Schweitzer Fachinformationen
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Ein Toter sitzt in einem Raum. Er ist nicht umgekippt, weil seine Hände hinter dem Rücken gefesselt sind. Die Luft ist von Staub und Gasen gesättigt. Sein rechtes Auge ist nur noch eine leere Höhle. Irgendetwas regt sich in seinem Magen.
Der Hunger hat ihn überlebt. Seine Eingeweide brodeln, sein Mikrobiom, erhitzt durch Bakterien und symbiotische Flüssigkeiten. Das Leben, das dem Toten noch innewohnt, konsumiert und atmet weiter, bis alles erstickt. Er verdaut sich selbst.
Es stinkt nach ranzigem Schweinefleisch und Zucker. Es ist ein abartiger Gestank nach Essen. Es stinkt, wie es auf Erden schlimmer nicht stinken kann.
Ein Toter sitzt in einem Raum, aber er ist nicht allein.
Zwei Detectives schauen zu, während man etwas von der Leiche entfernt. Etwas, das nicht zu dem Opfer, ja nicht einmal zu einem Menschen gehört.
Drei weiße Katzenhaare, die im Blut entdeckt wurden.
Cooper presst sich die Maske fester aufs Gesicht. Der Gestank ist widerlich, aber sie lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Sie wird nicht zum Fenster rennen und kotzen und diesen selbstgefälligen Besserwissern eine Gelegenheit geben, an ihr zu zweifeln.
Es ist die erste Leiche, die Cooper je gesehen hat, aber das ist ihr nicht anzumerken.
Sie konzentriert sich auf die Katzenhaare und blendet alles andere aus. Sie darf jetzt keine Gefühle zeigen.
Durch diese Katzenhaare wird der Fall aufgeklärt. Mit ihrer Hilfe wird man jemanden identifizieren, den bislang niemand zu identifizieren vermochte.
»Warum sitzen wir hier?«, wollte die Therapeutin wissen.
In dem kleinen, weißen, von Neonröhren erhellten Raum gab es keine Uhr, doch Cooper trug eine schwarze SmartWatch am linken Handgelenk. Sie musste täglich aufgeladen werden. Sie war klobig. Sie hatte einen roten Rand. Sie war so umständlich und nervig zu handhaben, dass sie das Geld im Grunde nicht wert war.
Cooper konnte schwerlich auf ihre Uhr schauen, ohne dass man ihr unterstellte, sie sei nicht bei der Sache. Die Therapeutin legte alles zu ihrem Nachteil aus. Sie war gnadenlos.
»Warum sitzen wir hier, Cooper? Überlegen wir noch einmal, warum wir hier sitzen.«
Cooper verengte die Augen.
»Wollen Sie, dass ich erkläre, was ich fühle?« Sie setzte sich aufrechter hin. »Das tue ich ja schon.«
»Ich möchte auf etwas zurückkommen, das Sie erwähnt haben. Dass Sie damals >keine Gefühle zeigen< durften.«
»Damals befand ich mich am Ort eines Mordes«, erwiderte Cooper verärgert. »Ich hatte zum ersten Mal mit einem Mordopfer zu tun. Was hätte ich denn tun sollen? Heulen?«
Die Therapeutin starrte sie an. Sie war ganz anders als Coopers letzte Therapeutin, eine warmherzige Frau, die große, grüne Pullover geliebt und Empathie, Sympathie und noch viel mehr besessen hatte.
Diese Frau hingegen hatte einen kalten Blick.
»Ich war damals fünfundzwanzig. Ich entfernte die Katzenhaare, ich untersuchte den Toten, und draußen habe ich mich dann ins Gras erbrochen.« Cooper neigte sich etwas vor. »Ich habe gute Arbeit gemacht.«
»Glauben Sie, Sie waren darauf vorbereitet?«
»Aber sicher. Man hätte mich nicht mit dem Job betraut, wenn ich nicht vorbereitet gewesen wäre.«
»Sie sind keine Polizistin. Sie gehören nicht zur Spurensicherung. Sie sind .«
»Ich war bestens vorbereitet«, unterbrach Cooper sie. »Ich bin Profi, ob Sie es glauben oder nicht.«
»Sie sind Tierärztin.«
Cooper wandte den Blick ab. Eine Weile herrschte Schweigen, weshalb sie wieder auf die Uhr sah.
14:18 Uhr.
14:19 Uhr.
»Die Katzenhaare, die wir auf dem Bein des Mordopfers entdeckt haben, stammten von einem Freund seines Schwagers. Wir haben im Haus seiner Schwester einige gefunden, wir haben seine Geschäftspartner ausfindig gemacht, und wir haben den Freund aufgespürt. Die Beweise haben es ermöglicht, Mordanklage gegen ihn zu erheben.« Cooper verstummte.
Die Therapeutin schwieg, und sie verkrampfte sich.
»Sie scheinen immer noch nicht zu begreifen, wieso ich .«
»Warum haben Sie sich auf den Geruch fixiert? Das würde mich wirklich interessieren.«
»Kennen Sie den Gestank einer Leiche?«
Die Therapeutin schüttelte den Kopf.
»Er lässt keinen Raum für andere Gedanken.« Cooper griff nach der Flasche, die neben ihr stand, und trank einen Schluck Wasser. »Ein Teil von uns lebt nach dem Tod weiter, stimmt schon, aber ganz sicher keine Seele oder Ähnliches. Nur unsere Gedärme.«
»Sie haben gesagt, wir fressen uns selbst.«
»So ist es ja auch. Die Bakterien, die wir in uns tragen, zersetzen alles.«
»Dann fressen wir uns genau genommen nicht selbst.«
»Wir bestehen zu sechzig Prozent aus Wasser. Unser Körper bietet Raum für alles Mögliche.«
Cooper setzte sich aufrecht hin, sah erneut auf ihre Uhr. 14:23 Uhr. Die Therapeutin studierte ihre Notizen.
»Warum wollten Sie Tierärztin werden?«, fragte sie.
Cooper sah sie an.
»Warum diese Berufswahl?«
»Ich wollte Tieren helfen.«
»Ist das wahr?«
»Ja.«
»Ist das die ganze Wahrheit?«
Kurzes Schweigen.
»Wenn Sie Tieren helfen wollten«, fuhr die Therapeutin fort, »dann würden Sie Tieren helfen. Stattdessen tun Sie etwas anderes, wenn ich es richtig sehe.«
Cooper nickte.
»Warum?«
»Weil ich keine Lust hatte, bei der Arbeit höflich tun zu müssen.«
»Wem gegenüber wollten Sie nicht höflich tun?«
»Wem gegenüber?«
»Cooper .« Die Therapeutin seufzte.
»Allen gegenüber.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die meisten Menschen verschwenden keinen Gedanken daran, dass sie irgendwann sterben. Das meine ich.«
»Und Sie wissen, was die meisten Menschen denken?«
»Ja«, antwortete Cooper. »Sie doch auch. Das ist Ihr Job.« Sie schnaubte. »Glauben Sie allen Ernstes, die Leute würden kapieren, was es heißt, zu sterben? Wenn man das Thema anschneidet, sieht man ihnen an, was in ihnen vorgeht. >Ach, über den Tod mache ich mir keine Gedanken, alles halb so wild, vorausgesetzt, ich habe keine Schmerzen, und wenn ich erst mal tot bin, spüre ich sowieso nichts mehr, wo also ist das Problem?<«
»Und was ist das Problem?«
»Das Problem besteht darin, dass man es nicht weiß«, antwortete sie. »Niemand weiß, was nach dem Tod kommt. Wir wissen nur, dass es danach kein Bewusstsein mehr gibt, weil alles, was wir erleben jeder Augenblick des Lebens -, so gründlich getilgt sein wird, als hätte es nie existiert. Der Tod bedeutet ewige Abwesenheit.«
»Andere leben aber weiter«, entgegnete die Therapeutin.
»Ja und?«
Wieder Schweigen. Cooper verkniff sich den Blick auf die Uhr. »Ich habe Veterinärmedizin studiert, weil mir damals nichts Besseres eingefallen ist.«
»Und heute?«
»Heute bin ich einunddreißig und habe seit Jahren kein krankes Tier mehr behandelt.«
»Und wie finden Sie das?«
»Das ist mir gleichgültig.«
»Bereuen Sie etwas?«
»Nein.«
Die Therapeutin notierte etwas. »Fahren Sie fort.«
»Ich mag meinen Job.«
Die Therapeutin legte den Notizblock auf den Tisch. »Ihre Sitzhaltung - und die Art, wie Sie es sagen - verraten mir, dass es Ihnen nicht leichtfällt, sich zu Ihrem Job zu bekennen. Ich finde das interessant.«
»Prima, dass Sie Ihren Spaß haben.«
»Cooper .«
Draußen war das Licht schwächer geworden.
»Wir können nicht zusammenarbeiten, wenn Sie nicht dazu bereit sind«, sagte die Therapeutin.
»Ich will gar nicht mit Ihnen zusammenarbeiten. Ich sitze hier, weil ich dazu verdonnert wurde.«
»Das haben Sie bereits erwähnt.«
»Dann wiederhole ich mich halt.«
»Ich dachte, Sie befürchten, Ihr Leben zu vergeuden, Cooper. Nun habe ich den Eindruck, dass genau das Ihre Absicht ist.«
»Ja, scheint so, nicht wahr?«
Die Therapeutin zögerte kurz, bevor sie weitersprach. »Erzählen Sie mir von .«
»Wussten Sie, dass die Suizidrate bei Veterinärmedizinern viermal höher ist als der Durchschnitt?« Sie legte eine Pause ein. »Und diese Statistik ist nicht neu - so ist es seit langem.«
»Woran liegt das Ihrer Meinung nach?«
»Wir wissen, wie man Leiden beendet.«
Sie betrachteten einander stumm, weder besonders wütend noch besonders freundlich, aber Coopers Atem ging schneller, als ihr lieb war.
Schließlich ergriff die Therapeutin das Wort.
»Warum sitzen wir hier, Cooper?« Und nach einer Pause: »Diese Frage habe ich Ihnen schon vor zwanzig Minuten gestellt - warum sitzen wir hier?«
»Das habe ich beantwortet.«
»Nein, das haben Sie nicht. Ich möchte den wahren Grund hören. Nicht, was Sie sich einreden. Nicht diesen .«
Cooper starrte sie an.
»Ich bestehe darauf, dass Sie es aussprechen.«
»Weil meine Auftraggeber glauben, ich wäre überfordert. Weil sie glauben, dies könnte mir helfen. Weil sie mich nicht kennen.«
Die Therapeutin seufzte. »Ich frage noch einmal, und ich möchte, dass Sie ehrlich sind.«
Sie blieb stumm.
»Warum sitzen wir hier, Cooper?«
Im Flur regte sich etwas. Sie sah auf die Uhr. 14:38 Uhr. Die Zeit wurde knapp.
Sie blickte auf, mit müden Augen, noch immer angespannt.
»Wegen der Pferde«, sagte Cooper. »Wir sitzen hier wegen der...
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