Schweitzer Fachinformationen
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Ein neues Fernsehquiz versetzt das Haus Sonnenuntergang in helle Aufregung. In der "Ü80 Show" können drei Senioren und eine Pflägekraft 50.000 Euro gewinnen.
Diese Chance lässt sich Sybille Bullatschek natürlich nicht entgehen und bewirbt kurzerhand das Heim für einen Auftritt in der Sendung, natürlich ohne ihren Chef, Herrn Otterle, einzuweihen.
Als die Zusage kommt muss sie nicht nur ihn von der Wichtigkeit der Show überzeugen, sondern auch die euphorischen Senioren im Zaum halten, die ihrem Auftritt in der Show entgegenfiebern und das komplette Heim in den Wahnsinn treiben.
Und als hätte die engagierte Pflägekraft nicht schon an genügend Fronten zu kämpfen, wollen ihr ausgerechnet jetzt auch noch ein paar Kolleginnen den Platz auf dem Quizstuhl streitig machen. Bei so viel Trubel sollte doch wenigstens das Privatleben etwas Entspannung bringen, aber auch hier geht es wieder drunter und drüber. Der attraktive Jean-Luc taucht unverhofft in Sybilles Leben auf und verdreht ihr gewaltig den Kopf. Eigentlich könnte alles so schön sein, wäre da nicht ihre Schusseligkeit, dank der sie den hübschen Franzosen fast ins Jenseits befördert.
Wer bremst, verliert
Ich renne zum Flurfenster im Wohnbereich Südcorega und schaue erwartungsvoll in die Hofeinfahrt. Wenn mich net alles täuscht, hab ich gerade das Dieselgeräusch vom Postauto wahrgenommen, als ich mit Frau Grube aus dem Bad gekommen bin. Ich lass sie kurz in ihrem Rollstuhl auf dem Flur stehen und sprinte mit dem Satz »Sekunde, bin gleich wieder da!« davon. Meine Ohren sind zwar nicht die besten - ich kann zum Beispiel eine Amsel absolut net von einer Drossel unterscheiden, aber das Brummen von Siggis gelbem Postbussle kenn ich wie kein anderes Geräusch. Dachte ich zumindest. Als ich das Fenster aufreiße und mich rausbeuge, um zu sehen, ob ich richtiglag, sehe ich, wie ein fröhlicher Tiefkühlkost-Vertreter in einem weißen knielangen Kittel und mit einer Aktentasche aus dem silbernen Kleinbus steigt und auf die automatische Eingangstür zusteuert. Mist. Getäuscht. Gut, dass es »Wetten, dass .?!« nicht mehr gibt, ich hätte kläglich versagt, wenn ich mit meiner Lieferwagen-Wette mitgemacht hätte. »Sybille Bullatschek aus Pfleidelsheim wettet, dass sie das Postauto von Siggi Rothemund unter hundert anderen Fahrzeugen heraushören kann!«, höre ich im Geiste Thomas Gottschalk sagen. Jetzt würde vermutlich das traurige »Leider verloren«-Signal ertönen, und ich hätte mich vor einem Millionenpublikum blamiert. Aber zum Glück bin ich ja bei meinem Arbeitsplatz im Haus Sonnenuntergang und net in einer Samstagabendshow im Fernsehen.
Frau Grube schaut mich erwartungsvoll an. »Was war denn unten los?«
»Ach nix«, wiegele ich ab. »Ich dachte, ich hätte das Postauto gehört.«
»Oh, warten Sie auf einen Liebesbrief, Frau Bullatschek? Ich war früher auch immer so nervös, wenn ich Post von einem Verehrer bekommen habe.«
»Äh ja, so ähnlich.«
Leider habe ich keinen Verehrer, der mir in schnörkeliger Handschrift Briefe schreibt und Herzchen auf dem Umschlag malt. Mir würde sogar schon eine E-Mail in einer Partnerbörse reichen, in der man meinen Namen richtig buchstabiert - aber auch da Fehlanzeige.
Allerdings wäre es zu früh, ihr jetzt zu sagen, warum ich so sehnsüchtig auf den Mann im gelben Auto warte. Ich habe vor einigen Wochen unsere Senioren heimlich zu einer neuen Quizshow im Fernsehen angemeldet. Das Format soll zur besten Sendezeit auf einem großen Kanal laufen und heißt »Die Ü80-Show«, und darin spielen drei Bewohner aus einem Seniorenheim und eine Pflägekraft um 50.000 Euro.
Ich hab den Aufruf auf einer Internetseite entdeckt und sofort die anderen Pflägekräfte eingeweiht. Nachdem wir im Team überlegt haben, wer von den Senioren sich dafür eignen würde, hab ich kurzerhand die Bewerbungsunterlagen losgeschickt. Natürlich ohne unseren Chef, Herrn Otterle, einzuweihen. Der wär wahrscheinlich erst im Quadrat und dann mir an die Gurgel gesprungen. Schließlich predigt er uns seit mittlerweile anderthalb Jahren erfolglos, dass wir eine »Business Company im Health-and-Care-Sektor« sind, und da haben wir in einer TV-Sendung seiner Ansicht nach reichlich wenig zu suchen. Er kommt vom Marketing, und nichts ist ihm heiliger als der gute Ruf unseres Heims. (Welcher gute Ruf? Hahaha!) Andererseits bin ich mir sicher, dass er garantiert Ideen hätte, was er mit 50.000 Euro machen würde. »Investieren, Frau Bullatschek, investieren.«
Aber das ist unser Geld. Also, noch net, aber vielleicht ja bald. Vorausgesetzt, dass diese Fernseh-Heinis sich irgendwann bei uns melden. Bestimmt sind sie überschüttet worden mit Bewerbungen.
Ä bissle Risiko ist natürlich dabei, denn noch läuft die Sendung gar net im Fernsehen und keiner weiß, was da eigentlich passieren wird. Am Ende muss jemand strippen oder wird vor den Zuschauern vorgeführt. Das fände ich am Schlimmsten. Es ist doch nix peinlicher, als wenn sich über irgendwelche Unzulänglichkeiten, zum Beispiel wenn ein Senior ein Wort falsch ausspricht oder zu stottern anfängt, lustig gemacht wird. Das kenn ich von Videos im Internet, wo sich dann die ganzen Affen in den Kommentarspalten das Maul zerreißen. Furchtbar. Aber ich denk jetzt erst mal positiv. Schließlich wäre es auch schön für unsere Senioren, wenn sie ihr Wissen, was sie sich durch jahrelanges Ausfüllen von Kreuzworträtseln oder bei unserem Wissensquiz mit Saskia, unserer Betreuungskraft, angeeignet haben, unter Beweis stellen könnten. Wir haben mit Absicht noch nix verraten, denn sie würden uns definitiv wochenlang in den Wahnsinn treiben mit der Frage, wann es endlich losgeht, was sie anziehen sollen und um wie viel Uhr die Sendung läuft, denn sie müssen ja ihren Verwandten Bescheid sagen.
Abgesehen von der Tatsache, dass es sowieso ein Hauen und Stechen geben wird, wenn sie erst mal erfahren, dass nur drei von ihnen mitkönnen.
Ich schiebe Frau Grube in ihr Zimmer, zieh ihr unter höchster Kraftanstrengung ihre Kompressionsstrümpfe an und helfe ihr in ihr hellblaues Baumwollkleid. Dann packe ich noch schnell das Geschenk für ihren Urenkel ein, der gerade mal ein halbes Jahr alt ist und heute zum ersten Mal zu Besuch kommt. Also, er kommt natürlich net allein, sondern mit der Enkeltochter. Eigentlich hab ich gar keine Zeit mehr, aber ich hab es ihr leichtfertig versprochen.
»Meinen Sie, er freut sich über den selbst gehäkelten Teddy?«, fragt sie mich, als ich das Papier einschlage und das kuschlige Stofftier leicht zusammengeknautscht in der Geschenkverpackung verschwinden lasse.
»Äh, des isch gar kein Schweinle?«, frage ich vorsichtig.
»Nein, das ist ein Teddy, das sieht man doch«, sagt sie jetzt, als wäre ich ein bissle einfältig. »Den hab ich selbst gehäkelt, das hat mich einen Monat Zeit gekostet.«
»Oh ja, wie schön, des war bestimmt viel Arbeit!«, lobe ich sie.
Ich klebe das Päckchen mit Tesa zu und hoffe, dass ein sechs Monate altes Baby noch nicht weiß, dass ein Teddy normalerweise net rosa ist und weder ein Ringelschwänzle noch Schlappohren hat. Frau Grube gehört schließlich zu unseren Hundertjährigen, und da kann man schon froh sein, dass sie überhaupt noch zur Häkelnadel greift. »Na, dann viel Spaß mit dem kleinen Mann«, rufe ich zum Abschied und wende mich zum Gehen. In dem Moment wird mir die Tür, die ich gerade öffnen will, schwungvoll in die Visage geknallt. Ich halte mir vor Schmerz die Nase und blicke ins Gesicht einer schlecht gelaunten Beate, die ungeduldig mit ihrer Teekanne vor meiner Nase rumfuchtelt. Statt sich zu entschuldigen, schaut sie argwöhnisch auf das von mir eingepackte Geschenk, und dann bleibt ihr Blick auf der Schere und dem Tesafilm in meiner Hand hängen.
»Na, Kaffeekränzle mit Frau Grube, Sybille? Also wenn du lieber Geschenke einpacken willscht, als hier zu arbeiten, kannst du ja bei Douglas anfangen. Wär echt toll, wenn du jetzt Milena beim Umlagern mit den Senioren in Gang B helfen würdescht.«
Blöde Kuh, denke ich bei mir, aber halte mich zurück. Es fällt mir total schwer, aber das hab ich neulich bei einer Fortbildung für Deeskalationsstrategien gelernt. Pflägekräfte werden ja heutzutage immer öfter von irgendwelchen aggressiven Verwandten oder auch von Senioren angegriffen, und deshalb hat uns Herr Otterle in weiser Voraussicht einen Kurs spendiert, damit wir nicht bei jeder Provokation gleich ausrasten und dem Pöbler oder der Pöblerin eine Kopfnuss verpassen. Auch wenn es so mancher mehr als verdient hätte.
Man darf eine Situation net hochkochen lassen, hat der Coach erklärt. Außerdem wirkt es souveräner, wenn man gar nix sagt. »Jesus hat schließlich auch die linke Wange hingehalten, nachdem ihm jemand auf die rechte geschlagen hat«, hat er uns erklärt. Na ja, das Argument mit Jesus fand ich jetzt net so überzeugend, schließlich weiß man, wie die ganze Geschichte ausgegangen ist. Außerdem hab ich wenig Lust, mir von Beate noch eine scheppern zu lassen. Aber auch ein lautes Wortgefecht wäre schon unangenehm. Gerade vor Frau Grube. Senioren nehmen sich so was immer sehr zu Herzen, und ich will nicht, dass sie Angst kriegt oder schlechte Laune, wo doch heute ihr Urenkel kommt. Ich atme einmal tief durch und lass Beate dann einfach stehen.
»Zum Gang B geht's aber rechts rum, Sybille!«, brüllt sie mir noch hinterher.
Ich nuschle nur ein leises »Ach, lecko mio« und würde ihr am liebsten den bösen Finger zeigen. Aber dann verpetzt sie mich garantiert bei Otterle, und ich krieg einen Anschiss. Den Triumph gönn ich ihr net. Ich bin mit Absicht in die andere Richtung abgebogen, weil ich kurz im Aufenthaltsraum in mein Fleischkäs-Weckle beißen will. Aber das muss sie ja net wissen.
Beate ist schon sehr speziell. Seit wir zusammenarbeiten, und das sind jetzt schon viele Jahre, hat sie vielleicht dreimal gute Laune gehabt. Ich hab selten so einen negativen Menschen getroffen (okay, außer unserem Herrn Seifert vielleicht, aber der ist erstens ein alter Senior und zweitens für sein Aggressionspotenzial bekannt). Es ist mir ein Rätsel, warum Beate so verbittert ist, denn sie führt ja - nach eigenen Angaben - so ein tolles, aufregendes Leben. Ständig kommt sie mit irgendwelchen teuren neuen Markenklamotten zum Dienst oder mit glitzernden Halsketten und protzigen Ringen, die ihr der Peter, ihr Mann, angeblich geschenkt hat. Zum Geburtstag, zum Namenstag, zum Valentinstag, zum Hochzeitstag. Dann stolziert sie wie ein Gockel auf dem Flur auf und ab und lässt sich von den...
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