Schweitzer Fachinformationen
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In Dr. Supatras unterirdischem Reich hängen Kreissägen und unterschiedlichste Messerarten an den Wänden, von Hackbeilen bis zu eleganten Stiletten. Ich habe ihr noch nichts von der DVD erzählt; nur die FBI-Frau und Chanya wissen Bescheid, was nicht sonderlich für die Thai-Integrität spricht, oder? Nicht, dass ich Supatra nicht vertrauen würde. In unserer Zeit ohne Ehre heben sich die, die sie besitzen, besonders deutlich ab. Supatra ist genauso unbestechlich wie ich. Warum ich ihr dann nichts von der DVD gesagt habe? Weil ich sie nicht beeinflussen wollte.
Ich stelle sie Kimberley vor. Dr. Supatra bedenkt sie mit einem argwöhnischen Blick; heutzutage haben wir alle ein kleines Problem mit dem westlichen Überlegenheitskomplex - auch wenn Kimberley letztlich nicht mehr wirklich darunter leidet. Wir lernten uns vor ungefähr fünf Jahren bei der Aufklärung eines Falls hier in Bangkok kennen; damals war Kimberley noch eine hormongesteuerte Männerjägerin. Inzwischen wirkt sie sehr viel trauriger, aber auch weiser. Nun kennt sie die Thai-Sitten gut genug, um die Hände zu einem durchaus beachtlichen Wai an die Lippen zu führen, das Supatras höherem Status aufgrund ihres Alters Rechnung trägt: Sie ist über fünfzig, nur wenig mehr als eins fünfzig groß, schlank und sieht streng aus in ihrem weißen Laborkittel. Jetzt, da Kimberley ihre Demut demonstriert hat, kann Supatra ihr Herz öffnen und führt uns aus dem Labor ins Kellergewölbe. Mit nachdenklich schräg gelegtem Kopf - eine Technik, die wunderbarerweise ihre mangelnde Körpergröße ausgleicht - fragt sie: »Nun, Sonchai, wissen Sie, wer das Opfer ist?«
Ich zucke unwillkürlich zusammen, was Dr. Supatra nicht mitbekommt - anders als Kimberley mit ihren unerbittlichen blauen Augen.
»Ich habe ihre Fingerabdrücke in der nationalen Datenbank überprüft. Es handelt sich um eine gewisse Damrong aus Isakit.«
»Eine Prostituierte?«
»Klar.«
»Hm.«
Mittlerweile haben wir den Aktenschrank des Todes erreicht, etwa hundert mannsgroße Schubladen in einer Wand. Ohne die Nummer überprüfen zu müssen, wendet Dr. Supatra sich einer in Kniehöhe zu und signalisiert mir mit einer Geste, dass ich sie herausziehen soll. Sie ist schwer, aber leichtgängig; ein mittelstarker Ruck setzt sie in Bewegung, und schon gleitet Damrong, Kopf zuerst, heraus. Wieder zucke ich zusammen. Dr. Supatra schreibt das meiner Sensibilität zu; die FBI-Frau blickt tiefer.
Sie ist auch mit ihrem aufgeschwollenen Gesicht noch attraktiv: eleganter Kinnbogen, hohe Wangenknochen, ägyptische Katzenaugen, schmale, aber sinnliche Lippen, ebenmäßige weiße Zähne, dieses gewisse Etwas .
Wem mache ich etwas vor? Natürlich hat das Strangulieren ihre Gesichtszüge auf schreckliche Weise verzerrt und entstellt; doch als die Schublade ganz herausrollt, besteht kein Zweifel mehr an der Vollkommenheit ihres Körpers, der Fülle ihrer Brüste, der perfekten Form ihrer festen, aber anschmiegsamen Hüften. Ihre Schambehaarung ist rasiert, in einer ihrer Schamlippen steckt ein Silberring. Um ihren Nabel ringelt sich eine Schlangentätowierung mit einem Schwert. Unwillkürlich greife ich nach ihrem schlaffen linken Handgelenk und drehe es herum, wo sich an der Innenseite eine schmale helle Narbe befindet, etwa zweieinhalb Zentimeter lang, von einem Längsschnitt in eine der Adern. Dr. Supatra nickt. »Ja, die habe ich auch gesehen. Eine alte Verletzung. Falls sie von einem Selbstmordversuch stammt, war der nicht sonderlich ernst gemeint.«
»Ja«, pflichte ich ihr bei.
Dr. Supatra hat gute Arbeit geleistet. Am liebsten würde ich die große, durch ordentliche Stiche geschlossene Y-förmige Öffnung von Damrongs Körper, die vom Brustkorb bis zum Unterleib reicht, zudecken. Alle Organe sind entnommen; der Anblick schmerzt - besonders jetzt, da die FBI-Frau sich auf meinen Gesichtsausdruck konzentriert.
»Nun«, frage ich schluckend, »was können Sie uns sagen?«
»Über die Todesursache? In diesem Fall stimmt der äußere Schein mit dem tatsächlichen Geschehen überein. Sie wurde mit einem etwa einen Zentimeter dicken Nylonseil erwürgt, dem orangefarbenen Strick, den Ihre Männer um ihren Hals gefunden haben: Die Fasern stimmen mit denen der Mordwaffe überein. Alle ihre inneren Organe sind unverletzt, und es gibt auch keinerlei Wunden, Viren oder Bakterien, die ihren Tod verursacht haben könnten.«
»Keine Hinweise auf gewaltsame Penetration?«
»Nein. Offenbar wurde ein Gleitmittel benutzt. Natürlich bedeutet das nicht notwendigerweise, dass der Geschlechtsverkehr mit ihrer Einwilligung stattfand, nur, dass er relativ schmerzlos erfolgte.«
»Sperma?«
Kopfschütteln. »Vagina und Anus wurden penetriert, vermutlich von einem Penis mit Kondom, denn ich konnte keine Spermaspuren entdecken.«
Ich schweige einen Augenblick, weil ich merke, dass Dr. Supatra bewusst etwas zurückhält, bevor ich frage: »Und?«
»Keine Partydrogen. Wie ihr Geisteszustand zum Zeitpunkt ihres Todes auch immer gewesen sein mag - durch Drogen wurde er nicht beeinflusst.«
»Irgendwelche Hinweise auf Gegenwehr?«, erkundigt sich die FBI-Frau.
Dr. Supatra schüttelt den Kopf. »Nein, das ist ja das Merkwürdige. Eigentlich würde man zumindest blaue Flecken oder verkrampfte Muskeln erwarten, aber nichts. Es sieht fast so aus, als wäre sie in gefesseltem Zustand erwürgt worden - doch auch auf eine gewaltsame Fesselung gibt es keine Hinweise.«
»Verdammt«, sagt Kimberley. Dr. Supatra hebt eine Augenbraue. »Tja, wahrscheinlich will ich das Ende einfach nicht glauben.«
»Ende?«, fragt Dr. Supatra. »Was für ein Ende?«
Kimberley hält die Hand vor den Mund, aber es ist zu spät. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als Dr. Supatra von der DVD zu erzählen. Supatra nickt; als Profi begreift sie sofort, warum ich ihr erst jetzt davon berichte. Sie schenkt mir sogar ein mütterlich verständnisvolles Lächeln.
»Trägheit ist eine nationale Schwäche«, erklärt sie der FBI-Frau. »Sonchai hatte Angst, dass ich faul werden und meine Arbeit nicht richtig erledigen würde, wenn ich den Film sähe.«
»Ich wollte die DVD schon zurückhalten, bevor ich wusste, dass Sie sich mit dem Fall beschäftigen würden«, erwidere ich.
»Sie haben sie doch auch noch aus anderen Gründen nicht erwähnt, oder? Snuff Movies erzielen hohe Preise auf dem internationalen Markt, heißt es. Was bedeutet, dass Sie etwas sehr Wertvolles in Händen halten.« Und an Kimberley gewandt, fügt sie hinzu: »Aber wie war das noch mal mit dem Ende, das Ihnen so wenig gefällt?«
Kimberley will ihr darauf keine Antwort geben, also verspreche ich Dr. Supatra, ihr die ganze DVD zu zeigen, sobald Zeit dazu ist. Allerdings hat die FBI-Frau noch eine andere Frage. »Dr. Supatra, ist Ihnen zuvor jemals ein Fall von Strangulation untergekommen, in dem es keinerlei Hinweise auf Gegenwehr gab?«
Dr. Supatra mustert sie neugierig, als wäre ihr soeben klar geworden, welche Bedeutung diese Frage für einen Farang haben kann. »Nicht, dass ich wüsste, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass unsere Kultur ein eigenes Bewusstsein besitzt.«
Kimberley runzelt die Stirn. »Ein eigenes Bewusstsein?«
»Im Hinblick auf den Tod«, erklärt die Pathologin. »Der Umgang einer Kultur mit dem Tod definiert auch ihre Einstellung zum Leben. Verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber der Westen vermittelt manchmal den Eindruck, als würde er ihn leugnen. Thais sehen das ein bisschen anders.«
»Inwiefern unterscheidet sich Thailand da von uns?«
»Es geht nicht um Thailand allein, sondern um ganz Südostasien. Wir stehen alle auf Geister - die Malaysier sind viel schlimmer als wir. Natürlich gibt es zu diesem Thema keine Statistiken, aber wenn man den Thais glauben darf, übersteigt die Zahl der Untoten die der Lebenden um ein Hundertfaches.«
»Sie als Wissenschaftlerin glauben das doch nicht, Dr. Supatra, oder?«
Dr. Supatra lächelt fragend. Ich nicke. »Tja, ich bin Wissenschaftlerin, aber eben keine westliche. Mit Sonchais Erlaubnis würde ich Ihnen gern etwas zeigen.« Wieder nicke ich, und schon folgen wir Dr. Supatra in ihr Büro. Immer noch mit Sphinxlächeln holt sie ihren Laptop sowie eine Sony-Videokamera aus einer Schublade. »Damit beschäftige ich mich in den meisten Nächten«, sagt sie und demonstriert, wie sie die Kamera aufs Bürofenster richtet, das auf die Pathologie mit den Leichenreihen in den Stahlgruften geht und die Bilder auf ihrem Computer aufzeichnet. »Möchten Sie die Ausbeute der letzten Nacht anschauen?« Wieder sieht sie mich fragend an; schließlich ist die FBI-Frau mein Gast. Ich nicke zum dritten Mal, ein wenig verlegen. Erliege ich der Versuchung der Boshaftigkeit? Plötzlich werde ich ob dieser unangekündigten Initiation nervös; vielleicht flippt die FBI-Frau ja aus? Aber jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher. Kimberley sitzt an Dr. Supatras Schreibtisch, während diese an ihrem Laptop hantiert. »Leider muss ich...
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