Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Wir sind auf dem Weg nach Budapest: Bastard und Chipo und Godknows und Sbho und Stina und ich. Obwohl wir eigentlich gar nicht über die Mzilikazi Road rüberdürfen, obwohl Bastard auf seine kleine Schwester Fraction aufpassen soll, obwohl Mutter mich totschlägt, wenn sie das rausfindet; wir gehen einfach. In Budapest kann man Guaven klauen, und ich könnte gerade sterben für Guaven. Wir haben nichts gegessen heute Morgen, und mein Bauch fühlt sich an, als wenn jemand mit einem Spaten alles rausgeschaufelt hätte.
Aus Paradise rauszukommen ist nicht so schwer, die Mütter sind sowieso nur mit ihren Haaren und ihrem Tratsch beschäftigt, damit sind sie ja die ganze Zeit beschäftigt. Sie gucken kurz her, wenn wir der Reihe nach an den Hütten vorbeigehen, und dann wieder weg. Um die Männer unter der Jacaranda müssen wir uns auch keine Sorgen machen, die kleben die ganze Zeit am Dame-Brett. Nur die Kleinen sehen uns und wollen hinter uns her, aber Bastard haut dem nackten ganz vorn mit der Faust auf den Riesenschädel, und alle kehren um.
Dann sind wir im Busch und rasen und schreisingen, unsere Stimmen Räder, die sich drehen und uns immer schneller machen. Zuerst Sbho: Wer hat den Weg nach Indien entdeckt?, und dann wir: Vasco da Gama! Vasco da Gama! Vasco da Gama! Bastard läuft vorneweg, weil er das Landspiel heute gewonnen hat und meint, dadurch ist er jetzt Präsident oder so was, dahinter ich und Godknows, Stina und Sbho und ganz hinten Chipo, die mal schneller war als alle andern in Paradise, aber jetzt nicht mehr, weil jemand sie schwanger gemacht hat.
Als wir über die Mzilikazi rüber sind, geht es noch mal kurz durch den Busch, dann ein Stück die Hope Street lang und von da am großen Stadion vorbei mit den glänzenden Bänken, auf denen wir nie sitzen werden, dann sind wir in Budapest. Einmal müssen wir anhalten, damit Chipo sich hinsetzen kann mit ihrem Bauch; der tut manchmal weh, und dann muss sie ihn ablegen.
Wann kriegt sie überhaupt das Baby?, fragt Bastard. Bastard mag es nicht, wenn wir anhalten müssen wegen Chipos Bauch. Er wollte uns sogar überreden, dass wir gar nicht mehr mit ihr spielen.
Irgendwann kriegt sie’s schon, antworte ich für Chipo, sie redet nämlich nicht mehr. Sie ist nicht stumm-stumm, sie sagt nur einfach nichts, seit man ihren Bauch sehen kann. Aber sie spielt noch mit uns und macht alles mit, und wenn sie richtig, richtig dringend was sagen muss, dann benutzt sie ihre Hände.
Wann ist irgendwann? Donnerstag? Morgen? Nächste Woche?
Siehst du nicht, dass ihr Bauch noch klein ist? Das Baby muss wachsen.
Ein Baby wächst, wenn es aus dem Bauch raus ist, nicht drin. Dazu werden sie ja geboren. Damit sie erwachsen werden.
Jedenfalls ist es noch nicht so weit. Darum ist es noch im Bauch.
Ist es ein Junge oder ein Mädchen?
Ein Junge. Das Erste ist normalerweise immer ein Junge.
Aber du bist ein Mädchen, du Großmaul, und du warst die Erste.
Normalerweise, hab ich gesagt, oder?
Halt doch deinen kaka Mund, ist ja nicht mal dein Bauch.
Also ich glaube, es wird ein Mädchen. Ich hab dauernd meine Hände drauf, und es hat noch nie getreten, nicht ein Mal.
Ja, Jungs treten und boxen und verteilen Kopfnüsse. Mehr können sie auch nicht.
Will sie einen Jungen?
Nein. Ja. Vielleicht. Weiß nicht.
Wo genau kommt denn ein Baby raus?
Da, wo es in den Bauch reingeht.
Und wie genau kommt es in den Bauch?
Erst muss die Mutter von Jesus es da reintun.
Nein, nicht die Mutter von Jesus. Ein Mann muss es da reintun, hat mir Musa erzählt, meine Cousine. Eigentlich hat sie’s Enia erzählt, aber ich war dabei und hab’s mitgekriegt.
Und wer hat es bei ihr reingetan?
Woher sollen wir das wissen, wenn sie nichts sagt?
Wer hat es da reingetan, Chipo? Sag’s uns, wir sagen es auch nicht weiter.
Chipo guckt in den Himmel. In einem Auge ist eine Träne, aber nur eine kleine.
Wenn ein Mann es da reintut, warum holt er es dann nicht raus?
Weil die Frauen die Geburt machen, du Hohlbirne. Dazu haben sie ja Brüste, damit sie das Baby stillen und alles.
Aber Chipos Brüste sind klein. Wie Kieselsteine.
Das ist egal. Die werden größer, wenn das Baby kommt. Los jetzt, können wir, Chipo?, frag ich. Chipo antwortet nicht, sie geht einfach los und wir hinterher. Mitten in Budapest bleiben wir stehen. Das ist hier nicht wie Paradise, das ist wie in einem ganz anderen Land. Einem schönen Land, wo Leute wie wir nicht leben. Wobei man gar nicht merkt, dass hier überhaupt echte Menschen leben; sogar die Luft ist leer: kein leckeres Essen auf dem Feuer, kein Geruch, kein Geräusch. Einfach nichts.
Budapest, das sind große, große Häuser mit Satellitenschüsseln auf den Dächern und hübschen Kieshöfen oder gestutzten Rasen und hohen Zäunen und Fertigmauern und Blumen und großen Bäumen voll mit Obst, das auf uns wartet, weil hier anscheinend keiner weiß, was er damit anfangen soll. Nur wegen dem Obst haben wir überhaupt den Mut, sonst würden wir uns gar nicht hierher trauen. Ich denke immer, gleich spucken uns die sauberen Straßen an und schicken uns zurück, wo wir hergekommen sind.
Erst haben wir Stinas Onkel beklaut, der jetzt in England wohnt, aber das war nicht Klauen-Klauen, weil es ja der Baum von Stinas Onkel war und nicht von einem Fremden. Das ist ein Unterschied. Aber dann hatten wir seine Guaven aufgegessen, also sind wir weiter zu den anderen Häusern. Wir haben so viele Häuser beklaut, ich kann’s gar nicht zählen. Bastard hat bestimmt, dass wir eine Straße aussuchen und in der bleiben, bis wir alle Häuser durchhaben. Dann zur nächsten. Damit wir nicht durcheinanderkommen, wo wir schon waren und wo wir noch hingehen. Das ist wie ein Muster, und Bastard sagt, so werden wir bessere Diebe.
Heute fangen wir eine neue Straße an, also kundschaften wir vorsichtig alles aus. Wir gehen gerade an der Chimurenga Street vorbei, wo wir schon jeden Guavenbaum abgeerntet haben vor zwei, drei Wochen etwa, da sehen wir, wie weiße Vorhänge auseinandergehen und ein Gesicht aus dem Fenster guckt, aus diesem beigen Haus mit der Marmorstatue von dem pinkelnden Jungen mit Flügeln. Wir stehen da und wollen sehen, was das Gesicht macht, da geht das Fenster auf, und eine komische kleine Stimme ruft, dass wir warten sollen. Wir bleiben stehen, nicht weil die Stimme das sagt, sondern weil keiner losläuft und weil die Stimme auch nicht gefährlich klingt. Musik strömt aus dem Fenster auf die Straße; es ist nicht Kwaito, es ist nicht Dancehall, es ist nicht House, es ist überhaupt nichts, was wir kennen.
Eine große dünne Frau macht die Tür auf und kommt aus dem Haus. Sie isst was, das sehen wir als Erstes. Sie kommt winkend auf uns zu, und weil die Frau so dünn ist, wissen wir gleich, dass wir nicht weglaufen. Wir warten, damit wir rausfinden, warum sie lächelt oder worüber. Die Frau bleibt am Tor stehen; es ist abgeschlossen, und sie hat keinen Schlüssel dabei.
Gütiger, diese fürchterliche Hitze und der harte Boden, wie ertragt ihr das bloß?, fragt die Frau mit ihrer ungefährlichen Stimme. Lächelnd beißt sie von dem Ding in ihrer Hand ab. Eine rosa Kamera baumelt ihr um den Hals. Wir starren der Frau alle auf die Füße, die man unter dem langen Rock sieht. Hübsch und sauber wie bei einem Baby. Sie wackelt mit ihren lila lackierten Zehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine mal so aussahen; bei meiner Geburt vielleicht.
Und dann dieser rote Kaumund. An den vorstehenden Linien an ihrem Hals und an den dicken schmatzenden Lippen merkt man, dass es richtig gut schmeckt. Ich beobachte ihre langen Finger und das Ding, das sie isst. Es ist flach und hat eine Kruste. Obendrauf ist es cremig und sieht weich aus und flockig und hat so münzrunde Dinger, dunkelrosa wie Brandwunden. Außerdem sind da rote und grüne und gelbe Sprenkel und dann noch die braunen Huckel, die aussehen wie Pickel.
Chipo zeigt auf das Ding und sticht mit dem Finger in die Luft, sticht immer so weiter, um zu fragen: Was ist das? Mit der anderen Hand reibt sie über ihren Bauch; seit sie schwanger ist, spielt Chipo ständig mit ihrem Bauch, wie mit einem Spielzeug. Der Bauch ist so groß wie ein Fußball, also nicht richtig groß. Wir starren der Frau auf den Mund und warten auf ihre Antwort.
Ach, das hier? Das ist eine Kamera, sagt die Frau. Wissen wir; sogar ein Stein kann dir sagen, dass eine Kamera eine Kamera ist. Die Frau wischt ihre Hand am Rock ab, tätschelt die Kamera und zielt mit dem Rest von dem Ding auf den Mülleimer neben der Tür, wirft vorbei und lacht wie irre. Sie guckt uns an, als wenn sie irgendwie will, dass wir mitlachen, aber wir sind mit dem Ding beschäftigt, das durch die Luft geflogen und wie ein toter Vogel auf dem Boden gelandet ist. Wir haben noch nie gesehen, wie jemand Essen wegwirft, nicht mal ein Ding. Chipo würde am liebsten hinterherrennen und es aufheben, so wie sie aussieht. Der verknautschte Mund von der Frau kaut fertig und schluckt. Ich schlucke mit, und es kitzelt in meinem Hals.
Wie alt bist du? Die Frau guckt Chipo auf den Bauch, als wenn sie noch nie eine Schwangere gesehen hat.
Elf, antwortet Godknows für Chipo. Wir sind zehn, sie und ich, wie Zwillings, sagt Godknows und meint ihn und mich. Bastard ist elf und Sbho neun, und bei Stina wissen wir’s nicht, er hat nämlich keine Geburtsurkunde.
Wow, sagt sie. Ich sag auch wow, wow wow wow, aber nur im Kopf. Ich...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.