Schweitzer Fachinformationen
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Händeringend geht Jane in der Gaststube des Bull and George Inn in Dartford auf und ab. Genau dreizehn Schritte braucht sie, um den verräucherten, spärlich beleuchteten Raum zu durchmessen, von den Tischen, die an die Erkerfenster geschoben sind, bis zum Kamin an der hinteren Wand. Die Strecke genügt ihr nicht, um die nervöse Anspannung aus den Gliedern zu bekommen, deshalb dreht sie sich wieder und wieder um und legt sie von Neuem zurück. Jedes Mal streift ihre Stirn den getrockneten Hopfen, der in Büscheln von den wurmstichigen Deckenbalken hängt. Ihre Haube stößt gegen die starren Blüten, und es rieselt Blättchen auf die Schultern ihres lohfarbenen Mantels. »Ich kann einfach nicht glauben, dass so etwas geschehen konnte.« Sie drückt die Stirn an eine verschmierte Fensterscheibe.
Verlassen liegt die Landstraße im Mondlicht da. Bei dem Gedanken, dass ihr Vater und ihr Bruder dort draußen unterwegs sein müssen, krampft sich Jane der Magen zusammen. Wer unter den Reisenden nicht ganz verwegen ist, sieht zu, dass er sein jeweiliges Ziel bis Sonnenuntergang erreicht hat. Es ist bekannt, dass auf diesem Abschnitt der Landstraße Straßenräuber ihr Unwesen treiben.
»Bitte versuch doch, die Ruhe zu bewahren.« Mrs Austen sitzt, das Wollcape dicht um die schmalen Schultern gezogen, auf einer Bank am Fenster. Im Gegensatz zu ihrer Tochter hat sie ihre Haube abgenommen und nestelt an den Bändern herum.
»Ruhe?« Janes Stimme klingt schrill. »Meine Schwestern sind weg, Mutter. Geraubt. Entführt. Sie könnten schon sonst wo sein! Wer weiß, in welch ruchlose Hände sie fallen mögen? Du hast gehört, was der Wirt sagte. Die Kutsche, in der sie gelandet sind, ist auf dem Weg nach Gravesend, wo die Passagiere an Bord eines Schiffes zu den Westindischen Inseln gehen werden. Sie sind für immer verloren!«
Mrs Austen schüttelt den Kopf. »Musst du so melodramatisch sein, Jane? Dein Vater und Neddy haben doch die Verfolgung aufgenommen, kaum hatten wir das Versehen bemerkt. Gewiss holen sie die Kutsche nach wenigen Meilen ein. Du wirst dein Manuskript in Kürze zurückbekommen.«
Jane schluckt schwer. Die Schwestern sind ihr jüngstes Werk. Und wie alles andere in ihrem Reiseschreibpult werden sie wohl den Atlantik überqueren, wenn ihr Vater und ihr Bruder nicht rechtzeitig kommen. »O du meine Güte, was, wenn der Kutscher Neddy und Papa für Räuber hält und seine Pistole auf sie abfeuert? Sie werden sterben!«
»Mach dich nicht lächerlich. Du setzt dich jetzt augenblicklich hin und trinkst einen Schluck Brandy.« Mrs Austen schwenkt ihren Zinnbecher. »Der ist recht gut. Erinnert mich an den, den deine Cousine Eliza früher aus Frankreich geschickt hat.«
»Es brechen finstere Zeiten an!«, ruft ein abgerissener alter Mann am anderen Ende des Raums. Jane und ihre Mutter zucken vor Schreck zusammen. Außer ihnen ist der Mann der einzige Gast hier. Bis eben hat er, eine Tonpfeife zwischen den Zähnen, stumm am Feuer gesessen und sich die alten Knochen gewärmt. »Das Jüngste Gericht muss nah sein, wenn ein rechtschaffener Mensch nicht mehr in Frieden reisen kann. Ich dachte, ich nehm die Straße, wo die See sich doch gegen alle wendet, die auf ihr fahren wollen. Gerade erst ist ein Schoner gesunken, vor Harty. Keine fünf Tage her.«
Jane kneift die Augen zu und versucht verzweifelt, die Ohren vor dem Gefasel des Mannes zu verschließen. Der dumpfe Tabakgeruch sitzt ihr in der Kehle und will sie ersticken. »Ich hätte besser auf mein Schreibpult aufpassen müssen. Wie konnte ich nur zulassen, dass es auf dem Kutschendach befördert wird, wo ich es doch ohne Weiteres hätte bei mir behalten können? Dann wäre es niemals zwischen das Gepäck von anderen Leuten geraten.«
»Die Mannschaft hat nichts Gutes im Schilde geführt, nehm ich an.« Der Alte kratzt sich den grauen Bart und setzt seinen wirren Monolog fort. »Keiner fährt bei Sturm diese Route. Außer, er will den Zoll nicht zahlen. Gott allein weiß, was der Käptn in den Wellen erblickte, dass er eine so harte Wende versucht hat, ohne die Segel klarzumachen. War wohl sein eigenes Schicksal, das da auf ihn zukam.«
Mrs Austen dreht sich mit ihrer ganzen schmalen Gestalt zu ihrer Tochter um. »Jane, ich weiß, dass das Schreiben dir viel bedeutet. Umso mehr, seit du vor einem Jahr diese Enttäuschung durch -«
Jane ballt die Hände zu Fäusten. »Wenn du jetzt seinen Namen aussprichst, gehe ich auf der Stelle in Flammen auf, das schwöre ich.« Warum müssen ihre Eltern die leiseste Stimmungsschwankung, die sie an ihr bemerken, als Kummer über den Verlust ihres einstigen Verehrers deuten? Sie weiß mit Bestimmtheit, dass es richtig war, Mr Lefroys glanzlosen Antrag abzulehnen, vor allem angesichts der harschen Einwände seiner Verwandten. Hätten sie ohne den Segen seines Großonkels und Förderers geheiratet, wäre das für ihrer beider Zukunft von Schaden gewesen, egal, wie zugetan sie einander waren. Dass sie sich wünscht, die Umstände wären andere gewesen - oder zumindest in nicht allzu ferner Zukunft geworden -, ist doch nur natürlich. Seit Toms Abreise tut sie ihr Möglichstes, um ihren Verpflichtungen gegenüber Gott und ihrer Familie nachzukommen und Trost im Verfassen ihrer Werke zu finden. Es ist doch nicht ihre Schuld, dass ihr Herz höherschlägt, sobald sie auf der Straße einen blonden Mann ausmacht, nur aufgrund des flüchtigen Gedankens, er könnte es sein.
»Wie ich bereits sagte, ich weiß, dein Werk bedeutet dir viel, doch ich werde für dein Schreibpult keinen Extraplatz in der Kutsche bezahlen. Neben deiner Reisetruhe und dem übrigen Gepäck war es auf dem Dach sicher untergebracht.« Mrs Austen verschränkt die Arme vor der flachen Brust.
»Das war es eben nicht! Denn während wir damit beschäftigt waren, Neddy wieder kennenzulernen, sind all meine Besitztümer in Richtung Westindische Inseln auf die Reise gegangen. Du verstehst das nicht! In diesem Kasten liegt alles, was mir lieb und teuer ist. Es geht nicht nur um Die Schwestern. Meine einzigen Exemplare von Catherine und Erste Eindrücke sind auch da drin.«
Der alte Mann fasst mit knochigen Fingern den Griff seines Gehstocks und schlägt mit der Spitze gegen die Kamineinfassung. »Umhergeschleudert wie ein Spielzeug. Als Erstes ist der Mast gebrochen. Abgeknickt, als wär's ein Strohhalm. Wir haben die Männer schreien gehört, konnten aber nichts tun. Wenn die See dich behalten will, kannst du nichts machen.«
Mrs Austen dreht sich wieder zum Fenster und kehrt dem Störenfried den Rücken zu. »Selbst wenn der schlimmste Fall eintritt und wir dein Gepäck nicht zurückbekommen, könntest du die beiden Werke einfach noch einmal schreiben. Du hast sie erschaffen, sie sind in deinem Kopf herangereift. Du hast so lange in deinem Ankleidezimmer gesessen und dich mit ihnen befasst, dass dir inzwischen doch jedes einzelne Wort tief ins Gedächtnis gegraben sein muss. Und wer weiß, wenn du genötigt wärst, sie neu zu schreiben, würden sie vielleicht sogar noch besser.«
»Sie neu schreiben?« Jane ist empört über die Beiläufigkeit, mit der ihre Mutter ihr Werk kleinredet. Anderthalb Jahre lang hat sie daran gearbeitet, hat über jedem Wort, jedem Satz gebrütet, ganze Absätze immer wieder umgeschrieben, bis die Texte schließlich so gut waren, wie irdische Hände sie nur zu machen vermögen. Catherine und Erste Eindrücke sind vollständige Romane. Beide sind länger, ernster und, wenn sie das so sagen darf, um Längen besser als alles, woran sie sich in ihrer Jugend versucht hat. Ihre früheren Arbeiten waren kindische Petitessen, Satire eher, etwas, womit sie sich die Zeit vertrieb und die Familie unterhielt. Die Arbeit an den Schwestern hat sie erst kürzlich begonnen, aber sie hofft, dass dies ihre gelungenste Schilderung der menschlichen Natur wird. »Woher soll ich die Zeit dafür nehmen, wenn ich den ganzen Sommer über für Neddys Brut das Kindermädchen spielen muss?«
Mrs Austen sieht sie scharf an. »Das war deine Entscheidung, Jane. Du hast dich anerboten, dieses Jahr an Cassandras Stelle nach Rowling zu fahren.«
»Ich konnte doch gar nicht anders!« Jane dreht sich zum Fenster und versucht, die Tränen zu unterdrücken. In der Scheibe spiegelt sich Mrs Austen, die mit gesenktem Kopf dasitzt.
Es ist noch kein voller Monat vergangen, seit das Schiff von Cassandras Verlobtem nach Falmouth zurückgekehrt ist. Und es hat nicht ihren geliebten Mr Fowle wohlbehalten nach Hause gebracht, sondern vielmehr die Nachricht von seinem tragischen Ableben. Der arme Mr Fowle. Kaum war er in Santo Domingo angelangt, da streckte das Gelbfieber ihn nieder. Monatelang hat Janes Schwester eifrig an ihrer Aussteuer genäht und die Rezepte ihrer Mutter in ihr eigenes Haushaltsbuch übertragen, und die ganze Zeit trieb sein lebloser Körper schon in den Wellen, denn er ist auf See bestattet worden. Von einem Augenblick auf den anderen hat die Nachricht Cassandras sonniges Gemüt fortgespült - ihr angeborener Optimismus ist für immer unter der Last ihrer Trauer begraben.
Daher hat Jane sich bereit erklärt, nach Rowling zu fahren und Neddys Frau Elizabeth beizustehen, die in Kürze ihr viertes Kind erwartet. Bei allen drei vorangegangenen Geburten war Cassandra anwesend. Bevor sie von der Tragödie hörten, hatte Elizabeth geschrieben, sie hoffe...
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