Schweitzer Fachinformationen
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Es war das Ende einer Epoche, von der ich vermute, dass Historiker sie womöglich als das letzte Jahrzehnt der Amerikanischen Unschuld ansehen. Es war eine Zeit, an die wir uns weniger wegen bestimmter historischer Ereignisse als vielmehr in Bildern und Tönen erinnern - rosafarbene Cadillacs, Autokinos, stilisierte Straßenkriminelle, Rock 'n' Roll, in der Musikbox Hank und Lefty, der dirty bop, Baseballspiele am helllichten Tag, ausgeschlachtete '32er Fords mit Mercury-Maschinen, die mit einem Höllenlärm an Drive-in-Lokalen vorbei Rennen veranstalteten, das Ganze vor einer Kulisse aus Palmen, einer sich kräuselnden Brandung und einem violetten Himmel, den Gott ganz offensichtlich als filmisches Tribut an unsere Jugend erschaffen hatte.
Die Jahreszeiten schienen ewig zu dauern und nicht den Gesetzen des Wandels zu unterliegen. Und wenn doch, dann war es unwahrscheinlich, dass der Frühling unseres Abschlussjahres jemals vom beißenden Geruch des Winters beschmutzt werden würde. Wenn uns Bilder von Sterblichkeit in den Sinn kamen, mussten wir uns nur gegenseitig ins Gesicht sehen, um uns zu versichern, dass keiner von uns jemals sterben würde, dass Gerüchte weit entfernter Kriege rein gar nichts mit unserem Leben zu tun hatten.
Jimmie Robicheaux war mein Halbbruder. Er war ein Hitzkopf, ein Idealist und bei Kneipenschlägereien ein furioser Faustkämpfer, häufig jedoch auch verletzlich und übel missbraucht von jenen, die seine tief sitzende Gutmütigkeit auszunutzen verstanden. 1958 schufteten er und ich in Zehn-Tages-Schichten mit anschließenden fünf freien Tagen für eine sogenannte Doodlebug-Firma, das heißt für eine Seismografen-Crew, die Gummikabel und seismische Detektoren in den Buchten und Sümpfen entlang der Küsten von Louisiana und Texas verlegte. Wenn wir freihatten und an Land waren, hingen wir auf Galveston Island ab, angelten nachts auf den Landungsbrücken, gingen morgens schwimmen und aßen gebratene Shrimps in einem Café im Vergnügungsviertel im Hafen, wo direkt vor den offenen Fenstern Möwen flatterten und kreischten.
Der vierte Juli jenes Jahres war ein eigenartiger Tag. Der Luftdruck sackte ab, der Himmel nahm eine chemisch grüne Farbe an, und wo die hereinrollenden Brecher auf den Strand klatschten, spülten sie jede Menge Sand und tote Köderfische an Land. Die Dünung zwischen den Wellen war glatt, nur von Regentropfen leicht gekräuselt, aber unter der harmlos erscheinenden Oberfläche herrschte ein enormer Sog, fast wie Stahlkabel um die Oberschenkel, und der Sand verschwand blitzschnell unter unseren Füßen, wenn die Wellen zurück hinaus aufs Meer gezogen wurden.
Die meisten Schwimmer verließen das Wasser. Vielleicht lag es an unserer Jugend oder der Tatsache, dass Jimmie und ich zu viel Bier getrunken hatten, jedenfalls schwammen wir weit hinaus bis auf die dritte Sandbank, das letzte Hindernis zwischen der Insel und dem Rand des Festlandsockels mit seinem jähen Gefälle. Die Sandbank bot jedoch einen recht soliden Untergrund und lag mit ihrem Kamm nur gut einen halben Meter unter der Oberfläche, was es einem Schwimmer erlaubte, vor dem Gezeitenstrom sicher, den herrlichen Blick sowohl auf den Horizont im Süden als auch auf die überall entlang der Küste angehenden Lichter zu genießen.
Die Sonne brach durch die Gewitterwolken im Westen, direkt über dem Rand der Welt, und erinnerte an flüssiges Feuer, das sich im Inneren der Wolken sammelte. Zum ersten Mal an diesem Tag sahen wir unsere eigenen Schatten auf der Wasseroberfläche. Dann erkannten wir, dass wir nicht allein waren.
Etwa 30 Meter weiter auf dem offenen Meer zog eine Haifischflosse, stahlgrau und dreieckig, durch die Dünung und verschwand wieder unter einer Welle. Jimmie und ich standen mit heftig pochenden Herzen auf der Sandbank und warteten, dass die Flosse wieder auftauchte. Hinter uns hörten wir das Knistern und Knacken der Blitze in den Wolken.
"Wahrscheinlich ein Sandtiger", meinte Jimmie.
Aber wir wussten beide, dass die meisten Sandtigerhaie eher klein sind und eine gelbliche Färbung haben und sich nicht bei Sonnenuntergang auf dem äußeren Schelf her umtreiben. Wir starrten lange Zeit aufs Wasser, dann bemerkten wir, wie, dicht unter der Wasseroberfläche, ein Schwarm Köderfische panisch auseinanderstob. Die Köderfische schienen wie Silbermünzen in die Tiefe zu sinken, dann wurde die Dünung wieder glatt und dunkelgrün und kräuselte sich nur noch leicht, wenn der Wind etwas auffrischte. Ich hörte, dass Jimmie so schwer atmete, als hätte er sich einen Berg hinaufgequält.
"Sollen wir zurückschwimmen?", fragte ich.
"Die verwechseln Menschen mit Seeschildkröten. Sie schauen nach oben, bemerken eine Silhouette, sehen, wie wir mit Armen und Beinen herumplanschen und denken, hey, das sind Schildkröten", sagte er.
Es war nicht kalt, aber der Wind verursachte ihm eine deutliche Gänsehaut.
"Lass uns abwarten, bis er weg ist", sagte ich.
Ich sah Jimmie tief Luft holen und wie sein Mund einen Kegel formte, als ob ein Stück Trockeneis auf seiner Zunge verdampfte. Dann wurde sein Gesicht aschfahl, und er sah mir direkt in die Augen.
"Was?", fragte ich.
Jimmie zeigte stumm nach Süden, auf etwa zwei Uhr von unserem Standort aus gesehen. Eine Flosse, größer als die erste, zog diagonal durch eine Welle und zerschnitt sie. Dann sahen wir, wie der Rücken des Hais die Wasseroberfläche durchbrach, das Wasser von seiner Haut, in der Farbe von geschmolzenem Zinn, abperlte.
Wir hatten keine Alternative. Die Sonne ging unter wie ein zerflossener Planet, der im eigenen Rauch versank. In einer halben Stunde würde die Flut einsetzen, uns von der Sandbank heben und uns keine andere Möglichkeit lassen, als zum Strand zurückzuschwimmen, wobei unsere Körper sich als Silhouette deutlich gegen den Abendhimmel abzeichnen würden.
Musikfetzen und der Lärm explodierender Feuerwerkskörper wehten von der Hafenmole zu uns herüber, und wir sahen die Lichteffekte von Raketen und Leuchtkugeln über den alten Offiziersquartieren der U.S. Army entlang des Strandes. Eine Welle strich über meine Brust, und im Wasser bemerkte ich die rosa-bläuliche Gasblase und die rankenartigen Nesselfäden einer Portugiesischen Galeere. Sie trieb weiter, dann schien noch eine und eine weitere aus einer Welle zu fallen und wie halb aufgeblasene Ballons in einem Strudel zu kreisen.
Vor uns lag ein weiter Weg bis zum Strand.
"Da sind Haie im Wasser! Habt ihr Jungs die Flaggen der Rettungsschimmer nicht gesehen?", rief eine Stimme.
Ich wusste nicht, woher die junge Frau gekommen war. Sie saß rittlings auf einem Reifenschlauch, an den zwei weitere gebunden waren, und sie hielt ein kurzes Holzpaddel in den Händen. Sie trug einen schwarzen Badeanzug und hatte rötlich-blonde Haare. Auf ihren Schultern glühte ein Sonnenbrand. Hinter ihr, in der Ferne, konnte ich die Spitze einer steinernen Mole sehen, die weit in die Brecher hinausragte.
Sie paddelte mit ihrem improvisierten Floß, bis es direkt über der Sandbank trieb und wir hinüberwaten konnten.
"Wo kommst du denn her?", fragte Jimmie.
"Wen interessiert's? Spring besser rauf. Die Quallen können dir das Licht ausblasen", sagte sie.
Sie war groß und schlank und kaum älter als wir, und ihr Akzent war stark texanisch. Eine Welle brach an meinem Rücken, brachte mich aus dem Gleichgewicht. "Seid ihr Jungs taub, oder was? Man hat nicht so richtig das Gefühl, ihr freut euch, dass jemand euch aus dem Schlamassel holt, in den ihr euch manövriert habt", sagte sie.
"Wir kommen!", erwiderte Jimmie und kletterte auf einen der Reifenschläuche.
Zweimal wurden wir von Wellen überspült, und wir brauchten fast eine halbe Stunde, um das Becken zwischen der dritten und zweiten Sandbank zu durchqueren. Ich meinte, ich hätte eine Rückenflosse durch die Wasseroberfläche brechen und dann im Licht der Abendröte dahinziehen gesehen, und einmal stieß ein fester Körper gegen mein Bein, als würde man von einem etwas einfältigen Schlägertypen in einem vollen Bus angerempelt.
Als wir jedoch die zweite Sandbank hinter uns hatten, befanden wir uns in einer völlig anderen Welt, die berechenbarer war, wo wir mit den Zehenspitzen den Grund berühren, den Rauch der Grillfeuer riechen und Kinder beim Fangen spielen im Dunkeln hören konnten. Unser Leben war nicht mehr dem unendlichen Ozean ausgeliefert, in dem es Raubtiere gab und wo man leicht Opfer der Naturgewalten werden konnte, wenn man zu achtlos war. Als wir uns aus der Brandung erhoben, fühlte sich der Wind auf unserer Haut so süß an wie der Kuss einer Frau.
Unsere Retterin sagte, ihr Name sei Ida Durbin und sie hätte uns von der Mole aus mit dem Fernglas gesehen und wäre zu uns hinausgepaddelt, weil nur ein Stück weiter die Küste hinauf bereits ein Kind von einem Hai angegriffen worden sei.
"Machst du das für jeden?", fragte Jimmie.
"Es gibt immer Leute, auf die man aufpassen muss, zumindest solche, die noch nicht begriffen haben, dass im tiefen Wasser Haie leben", meinte sie.
Jimmie und ich besaßen ein kanariengelbes 1946er Ford Cabrio mit Weißwandreifen und verchromten Zwillingsauspuffrohren. Wir fuhren Ida zur Mole zurück, wo sie ihre Strandtasche holte und in einem Umkleidehäuschen den Badeanzug gegen Kleid und Sandalen tauschte. Dann gingen wir zusammen in eine Strandbar, wo es Wassermelone und gebratene Shrimps gab. Zwischen den Palmen waren Lichterketten mit winzigen weißen Lämpchen gespannt, und dort saßen wir, aßen Shrimps und sahen dem Feuerwerk über dem Wasser zu.
"Seid ihr beide Zwillinge?", wollte sie...
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