Martha Bull
Frau Friese
und die tödliche Einladung
Band 3
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Impressum
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Lektorat: Klaus Kellner, Manuel Dotzauer
Satz: KellnerVerlag
Umschlag: Designbüro Möhlenkamp & Schuldt
ISBN 978-3-95651-089-2
Die Autorin
Martha Bull wurde 1949 in Bonn geboren, hat dort auch ihr Abitur gemacht. Nach dem Studium der Fächer Geschichte, Politik und Deutsch für das Lehramt in Bonn und Marburg schloss sie in Berlin ihr Referendariat ab. Seit 1979 lebt sie in Bremen. Hier hat sie lange in der Erwachsenen-bildung gearbeitet, unter anderem in einer freien Modellschule. Seit 1997 ist sie in der Kinderbibliothek im Viertel beschäftigt. Dort arbeitet sie auch über ihren Renteneintritt 2015 hinaus.
Veröffentlichungen:
Hanseatisch cool - Beitrag in: Witte, Katharina (Hg.): Jetzt kommse übern Deich - 20 Jahre Bremer Karneval, Edition Temmen 2005
Die Videobotschaft, Langlhofer Verlag 2007,
ISBN 978-3-938487-24-2
Frau Friese und der Fenstersturz,
Edition Temmen 2013
Frau Friese und das Bunkergrab,
Edition Temmen 2014
1.
»Waltraud? Waltraud Friese? Bist du das?«
Erstaunt sehe ich von meinen Einkäufen hoch, die ich gerade vorsichtig in meine Tasche packen will. Vor allem mit der Sahne muss ich aufpassen. Die tue ich immer in einen Extrabeutel, ist doch eklig, wenn die in der Tasche ausläuft. Kriegt man ja nie wieder raus, den Gestank.
Da spricht mich diese fremde alte Frau an. Obwohl, fremd kann sie nicht sein, wenn sie mich duzt. Kommt mir tatsächlich irgendwie vertraut vor. Die Stimme, das Gesicht. Ja doch, das ist doch .
»Sigrid Brinkmann«, kommt sie mir rasch zuvor. »Erkennst du mich nicht mehr? Ist ja auch eine kleine Ewigkeit her. Wir waren Freundinnen bis vor 50 Jahren.« Sie lacht unsicher. »Vor 50 Jahren, Waltraud! Kaum zu glauben.« Kopfschüttelnd fährt sie fort: »Dabei kennen wir uns schon viel länger. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Damals hieß ich Wersing. Du hast ein paar Häuser weiter gewohnt. Na, klickert es bei dir?«
»Sigrid, natürlich! Nein, so was! Wie kann es nur angehen! Was für eine Überraschung!«
Das kommt davon, weil ich heute in einen anderen Supermarkt gegangen bin. Hier in Hastedt kaufe ich normalerweise nicht ein, bin aber vorhin mit dem Rad herumgefahren. Muss ja sein wegen der Bewegung, sonst rosten die alten Knochen noch mehr ein, bin schon steif genug.
»Hattest du nicht diesen Dackel, Erdmann?«, fällt mir als Erstes ein. Komisch. Kommt vielleicht, weil ich gerade Futter für Gottfried gekauft habe, denke ich etwas betreten.
Sie lacht. »Dass du das noch weißt! Der gehörte eigentlich meinem Vater, aber ich musste ständig mit dem raus. Dabei war der so aggressiv, ich bin nie gerne mit ihm losgegangen.«
»Ich mag Hunde gerne«, werfe ich ein. »Ich teile mir einen mit einer Freundin, Grete Tietjen. Sie ist 92 und schlecht zu Fuß, deshalb gehe ich manchmal mit Gottfried los. Aber er ist ein ganz Lieber. Überhaupt nicht aggressiv.«
Waltraud, das interessiert Sigrid doch nicht. Es gibt schließlich Wichtigeres nach so vielen Jahren.
Eine Weile sehen wir uns wortlos an. Sie ist alt geworden, ihre Haare sind schlohweiß. Pagenschnitt nannten wir das. Ihre dicke Brille erinnert mich an früher, damals trug sie auch immer solche großen Gestelle. Ein bisschen aufgedunsen ist sie. Kein Wunder, dass ich sie nicht sofort erkannt habe. Sie war als junge Frau so schlank, fast dürr. Aber sonst sieht sie ganz adrett aus. Hübsch, der Wollmantel - aber ist der nicht zu warm? Ist zwar schon Oktober, aber heute eher spätsommerlich warm. Sonst wäre ich doch nicht mit dem Rad losgefahren.
Geht es dich etwas an, ob Sigrid friert, Waltraud? Vielleicht ist sie krank.
Sie hat in der letzten Klasse in der Volksschule neben mir gesessen. Auch nach der Schule waren wir noch eine gute Weile befreundet. Wann haben wir uns zuletzt gesehen? Bei der Taufe von Sigrids erster Tochter?
Achje, mein Gedächtnis wird immer schlechter. Ich könnte meine eigenen Ostereier verstecken.
Ich seufze auf.
Sigrid. Ich hatte sie gern, aber irgendwie haben wir uns aus den Augen verloren. Hans-Georg mochte ihren Mann Helmut nicht, erinnere ich mich.
Mensch, Waltraud, da war doch noch was!
Ja, sicher, die haben sich sogar mal geprügelt, richtig mit Fäusten und allem. Warum? Weil, meine Güte ja, Hans-Georg hat Helmut vorgeworfen, beim Rommé zu schummeln. Deswegen haben sich unsere Männer geschlagen! Gut, sie waren nicht mehr ganz nüchtern, aber trotzdem. Wegen Rommé!
Sigrid und mir war das furchtbar peinlich. Ich habe nie wieder ein Wort darüber verloren. Rommé spielten wir vier danach nicht wieder. Seitdem war der Wurm drin. Sigrid und ich trafen uns immer seltener, bis es ganz einschlief. Ja, so war das.
Siehst du, Waltraud, langsam kommt die Erinnerung doch wieder. Bist noch nicht dement.
Damals haben wir uns die Freundschaft durch unsere Männer nehmen lassen. Könnte ich jetzt noch wütend werden. Wegen Rommé! Wie kann es nur angehen! Hans-Georg konnte eben nicht verlieren.
Ich stutze. Ging es eigentlich um etwas anderes?
Sigrid unterbricht meine Gedanken.
»Du warst vor kurzem in der Zeitung«, erklärt sie. »Da dachte ich, es wäre schön, sich mal zu treffen, wo du wieder in der Nähe wohnst. Ich hatte mir längst vorgenommen, dich anzurufen, aber dann bin ich drüber weggekommen. Du weißt ja, wie das ist. Es scheint, der Himmel wollte, dass wir uns treffen, und hat uns endlich zusammengeführt.« Sie lacht wieder fröhlich.
Der Himmel? Ich hab's nicht so damit, aber meinet-wegen.
»Du hast ja aufregende Sachen erlebt, habe ich gelesen«, fährt sie fort. »Wollen wir uns mal treffen und über die alten Zeiten klönen?«
»Aber gerne, wie geht es denn überhaupt? Was macht - äh . Helmut?«
»Oh, der ist bereits vor sechs Jahren gestorben, war lange krank.«
Ihr Blick trübt sich ein bisschen, womöglich trauert sie noch.
»Dein Hans-Georg ist auch tot, habe ich gehört. Da steht uns niemand und nichts mehr im Wege, Waltraud. Ruf mich einfach in den nächsten Tagen an. Oder ich versuche es auch bei dir, wenn du nichts dagegen hast. Ich nehme an, du stehst im Telefonbuch. Was meinst du?«
In ihrer Stimme liegt etwas Flehendes. Vielleicht ist sie einsam, würde mich nicht wundern. Sie ist also auch verwitwet. Unsere Männer haben nicht lange durchgehalten, denke ich.
Schon redet sie weiter: »He, Waltraud, wie wäre es, wollen wir beide in diesem Jahr zusammen auf den Freimarkt gehen? Der fängt doch Ende des Monats an. Was meinst du? Ich habe noch Kontakt zu einigen aus der alten Zeit. Ilse treffe ich oft, die kommt bestimmt auch mit.«
Auf den Freimarkt? Da war ich seit Jahrzehnten nicht mehr.
»Das war lustig mit uns«, nicke ich. »Ilse konnte am lautesten kreischen, weiß ich noch. Aber eines sage ich dir: Raupe fahre ich nicht mehr.«
Spontan lachen wir los. Die Raupe wollten uns unsere Eltern gerne verbieten, sie fürchteten um unsere Moral!
Wir könnten hier noch lange im Vorraum des Supermarkts stehen, aber leider muss ich nach Hause. Der Immobilien-Alf hat sich angemeldet. Er hat vielleicht endlich jemanden, der meine Wohnung im dritten Stock kaufen will. Die steht nun schon seit Monaten leer.
Sigrid. Warum nicht die Freundschaft wieder aufle-ben lassen?, denke ich, als ich etwas mühsam wieder aufs Rad steige und nach Hause in die Braunschweiger Straße radle. Zwar habe ich in den letzten Monaten ein paar neue Bekanntschaften geschlossen, aber es ist noch nicht so, dass ich mir jetzt einen Terminkalender kaufen müsste.
Hans-Georg würde sich im Grab umdrehen, wenn er das wüsste. Aber heute ist heute, Hans-Georg ruht seit 13 Jahren unter der Erde, der kann mir gar nichts mehr ausreden.
Waltraud, die Ampel ist grün, fahr weiter.
2.
»Frau Friese, darf ich Ihnen Frau Ahrens...