Schweitzer Fachinformationen
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BRIEF 1
WILLKOMMEN IN DER HÖLLE
Mein lieber Sohn,
in diesem Buch möchte ich Dir von meinen Abenteuern in fernen Ländern erzählen, die ich bereist habe, vor allem aber von den vier Jahren, die ich mit Deiner Mama in Panama verbracht habe. Unsere Begrüßung in Panama verlief anders, als ich es erwartet habe. Kannst Du Dir vorstellen, wie sie uns dort begrüßt haben?
Ich gehe mit deiner Mama und unseren neuen Freunden durch die dunklen Straßen im Zentrum dieser für uns fremden Stadt. Obwohl es Nacht ist, ist es drückend heiß. Unsere T-Shirts kleben auf der Haut, die Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent macht das Atmen schwer.
Wir kommen aus einem Restaurant, das von Palmen umgeben ist, die geheimnisvolle Schatten werfen. Auf den Bürgersteigen herrscht fast völlige Leere. Nur ein paar schemenhafte Gestalten huschen an uns vorbei, das Licht einer Straßenlaterne streift für den Bruchteil einer Sekunde ihre Gesichter. Doch die Straßen sind verstopft. Autos stehen im Stau, es ist laut. Motorengeräusche mischen sich mit ununterbrochenem Hupen. Hin und wieder hört man das gedämpfte Rufen eines Straßenverkäufers, das sich mit dem ärgerlichen Schreien der Autofahrer mischt, die um jeden Zentimeter kämpfen.
Die Dunkelheit ist allgegenwärtig, und obwohl wir uns mitten in der Stadt befinden, wirken die Lichter der wenigen Straßenlaternen wie kleine Inseln in einem Meer aus Schatten. Alles wirkt ungewohnt und geheimnisvoll. Imposant ragen die Hochhäuser über uns auf, schwarze Silhouetten gegen den Nachthimmel, die Fenster meist dunkel. Die Gebäude wirken unbewohnt. Die Bürgersteige sind kaum durchgängig vorhanden, unser Weg wird zum Hindernisparcours. Ich spüre das grobe Kopfsteinpflaster unter meinen Füßen, fast trete ich in ein tiefes Loch. Wir müssen aufpassen, dass uns der Boden nicht verschluckt.
Als wir in die nächste Straße einbiegen, verwandelt sich die Szenerie plötzlich. Grelle Lichter, laute Musik und Stimmengewirr schlagen uns entgegen. Die Straße ist belebt. Über den Eingängen der Bars und Restaurants schlängeln sich bunte Lichterketten. Vor den Lokalen sitzen Menschen in kleinen Gruppen auf den Terrassen, lachen laut und stoßen mit bunten Cocktails an. Andere tanzen ausgelassen zur Musik, die aus den Boxen dröhnt. Die Türsteher vor den Bars, große Männer mit durchdringenden Blicken und schwarzen Hemden, versuchen uns Gringos in ihre Lokale zu locken. Sie rufen uns zu: "Willkommen in der Hölle!"
Das war meine Einführung in Panama. Wo "zur Hölle" war ich da gelandet?
Zusammen mit Deiner Mama habe ich mich damals bewusst für ein Leben in diesem mir unbekannten Land entschieden. Es war eine leichte und gleichzeitig sehr schwere Entscheidung für mich, nach Panama zu ziehen! Einerseits brauchte ich nach drei intensiven und sehr stressigen Jahren in Berlin einen Tapetenwechsel, andererseits hatte ich großen Respekt vor dem Unbekannten. Ich wusste rein gar nichts über dieses Land. Als Kind hatte ich das Buch von Janosch "Oh, wie schön ist Panama" gelesen und irgendwann einmal vom Panamakanal gehört. Der Umzug in dieses Land war für mich wie ein Sprung aus einem Flugzeug, mit verbundenen Augen, mitten hinein ins Unbekannte!
Warum Panama? Deine Mama hatte sich dort an einer internationalen Schule beworben und den Job bekommen, und da wir beide etwas Neues ausprobieren wollten, entschieden wir uns für den Umzug. Wir verkauften alle unsere Möbel, meldeten uns ab, packten drei große Koffer und dann ging es los!
Ich hatte mir viele Gedanken darüber gemacht, wie wohl das Leben in Panama sein würde, ob ich die Sprache lernen, eine Arbeitsgenehmigung bekommen und einen Job finden würde. Solche Gedanken, Zukunftsängste und Blockaden kannte ich schon aus meiner Kindheit und sie zogen sich durch mein gesamtes Leben. Meine Eltern und Weggefährten haben mir eingetrichtert, dass Stabilität das Wichtigste im Leben sei. Stabilität und Sicherheit war das, wonach die Kriegs- und Nachkriegsgeneration in Deutschland strebte und wonach sich die meisten Menschen hier immer noch zu sehnen scheinen. Alles wird lange im Voraus geplant, selten wird etwas Neues ausprobiert, geschweige denn in ein unbekanntes Land gezogen. Es ist dieses Streben nach einem festen Arbeitsplatz, einer schwarzen Null, einer stabilen Rente und einer Familie samt Häuschen, das jede Abenteuerlust und jeden Mut zum Risiko im Keim erstickt. Wie oft hatte ich von meinen Eltern und der Gesellschaft um mich herum gehört, dass es zu schwierig sei, in einem fremden Land neu anzufangen, einen Job zu finden und eine neue Sprache zu lernen. Man muss wieder ganz von vorne anfangen, neue Netzwerke aufbauen und Freunde finden.
Schon mein ganzes Leben lang schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits sehne ich mich danach, Abenteuer zu erleben, neue Länder, Menschen und Kulturen kennen zu lernen! Ich war in mehreren Ländern zu Gast, für einige Monate oder auch Jahre, und durfte so in das Alltagsleben in Rom, Shanghai, Toronto und Taipeh schnuppern. Gleichzeitig liebe ich Kontrolle, Sicherheit, Stabilität, und ich liebe es, Pläne zu schmieden und weit vorauszuplanen.
Doch die Entscheidung, nach Panama zu ziehen, war gefallen, im Juni 2014 sollte es losgehen! Die Koffer waren gepackt.
Einen Tag vor unserer Abreise wurde die deutsche Fußballnationalmannschaft Weltmeister, nachdem sie Brasilien im Halbfinale mit 7:1 besiegt hatte. Ein historischer, ein großartiger Moment in Deutschland! Die Menschen im Land waren in diesem Moment von Glück beseelt und feierten das Sommermärchen von Brasilien. Ich erinnere mich daran, wie wir unserem Nachbarn auf Wiedersehen sagten, während wir auf unser Taxi zum Flughafen warteten.
Wir hatten in den letzten drei Jahren kaum mehr als ein paar Worte mit ihm gewechselt. Er war ein richtiger Ostberliner und lebte seit über 30 Jahren in seiner Wohnung.
Als einmal im tiefsten Berliner Winter die Heizung ausfiel, blieb er ganz ruhig und gelassen. Sein Kommentar war:
"Nur wenn die Sowjets Berlin angreifen, muss man sich Sorgen machen". Wir hatten drei Jahre lang keinen wirklichen Kontakt mit besagtem Nachbarn, aber als er uns mit all den Koffern sah und wir ihm erzählten, dass wir nach Panama ziehen, sagte er: "Ihr könnt doch jetzt nicht gehen!
Wir sind seit gestern Weltmeister!"
Wir machten uns auf den Weg zum Flughafen Tegel. Zur selben Zeit, in der wir in unser neues Leben starten wollten, sollte dort die Maschine mit den Weltmeistern landen. Nachdem die Abflugzeit immer wieder verschoben wurde, wurde unser Flug schließlich gestrichen und wir mussten die Nacht mit unseren vielen Koffern in einem Hotel verbringen. Das erwies sich letztlich als großes Glück, nicht nur, weil wir die Flugkosten erstattet bekamen. Denn in der ganzen Aufregung und im Weltmeistertaumel hatte ich meinen Ehering in der Wohnung vergessen. Also riefen wir unseren Hausmeister an und trafen uns mit ihm vor dem Haus, in dem wir drei Jahre lang gewohnt hatten. Wir hatten unseren Schlüssel im Briefkasten hinterlassen und der Hausmeister, der den Schlüssel dafür vergessen hatte, musste unseren Wohnungsschlüssel erst einmal umständlich herausfischen. Schließlich konnten wir die Wohnung betreten. Dort lag der Ring verlassen auf dem blanken Boden. Am nächsten Tag ging es wieder zum Flughafen. Diesmal war unser Flug pünktlich, und neun Stunden später landeten wir in den USA.
In Washington DC verbrachten wir ein paar schöne, ruhige Tage bei Deiner Oma. Wir aßen leckeres Essen und genossen die Sonne und die freie Zeit. Ich hatte in den letzten Jahren zu viel gearbeitet und es fühlte sich gut an, endlich einmal ein paar Tage frei zu haben und abschalten zu können.
Nach einer Woche Kurzurlaub ging es auch schon weiter nach Panama. Als wir am Flughafen in Atlanta umgestiegen sind, befiel mich eine kurze Panikattacke. Es traf mich wie ein Schlag! Ich wusste nicht, was mich in Panama erwarten würde, wie mein neues Leben dort aussehen würde, wie lange wir dort leben würden und ob ich einen Job finden würde. Ich hatte noch keinen Plan und das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben! Erst ein hastig getrunkenes großes Bier half mir, meinen kleinen Nervenzusammenbruch wieder in den Griff zu bekommen. Es war schon spät, als wir nach einem unruhigen Flug in Panama landeten, und uns erst einmal orientieren mussten. Als wir aus dem Flughafenterminal nach draußen gingen, schlug uns eine Wand aus heißer Luft entgegen. Diese Hitze und die sehr hohe Luftfeuchtigkeit waren wir nicht gewohnt.
Sie schnürte uns die Luft ab und es dauerte ein paar Wochen, ja Monate, bis ich mich an die feuchte Hitze gewöhnt hatte.
Einige der neuen Kollegen Deiner Mama waren auch gerade gelandet. Es war eine Gruppe sehr interessanter Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern. Viele von ihnen kamen aus den USA und Kanada. Andere kamen aus Mexiko, Kolumbien, Schottland, Ungarn und Österreich. Sie alle lebten in dieser Parallelwelt der Lehrerinnen und Lehrer an internationalen Schulen, zogen alle zwei bis drei Jahre in ein neues Land und hatten viele interessante Geschichten im Gepäck. Wir wurden von Mitarbeitern...
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