Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Schreibst noch ein, zwei schöne Bücher«, sagte F., als er schwer atmend von ihr abließ - seit er mit Rhythmusstörungen in die Notaufnahme eingeliefert worden war: Vorhofflimmern war der Fachausdruck dafür - war nichts mehr so wie zuvor: »Schreibst noch ein, zwei schöne Bücher - dann hat sich das!« Der Satz traf ins Schwarze, und damit ist nicht der Mutterschoß gemeint, aus dem er einst ans Licht gekrochen war, sondern ein Materie in Antimaterie verwandelndes Loch im All, auf das er zuraste in sich beschleunigender Abwärtsspirale: Down the drain, wie man auf Englisch sagt. Wie stets hatte F. hatte recht, und ihr hessischer Akzent verstärkte das Niederschmetternde der Mitteilung, wonach seine Bücher - fünfzig Titel, Sammelbände nicht mitgezählt - alles Mögliche gewesen waren, aber nicht schön: klug oder klugscheißerisch vielleicht, aber nicht schön!
Auch der vorliegende Text, sagte er sich, während er ihren Büstenhalter zuhakte, sei nicht schön, und falls je ein Buch daraus würde, würde es ihren Schönheitssinn nicht befriedigen. Jeder liefert jedem Qualität lautete ein Propagandaslogan der untergegangenen DDR: Wenn alle ziehn am gleichen Tau / erreichen wir das Weltniveau: Die ostdeutsche Variante von: I can't get no satisfaction. Und er dachte daran, dass und wie Essen, Trinken und Fernsehen früher als Vorspiel gedient hatten für Sex, während es heute umgekehrt war, aber auch das stimmte so nicht.
***
Im Vorbeigehen hörte er das Wort Taliban, eine Frauenhand, an der ein Ring aufblitzte, zog ihn in den Schatten eines Torbogens, und nach oben blickend sah er, dass der Schlussstein, der das Gemäuer aufrecht hielt oder einstürzen ließ, sich genau über seinem Scheitel befand. Dabei fiel ihm ein, dass Talib auf Arabisch Schüler bedeutet, und Taliban kein Plural, sondern die Dualform ist: zwei Schüler also. Vielleicht war das der Grund, warum die Taliban stets zu zweit auftraten: Einer bedrohte den Fahrer mit entsicherter Kalaschnikow, während sein Kompagnon oder Komplize den Kofferraum durchsuchte und der Beifahrerin den Schleier vom Gesicht schob - eine Geste, die wortlos signalisierte, wer hier das Sagen hatte. Mit ihren dunkelblauen Turbanen und hennaroten Vollbärten wirkten die Talibankämpfer wie Folkloredarsteller aus einem Technicolorfilm: Der Tiger von Eschnapur vielleicht. Kein Wunder, dass die als aufmüpfig geltenden Bewohner von Kabul, die immer neue Eroberungswellen hatten kommen und gehen sehen, sich beklagten, der Unterschied zwischen Ordnungshütern und Banditen sei zur quantité négligeable geworden. Anders als bei Polizei und Armee des alten Regimes, die kampflos kapitulierten und mit Lastwagen und Jeeps Hals über Kopf flohen unter Zurücklassung ihrer Uniformen und schweren Geräts, war es nicht möglich, Vorgesetzte von Untergebenen zu unterscheiden, weil die Taliban weder Rangabzeichen noch Namensschilder trugen. Die militärisch korrekte Ansprache aber war unerlässlich für Reporter und Journalisten, sagte er sich, während er, an der Hand vorwärtsgezogen, ins Labyrinth der Kasbah eintauchte.
Aber gab es überhaupt noch eine Altstadt in Kabul? Was nicht den Bomben der Sowjets und später der US Air Force, dem Raketenbeschuss der Mudschahedin oder dem Vormarsch, Rückzug und erneuten Vormarsch der Taliban zum Opfer fiel, waren nur kümmerliche Reste der ringförmigen Bebauung rund um den Königspalast, wo einst Teppichweber, Barbiere, Bäcker und Metzger, nach Quartieren getrennt, ihre Gewerbe ausübten: Nicht erst der Krieg, schon eine 1949 erbaute Autostraße durch die Kasbah hatte den Lebensfaden der Altstadt zerschnitten. Inzwischen war Kabul zu achtzig Prozent zerstört, während die Einwohnerzahl von 700.000 auf drei Millionen hochschnellte. Wo einst Brunnen plätscherten, schattige Innenhöfe, Teestuben und Basare zum Verweilen einluden, wirbelten Windböen Sand auf, der das Atmen erschwerte, und Flüchtlinge aus dem Landesinnern nahmen leer stehende Häuser und Ruinen in Besitz.
Er durchschritt den engen Durchgang zwischen zwei Lehmhütten und trat auf einen mit Glasscherben gesprenkelten Platz, über den der Wind Plastikbeutel trieb, die sich in einer Stacheldrahtrolle verhakten; vielleicht war es auch ein Dornbusch, der, ohne Wurzeln zu schlagen, nach der Schneeschmelze aufblüht. Sich umwendend, sah er, dass er allein war. Die Frau oder das Kind, das ihn vorwärtsgezogen hatte, waren, als hätte es sie nie gegeben, vom Erdboden verschluckt. Nichts war zu sehen außer einem streunenden Hund, der mit eingekniffenem Schwanz um eine Hausecke schlich. Seine Überlebenschancen waren gering, und wie zur Bestätigung prasselte ein Steinhagel auf das Tier, das jaulend davonsprang.
Es war nicht sein erster Aufenthalt in Kabul - er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er Afghanistan besucht hatte. Besucht war das falsche Wort, denn er war kein Orientreisender und auch kein Rucksacktourist, eher ein Rucksackreporter, unterwegs in Weltgegenden, die für Starjournalisten zu ungemütlich oder zu gefährlich waren. Das Ganze war weniger eine Frage des Muts als ein Versicherungsproblem, und weil er keine Ansprüche stellte, übernahm er riskante Jobs, für die hochdotierte Redakteure sich zu schade waren. In letzter Zeit aber war es still geworden um ihn, da er auf die Rente zusteuerte und Sätze mit Subjekt, Prädikat und Objekt schrieb, die mehr als bloße Bildunterschriften waren: Schreiberlinge gab es wie Sand am Meer, Fotografen hingegen waren Mangelware und wurden besser bezahlt.
Der Pool freier Mitarbeiter, aus dem überregionale Zeitungen sich bei Bedarf bedienten, ähnelte einem Haifischbecken, und weil er der Dienstälteste war, wurde er von seinen Kollegen Ötzi genannt. Trotzdem überraschte es ihn, als eine Wochenzeitung anfragte, ob er bereit sei, mit einer Transportmaschine der Bundeswehr nach Kabul zu fliegen, um für deutsche Medien von dort zu berichten. Es war der letzte Transportflug, zusammen mit Diplomaten und Militärs wurden Mitarbeiter von Hilfsdiensten und Ortskräfte von dort abgezogen, und seine Antwort stand von vornherein fest: Die chaotische Übergangsphase von der Präsenz der Internationalen Gemeinschaft zur Herrschaft der Gotteskrieger interessierte ihn, und nach dem Weggang der Weltpresse würde er problemlos Abnehmer finden für seine Berichte.
Er wusste nicht, wessen Hand es war, die ihn durch einen Türvorhang in den Hausflur zog. Nein, Vorhang war zu hoch gegriffen, es war ein versiffter Teppich zur Abwehr von Sand und Staub, und dabei fiel ihm eine Redensart ein, die er seit Jahren nicht mehr gehört hatte: Habt ihr Säcke vor den Türen? Hier stimmte der dumme Spruch, und er folgte der verschleierten Gestalt, die auf leisen Sohlen, Gummilatschen vielleicht, die Treppe hochstieg und ihn in eine Art Empfangsraum führte. Zu seiner Überraschung war er nicht allein, ein GI in gescheckter Tarnuniform saß auf einem Kissen am Boden und rückte beiseite, um ihm Platz zu machen, während eine mit Burka verschleierte Frau Tee servierte.
Ötzi hatte keine Ahnung, was er hier suchte und wo er sich befand. Am Vortag hatte er sich im Informationsministerium akkreditiert und auf Befragen erklärt, einen hochrangigen Talibanführer sprechen zu wollen, Dschihadi John oder Mullah Omar vielleicht, und der Pressesprecher Zabihullah Mudschahid konnte sich das Lächeln nicht verkneifen unter seinem sorgsam getrimmten Bart, denn beide waren schon lange tot. Vielleicht handelte es sich um eine Geiselnahme, und er war sehenden Auges in die Falle getappt: Wie ein Gefechtsstand sah das Haus in der Kasbah nicht aus, eher wie ein Drogendepot oder eine Opiumhöhle; auch der GI in Tarnuniform wirkte nicht gerade vertrauenerweckend.
Mein Name ist Jack, ich bin als erster GI im Oktober 2011 hier gelandet und werde der letzte sein, der Kabul verlässt: Schauen Sie genau hin, wenn ich in einem mit Nachtsichtkamera aufgenommenen, grünstichigen und verwackelten Film hinter einem Transportflugzeug herlaufe, von helfenden Händen emporgezogen, ehe die Heckklappe sich hinter mir schließt und die Maschine von der Rollbahn abhebt, an deren Fahrwerk sich Flüchtlinge klammern, die kurz darauf wie Steine vom Himmel fallen. Und denken Sie daran, dass Bilder lügen können, dass ich möglicherweise am Boden zurückgeblieben bin, um einer anderen Aufgabe nachzugehen an einem anderen Ort, im Pandschir-Tal vielleicht, wo ich ein Widerstandsnest aufbaue als rechte Hand von Massud junior, dem Sohn des legendären Mudschahedin-Führers, denn wir Special Forces und Navy Seals sind vielseitig verwendbar und werden immer, überall und zu allen Zeiten gebraucht.
Meine Freunde und Geliebten nannten mich Ruby - ich war fünfmal verheiratet und habe hundertmal so viele Frauen glücklich gemacht -, aber mein richtiger Name ist Porfirio Rubirosa, und ich bin das real-life model, also das Vorbild von Geheimagent 007 alias James Bond, der wie ich den Wodka-Martini lieber geschüttelt trinkt als gerührt, was dazu geführt hat, dass ich im Juli 1965 nach einer durchzechten Nacht meinen Ferrari gegen einen Baum im Bois de Boulogne lenkte, wo mein Duzfreund Aga Khan kurz darauf in ähnlicher Weise ums Leben kam. (Der Alkoholexperte Dr. Rotz behauptet, geschüttelte Cocktails seien bekömmlicher als gerührte und könnten ein Trinkerleben um Jahre verlängern - das nur in Klammern!)
Geboren wurde ich im Januar 1909 im zentralen Hochland der Dominikanischen Republik, nicht weit von der Grenze zu Haiti, und vielleicht ist das der Grund, warum Rubirosas genannte überdimensionale Pfeffermühlen, die sich aus dem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.