Schweitzer Fachinformationen
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Acht Menschen auf einer Insel im Mittelmeer. Ein idyllisches Urlaubsparadies mit traumhaften Buchten, viel Sonne, pittoresker Architektur, Bars und Cafés an jeder Ecke. Konflikte? Einfach vergessen, bitte! Doch etwas stimmt nicht. Die ganze Szenerie wirkt fahl, die Inselbewohner seltsam abwesend. Und wo sind eigentlich die anderen Passagiere, mit denen die acht im Flugzeug gesessen haben?
Claudius hat mal wieder alles bezahlt, für sich und Elisabeth, aber auch für ihre Studienfreunde Annike und Benedikt. Claudius zahlt immer, weil er's kann. Sara und Marc sind mit ihrem Sohn Vincent hier, der schwer krank ist, vielleicht machen sie zum letzten Mal gemeinsam Ferien. Gäbe es Vincent nicht, wären Sara und Marc längst kein Paar mehr. Schließlich ist da noch Heidi, die gerade wieder eines ihrer Start-ups verkauft hat und auf die nächste heiße Idee wartet - das lenkt so schön ab von der Sache, über die sie nicht gern nachdenkt.Die Wege der acht kreuzen sich immer wieder in der kleinen Stadt am Meer. Sie finden sich, zerstreiten sich, lieben sich oder lieber doch nicht. Ferien eben. Doch aus den zu Beginn kleinen Ungereimtheiten um sie herum werden immer größere Löcher, und ihr Bewegungsradius scheint stetig kleiner zu werden. Nach und nach wird ihnen klar, dass hier und jetzt die letzte Gelegenheit sein könnte, sich noch mal richtig lebendig zu fühlen - bevor alles um sie herum zerbricht.
Benedikt läuft. Er läuft schnell, sprintet fast, ist konsequent im anaeroben Bereich, zu Hause schütteln seine Nachbarn immer den Kopf, wenn er frühmorgens an ihnen vorbeirast, aber in diesem Ferienidyll hier, in diesem Bilderbuch romantischer Mittelmeerarchitektur, in dem alten Städtchen mit den Winkelgassen, an der zerklüfteten Steilküste mit viel Grün und dem zarten Wasser mit wenig Schaum, in diesem Paradies unter der strahlend blauen Kuppel liegen die meisten noch in den Federn. Von der Küstenstraße oberhalb der Stadtmauer aus sind nur ein paar Schwimmerinnen zu sehen, sie sind unterwegs vom Strand in die freundlichen Wellen oder von den freundlichen Wellen zurück an den Strand.
Benedikt rennt ganz für sich allein, und es fällt ihm leicht, er ist einfach schnell auf den Beinen, das war er schon als Kind und auch als Teenager noch, als die anderen längst aufgehört hatten zu rennen und ihr Tempo Richtung federndem Schritt junger Erwachsener kippte, rannte er weiter überallhin, er hat einfach nie damit aufgehört. Langsamkeit macht ihn irre, Schnelligkeit kämmt ihm die Synapsen. Früher, als es noch gut war zwischen Annike und ihm, also ganz am Anfang, sagte sie manchmal, er sei wie ein Geschwindigkeitsrausch, und das hätte es so leicht gemacht, sich in ihn zu verlieben.
Er rennt und atmet sich die Küste entlang, auch sein Atem geht ein leichtfüßiges Tempo, nach dem ersten Kilometer kommen dann noch die schnellen Gedanken dazu, sie segeln wie Schwalben durch seinen Kopf. Gestern Abend, im Restaurant, beim Essen zu viert, die Rollen verteilt wie seit fünfundzwanzig Jahren, das war ja damals in der WG-Küche von Annike und Elisabeth schon so: Annike, das stille Wasser mit den tiefen Blicken, die perfekte Zuhörerin, aber alle auch erbarmungslos beobachtend und Gott weiß, was dann hinter ihrer Stirn vor sich geht, Elisabeth, der Schmetterling, flatternd und bunt und schön und mal hier, mal da und eine große Wonne und gleichzeitig supernervig, weil sie da sogar selbst manchmal den Überblick verliert, und Claudius, die große Trompete, die Ich-Maschine, die Inkarnation des erfolgreichen Typen, der hat im Sandkasten schon die dicksten Bagger gehabt, in der Schule die dicksten Steine in den Brettern der Lehrer, im Grundstudium die besten Nebenjobs, im Hauptstudium sein eigenes Unternehmen, da war erstmal nur das Logo dick, inzwischen sind es auch das Imperium und der Fuhrpark, und am Ende legt er dann üblicherweise einfach wortlos das Geld auf den Tisch, klar, dass er zahlt, »das übernehmen Zahlemann & Söhne«, sagt er oft in solchen Momenten, und alle lachen pflichtschuldig, wobei, Elisabeth lacht ernsthaft, soll er doch zahlen, denkt sie wahrscheinlich beziehungsweise weiß Benedikt, dass sie das denkt, Annike wiederum ist es egal, sie schert sich nicht um die Bilder, die andere von ihr zeichnen, »wenn er unbedingt will«, hat sie mal gesagt, »wenn es ihm guttut«, sagt sie über all diese Männer, die unangenehme Angewohnheiten haben, nur er selbst, Benedikt, findet das ewige Gezahle von Claudius herablassend. Der hat ja sogar die ganzen zwei Wochen hier bezahlt, also die Bude, nicht ihre beiden Flüge, da konnte Benedikt dann doch einen Pflock einschlagen, aber die Rechnung für das schicke Apartment mit Meerblick und Dachterrasse hat Claudius sich nicht nehmen lassen. Benedikt hatte vorgeschlagen, dass Annike und er sich woanders ein Zimmer nehmen, eins, das sie sich leisten können, aber Claudius hat gesagt: »Kommt gar nicht in Frage, Zahlemann & Söhne übernehmen das.«
Manchmal könnte Benedikt ihm eine reinhauen, dem arroganten Fettsack. Aber dann fällt ihm wieder ein, dass er schließlich seit zwanzig Jahren mit der Frau des arroganten Fettsacks schläft, also haut er ihm lieber keine rein, er tut ihm genau genommen leid, der Zahlemann.
Nach drei Kilometern hält er an und schaut aufs Meer.
Morgen früh vielleicht mal die Gitarre auf den Rücken schnallen beim Laufen und dann ein bisschen Musik machen für sich und fürs Wasser und für die aufgehende Sonne, vielleicht ein Lied schreiben, vielleicht für Elisabeth, vielleicht für die Annike von damals.
Dann dreht er um und rennt zurück, die Sonne im Nacken, die Küstenromantik brüllt ihm hinterher.
Der Sex ist funktional, routiniert und effizient, Elisabeth muss das wirklich nicht haben, und trotzdem ist jedes Mal sie diejenige, die anfängt, weil sie findet, dass Claudius es sich verdient hat, weil es doch irgendwie dazugehört, wenn man verheiratet ist, und weil sie sich nicht vorstellen kann, dass ein Mann es körperlich lange aushält, mit einer Frau wie ihr nicht zu schlafen, und sie will ja nicht, dass er krank wird. Außerdem zahlt er doch alles.
Deshalb fängt sie an. Fasst dies und das an und bewegt dies und das hin und her, und da wacht er auf und wälzt sich auf sie und fasst dies und das an und bewegt dies und das hin und her und natürlich schwitzt er sofort, dabei ist das alles weder aufregend noch anstrengend, irgendwann schleicht ein gelangweiltes Grunzen aus seinem Mund und er wälzt sich runter von ihr und stöhnt vor Erschöpfung. Sie steht auf, und während sie die Badezimmertür schließt, sagt sie: »Du solltest echt mal wieder Sport machen.«
Aber er ist schon eingeschlafen.
Wie kann etwas grundsätzlich so Sensationelles wie die Begegnung zweier Menschen so frei von jeder Sensation sein, denkt sie und sieht in den Spiegel, und wie jeden Morgen sieht sie sich altern, um die Augen und um den Mund herum, und die roten Locken bräuchten am Ansatz dringend einen Schuss Farbe, aber vor den Ferien mit Sonne und Meer hätte sich das nicht gelohnt, das bleicht ja alles gleich wieder aus.
Sie steigt in die Dusche, lässt das warme Wasser über Haare und Haut laufen und denkt an Benedikt.
Benedikt ist unten am Wasser zurückgelaufen, unterhalb der Promenade, an einem kleinen, nicht ganz offiziellen Hafen legen ein paar kleine, nicht ganz offizielle Fischerboote an, und müde Männer mit Zigaretten in den Mundwinkeln reichen anderen müden Männern mit Zigaretten in den Mundwinkeln Kisten voller Fische an. Benedikt bleibt stehen, stützt die Hände auf die Knie, und jetzt pumpt seine Lunge doch ein bisschen, nach ungefähr sechs Kilometern Sprint. Er schaut hoch und lächelt die Männer an. Sie reagieren nicht. Er richtet sich auf, macht ein paar Schritte auf die Boote zu und fragt, ob er ihnen was abkaufen kann, er würde nur schnell Geld holen, gleich da oben in einem der Häuser in der ersten Reihe, ob sie noch zehn Minuten hier wären.
Zwei der Männer sehen ihn mit leeren Augen an, es scheint, als würden sie nicken, aber Benedikt ist sich nicht sicher, na dann, denkt er, dann eben nicht, ich muss euch auch nichts abkaufen, und er hebt trotzdem die Hand, so eine Art Gruß, wobei ihm das schon viel zu viel vorkommt als Reaktion auf deren Unnahbarkeit.
Er zieht ab und rennt die Treppen zur Promenade hoch, rennt von da die Treppen zum Haus hoch, rennt im Haus die Treppen zum Apartment hoch, schließt auf, jetzt eine Flasche Wasser, in der Küche steht Elisabeth und schaut zur Decke, als wäre ihr die Zeit verrutscht. Ihre langen, roten Locken sind tropfnass, sie trägt einen weißen, offenen Kimono.
Annike ist mit ihrem Geist, ihrem Körper, ihrer Seele, mit ihrer gesamten Existenz hinter ihrem persönlichen Mond verschwunden, sie schläft tief und noch tiefer und am tiefsten, und wenn sie dann da angekommen ist, auf der dunklen Seite des Mondes, wo sie inzwischen oft und immer öfter ist, ist sie so sehr bei sich, dass nichts mehr wehtut, nicht mal die drei Fehlgeburten, nicht mal die leere Hülle ihrer Liebe zu Benedikt, nicht mal der abgesoffene Lebensplan. Hinter dem Mond ist alles gut, und deshalb bleibt sie da, so lange sie kann.
Elisabeth steht in einer Ecke der Dachterrasse, die von der offenen Küche aus nicht einsehbar ist, in ihren Augen glitzert die Morgensonne, Benedikt steht vor ihr und sieht sie an, in der rechten Hand hat er eine Flasche Wasser, mit der linken Hand zeichnet er die Ränder des weißen Kimonos nach, er hält die Luft an, während er das tut, Elisabeth lacht leise, sie mag es, wenn er sich zusammenreißen muss, wenn sie spürt, wie viel Kraft ihn das kostet, wenn die Muskeln an seinen Unterarmen und an seinem Hals ganz leicht zucken, Impulskontrolle, denkt sie, so interessant, gerade bei...
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