Schweitzer Fachinformationen
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- Ich weiß nich . Brauchense noch wat?
- Nein, vielen Dank.
- Wirklich nix? Gar nix? Undse sind sicher, datse hier draußen schlafen wolln? Ich hab auchn Gästezimmer, wissense?
- Das ist sehr nett, aber .
- Is natürlich nix Besonderes, aber frisch bezogen. Nich dat ich in letzter Zeit viele Gäste gehabt hätte. Oder überhaupt. Trotzdem mach ichs imma wieder frisch. Nur fürn Fall. Und na ja . vielleicht isses schöner als hier draußen auffer Isomatte.
- Es ist eine gute Isomatte, behauptete ich. (Es ist die billigste gewesen.)
- Es wird sehr dunkel. Undse sind ganz allein. Man hört ja doch so einiges.
- Hm.
- Vielleicht wirds heut Nacht kalt.
- Ich hab einen Schlafsack.
- Reicht dat denn? Se könnten doch vielleicht .
- Ihr Angebot ist wirklich nett. Aber machen Sie sich bitte keine Umstände.
- Dat wärn keine Umstände.
- Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich in Ihrem Garten schlafen darf. Und ich mache das jetzt schon eine Weile.
- Dat hamse gesagt, ja.
- Es ist gar nicht so schlimm, wie es vielleicht aussieht. Eigentlich ist es sogar . irgendwie nett, denke ich.
- Wenigstens solls trocken bleiben.
- Sehen Sie? Dann ist doch alles gut.
- Wennse meinen. Dann geh ich jetz rein. Aber ich lass die Tür offen. Nee, ich lass die Tür lieber nich offen. Dat is wahrscheinlich keine gute Idee. Dat kannste heute nich mehr machen. Ich geb Ihnen nen Schlüssel. Hier. Dann könnense reinkommen, wennse Durst ham oder aufs Klo müssen oder sichs doch anders überlegen. Also, dann . Ne gute Nacht wünsch ich Ihnen.
Etwas unbeholfen streckte Frau Koslowski eine kleine, aber kräftige Hand nach mir aus, drückte meine in einer schnellen, festen Berührung, wischte sich die Finger an ihrer Hose ab, stand stöhnend auf, nickte mir zu, drehte sich halb um, nickte noch einmal und ging dann zum Haus zurück, tauchte in den Schatten ein, den das Gebäude warf und der länger und länger wurde, bis er, in einigen Minuten, mich erreicht haben würde. Ich sah zu, wie sie die wenigen moosbewachsenen Treppenstufen zur Kellertür hinabging und verschwand.
Ich blieb allein in ihrem Garten zurück.
Sollte ich mir die Mühe machen, das Zelt aufzubauen? Wenn es trocken blieb, wäre es vielleicht nicht nötig. Dann könnte ich die Nacht unter freiem Himmel verbringen. Das stellte ich mir schön vor. Ich hatte es mir schon einmal schön vorgestellt und den Rest der Nacht pitschnass und zitternd unter einem alten, halb kaputten Sonnenschirm verbracht, von dessen Rändern sich der Regen als Wasserfall auf die Terrasse hinabgestürzt hatte. Dir hätte das gefallen. Ich machte mich daran, die Zelttasche aus meinem Rucksack und das Zelt aus seiner Tasche zu befreien. Mittlerweile hatte ich Übung, es ging schneller als an den ersten Abenden, ich breitete es an der Stelle aus, die mir Frau Koslowski gezeigt hatte, nicht zu nah an den Rosen, weit genug entfernt von den Dahlien und Chrysanthemen, schob die Stäbe durch die Öffnungen, bog sie nach oben, befestigte einige Schlaufen und Ösen, drückte sechs von acht Heringen in den weichen, feuchten Boden (die übrigen zwei waren verloren gegangen, der eine direkt beim ersten Abbauen, der andere wahrscheinlich vorgestern), spannte die Leinen. Anschließend kletterte ich mit der Isomatte, die alte Luftmatratze hatte schon am dritten Tag ein Loch gehabt, und meinem Rucksack voran durch den Eingang ins Innere.
An die Zeltluft, in der ich möglichst kurz und nicht zu tief einatmete, hatte ich mich gewöhnt, genau wie an das Umziehen im Liegen, Mückenstiche, krabbelnde Tierchen, die ihren Weg durch die kleinste Ritze fanden, stinkende Socken und die Sorge, dass das Zeltdach ein weiteres Mal über mir einstürzen könnte. Neu waren die Scheuerstellen an meinen Schultern. Daumengroße und daumenlange Striemen, da, wo die Rucksackträger lagen, rot und schmerzhaft. Zwei neue Blasen waren dazugekommen. Vielleicht hätte ich doch Geld in Wanderschuhe investieren sollen. Aber ich ging nicht wandern, ich lief, das war ein Unterschied, nicht ausgeschilderten Routen folgend, sondern Straßenzug um Straßenzug, in einem seltsamen Zickzack meiner eigenen Karte nach, die ein vollkommenes Durcheinander war, über Asphalt und Kopfsteinpflaster.
Im Sitzen, mit krummem Rücken - hätte ich doch ein größeres Zelt kaufen und nicht dein altes aus dem Keller klauen sollen? -, schob ich mir die Hose von den Beinen, schlüpfte aus T-Shirt, dann BH, legte beides zur Seite an den Rand, zog einen Schlafanzug über, rollte die Isomatte vollständig aus, legte meinen Schlafsack darauf, der Garten war abschüssig, senkte sich nach rechts, ich würde nicht gut schlafen. Steine und harter Boden machten mir nichts aus, abfallender Untergrund brachte mein Gleichgewicht durcheinander, das hatte ich schon als Kind gehabt. Erinnerst du dich? In letzter Zeit war es schlimmer. Nicht nur deshalb war Frau Koslowskis Angebot verlockend gewesen. Was hätte ich für ein weiches Bett mit frisch gewaschenen Bezügen gegeben. Daran war nicht zu denken. In Räumen hielt ich es noch immer nicht lange aus.
Ich rieb mir die schmerzenden Schulterstellen mit einer Creme ein, die ich unterwegs bei einem dm gekauft hatte, ein wenig tat ich auch auf die neuen Blasen und die alten, obwohl ich wusste, dass das nicht half. Die Zähne putzte ich mir mit einem Schluck Wasser, das ich auf einer Imbisstoilette abgefüllt hatte, und spuckte es zurück in die Flasche, darin hatte ich Routine, dann kramte ich Block und Stift heraus.
Kannst du mal aufhören, aus allem eine Geschichte machen zu wollen, Josephine?
Das hast du an diesem einen Abend zu mir gesagt. Schrecklich wütend bist du da gewesen, Inken. Ich weiß gar nicht mehr, warum. Oder will ich das nur glauben? Das Leben ist kein gutes Buch. Nein. Darin waren wir einer Meinung. Der Unterschied ist nur, dass du es für gar kein Buch gehalten hast und ich für ein schlecht geschriebenes ohne Stringenz, echte Tiefe und Happy End. Du und ich sind mehr als eine Geschichte. Aber eigentlich wusstest du, dass ich das Schreiben zum Überleben brauche, weil nur du solche Dinge von mir wusstest.
Jetzt vielleicht dringender als jemals zuvor.
Ich schaltete mein Handy ein, ein altes Gerät, kein Smartphone, es konnte gerade so SMS empfangen, trotzdem hatte ich es tagsüber immer aus. Meine Mutter hatte geschrieben. Dass sie mich liebte. Nicht mit diesen Worten, weil sie es nicht mit diesen Worten sagen konnte, das konnte sie nie. Ich musste es hineinlesen, das konnte ich mal besser, mal schlechter, früher hatte mir auch meine Brille nicht geholfen, heute konnte ich es manchmal entziffern, ohne die Augen zusammenzukneifen. Meine Mutter fragte, wo ich sei (wenn ich das wüsste), und schrieb, dass ich mich melden solle. Und dass sie mich liebte. Nur nicht mit diesen Worten. Die anderen neuen Nachrichten las ich nicht, weil sie nicht von dir waren, sondern wahrscheinlich über dich oder an dir vorbei, absichtlich, und das konnte ich noch immer nicht ertragen.
Aus der Seitentasche meines Rucksacks nahm ich Opa Schmittis schwarzen Mühlestein, den ich eingesteckt hatte, als Opa Schmitti kurz in die Küche gegangen war, stellte den Stein vor mich auf das Papier, betrachtete ihn. Mit der Zeigefingerspitze fuhr ich die feinen Rillen entlang, im Kreis, im Kreis, immer im Kreis.
Ich musste auf die Toilette.
Ich versuchte, es zu ignorieren, las ein bisschen, aber das Licht war schon zu schlecht, und ich war heute nicht dazu gekommen, neue Batterien für die Taschenlampe zu kaufen, außerdem war das eine der Sachen, die ich in den letzten Wochen verstanden hatte: Wenn man nicht gehen will und nicht gehen kann, muss man umso dringender. Ich drehte mich um, krabbelte zum Eingang, faltete mich zusammen, stand auf, faltete mich auseinander. Sollte ich wirklich durch den Keller ins Haus gehen? Die Fenster waren schon dunkel. Es war spät. Ich hatte mich immer bemüht, bereits nachmittags einen Platz zum Zelten zu finden, weil ich niemanden aus dem Bett klingeln wollte. Aber heute war es anders gewesen, und Frau Koslowski hatte sehr müde ausgesehen, als ich vor ihrer Tür gestanden hatte, trotzdem hatte sie mich hereingebeten.
Könnte ich einfach irgendwo hier draußen .?
Ich blickte mich um. Der Garten hing voller Schatten, die größer wurden, länger und breiter und sich zueinander ausstreckten. Vielleicht neben dem Gartenzwerg mit der Pfeife im Mund? Eine gewisse Verrohung hatte ich an mir festgestellt, die mich überrascht hatte, und noch mehr überraschte mich, dass ich sie erleichternd fand. Ich trug seit einer Woche dieselbe Kleidung, hatte nicht einmal die Unterwäsche gewechselt, hin und wieder wusch ich mich, bisher hatte ich kein einziges Mal geduscht, ich kämmte mir nicht die Haare, rasierte mir nicht die Beine und knabberte mir die Fingernägel kurz, statt sie zu schneiden. An manchen Abenden war das meine Lieblingsbeschäftigung. Das und das Knibbeln und Zupfen und Kratzen an neuen Stichen, Blasen und Wunden. Früher hatte mich mein Äußeres ständig verunsichert, war ich schick genug angezogen oder zu schick, saß die Jeans richtig, sahen meine Beine dick darin aus, waren Turnschuhe nicht angebracht, sollte ich flache Schuhe tragen, um nicht noch größer zu wirken, konnte man in der Bluse meine Schweißflecken sehen, oder meinen BH, war das Top zu eng oder nicht eng genug, stand ich mit halb nacktem Hintern da, wenn ich mich vorbeugte, hätte ich doch das Kleid...
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