Schweitzer Fachinformationen
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Ellen. Eine Leiche. Und sie.
Berenike schloss die Augen.
Das ist jetzt bitte nicht wahr! Alles nur eine Sinnestäuschung, Schimäre, weiter nichts - bitte! Nicht heute, nicht nach allem, was .
Dieser Tag war doch viel zu schön für Grausamkeiten. Der Fasching war verbrannt, die närrische Zeit würdig verabschiedet. Die leeren Geldtascheln waren >gewaschen<, die letzten Feste gefeiert, der Frühling konnte kommen.
Berenike ließ sich für einen Augenblick von der unschuldigen Sonne das Gesicht wärmen, ließ sich ablenken von den lärmenden Vögeln, der nach Frühling duftenden Erde. Und wenn sie einfach weiterginge? Wenn sie täte, als ob wirklich nur ein Baumstamm im Wasser triebe - und nicht eine Person, der Berenike nie mehr zu begegnen gehofft hatte?
Immerhin war Sonntag, sie hatte doch auch ein Recht auf einen freien Tag, auf Erholung, um dem Rücken mal gut zu tun.
Und da war schließlich noch Ellen, der sie sich in Ruhe hatte widmen wollen. Endlich war es Berenike gelungen, ihrer Freundin am Wolfgangsee einen Besuch abzustatten. Ellen hatte Berenike ihre neue Wohnung gezeigt, ihr Bildhauerinnen-Atelier. Von dem Mordfall in Hallstatt, bei dem ihre gemeinsame Tanzlehrerin getötet worden war, sprachen sie hingegen nicht. Dann schon lieber von den künstlerischen Andenken, und wie Ellen diese noch besser an Touristen verscherbeln könnte, Kitsch hin oder her.
Ellen hatte ihre neueste Steinskulptur vorgeführt. »Sie ist der toten Göttin im See gewidmet, hab ich dir von ihr erzählt?«
»Nein.« Neugierig hatte Berenike auf Ellens Erläuterungen gewartet, während die schwarzen Haare das Gesicht der Freundin halb verdeckten.
»Vor Strobl liegt tief im klaren Wasser eine Steinformation, die ich für mich die >Göttin im See< getauft habe. Man sieht sie nur, wenn man rausschwimmt, nicht vom Ufer aus. Vielleicht war sie wirklich einmal ein heidnisches Standbild.«
»Wer weiß!« Berenike liebte solche Geschichten, liebte es, sich vorzustellen, wie das Leben zu einer früheren Zeit gewesen sein mochte. Solche Träumereien waren viel besser als düstere Leichen und die Ergründung ihrer Todesursachen. Noch dazu in ihrer momentanen Situation. Sie fühlte sich immer noch ein wenig angeschlagen.
In Ellens Garten hatten sie dick eingemummt Earl Grey getrunken, waren schließlich gemeinsam losgezogen und genüsslich am Ufer entlangflaniert. Endlich war Berenike die Ablenkung von allem, was hinter ihr lag, gelungen. Sie hatte nach dem viel besungenen Wolfgangsee Ausschau gehalten, von dessen flaschengrünem Wasser man nicht viel zu sehen bekam. Alles war verbaut, wie oft in Österreich. Umso teurer ließen sich dafür Hotels oder Gasthöfe ihren Seeblick bezahlen.
Und mit der Ablenkung kehrte die Vorfreude auf Jonas zurück. Ihr Liebster würde sie morgen endlich wieder besuchen. Mehr als zwei Wochen hatte sie ihn nicht zu Gesicht bekommen, fast drei. Seine Absagen hatten sich fast wie Ausflüchte angehört, sie hatte schon gedacht, dass sie ihn mit ihrem Freiheitsdrang vertrieben hatte. Doch er hatte als Abteilungsinspektor der steirischen Kriminalpolizei eben viel zu tun. Ständig wurde Personal eingespart, Planstellen wurden nicht nachbesetzt. Und die Fahrt von Graz ins Salzkammergut dauerte ihre Zeit.
Vielleicht war es gut, dass sie letzte Nacht allein gewesen war. Dann konnte er keine Fragen stellen. Berenike schüttelte den Kopf über sich selbst. Als stünde sie neben sich, würde jemand anderem zusehen, der tat, was sie getan hatte. Komisches Gefühl, sich dermaßen hinreißen zu lassen. Sie durfte sich jetzt nur nichts anmerken lassen .
Ihre Gedanken wanderten zu Jonas, wie er in der Tür stehen würde, wie sie den Arm nach ihm ausstrecken würde. Sie spürte fast seine Haut unter ihren Fingern, seine raue Wange an ihrer Wange, und wie sie ihn küssen würde. So ganz oder gar nicht. Es war dieses perfekte kleine Glück - dieser eine Moment, ehe alles zerbrach. Wenn sie später daran zurück dachte, fragte sich Berenike, ob sie etwas geahnt hatte. Und ob sie es hätte festhalten können, das Glück. Und wie.
Während sie mit immer noch geschlossenen Augen diesem Faden ihrer Verbindung nachspürte, erklärte Ellen etwas über ein nahe gelegenes Gut, das in der Nazi-Zeit arisiert worden und später in den Besitz der Republik übergegangen war. Ohne dass je wer darüber geredet hätte, ob hier Unrecht geschehen sei, ob der Kauf unter Zwang zustande gekommen oder der Preis vielleicht zu gering ausgefallen war. Berenike hörte nur mit halbem Ohr hin, sie kannte solche Geschichten.
Ellen räusperte sich. »Trotzdem bin ich froh, dass ich hierher gezogen bin. Weißt du, Berenike, ich musste mein Leben umkrempeln.« Ihre Stimme war klarer, härter. Ganz anders als früher, als sie noch mit Sven zusammen gewesen war. Sven - der war eine Nummer gewesen. »Wenn du das miterlebt hättest, wie mich in Hallstatt alle angeschaut haben! Als wäre ich der Mörder, nicht er.«
»Ist die Scheidung durch?«
»Ja, alles glattgegangen, mithilfe meiner Rechtsberaterin. Erst wollte ich noch . na ja . ihm eine Chance geben, du weißt schon.«
Berenike nickte. So etwas hörte man oft von Frauen, deren Partner gewalttätig geworden war. Die Trennung von einem, in den man mal schwer verliebt gewesen war, entschied frau eben nicht so schnell.
»Dann war mir klar, ich kann mit ihm nie wieder zusammen leben, auch nicht nach seinem Gefängnisaufenthalt. Es war schon lange nicht mehr richtig zwischen uns. Du kennst ja die Geschichte. Hier habe ich von vorne angefangen. Kaum jemand kennt mich, die wenigsten hier wissen etwas über mein früheres Leben.«
»Ich versteh das«, sagte Berenike. »Ich versteh das gut.« Neues Leben, das kam ihr bekannt vor. Genau das hatte sie sich im Salzkammergut aufgebaut. Nach ihrem wilden Leben in Wien als Eventmanagerin. Heute fragte sie sich, wie sie den Wahnsinn je ausgehalten hatte. Sie würde alles tun, um nicht noch einmal flüchten zu müssen .
Sie öffnete die Augen und blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht an. Der Körper im Wasser schaukelte noch immer an derselben Stelle. Sie konnte nicht einfach weitergehen, als ob nichts wäre. Das kam für sie nicht infrage, auch wenn sie noch so viel Interesse daran haben mochte, nicht mit der Leiche in Verbindung gebracht zu werden. Sie konnte nicht so tun, als ob da gar keine Leiche in der Ischl triebe. Berenike ahnte, ahnte es, wie sie es immer ahnte, dass dieses unförmige, sich mit der Strömung bewegende Etwas nicht nur ein Baumstamm war. Sondern ein Mensch. Ein toter Mensch.
Tot.
Das Wort sackte in ihr Herz. Verdunkelte die Umgebung. Sie sah auf, bemerkte eine kleine Wolke, die sich vor die Sonne geschoben hatte. Strobl war die kleinste der Gemeinden am See, weniger bekannt als Sankt Wolfgang mit seinem Weißen Rössl oder Sankt Gilgen, der ehemalige Wohnort von Mozarts Familie.
Ellen lehnte mit dem Rücken am Geländer der Brücke. Sie hatte tatsächlich noch nichts mitbekommen. Beneidenswert. Noch konnte man sich umdrehen und gehen, einfach gehen .
Schmelzwasser gluckerte und glitzerte in der aufs Neue hervorkommenden Sonne. Am Kirchturm begannen die Glocken zu läuten. Zwölf Uhr Mittag.
»Schön hier, nicht wahr?« Ellen rekelte sich wohlig, als würde sie gleich losschnurren. Ihre hellviolette Jacke passte wunderbar zu ihren schwarzen Haaren.
»Ein herrlicher Tag«, sagte Berenike und beobachtete, wie die Wolke die Sonne komplett freigab.
»Grüß dich!«, tönte eine forsche Männerstimme hinter ihnen. Ein großer Blonder in knallrotem Anorak und fast ebenso roten Backen war stehen geblieben.
»Servus, Johnny!«, grüßte Ellen zurück. »Du hier? Du kennst doch Johnny Fellerer, Berenike?« Ellen sah von einem zum anderen.
»Natürlich, wie auch nicht?« Den Mann mit seiner ungewöhnlich hellen Haut und den wässrig grünen Augen konnte man schwerlich vergessen. Sie fragte sich nur, wie man sich in den Alpen Johnny nennen konnte? Nur weil man nicht zum Hansi werden wollte?!
»Man kann eben nirgends inkognito hingehen.« Johnny zwinkerte Berenike zu. »So ist das, wenn man für die Medien schafft.«
Ihr blieb auch nichts erspart - da ging es Berenike wie Kaiser Franz Josef selig. Sie atmete tief durch und setzte ein neutrales Gesicht auf. Dann starrte sie auf das Etwas im Wasser. Vielleicht doch angeschwemmtes Holz?, hoffte sie wider alle Vernunft.
Johnny beugte sich neben ihr über die hölzerne Brüstung. »Was ist denn da?«
»Ich dachte, du bist heute privat unterwegs, Johnny! Und du, Berenike, was schaust du so schief?«
»Ich schaue immer schief, schon vergessen? Das ist mein Markenzeichen. Ich bin zur Transzendenz geboren.«
»Hör auf!« Ellen machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich will nicht wissen, was dir irgendein Verrückter mal geweissagt hat. Du hast was, mach mir nichts vor.«
»Soll ich bei einer Leiche vielleicht nicht mein inneres Gleichgewicht verlieren?«
»Eine Leiche?« Ellen wurde blass. »Wovon sprichst du?«
»Ah, da!«, rief der Reporter und schob den Oberkörper über die Brüstung.
»Das da vorne im Wasser. Kein Baumstamm, oder?«
Der Journalist setzte einen Fuß auf die Sprosse des Brückengeländers, stemmte sich mit beiden Armen hoch. Ein Balken knirschte. Er achtete nicht darauf, fasste den Fund im Wasser ins Auge.
Ellen kniff die Brauen zusammen. »Ich kann nicht wirklich was erkennen gegen das Sonnenlicht.«
Die Kirchenglocken dröhnten überlaut....
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