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Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einer werde.
Und ich komme mir auch immer noch nicht wie einer vor. Oder vielleicht doch. Ich weiß nicht, wie die sich vorkommen. Ich weiß nur, wie ich mir vorkomme.
Ab und zu hab ich mal was über einen in der Zeitung gelesen, und das war's.
Wenn, dann dachte ich kurz, warum um Gottes willen macht einer so was? Es passiert andauernd.
Bloß mich hab ich damit nie in Zusammenhang gebracht.
Aber so kann's gehen: Man läuft herum und ist ein Mensch, und plötzlich wird man bezichtigt, ein Vergewaltiger zu sein, ein Gewalttäter, ein Schänder, und überall schlagen die Leute die Zeitung auf und bekommen das zu lesen.
Und irgendwer denkt (aber diesmal auf mich bezogen), warum um Gottes willen macht einer so was?
Es passiert andauernd.
Unter einem Vergewaltiger stellt man sich wahrscheinlich einen Typ vor, der heimlich in Fenster guckt und einen Stoß dreckiger Bilder in der Hosentasche hat. Dann kommt die Gelegenheit, auf die er immer gewartet hat, und er macht Ernst mit der Vergewaltigung.
So hatte ich mir das vorgestellt.
Ich kann ja nur von mir ausgehen.
Aber wie ich so in die Klemme geraten bin, ist damit noch nicht erklärt.
Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll. Wenn man einfach auflistet, was passiert ist und was man gemacht hat, kommt es nicht richtig rüber. Damit meine ich das Frage-und-Antwort-Spiel, das vor Gericht abläuft. Das kommt nicht hin. Die stellen einen in die Ecke. Die ziehen die Summe aus ein paar Antworten, die du gegeben hast, und unterm Strich fällst du durch. Das läuft zu mechanisch.
Vor Gericht sollte man Gelegenheit bekommen, sich zurückzulehnen und alles in Ruhe zu schildern, wenn man dazu in der Lage ist.
Jeder weiß, wie steif es da zugeht im Saal, unterm Auge des Richters. Man sitzt da ein, zwei Minuten - vielleicht auch nur 30 Sekunden -, und schon spürt man, wo die Schnürsenkel sich überm Spann kreuzen und wie der Kragen um den Hals liegt.
Man kann nicht richtig atmen und ist übernervös.
Und warum?
Weil man weiß, dass Gerechtigkeit hier keine Rolle spielt. Man sieht vielleicht ein paar Typen mit Schriftstücken in der Hand herumlaufen. Auch sie sind nervös. Selbst der Richter ist nervös, obwohl er sich dagegen wehrt und das jeden Tag mitmacht.
Einige lächeln ein bisschen und machen Witze, besonders bei kleineren Fällen. Die tun mir am meisten leid, auch wenn ich selbst ein kleiner Fall bin.
Ja, ich geb's zu, ich war schon oft vor Gericht.
Meistens allerdings nur wegen Trunkenheit und Stadtstreicherei.
Der springende Punkt dabei ist, man kann sich nicht verteidigen.
Sie waren betrunken? - Okay, schuldig.
Sie waren Stadtstreicher? - Okay, doppelt schuldig.
Man wird nicht gefragt, warum man sich betrunken hat und warum man Stadtstreicher war. Wer trinkt oder Stadtstreicher ist, hat einen verdammt guten Grund dafür. Damit macht man sich nicht »schuldig«.
Genauso wenig wie damit, dass man braune Haare oder acht Finger und zwei Daumen hat.
Es heißt also, ich bin ein Vergewaltiger.
Ein Gewalttäter.
Ein Schänder.
Genau gesagt wird mir Vergewaltigung in zwei Fällen, Kindesmissbrauch, Hausfriedensbruch und alles, was es sonst noch gibt, vorgeworfen.
Aber wie sagt man so schön - eins nach dem anderen.
Angefangen hat der ganze Schlamassel so: Ich war im Keller, um die alte Pappe herauszuholen, die Mrs Weber (das ist die Frau, die ich vergewaltigt haben soll) mir abgetreten hatte.
Ich wusste, wo ich die Pappe für etwas Kleingeld verkaufen konnte, vielleicht für ein bisschen Wein - dafür war Kleingeld bei mir meistens bestimmt.
Die Pappe hatte ich mal gesehen, als die Kellertür offen stand und ich hinterm Haus langkam.
Irgendwann später fragte ich dann Mrs Weber (die angeblich von mir Geschändete), ob ich die Pappe haben könnte, die da sinnlos im Keller rumlag.
»Gern, Jerryboy«, sagte sie, »jederzeit, was soll ich da dagegen haben? Sie nützt mir ja doch nichts.«
Ohne jedes Zögern kam das von ihr, einfach so.
Dabei hatte es mich ganz schön Mut gekostet, sie zu fragen. Es ist ja so, dass ich vom Saufen ziemlich nervös bin, und ich wohne auch einigermaßen ärmlich da in dem Schuppen hinterm Haus. Ich bin immer allein und denke viel nach. Das Denken drückt mir irgendwie aufs Gemüt, und ich kann nicht mehr locker sein. Ich komme mir so dreckig vor, meine Sachen sind alt und zerschlissen.
Vor ein paar Jahren ging mir das noch nicht so. Ich bin erst 32, fühl mich aber wie ein ausgestoßenes Tier.
Gott, so furchtbar lange ist es für mich noch gar nicht her, dass ich in einem sauberen blauen Pullover mit Mathe-, Geometrie-, Wirtschafts- und Sozialkundebüchern und so weiter unterm Arm zur Highschool gegangen bin.
Daran dachte ich irgendwie, als ich Mrs Weber um die Pappe bat, und es half ein bisschen. Sie war eine kräftige Frau, sauber und kräftig, aber nicht gerade dick. Jeden Tag trug sie ein anderes Kleid in hellen, frischen Farben, und sie ließ mich an Seifenwasser und Flauschiges und Kühles denken.
Ich dachte an meine Ehe zurück, die vier Jahre mit Kay, die verschiedenen Wohnungen, die miesen Fabrikjobs.
Diese Fabrikarbeit zog mich runter, und ich fing an, nach Feierabend zu trinken - erst nur ab und zu, nach einer Weile dann fast durchgehend.
Ich verlor eine Stelle nach der anderen und schließlich auch Kay, und an all das dachte ich, als ich Mrs Weber nach der Pappe fragte.
Ich bin nicht immer ein Säufer und Stadtstreicher gewesen.
Als Mrs Weber davonging, sah ich von hinten auf ihre Beine, ihre sonnenglänzenden Nylons. Die Arme und die Haare so schön, dass man hätte singen können.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß, was mir vorgeworfen wird. Aber ich bin ehrlich und, wie ich meine, auch keiner Vergewaltigung schuldig, und ich weiß, dass es hier kreuz und quer geht, aber ich möchte, dass Sie das Ganze so sehen, wie ich es erlebt habe. Ich möchte nichts auslassen.
Vergewaltiger werde ich genannt.
Als Mrs Weber im Haus war, sah ich auf meine schmutzigen, ungepflegten Hände.
Die Nachbarschaft war mich und meine Pappbude gewöhnt, ich tat den Leuten leid und amüsierte sie auch ein bisschen.
Aber ich war harmlos.
Ich bin harmlos.
Ich bin kein Vergewaltiger, das schwör ich auf die Bibel oder auf was Sie wollen.
Ich hätte nicht gewagt, Mrs Weber anzufassen - sie stand so hoch über mir, war von so ganz anderem Wesen, dass weder ich noch sie noch sonst jemand auf die Idee gekommen wäre.
Es war unmöglich .
Eines Tages latschte ich dann draußen herum und sah, dass die Kellertür offen stand. Ich war ein bisschen verkatert und hatte nichts zu trinken und dachte, na, tu doch was, vielleicht vertreibt das deine Sorgen. Es war so ein verhangener Tag, wo es nach Regen aussieht, aber kein Regen fällt und man fast verrückt wird, weil es nicht endlich zu schütten anfängt, und man denkt, jetzt komm schon, Regen, komm schon, aber er kommt nicht. Er hängt fest.
Ich ging da runter und machte Licht. Den Kellergestank knipste ich gleich mit an. Bei dem Geruch dachte man an nasse Jutesäcke und Spinnen und vielleicht auch einen Arm, der irgendwo in dem Moder steckte, ein Arm mit etwas Stoff drumherum, und wenn man ihn rauszog, flitzte ein Haufen Wasserwanzen daran hoch und runter, ein konzentriertes mehrspuriges Gesause, nur dass hier und da eine Wanze aus der Konstellation ausbrach.
Konstellation! Das hätten Sie mir nicht zugetraut, dass ich so ein Wort kenne. Ich bin eben kein normaler Penner. Bloß der Wein macht mich fertig.
Na, jedenfalls war die Pappe ganz nass, und es sah nicht so aus, als ob ich dafür was bekäme, aber ich dachte, ich schaff sie trotzdem raus, dann gibt Mrs Weber mir vielleicht was fürs Entsorgen.
Allerdings habe ich Angst vor Spinnen. Ich hatte schon immer Angst vor Spinnen. Da bin ich komisch. Ich habe seit jeher Angst vor ihnen und hab sie immer gehasst. Wenn ich eine Spinne sehe, die eine Fliege im Netz hat und darum herumwuselt, das Tier im Nu einspinnt wie etwas ganz Durchgedrehtes, Böses und Finsteres, also diese Bewegung - ich kann's nicht erklären. Herrgott, ich schweife ab. Vergewaltigung wird mir vorgeworfen. Ich soll ein zehnjähriges Mädchen vergewaltigt haben, ich soll ihre Mutter vergewaltigt haben, und ich rede hier von Spinnen.
Mit der Pappe in dem Keller fing alles an. Das müssen Sie mir schon glauben. Ich wusste nicht, dass die Kleine von Mrs Weber auch da im Keller war. Das merkte ich erst, als sie etwas sagte. Da sprang ich vor Schreck in die Luft wie ein Sandfloh.
»Was machst du denn hier unten im Keller?«, fragte ich sofort. Ich konnte ein rotes Kleid und die weißen Beine ihres Pluderhöschens ausmachen. Wie gesagt, sie war neun oder zehn. Ein Abbild ihrer Mutter: sauber und drall, eine richtige kleine Dame, ein Apfeltörtchen. Aber ich hatte vor ihr fast genauso viel Angst wie vor ihrer Mutter, allerdings noch mehr Angst, mich nicht wie ein Erwachsener zu benehmen, und da ich mich mit kleinen Mädchen nicht auskannte, spielte ich ihr den Erwachsenen eben vor, so gut ich konnte.
Sie gab mir keine Antwort. Sie saß nur da in ihrem roten Kleid und der weißen Unterwäsche und sah mich an. Wie Kinder so sind. Mich machte das nervös. Die Erwachsenenschau zog nicht.
»Ich hab dich gefragt, was du hier unten machst!«, wiederholte ich.
»Gar nix.«
»Nichts?...
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