Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Eine Druse von Amethyst, gefüllt mit Tausenden von dicht gedrängten Kristallen und von einem silbergrünen Bande eingefaßt. Das war Fes, die alte Stadt Fes im Abendlicht. Als wir bergab auf sie zugingen, dehnte sich ihre Mulde zusehends aus; die vielen einförmigen, aber unregelmäßig aneinandergewachsenen Kristalle zeichneten sich deutlicher ab, hell auf der einen und dunkel angehaucht auf der anderen, dem Wetter ausgesetzten Seite, und zwischen ihnen und dem silbergrünen Gürtel der Olivenhaine wurde die alte Stadtmauer mit ihren Türmen sichtbar. Nach dem Stadttor, das uns zunächst lag - Bab al-Gissa heißt es -, zogen wie seit jeher die kleinen Eselkarawanen, und heraus kamen Gruppen von maghrebinisch gekleideten Männern und Kindern in den Abendwind und vor die grüne Weite; denn es war Frühling, und die Hügel ringsum waren voll gelber und blauer Blumen.
Im Herzen der Stadt, gegen die Tiefe des Tales zu, erkannte man das zeltförmige Dach aus grünglasierten Ziegeln, das die Kuppel über dem Grab des heiligen Idris, des Gründers von Fes, deckt; daneben ragte ein Minarett. Nicht weit davon entfernt lagen die ebenso smaragdgrünen Dächer der alten koranischen Hochschule al-Qarawin. Je näher wir der Stadt kamen, um so mehr Minarette wuchsen in den Himmel, lauter viereckige, oben stumpfe Türme, ähnlich den romanischen Stadttürmen Italiens. Es mögen ihrer an die hundert sein. Sie zeigen die Lage der größeren Moscheen an; noch mehr kleinere Moscheen sind unsichtbar im Gewirr der hohen, grauweißen, jetzt rötlich leuchtenden Häuserwürfel verborgen. Eine Stadt voll Heiligtümer: Die europäischen Reisenden, die sie am Anfang des Jahrhunderts als erste besuchten, sprachen entweder von einer «Hochburg des Fanatismus» oder erzählten verwundert von einer Stätte immerwährenden Gebetes.
Ob sich die alte Stadt seit den fünfundzwanzig Jahren, die ich ihr ferngeblieben war, innerlich verändert hatte? Sie sah noch gleich aus wie früher, uralt, verwittert, in ihren Mauern geborgen. Nur ein paar Gruppen von weißen Häusern im freien Gelände draußen, da wo sich früher niemand anzusiedeln gewagt hätte, und ein paar armselige Hütten, die sich in verlassenen Kalkgruben einnisteten, zeigten an, daß das Volk der Armen dem Schutz der alten Mauer entwuchs.
Blick von den Hügeln im Norden von Fes auf die Mitte der Altstadt mit dem grünen Zeltdach und dem Minarett der Grabmoschee von Idris II. Im Vordergrund die Stadtmauer, von der untergehenden Sonne beschienen.
Zu unserer Linken, nach Osten hin, öffnete sich die Mulde, in der Fes liegt, auf die Niederung des Sebuflusses: ein weites, flaches Tal, an dessen Horizont ein Bergzug des mittleren Atlas, der Bu Iblan, noch schneebedeckt ragte. Im Westen, auf einer etwas höheren Stufe, begann die Ebene, auf welcher die mittelalterliche Sultansstadt, Fes Djedid, das «Neue Fes», und noch ferner die von den Franzosen erbaute Neustadt liegt.
Die Stadt kam auf mich zu, und zugleich tauchte sie aus meiner eigenen Seele herauf, aus dem Dunkel der Erinnerung, mit all ihren tausend Gesichtern, die mich fragend bedrängten; denn Fes war mir vertraut gewesen, bekannt und doch voll unerschöpfter Geheimnisse. In ihm hatte ich eine andere Welt und eine andere Zeit erlebt, die herbe und würzige, äußerlich arme, aber innerlich reiche Welt des Mittelalters, die es vielleicht schon nicht mehr gab. Es ist eine Stadt gewesen, die sich der Fremdherrschaft beugte und das Heraufkommen einer neuen, von mechanischen Mächten beherrschten Ordnung stumm entgegennahm, innerlich aber noch sich selber treu geblieben war; denn damals waren jene Männer, die ihre Jugend in einer ungebrochenen, von geistiger Überlieferung geprägten Welt verlebt hatten, noch die Häupter der Familien. Für viele von ihnen war der Geist, der einst die Moschee von Cordoba und die Alhambra von Granada geschaffen hatte, noch näher und wirklicher als all das Neue, das die europäische Herrschaft mit sich brachte. Aber seither ist ein neues Geschlecht aufgewachsen, das von seiner Kindheit an vom Glanze der europäischen Macht geblendet sein mußte, das zu einem guten Teil französische Schulen besucht hatte und nun den Stachel eines fast unüberwindlichen Widerspruches in sich trug; denn wo gäbe es einen Ausgleich zwischen der ererbten Lebensform, die bei all ihren Mängeln den Schatz eines ewigen Sinnes in sich birgt, und der modernen europäischen Welt, die so, wie sie sich handgreiflich kundgibt, ganz eine diesseitige, auf Besitz und Genuß gerichtete, alles Heilige verachtende Macht darstellt? Jene hervorragenden Männer der nun aussterbenden Generation, die ich noch gekannt hatte, waren wohl äußerlich besiegt worden, innerlich aber frei geblieben; die jüngere Generation hingegen hat einen äußeren Sieg erlebt, als Marokko vor ein paar Jahren politisch selbständig wurde, läuft aber Gefahr, innerlich zu unterliegen. Ich kehrte deshalb nicht ohne Beklemmung zu der mir vertrauten Stadt zurück, denn nichts ist betrübender als der Anblick eines Volkes, das seines besten Erbes beraubt wird, um dafür nichts als Geld, Hast und Zerstreuung einzutauschen.
Doch vor dem Tore gab es noch immer den verwilderten Gottesacker, die regellose Saat der Gräber zwischen Saumpfaden und blühenden Disteln, wo die Kinder auf den weißen Platten spielten und hie und da Männer schweigend saßen, den Sonnenuntergang und den Aufruf zum Gebet erwartend.
Soeben erlosch die letzte, rosarote Glut an den Türmen. Die Sonne war ganz untergegangen, und nur das grüne Gold des Himmels goß ein mildes, von keinem Schatten zerteiltes Licht herab, in dem alle Dinge schwerelos und wie von selber leuchtend schwebten. In diesem Augenblick mußte von den Minaretten der langgezogene Ruf zum Abendgebet erklingen. Lichter glommen an den Türmen auf. Doch die Stadt schwieg; nur ein paar Klangfetzen, wie jäh abgebrochene Klagen, erreichten unser Ohr: Der Wind, der sich plötzlich erhoben hatte und von Berg zu Tal, von uns weg über die Stadt hin wehte, zerschlug den Ton. Aber die Menschen, die auf den umliegenden Hügeln harrten, hatten ihn vernommen: Man sah einzelne Männer oder Gruppen ihre Gebetsmatten ausbreiten und sich nach Südosten, der Gegend von Mekka, wenden. Andere beeilten sich, durch das Tor eine Moschee zu erreichen, und mit ihnen betraten auch wir die Stadt.
Sogleich umfing uns die Dämmerung der engen Gassen, die von allen Toren aus stark abwärts führen, in das Tal, wo die großen Heiligtümer und um sie herum die Bazare oder Kaufgassen liegen. Von den Häusern sieht man in den Straßen nichts als hohe, vom Alter geschwärzte Mauern, die kaum Fenster haben. Offen stehen nur die Pforten der Fenadaq oder Karawansereien, wo die zur Stadt kommenden Bauern und Beduinen ihre Reit- und Saumtiere in offenen Hallen um einen Hof einstellen und darüber, im oberen Stock, eine Zelle zum Übernachten oder zur Ablage ihrer Waren mieten können. Sonst ist die Straße wie eine tiefe, halbdunkle Schlucht, die sich unversehens bald hierhin, bald dorthin wendet, oft überdeckt von Gebäudebrücken und gerade breit genug, daß zwei Saumtiere aneinander vorbeidrängen können. Überall erschallt der Ruf «balek! balek!» (Achtung! Achtung!), mit dem die Säumer Durchgang heischen und Träger ihre großen Lasten auf dem Kopfe durch die Menge steuern. Erst weiter unten beginnen die Läden, wo der ankommende Reisende das Nötigste findet; da sind auch die Sattler, die Korbmacher und die Garköche, die auf kleinen Holzkohlenfeuern ein paar derbe Gerichte zubereiten. An ihnen vorbei bogen wir in die Kaufgasse der Gewürzhändler, den Suq al-'Attarin, ein, der durch die ganze Stadtmitte hindurchläuft und in dem sich ein Laden an den andern reiht, lauter hölzerne Kasten mit nach vorne geklappten Türen, wie es das alte deutsche Wort «Laden» meint, und mit nicht mehr Raum, als ihn der Händler braucht, um zwischen seinen aufgehäuften Waren sitzen zu können.
Nichts weckt die Erinnerung stärker als Gerüche; nichts macht die Vergangenheit so gegenwärtig. Ja, das war Fes, dieser Duft von Zedernholz und frischem Olivenöl, der trockene, etwas staubige Geruch von aufgeschüttetem Korn, der beizende von frisch gegerbtem Leder und endlich, im Suq al-'Attarin, der Rausch aller Düfte des Morgenlandes - denn hier werden noch all die Gewürze feilgeboten, die einst als kostbarstes Gut von Indien bis nach Europa hinein gehandelt wurden. Und manchmal umfing einen plötzlich der Weihrauch von Sandelholz, der einer Moschee entströmte.
Unverkennbar sind auch die Klänge; blindlings fände ich den Weg am Klappern der Hufe auf dem steilen Pflaster, am eintönigen Gesang der Bettler, die in den toten Winkeln der Gassen kauern, und am silbernen Laut der Glöckchen, mit dem die Wasserträger ihr Kommen ankündigen, wenn sie die Bazare abschreitend jedem Durstigen zu trinken geben.
Doch jetzt achtete ich auf nichts anderes als auf die Gesichter, die hie und da im Schein der kleinen, soeben angezündeten Lampen auftauchten, in der Hoffnung, einen alten Freund oder Bekannten wiederzusehen. Aber ich fand nur die Züge vertrauter Stämme und Sippen,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.