Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Sonne meinte es in diesem Jahr besonders gut. Obwohl der April noch ein paar Tage Zeit hatte, bevor er dem Wonnemonat Mai weichen musste, gab es bereits jetzt schon sommerliche Temperaturen von bis zu 28 Grad Celsius. Ein Wetter, das dazu einlud, irgendwo am Wasser zu sitzen, ein kühles Getränk in der Hand und mit den Gedanken weit, weit weg. Man könnte irgendwo in der Ferne Urlaub machen, zum Beispiel. Die Seele baumeln lassen. Und an alles denken, nur nicht an die Arbeit. Was für ein Traum ...
Eben, eben - ein Traum. Und nur ein Traum! Denn der normal arbeitende Mensch musste im echten Leben gerade in diesem Augenblick irgendwo im Lande an irgendeiner Maschine stehen, um irgendetwas herzustellen, was irgendein anderer arbeitender Mensch wiederum für seine Arbeit dringend benötigte.
Oder es ging einem wie Ella Engel, einer jungen Frau von knapp 25 Jahren, die jetzt, in diesem Moment kurz vor der Mittagspause, an ihrem kleinen und beengten Schreibtisch saß. Der wiederum stand in einem dieser unsäglichen Großraumbüros, wie es sie in Berlin zu Hunderten gab. Zum Glück war Ellas kleines Königreich ganz weit hinten untergebracht, am äußersten Ende des riesigen Büros, in einer Ecke versteckt und somit recht unauffällig für ihren Chef.
Dirk Holland hieß dieser unangenehme, leicht dickliche Zeitgenosse, dem die Haare auch schon etwas dünn wurden, aber er war eben der Chef hier. Er liebte es besonders, immer wieder durch die Reihen seines Call-Centers zu gehen und mit prüfendem Blick seine meist weiblichen Angestellten bei der Arbeit zu überwachen. Denn, wie jeder weiß: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Hin und wieder nickte er ihnen zufrieden oder auch aufmunternd zu. Gerade so, wie er es in den unzähligen Aufbauseminaren gelernt hatte: Ein guter Chef weiß zu stimulieren und zu inspirieren.
In der Regel funktionierte das auch ganz gut. Nur eben bei Ella nicht, der war solcherlei Chefgehabe schnurzpiepegal. Das mochte daran liegen, dass Büroarbeit nicht unbedingt ihr Lebensziel war. Und eine Karriere in einem Call-Center schon gleich gar nicht. Aber was wollte man machen? Sie musste Geld verdienen. Egal wie.
Eigentlich sollte sie, laut ihrer Arbeitsplatzbeschreibung, die täglichen acht Stunden Arbeitszeit dazu benutzen, diverse Leutchen anzurufen und denen diverse Versicherungen schmackhaft zu machen. Doch das war nun gleich so gar nicht ihr Ding. Sie glaubte schlechthin eben nicht an den Wahrheitsgehalt und die Ehrlichkeit eines Versprechens, das ausgerechnet von einer Versicherung kommen sollte.
Und so saß sie viel lieber vor ihrem PC und surfte den lieben langen Tag in diversen Autoseiten, immer auf der Suche nach ihrem Traumwagen. Besonders ein Modell hatte es ihr da angetan: Ein Ford Mustang! Ihr Lieblingsfilm war Bullitt, von 1968, mit Steve McQueen. Ella sah sich immer wieder diese eine Sequenz mit der längsten Auto-Verfolgungsjagd in der Filmgeschichte an: Die Jagd zwischen einem 1968er Ford Mustang Fastback und einem Dodge Charger R/T, dem ebenfalls 68er Modell. Die Amischlitten rasten kreuz und quer durch die Straßen von San Francisco. Zehn Minuten Autoverfolgung pur! Ein Muss für jeden Freund von PS-starken Boliden!
Ellas größter Traum wäre es, irgendwann selbst mal so einen Superschlitten ihr Eigen nennen zu können. Allerdings würde sie da noch jahrzehntelang in ihrem klitzekleinen Büroabteil hocken müssen, um gefühlt eine Million Versicherungspolicen an den Mann oder die Frau zu bringen.
Dazu sollte sie dann aber doch endlich mal wieder in die Tastatur ihres Computers hämmern und die vor sich liegenden Listen mit Namen und Adressen irgendwelcher wildfremder Menschen abarbeiten. Auch wenn es ihr echt zuwider war, Leute über den Tisch zu ziehen. Was soll´s, schließlich bezahlte sich die Miete nicht von allein. Und ihre Oma Agnes war ja auch noch da. Sie war nur eine der vielen Baustellen, die Ella täglich zu betreuen hatte .
Erstaunlicherweise klingelte da plötzlich Ellas Telefon im PC und riss sie aus ihren Tagträumen. Ella seufzte, wechselte ihre Autoansicht am PC in den Arbeitsmodus, schob gelangweilt ihr Headset zurecht und meldete sich mit ihrem etwas leiernden Standart-Begrüßungssatz.
«Dabbeljuh-Emm-Emm - We make Money. - Was kann ich denn für Sie tun?»
Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein älterer Mann, der ein wenig aufgeregt klang.
«Guten Tag. - Äh, Sie haben mir da ein Angebot zugeschickt. Mit der Post. Das würde ich gerne annehmen. Es geht um die Rentenverbesserung.»
Ella konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Natürlich wusste sie sofort, wer der Mann da am anderen Ende war.
«Guten Tag, Onkel Walter! Das ist ja ´n Zufall!»
Onkel Walter brauchte einen kurzen Moment, bis er begriff, mit wem er sprach.
«Ella, bist du das?»
«Klar, wer denn sonst?»
«Na, das ist ja wirklich ein Zufall! Also, wenn du da arbeitest, bei dieser Firma . Dabbeldu irgendwas und so, dann muss das ja gut sein. Weißt du was, mein Mädel, da nehme ich doch gleich mal zwei davon!»
«Nein, nimmst du nicht!»
Ella hob vorsichtig ihren Kopf über den Rand ihres kleinen Kabüffchens und ließ den Blick durch das Büro kreisen. Wie erwartet, nahm niemand Notiz von ihr. Ella rückte ihr Headset nahe an den Mund und sprach langsam und verschwörerisch ins Mikrofon.
«Onkel Walter, das Produkt ist totaler Schrott. Die wollen dich nur abzocken.»
«Aber hier steht, dass das eine ganz sichere Geldanlage ist!», widersprach Onkel Walter.
Ella atmete kurz durch. Ihr Ton wurde nun etwas schärfer.
«Onkel Walter! Schmeiß die Post weg und gut ist. Vertrau mir.»
Leider war Onkel Walter mit seinen 70 Jahren Lebenserfahrung bekanntermaßen ein wenig starrsinnig und nicht leicht davon zu überzeugen, dass Ella ihm nur Gutes wollte. Darum konterte er erneut mit einem zweifelnden: «Aber die haben doch hier extra geschrieben .»
Ella war ja eigentlich überall als geduldige und freundliche junge Frau bekannt, doch jetzt platzte ihr der Kragen. Laut brüllte sie in ihr Headset:
«Da gibt´s kein aber! Die Versicherung ist voll Kacke, wie der ganze andere Plunder hier auch! Schmeiß die Scheiße in den Müll, wo sie hingehört! - Fuck!!»
Wütend riss sich Ella das Headset vom Kopf und feuerte es auf den Schreibtisch. Im Großraumbüro war es schlagartig still.
Plötzlich stand Herr Holland neben Ella. Er schaute sie an und seine Erschütterung, aber auch seine Enttäuschung, waren ihm deutlich anzusehen. Fast tonlos sagte er:
«Frau Engel, in mein Büro. Sofort .»
Das Gespräch, zu dem Ella ins Büro ihres Chefs gebeten wurde, dauerte nicht lange und endete erwartungsgemäß. Ella packte ihre Siebensachen zusammen und verließ das Call-Center. Sie war gefeuert. Keine Ahnung, wie oft ihr das in den vergangenen paar Jahren schon passiert war. Ziemlich oft, wenn sie darüber nachdachte. Viel zu oft, wenn sie noch mehr darüber nachdachte. Und erstaunlicherweise ereilte sie der Rausschmiss meistens kurz vor Beendigung der jeweiligen Probezeit in den verschiedensten Jobs, denen Ella im Laufe der letzten Monate ihre Arbeitskraft geopfert hatte .
Ella kam also aus dem Bürohochhaus. In den Händen hielt sie einen Karton mit ihren paar Habseligkeiten. Sie ging zu ihrem alten, grauen Opel Corsa, der nur wenige Meter entfernt am Straßenrand stand. Er machte einen traurigen Eindruck, wie er da so einsam und verlassen herumstand. Ella öffnete die Beifahrertür, klappte den Sitz zurück und lud ihr Zeug auf die hintere Sitzbank. Dann ging Ella um das Auto herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Sie sah leicht abwesend in die Ferne und stieß einen tiefen Seufzer aus. Wenn sie in diesem Augenblick jemand gefragt hätte, wie es jetzt weitergehen sollte . Sie hätte wahrscheinlich nur ratlos mit den Schultern gezuckt.
Ach, was soll´s, dachte sie sich schließlich. Wird schon werden . irgendwie.
Ella seufzte noch einmal und wollte gerade den Motor starten, als ihr Blick zufällig auf den rechten Scheibenwischer fiel. Dort steckte ein Knöllchen. Schlagartig wurde ihr klar, warum ihr Auto hier so weit und breit allein auf der Straße parkte.
«Och, nee, Leute, echt jetzt?»
Ella stieg seufzend aus ihrem Auto aus, riss wütend das Knöllchen vom Scheibenwischer, stieg wieder ein und warf den Strafzettel ins Handschuhfach. Dort lagen bereits diverse andere Mitglieder der Familie "Schriftliche Ermahnung und Verwarnung", ausgestellt von Mitarbeitern des Ordnungsamtes und der Polizei.
Ella wollte den Opel starten, doch der Motor sprang nicht an. Mit jedem weiteren Versuch wurde das Geräusch unter der Motorhaube erbärmlicher, bis der Starter völlig verstummte. Nun hatte wohl die Batterie vollkommen ihren Geist aufgegeben. Ella spürte, wie sie langsam ihre...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.