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Ein kleines Zimmer neben dem Besprechungsraum, in dem wir uns auf die Spiele einstellen, die Rollläden sind heruntergelassen, nur wenig Licht strömt durchs Fenster. Ich bin allein mit Renzo Ulivieri, meinem Trainer bei Parma. Ich bin ein wenig beunruhigt, denn wenn die Trainer unter vier Augen mit dir reden wollen, bedeutet das eigentlich immer Ärger. Nun ja, ganz allein sind wir nicht, denn da ist auch noch die Büste eines glatzköpfigen Mannes mit Schnauzbart. Der Trainer fordert mich auf, sie anzusehen, und ich ahne, dass die Büste etwas damit zu tun haben könnte, was er mir gleich erzählen wird.
Er beginnt mit einer Vorrede, listet erst einmal all den Ärger auf, den ich in den vergangenen Jahren verursacht habe. Da war die Geschichte mit meinem gefälschten Zeugnis, aber vor allem eine politische Diskussion um einige Symbole, die als rechtsextrem gewertet worden waren. Ein Missverständnis, auf das ich später noch genauer eingehen werde.
"Wenn du etwas ausgefressen hast, gib nicht den anderen die Schuld, tu nicht so, als wärst du das Opfer. Diejenigen, die sich selbst als Opfer hinstellen, sind oft die ersten Täter."
"Trainer, ich war nur nicht aufmerksam genug, so etwas passiert mir nicht mehr. Ich bin kein Faschist." Ich sage ihm etwas in diese Richtung, ich dachte, ich hätte die Angelegenheit bereits geklärt, aber offenbar lag ich falsch.
"Genau, Gigi, du bist kein Faschist, und du bist auch nicht rechts, du bist ein Linker", sagt er.
"Trainer, ich mag Politik nicht", antworte ich, aber Ulivieri fährt unbeirrt fort.
"Fußball ist ein Mannschaftssport. Pelé und Maradona hätten nicht existieren können ohne die anderen zehn, mit denen sie zusammenspielten."
"Trainer, aber ich .", ich versuche ihm irgendetwas zu entgegnen, habe aber keine Ahnung, worauf er hinauswill.
"Kennst du den hier?" Er zeigt auf die Büste.
"Nein."
"Das ist Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin."
"Und wer soll das sein?"
"Lenin! Du kennst nicht Lenin? Und du willst aus der Toskana kommen?1 Lenin ist der Mann der Oktoberrevolution."
"Der Kommunist", stammle ich. Ich fühle mich wie in der Schule.
"Der Revolutionär!", korrigiert er mich. "Er ist gestorben, bevor er den Traum seiner Revolution umsetzen konnte, den Kommunismus, aber nicht den Kommunismus, den wir kennengelernt haben, sondern eine wirklich bessere Welt, in der jeder dem anderen hilft, in der alle Menschen Genossen sind und zusammenhalten, um gemeinsam Ziele zu erreichen."
"Und was hat das alles mit dem Spiel zu tun, Trainer?"
"Denkst du, du spielst allein? Ich habe dir gerade erklärt, dass kein Spieler ohne seine Mitspieler existieren kann."
"Ich raff 's nicht."
"Was die Leute über dich sagen, ist Blödsinn, du bist kein Faschist, du bist ein Linker. Ich kenne mich aus mit Menschen, ich habe schon viele Spieler gesehen, und das, was du für deinen Mitspieler getan hast, machen nur Menschen, die links sind."
Es ist Mai 2001, und ich habe den Verantwortlichen von Parma lediglich mitgeteilt, dass ich nicht vorhabe, im Finale der Coppa Italia dem zweiten Torhüter Matteo Guardalben den Platz wegzunehmen, da er zuvor den gesamten Wettbewerb bestritten hat.
Wer weiß, vielleicht ist es ein Trick, um mit mir über Politik zu reden, um auf diese dumme "Boia-chi-molla"-Geschichte zurückzukommen. Aber hinter Ulivieris Rede steckt mehr.
"Wenn es das ist, was du von mir hören willst, dann Ja, für einen Mitspieler bin ich Kommunist!", sage ich schließlich.
Renzaccio Ulivieri gehört zu den Menschen, die ich in all den Jahren als Fußballer am allerliebsten mochte. Er war in der Endphase der Saison 2000/01 Parma-Trainer. Er hatte den Posten nach dem Rücktritt von Arrigo Sacchi übernommen und eine seltsame Situation vorgefunden, mit starken Spielern und einer gut organisierten Mannschaft, aber unklaren Ambitionen.
Ulivieri, ein Mann mit einem hellen Schnauzer, trägt bei seinem ersten Spiel als Trainer einen schwarzen Wollmantel und einen roten Schal. Er ist ein überzeugter Linker, war auch Mitglied der Kommunistischen Partei PCI, und in jeder Motivationsansprache spricht er mit uns über den Wert der Solidarität. Gleichzeitig ist er auch die ironischste Person, die ich je kennengelernt habe - auch wenn er es in diesem Moment ernst meint und mich wirklich als Kommunisten bezeichnet. Aber nein, ich bin weder rechts noch links. Je älter ich werde, desto mehr fühle ich mich wie eine Person mit gesundem Menschenverstand, und mal abgesehen von den Extremen sehe ich sowohl Mitte-rechts als auch Mitte-links Dinge, die ich für richtig halte.
Diese politische Diskussion, die ich bereits angedeutet habe, hatte mich etwas von meiner Unbeschwertheit gekostet. Nach der Geschichte mit dem gefälschten Zeugnis hatten sich die Scheinwerfer auf mein Verhalten gerichtet. "Das gehört zum Ruhm eben dazu", sagen die Zeitungen, aber ich war damals noch ziemlich naiv. Wenn du Nationaltorhüter wirst, bringt das eine gewisse Verantwortung mit sich, jede kleine Geste erhält mehr Gewicht, du wirst beäugt von den Fans, den Journalisten und auch von den ganz gewöhnlichen Zuschauern. Einige Jahre zuvor hatte ich den Satz "Boia chi molla" [wörtlich: "Wer aufgibt, ist ein Henker", A.d.Ü.] auf mein T-Shirt geschrieben, ohne zu wissen, dass es sich dabei um ein neofaschistisches Motto handelte. Ich hatte das deshalb gemacht, weil wir uns den Spruch gegenseitig während meiner Zeit im Internat sagten, um uns zu motivieren, wenn wir wegen Müdigkeit, Hunger, der Schule oder der Trainingseinheiten mit den Kräften am Ende waren. Wir hatten den Satz auf einer Bank im Speisesaal eingeritzt gesehen. Ich dachte damals, naiv wie ich war, an ein harmloses Motto von Internatsschülern, die über ihren Büchern brüteten.
Ein anderes Mal hatte ich die Nummer 88 als Rückennummer gewählt und dabei an den italienischen Spruch gedacht, jemand habe "vier Eier". Später fand ich heraus, dass die Zahl für den Gruß "Heil Hitler" steht, weil "H" der achte Buchstabe im Alphabet ist. Davon abgesehen, dass der Spruch mit den vier Eiern auch eine sexistische Konnotation hat - es waren aber auch andere Zeiten -, fühlte ich mich sogar angegriffen, als ich darauf hingewiesen wurde. Heute würde ich sagen: "Was bin ich nur für ein Esel", aber im Leben muss man auch Dinge falsch machen, um seine Lektion zu lernen, und wie Ulivieri sagte, sich nicht selbst als Opfer stilisieren, sondern Verantwortung für seine Taten übernehmen. Mit meinen fast 50 Jahren denke ich zurück, wie fragil ich damals war, wie naiv, aber auch, wie viel Angst ich hatte. Ich hatte gerade meine erste schwere Verletzung hinter mir, durch die mir die Teilnahme an der Europameisterschaft 2000 entgangen war. Ein kleiner Knochen der Hand, ein verdammter kleiner Knochen des Mittelfingers meiner linken Hand. So wenig hatte ausgereicht, um mich durchdrehen zu lassen und den Durchblick zu verlieren. Ich hatte überstürzt diese Nummer gewählt, nur mit dem einen dummen Gedanken im Kopf, dass ich der ganzen Welt zeigen wollte, dass ich zurück war.
Ein kurzer Einschub dazu: Es ist schwer in Worte zu fassen, wie sehr ein Sportler während einer Verletzungspause leidet. Heute, auch wenn ich noch nicht lange aufgehört habe, kann ich diese Momente zumindest mit ein wenig Rationalität betrachten. Die Verletzung zwingt dich zur Ruhe, zwingt dich dazu, deine Karriere einzufrieren, in manchen Fällen sogar, sie zu beenden, während deine Altersgenossen und Teamkollegen ihr aus Trainingseinheiten und Spielen bestehendes Leben weiterleben. Du bist blockiert, manchmal kannst du überhaupt nichts machen, und da besteht die Gefahr, durchzudrehen, denn du denkst, dass du alles verlierst, wofür du in deiner Jugend gearbeitet hast. In diesen Momenten ist es vor allem eine mentale Frage, es geht darum, ob du deinen Frust, deine Ängste und Sorgen kontrollieren kannst.
Renzo Ulivieri ist jemand, der junge Leute versteht, und natürlich durchschaut er sofort, was ich für ein Typ bin. Er ist ein Trainer, der viel Empathie besitzt, das zeigen seine Worte über meine Gedanken an meine Mitspieler, über die Tatsache, dass ich auf ein Finale verzichte, um dem zweiten Torhüter Guardalben die Chance zu geben, die er sich dadurch verdient hat, dass er den gesamten Wettbewerb über im Tor stand.
Die Büste blieb dort noch ein paar Tage lang stehen, und ich bewahre Ulivieris Rede unter den schönsten, ernsthaftesten und menschlichsten Dingen, an die ich mich erinnern kann.
Ulivieri war mein letzter Trainer bei Parma, aber vor ihm hatte ich dort noch unter zwei anderen wirklich großen Trainern gespielt.
Nach der Saison mit Nevio Scala kommt Carlo Ancelotti.
Ich habe einen furchtbaren Sommer hinter mir. Ich hatte an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta teilgenommen, mit dem Enthusiasmus eines Neulings, der begeistert und völlig unbedarft sein erstes olympisches Abenteuer angeht. Ich platzte mit meinen 18 Jahren vor Stolz und war überglücklich, beim wichtigsten Sportereignis der Welt dabei zu sein. Das war meine einzige Olympia-Teilnahme, obwohl ich bis zum letzten Moment meiner Karriere davon geträumt habe, noch einmal zurückzukehren. Ich hatte einen Traum, den ich bis jetzt noch nie öffentlich geäußert habe. Ich wollte...
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