, wer er sein könnte. Wonne arbeitete als freie Journalistin und kam mit vielen Menschen zusammen. Etliche von ihnen kannten auch ihre Mailadresse.
»Solange er sonst nichts unternimmt«, sagte sie, »uns nicht tätlich angreift oder so .«
Sie wollte sich selbst beruhigen, aber ihre Stimme klang unglücklich. Es schnitt mir ins Herz. Wir hatten so lange gebraucht, bis wir uns endlich zur Hochzeit durchgerungen hatten - und nun so was.
Hoffentlich weiß er nicht, wo wir heiraten, dachte ich. Hoffentlich passiert morgen nicht noch irgendetwas anderes .
Ich sah auf das Handy, dessen kleines Display in die Dunkelheit leuchtete, und schaltete es aus. »Der Typ ist garantiert zu feige, um irgendwas anderes zu machen, als seinen Mist da zu schreiben«, sagte ich. Es war ebenfalls ein Versuch der Selbstberuhigung.
Wonne nickte und hob den Kopf. »Du hast recht, Remi. Genug Trübsal geblasen.« Eine ganze Weile sah sie mich an. Nach und nach schien es ihr zu gelingen, die schlechte Stimmung zurückzudrängen. Im allerletzten Licht des Tages wurde ihr Lächeln wieder sichtbar.
Sie stand auf und verließ den Raum. Wir brauchten nicht darüber zu sprechen, um zu wissen, was nun folgte.
Ich schloss den Internetbrowser mit dem Bild vom Elisenturm. Der Desktop-Hintergrund mit dem Logo »Detektei Remigius Rott«, das auch unten neben der Haustür angebracht war, erschien auf dem Computerbildschirm. Dann schaltete ich die Schreibtischlampe ein.
Es war noch genug Zeit. Ich konnte die rechte Schublade öffnen und eine alte Packung Camel-Zigaretten hervorholen. Es waren noch zwei Stück drin. Ziemlich vertrocknet, aber das war egal. Nach ein bisschen Suchen fand ich ein Feuerzeug. Ein Aschenbecher stand ohnehin auf meinem Schreibtisch.
Ich zündete eine der Zigaretten an, schlug ein Bein über das andere und wandte mich der Tür zu. Im selben Moment klopfte es.
»Herein«, rief ich.
Die Gestalt, die nun das Zimmer betrat, trug ein hellblaues Kleid im Stil der dreißiger Jahre, dazu einen passenden kleinen Hut und eine Handtasche. Hohe Absätze klackerten über den Boden, als sie auf mich zukam. »Sind Sie der Privatdetektiv Remigius Rott?«, fragte sie mit rauchig verstellter Stimme.
Ich lehnte mich zurück und sah sie prüfend an. »Der bin ich, Lady. Was kann ich für Sie tun?«
Sie setzte sich auf denselben Stuhl wie vorhin. Ein Schuss Erregung löste sich in meinem Inneren, als ich im Schein der Schreibtischlampe ihr Gesicht sah. Sie hatte es tatsächlich geschafft, sich in den Minuten ihrer Abwesenheit nicht nur umzuziehen, sondern sich auch zu schminken. Sie entnahm ihrer Handtasche eine Packung Zigaretten, zog eine heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen, an denen roter Lippenstift glänzte. Dabei beugte sie sich vor. »Als Erstes können Sie mir Feuer geben, wenn es recht ist.«
Sie behielt mich im Auge, als wollte sie meine Gedanken lesen, während ich ihr die Flamme hinhielt. Den Oberkörper langsam wieder zurücklehnend, nahm sie einen Zug, weicher Rauch erfüllte den Raum.
»Das wäre der leichteste Auftrag, den ich je angenommen habe, Lady«, entgegnete ich und versuchte ebenfalls, meine Stimme etwas verändert klingen zu lassen. Cooler. Mehr wie der Detektiv, den sie so gern in mir sehen wollte.
»Das war ja auch noch nicht alles, Mister Rott«, hauchte sie.
Während sie rauchte, imitierte sie die Art, wie ich auf dem Stuhl saß. Ohne den Blick von mir abzuwenden, legte sie ebenfalls ein Bein über das andere, wobei der Saum des Kleides hochrutschte und einen Oberschenkel freilegte. Überrascht sah sie an sich herab.
»Hoppla«, meinte sie nur.
Ich beobachtete mit unverhohlenem Interesse, wie sie das Kleid weiter nach oben zog und ihre Beine betrachtete, als sei sie über deren Beschaffenheit erstaunt. Es waren aber nicht die Oberschenkel das eigentliche Thema der Betrachtung, sondern etwas anderes, ebenfalls sehr gut Sichtbares.
»Schau an«, sagte sie, nahm noch einen Zug von der Zigarette und blickte mich lächelnd an, so als hätte man ihr gerade ein großartiges Geschenk gemacht. »Da habe ich doch glatt vergessen, einen Slip anzuziehen.«
In mir vibrierte es. Ich nahm das Bein herunter, betrachtete Wonne eingehend, die jetzt sogar erwartungsvoll die Beine ein wenig auseinanderrückte, und drückte im Aschenbecher die Zigarette aus. Sie war noch nicht mal halb geraucht, aber das war egal.
»Wissen Sie, Mister Rott«, sagte sie und fächelte sich mit der rechten Hand Luft zu, »mir ist auch plötzlich so heiß. Dagegen sollte man unbedingt etwas tun.«
Ich räusperte mich. »Sie sind der Boss, Lady.«
Es endete im Schlafzimmer nebenan. Zwischen frisch gestrichenen Wänden und neben dem neuen Schrank, der das alte Ding ersetzt hatte, mit dem ich hier über zwanzig Jahre lang allein zurechtgekommen war.
Natürlich trug Wonne von ihrem Dreißiger-Jahre-Kostüm keinen einzigen Faden mehr.
»Ich frage mich, wie viele Frauen es gibt, die einen Detektiv-Fetischismus haben«, überlegte ich laut, Wonnes Kopf auf meiner Schulter.
»Oder wie viele Detektive einen Klientinnen-Fetisch«, gab sie zurück.
»Ich glaube, das sind mehr.«
»Das denkst du nur.« Sie stand auf, sodass ich ihre nackte schlanke Gestalt von hinten bewundern konnte. Langsam begann sie, ihre normale Kleidung aufzusammeln, die sie vor ihrer Kostümierung in der Eile einfach auf den Boden geworfen hatte. Dann zog sie sich an. »Hauptsache, es passt zusammen«, sagte sie, während sie ihren schwarzen BH schloss. »Pott und Deckelchen.«
»Ja genau, das ist die Hauptsache«, bestätigte ich.
Wonnes Handy lag auf dem Nachttisch. Für eine halbe Stunde hatte ich die Stalker-Attacken tatsächlich vergessen.
»Schon gleich halb acht«, sagte sie, während sie sich weiter anzog. »Ich muss mich beeilen.«
»Was ist los? Haben wir noch was vor?«
Sie hatte schon Jeans und Bluse an und streifte gerade ihren Pullover...
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