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Kapitel 1
Vor fast neunzig Jahren, während der Sutton-Taylor-Fehde, versenkte John Wesley Hardin ein halbes Dutzend .44er Kugeln in einem Verandapfosten des Hauses, das ich heute bewohne. Damals lebte hier mein Großvater, Old Hack, der mir später auch die Geschichte von jenem Aufeinandertreffen mit dem Outlaw erzählte: Hardin war zu Ohren gekommen, dass Hack ihn ins Gefängnis werfen wollte, sollte er sich jemals wieder in DeWitt County blicken lassen, und so ritt Hardin sturzbetrunken und über Nacht den weiten Weg von San Antonio nach DeWitt zum Haus von Old Hack. Als Hardin auf dem Hof eintraf, war die Sonne gerade aufgegangen, und es regnete leicht. Sein schwarzer Anzug war von Matsch, Pferdeschweiß und Whiskeyflecken beschmutzt, am Sattelknauf hatte er mit einem Lederriemen eine Flinte festgezurrt, und in seiner Hand hielt er einen Navy-Colt, den Hahn bereits gespannt.
»Hey, Hack! Komm raus. Und wag es ja nicht, deine Lincoln-Nigger mitzubringen, sonst knall ich die gleich mit ab.«
Dazu muss gesagt werden, dass mein Großvater als Sheriff und Friedensrichter von der Regierung der Reconstruction-Ära dazu verdonnert worden war, zwei schwarze Unionssoldaten als Deputy Sheriffs zu beschäftigen, und dass unter den zweiundvierzig Männern, die Hardin im Laufe seiner Karriere unter die Erde brachte, viele Schwarze waren. Diese hasste er ebenso leidenschaftlich wie Gesetzeshüter und Carpetbaggers - die Nordstaatler, die nach dem Sezessionskrieg in den Süden kamen, um sich dort zu bereichern.
Hardins Gesicht war rot vom Alkohol, seine Augen geweitet, als er auf die Veranda feuerte. Durch die Lautstärke der Schüsse verängstigt, scheute sein Pferd, bäumte sich auf und versuchte seitlich auszubrechen. Als sich das Tier in seiner Not im Kreis zu drehen begann, schlug Hardin ihm mit der Pistole auf den Schädel und schoss weiter. Feuerstöße und schwarzer Qualm stoben aus der Mündung des Revolvers, bis die Trommel leer war. Alle sechs Schüsse trafen den Pfeiler in der Mitte der Veranda und bildeten eine makellose senkrechte Linie.
Hack war an diesem Morgen schon sehr früh auf den Beinen, da eine seiner Stuten gerade ein Fohlen gebar. Als er Wes Hardin durch das Scheunenfenster auf seinem Hof erblickte, zog er die Winchester aus dem Sattelholster an der Wand und wartete, bis Hardin die Trommel seines Revolvers geleert hatte. Bekleidet mit einem Pyjamaoberteil, das er in die Hose gesteckt hatte, und die Hände bis zu den Ellbogen voller Blut und Schleim, trat er hinaus auf den Hof und lud die Winchester durch. Als Hardin hinter sich das Ladegeräusch des Unterhebelrepetierers hörte, fuhr er im Sattel herum.
»Du gottverdammter Scheißkerl«, sagte Hack. »Besser, du lässt die Finger von der Flinte, oder ich verpass dir ein zweites Arschloch.«
Hardin stützte die Hand mit dem Revolver auf seinem Oberschenkel ab und wendete sein Pferd.
»Schleichst dich also von hinten ran, was?«, sagte er. »Los, hol deine Pistole und lass mich nachladen. Dann bezahl ich deine Nigger-Deputys auch dafür, dass sie dich verbuddeln.«
»Hab ich nicht gesagt, du sollst dich von DeWitt fernhalten? Stattdessen tauchst du hier auf, schießt meine Veranda entzwei und verscheuchst mit deiner Ballerei höchstwahrscheinlich die Hälfte meiner Mexikaner«, sagte Hack. »Aber ich verrat dir was: Ich werde dich in Ketten legen, dich ins Gefängnis werfen und dir in meinem Gerichtssaal wegen versuchten Angriffs auf einen Gesetzeshüter den Prozess machen. Und jetzt runter vom Gaul!«
Hardin starrte Hack an. Sein Killerblick wirkte so versteinert und entschlossen, als würde er in eine Flamme stieren. Dann zog er seine Stiefel aus den Steigbügeln, presste dem Pferd die Sporen in die Seiten und beugte sich nach vorn, hinunter zum Hals des Tieres, wo er sich an der Mähne festhielt, als das Pferd in Richtung Tor preschte. Ohne zu zögern sprang Hack nach vorn, riss die Winchester mit beiden Armen in die Höhe und rammte sie Hardin gegen den Schädel. Der Outlaw kippte aus dem Sattel und landete im Dreck. An seinem Haaransatz klaffte nun eine gut acht Zentimeter lange Wunde. Als er aufzustehen versuchte, trat Hack ihm zwei Mal ins Gesicht und warf ihn anschließend auf die Ladefläche eines Gemüsekarrens. Dort legte er Hardin Handschellen an, wickelte eine Eisenkette um dessen Körper und nagelte die Kettenenden am Boden des Pferdewagens fest.
Und so landete John Wesley Hardin im Gefängnis von DeWitt County, Texas. Nach dieser Geschichte legte er sich zwar nie wieder mit Hackberry an, sehr wohl aber mit einer Reihe anderer Gesetzeshüter, von denen allerdings keiner in der Lage war, Hardin Paroli zu bieten. Erst 1895 traf der Outlaw in einem Saloon in El Paso auf seinen Meister, einen Mann namens John Selman, der ihm eine Kugel in den Schädel jagte.
Es war ein heißer, windstiller Julitag. Ich stand auf der Veranda, an den Pfeiler mit den sechs verwitterten Einschusslöchern gelehnt, und schaute hinüber zu Old Hacks weißem Grabstein unter den Sumpfeichen des Familienfriedhofs der Hollands. Reglos hingen die von Staub überzogenen Blätter an den Bäumen, und das Laubdach warf in der Hitze gesprenkelte Schatten auf die Grabsteine. Auf dem Friedhof waren mehrere Generationen meiner Familie begraben. Zum einen lag dort Son Holland, ein Mann aus den Bergen von Tennessee, der 1835 aus den Cumberlands in den Süden gekommen war und in der Schlacht von San Jacinto für die Unabhängigkeit von Texas gekämpft hatte. Er war mit Sam Houston befreundet gewesen und hatte nach dem Krieg tausendzweihundert Morgen Land von der Republik Texas erhalten. Er verstarb altersbedingt, als er gerade Pferde für die Konföderierten beschlagnahmte. Auf dem Friedhof lagen auch die beiden älteren Brüder von Hack, die mit der texanischen Kavallerie unter General Hood in die Schlacht von Atlanta gezogen waren, außerdem mein Großonkel Tip, der beim ersten Viehtrieb auf dem Chisholm Trail dabei gewesen war und eine Indianersquaw geheiratet hatte. Daneben ruhten Sidney Holland, ein Baptistenprediger und Alkoholiker, der stets zwei Revolver und eine Derringer bei sich getragen und sechs Männer getötet hatte; Winfro Holland, der während der Sutton-Taylor-Fehde in einem Bordell ermordet und anschließend von einer Bande betrunkener Cowboys hinter ein Pferd gebunden und vor dem Laufhaus durch den Dreck geschleift worden war; Jefferson Holland, der nach zwei Jahren Business College in Austin der Meinung gewesen war, er könnte mit der King Ranch und der XIT Ranch auf dem Viehmarkt konkurrieren, und als Resultat sechshundert Morgen Land der Familie Holland eingebüßt hatte; und Sam Holland, mein Vater und Old Hackberrys Sohn - ein kultivierter Mann mit einem rheumatischen Herzen, der als Südstaatenhistoriker an der University of Texas gelehrt hatte, später während des New Deal Kongressabgeordneter geworden war und schließlich Selbstmord beging.
Hinter dem Friedhof flachten die grünen Hügel zu einem Fluss hin ab, der jahreszeitlich bedingt braun gefärbt war und wenig Wasser trug. An den Uferböschungen wuchsen Schwarz- und Virginia-Eichen sowie Mesquitesträucher. Auf den umliegenden Feldern blühten in schnurgerade angelegten Reihen mit gleichmäßigen Abständen die Baumwollpflanzen, während die Tomaten angesichts der frühen Sommerschauer schon jetzt prall und rot an den Stauden hingen. Die Sonnenstrahlen glitzerten auf den Rotorblättern der durch die Windstille paralysierten Western-Windräder, und durch das Hitzeflimmern sahen die Behausungen der mexikanischen Farmarbeiter, größtenteils einfache Häuser mit waagerechten Holzverschalungen oder Schindelfassaden, in der Ferne aus wie flachgedrückte Streichholzschachteln. Die Kolbenstangen meiner beiden Ölförderpumpen hoben und senkten sich monoton im Takt. Aufgrund der niedrigen Temperatur im Inneren der Rohre tropfte Kondensflüssigkeit von den Förderköpfen herab, und hin und wieder kroch mir der abscheuliche Geruch des Rohgases in die Nase. Die Bohrlöcher befanden sich in der Mitte eines Baumwollfeldes. Die Bohrtürme waren schon längst demontiert, die Baumwollpflanzen um die Förderköpfe herum mit chirurgischer Präzision in Quadratform zurückgeschnitten, was für mich schon immer wie eine Art Ehrfurchtsbezeugung der Landschaft gegenüber der texanischen Ölindustrie gewirkt hatte.
Der Zufahrtsweg zum Haus war mit weißem Kies bedeckt, auf den angrenzenden Flächen wuchs Hundszahngras. Weiße Holzzäune säumten den Kiesweg und die Straße, wo mein Grundstück endete. Der Rasen war frisch gemäht und wurde täglich von einem Schwarzen gewässert, den meine Frau mit der Pflege der Rosengärten beauftragt hatte. Neben der Veranda wuchsen auf beiden Seiten Magnolien- und Orangenbäume. Das Hauptgebäude war 1876 von Old Hack errichtet worden. Er hatte dabei die Holzstämme von Son Hollands ursprünglicher Hütte verbaut, die sich nun in unseren Küchenwänden befanden, und im Grunde hatte sich seit jener Zeit wenig verändert. Meine Frau hatte im ersten Stockwerk eine mit Rankgittern begrenzte, überdachte Veranda anlegen lassen, die nun großen Tontöpfen mit Farnpflanzen Platz bot, und eine mit Fliegengittern geschützte Seitenveranda, auf der wir an warmen Sommerabenden für gewöhnlich diniert und Eistee genossen hatten. Nachdem wir dazu übergegangen waren, unsere Mahlzeiten getrennt voneinander einzunehmen, wurde die Veranda im Erdgeschoss zur Cocktailbar für ihre Gartengesellschaften umfunktioniert, bei denen ein professioneller Barkeeper in weißem Jackett Eis schabte und Mint Juleps für die Gäste bereitete, meist Mitglieder von gemeinnützigen Organisationen wie den Daughters of the Confederacy, der Junior League und des Texas Democratic Women's Club.
Trotz der...
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