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Kapitel 2
Sechs Stunden später fuhren Pam Tibbs und Hackberry Holland zwanzig Meilen südwestlich vom Verwaltungssitz ihres Countys über eine lange unbefestigte Zufahrt auf ein Haus zu, das im viktorianischen Stil gebaut worden war und schon lange keine Farbe mehr gesehen hatte. Dafür verfügte es über eine breite Galerie samt Schaukel und Blumentöpfe mit Petunien und Springkraut. Im Sonnenuntergang wirkte die Landschaft befremdlich und hätte gut und gerne in einem Film aus den Vierzigerjahren als Kulisse dienen können: Der Boden war fest und cremefarben, das Gelände hügelig, von ausgetrockneten Bachbetten durchzogen und in regelmäßigen Abständen von Zaunpfosten aus Zedernholz unterbrochen, zwischen denen allerdings kein Draht mehr gespannt war, während die über allem thronenden Gewitterwolken in Verbindung mit dem roten Himmel das Gelände marmorierten.
An beiden Enden des Hausdachs ragten Blitzableiter in die Höhe. Hinter dem Gebäude drehte sich ein Windrad und pumpte Wasser in einen Aluminiumtank, aus dem drei altersschwache Pferde tranken. In einem Abstand von etwa dreißig Metern um das Haus herum verlief eine weiß gestrichene Backsteinmauer, die mit Stacheldraht und Glasscherben bewehrt war und an den Schutzwall von Fort Alamo erinnerte. An drei Seiten dieser rechteckigen Grundstücksmauer hatte man die Holztore entfernt und ihre Planken als Umgrenzung für zwei mit Kompost aufgefüllte Hochbeete benutzt. Damit erinnerte die ganze Anlage in gewisser Weise an einen Außenposten römischer Legionäre mit einer völlig unbrauchbaren äußeren Verteidigungslinie.
»Was hat es mit diesem Ort auf sich?«, fragte Pam.
»Miss Anton hat das Haus einem Sezessionisten abgekauft, der vor zwanzig Jahren meinte, das Gerichtsgebäude der Stadt stürmen zu müssen. Nachdem sie eingezogen war, tat es den Rangern ganz sicher leid, den Vorbesitzer eingelocht zu haben.«
»Miss?« Pam sah ihn fragend an.
Hackberry saß auf dem Beifahrersitz, den Stetson tief in die Stirn gezogen. »Ich bin eben gut erzogen«, sagte er.
Sie parkten den Jeep vor der Mauer, stiegen aus und betrachteten den Horizont im Süden durch einen Feldstecher. »Sieh dir das mal an«, sagte Pam.
Hackberry rollte einen Hefter mit ein paar Fotos im 20?x?25-Zentimeter-Format zusammen und steckte ihn in die Seitentasche seiner Hose. Dann richtete er den Feldstecher auf einen von Mesquitebäumen, Buscheichen und Weiden umsäumten Ablaufkanal. Über den Hügeln wirkte der Himmel wie grünes Gas; die Luft flimmerte vor Hitze und Feuchtigkeit. In der ausgeblichenen Erde steckte halb vergraben ein altes Auto, dessen vom Wind polierte Karosserie wie Alufolie glänzte. Die jüngere Geschichte dieses Ortes konnte man allerdings nur erahnen, wenn man sich den Boden des Ablaufkanals anschaute, wo allerlei Unrat herumlag: verschimmelte Kleidungsstücke, Fetzen von Plastikplanen, Turnschuhe mit aufgeplatzten Nähten, Toilettenpapierreste, verdorbene Lebensmittel, leere Wasserflaschen, weggeworfene Binden und kotverschmierte Windeln. Hoch über den Hügeln dieser Szenerie kreisten Truthahngeier, deren Federn im Wind flatterten.
»Ich hab gehört, sie war Mitglied in einer Organisation zur Flüchtlingshilfe - so eine Art Underground Railroad oder so. Stimmt das?«, fragte Pam.
»Ja, oben in Kansas, glaube ich«, sagte Hackberry. »Aber eigentlich brauchst du nicht in der Vergangenheitsform zu sprechen.«
»Hast du die Feds schon benachrichtigt?«
»Nein. Bin noch nicht dazugekommen.«
Er spürte, wie sie ihn von der Seite anschaute.
»Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte .«, setzte sie an.
»Spar's dir lieber«, sagte er.
»Du warst Anwalt für die ACLU und weißt genau, dass dieser Verein hier genauso beliebt ist wie ein Haufen Kojotenscheiße vor der Wohnungstür. Warum willst du dir unnötig zusätzlichen Ärger einhandeln?«
»Könntest du bitte derartige Ausdrücke während der Arbeit unterlassen? Du und Maydeen, ihr beide scheint eine Art unheilbaren Sprachfehler zu haben.«
Wieder war er in die Falle getappt und hatte Maydeen Stoltz, seine Disponentin in der Einsatzzentrale, mit Pam in einen Topf geworfen. Dabei wusste er ganz genau, dass er keine Chance hatte, wenn sich die beiden zusammentaten und Front gegen ihn machten. Manchmal schloss er sich in solchen Momenten sogar in sein Büro ein und tat so, als wäre er nicht da.
»Du scheinst einfach nicht in der Lage zu sein, auf dich selbst aufzupassen. Also müssen wir das für dich übernehmen und dir den Arsch retten. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag doch mal die anderen im Department«, sagte Pam. »Deine Wähler mögen dir zwar erzählen, dass sie Jesus lieben und Gott fürchten, aber in Wirklichkeit wollen sie bloß, dass du die bösen Jungs über den Jordan schickst und sie nicht mit den Details nervst.«
»Ich kann nicht glauben, dass ich mir als Sheriff dieses Countys so etwas anhören muss. Und das jeden Tag!«
»Das ist ja das Problem: Egal wie oft wir es dir sagen, du lernst es nicht. Du hast einfach ein zu großes Herz. Frag Maydeen.« Pam nahm ihm den Feldstecher aus der Hand und steckte ihn in das lederne Etui zurück, das sie anschließend auf den Fahrersitz legte. »Habe ich was Falsches gesagt?«
»Ach was! Wie kommst du denn darauf?«, antwortete er.
Pam stützte die Hände in die Hüften und schien gedanklich schon woanders zu sein. »Und diese Frau ist so was wie die texanische Version der Heiligen Jungfrau von Lourdes und kann Wunder bewirken, oder wie?«
»Nein«, sagte Hackberry. »Ich meine, ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt kann ich im Moment weder dieser Unterhaltung folgen noch deine Gedanken nachvollziehen, Pam.«
»Du willst nur nicht wahrhaben, dass die Leute deine schwache Stelle kennen. Wenn du nicht aufpasst, tanzt dir diese chinesische Tussi gleich auch noch auf der Nase herum. Du solltest langsam mal die Augen öffnen und aufhören, zu den falschen Leuten nett zu sein.«
»Das sehe ich nicht so. Ganz und gar nicht.«
»Genau davon rede ich ja.«
Hackberry setzte seinen Stetson auf, weitete die Augen und ließ den Moment mit versteinerter Miene vorbeiziehen. »Wenn wir gleich mit dieser Frau sprechen, sollten wir nicht vergessen, wer wir sind. Wir behandeln die Menschen mit Respekt, insbesondere wenn sie schon so viel durchgemacht haben.«
»Jetzt hör aber auf. All diese ach so selbstlosen und engagierten Leute legen es doch nur darauf an, dass ihre Mitmenschen sich schuldig fühlen. Und jetzt sag mir nicht, ich würde Scheiße erzählen!«
Hackberry fühlte sich, als hätte ihm jemand einen kleinen Nagel zwischen die Augen gesetzt und diesen langsam mit einem Polsterhammer in seine Stirn geschlagen.
Es war schwer, das Alter der Asiatin einzuschätzen, die ihnen die Tür öffnete. Sie hatte eine kompakte Figur, trug eine dunkle Brille und ein weißes Kleid mit einem schwarzen Schnürband im Ausschnitt. Man hätte sie auf Anfang vierzig geschätzt, aber Darl Wingate hatte Hackberry erzählt, dass sie die japanischen Brandbombenangriffe und die Massaker an chinesischen Zivilisten miterlebt und möglicherweise für Claire Chennaults Fluggesellschaft Civil Air Transport gearbeitet hatte. Besonders über den letzten Punkt wollte Hackberry lieber nicht nachdenken.
Beim Eintreten setzte er den Hut ab und musste seinen Augen einen Moment Zeit geben, um sich an die schlechte Beleuchtung im Inneren des Hauses zu gewöhnen. Die Möbel sahen heruntergekommen aus: Couch und Stühle waren mit billigem Stoff abgedeckt, die Teppiche abgenutzt, und an der Wand stand eine alte Glasvitrine, vollgestopft mit Büchern, die irgendjemand auf Flohmärkten zusammengekauft hatte. »Wir suchen einen Mann, der möglicherweise ermordet werden sollte, Ms. Ling«, sagte er.
»Wieso glauben Sie, dass Sie ihn hier finden?«, fragte sie.
Durch das Fenster konnte Hackberry ein schlicht verputztes Gartenhaus sehen, daneben eine Scheune aus Brettern und ein längliches Gebäude mit Flachdach, das früher einmal als Schlafbaracke gedient haben könnte. »Vielleicht, weil Sie mitten auf einem inoffiziellen Highway leben, über den massenhaft Menschen auf mehr oder weniger legale Weise von Süden nach Norden reisen?«
»Wie heißt der Mann?«, fragte sie.
»Das wissen wir leider nicht. Das FBI hat jedoch nähere Informationen über ihn«, antwortete er.
»Verstehe. Aber ich glaube nicht, dass Sie diesen Mann hier finden werden.«
»Er trägt wahrscheinlich einen Eisenring an einem seiner Handgelenke und dürfte nach dem, was er erlebt hat, große Angst haben und ziemlich verzweifelt sein«, fuhr Hackberry fort. »Der Mann, mit dem er zusammengekettet war, ist nämlich von sechs bewaffneten Personen zu Tode gefoltert worden. Wir nehmen an, dass sie aus Mexiko kamen.«
»Wenn dieser Mann wirklich so verzweifelt ist, wie Sie sagen, warum wendet er sich dann nicht an Sie?«, fragte Anton Ling.
»Ich vermute, er traut der Polizei nicht über den Weg.«
»Aber mir vertraut er?«
»Keine Angst«, schaltete sich Pam ein. »Wir sind nicht von der Einwanderungsbehörde und auch nicht von der Border Patrol.«
»Ja, das hab ich schon an Ihren Uniformen erkannt.«
»Was ich eigentlich sagen will: Es interessiert uns nicht, ob Sie hier irgendwelchen Wetbacks Essen geben und Unterschlupf gewähren«, erklärte Pam. »Illegale gibt es schon seit Ewigkeiten in diesem Land.«
»Ja, so ist es, nicht wahr?«
Pam schien über die tiefere Bedeutung...
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