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Die briefliche Aufforderung, auf seinen Ministerposten zurückzukehren, um an die Spitze der kleinen Gruppe reformwilliger Beamter und Offiziere zu treten, erreichte den im heimatlichen Nassau erkrankten Freiherrn vom Stein Anfang August 1807. Die Briefe kamen aus dem nordöstlichsten Zipfel Preußens, aus Memel, wohin sich Friedrich Wilhelm III. mit Hof und Regierung vor den Franzosen geflüchtet hatte, und sie waren lange unterwegs gewesen; denn der französischen Postkontrollen wegen hatte man zu ihrer Beförderung den Umweg über die preußische Gesandtschaft in Wien gewählt. Stein wurde durch sie über den am 9. Juli 1807 von Napoleon diktierten Tilsiter Friedensvertrag unterrichtet, und die Bitte zur erneuten Annahme des Ministerpostens wurde damit begründet, dass er allein retten könne, was an diesem um die Hälfte seines Landes beraubten und durch riesige Kontributionszahlungen an den Rand des Ruins gebrachten Staates noch zu retten sei. Der Minister von Hardenberg, den der König auf Verlangen Napoleons hatte entlassen müssen, bat ihn dringend, sein Nachfolger zu werden. Er solle doch möglichst die beleidigenden Äußerungen des Königs, die sein Entlassungsgesuch veranlasst hatten, vergessen und künftig mit dem Monarchen diplomatischer umzugehen versuchen. Auch weihte er ihn in die hoffnungslose politische und finanzielle Lage des Staates ein.
»Auf Sie, lieber Stein, wenden sich alle unsere Blicke in diesen traurigen Augenblicken«, ließ ihn auch die Prinzessin Luise von Radziwill, die Schwester des im Vorjahr gefallenen Prinzen Louis Ferdinand, wissen, und der Gesandte in Wien, jener Graf Finckenstein, den Rahel Levin zehn Jahre vorher zu heiraten gehofft hatte, schloss sich den Bitten der anderen an: »Sie allein werden im Stande sein, mit kräftigem Arm das Ungeziefer der Selbstsüchtigen, der Verräter und, was ebenso schlecht ist, der Dummköpfe auszurotten, welche den Staat bis in seine Grundlagen untergraben haben und die vorzüglichste Ursache unseres Verderbens sind.«
Stein, den eine fieberhafte Krankheit so geschwächt hatte, dass er die Briefe nach Memel seiner Gemahlin diktieren musste, reiste, nachdem er dem König brieflich seine Bereitschaft zum erneuten
Freiherr vom Stein 1806.
Zeichnung von Friedrich Bury
Dienstantritt erklärt hatte, bald nach seiner Gesundung ab. Über Frankfurt und Weimar erreichte er Berlin am 19. September, wo er sich drei Tage lang von Freunden über das Besatzungsregime und das Elend der Bevölkerung unterrichten ließ. Er traf auch mit der Gräfin Brühl und ihrer heimlich mit Clausewitz verlobten Tochter Marie zusammen und hätte auch gern Karoline von Berg, die Vertraute der Königin Luise, gesprochen, aber er fand nur einen Brief von ihr.
»Wo bleibt denn Stein? Das ist noch mein letzter Trost. Großer Kopf, umfassenden Geistes, weiß er vielleicht Auswege, die uns noch verborgen liegen«, hatte die Königin an Frau von Berg geschrieben, und diese hatte sich nun zur Vermittlung zwischen Stein und Luise berufen gefühlt. »Unsere erste Begegnung ist nun schon 22 Jahre her«, schrieb sie an Stein, »und seitdem, erlauben Sie mir, es Ihnen zu sagen, bin ich Ihnen stets gefolgt, fasziniert von einem Charakter, der sein Jahrhundert überragt. In der Art, wie Sie akzeptiert haben, wieder in unsere Nähe zu kommen, haben Sie von neuem diesen Charakter bewiesen. . Es geht ja nicht nur darum, unsere Finanzen wieder in Ordnung zu bringen, es sind die moralischen Werte, die Sie uns zurückgeben müssen. Ich bitte Sie darum, nicht gering von der Königin zu denken, sondern sich ihr wieder zuzuwenden. Wenn Sie die Reinheit ihres Charakters kennen lernen, werden Sie sie schätzen und lieben. . Die Königin braucht jede mögliche Unterstützung in moralischen Fragen. Sie braucht Sie um den König vor Personen zu bewahren, die seine Existenz, die des Landes und seine persönliche Ehre gefährden. Sie braucht Sie für die Erziehung ihres Sohnes. Sie braucht Sie ganz allgemein für jeden Zweck, der zur Würde ihres Hauses und zum Wohl des Staates beitragen kann. Seien Sie also diese Stütze - und nochmals, wenn die ersten Unannehmlichkeiten Sie verärgert haben, lassen Sie sich nicht entmutigen! Ich wage es, Ihnen zu sagen, es ist Ihre Berufung, sich des Ganzen anzunehmen; verkennen Sie diese Berufung nicht.«
Auf dem Weg nach Memel fuhr Stein durch ausgeplünderte, teils auch niedergebrannte Dörfer und Städte, wo überall Mangel an Nahrungsmitteln, Saatgut und Pferden herrschte, sah Scharen hungernder Kinder, die durch Krieg und Seuchen die Eltern verloren hatten, und besuchte in Hinterpommern den General Blücher, dessen Hauptquartier seit dem Ende der Kämpfe in Treptow an der Rega war. Am 30. September erreichte er Memel, wo der König, der ihn im Januar noch als einen »widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staatsdiener« bezeichnet und so sein Entlassungsgesuch veranlasst hatte, ihn nun als leitenden Minister für alle Zivilangelegenheiten einsetzte, so dass Stein sofort mit der Umgestaltung des Staates beginnen konnte, die von ihm in den Monaten seiner Entlassung vorgedacht worden war. Niedergelegt hatte er seine Gedanken in der sogenannten »Nassauer Denkschrift«, die den sperrigen Titel »Über die zweckmäßige Bildung der Obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizei-Behörden in der preußischen Monarchie« führte, aber neben seinen Vorschlägen zur Verbesserung der staatlichen Lenkung auch schon seine anderen Ideen zur Modernisierung Preußens enthielt. Seine amtliche Ernennung erfolgte am 4. Oktober, und schon fünf Tage später leitete er mit dem sogenannten Oktober-Edikt die innere Umgestaltung des noch besetzten Landes ein.
Das »Edikt den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend« war von einigen höheren Beamten schon ausgearbeitet worden und sollte eigentlich nur für Ost- und Westpreußen gelten, doch setzte Stein beim König seine Geltung für ganz Preußen durch. Durch dieses Gesetz wurden Grund und Boden freiverkäuflich, so dass auch Bürgerlichen nun der Erwerb von Rittergütern möglich war. Adlige durften nun auch bürgerliche Berufe ergreifen, und die Landbewohner wurden von ihrer Erbuntertänigkeit befreit. Ab Martini (11. November) 1810 sollte es nur noch freie Menschen in Preußen geben. Damit war die Befreiung der Bauern, die einsichtige Leute schon seit dem Tode Friedrichs des Großen angemahnt hatten, zwar juristisch endlich erreicht worden, aber es handelte sich dabei nur erst um eine nominelle Befreiung; alle praktischen, das Verhältnis von Bauern und Gutsherren betreffende Fragen, wie die der Abgaben und Dienste, konnten damit noch nicht gelöst werden, und da der in seinen Interessen verletzte Landadel zähen Widerstand leistete, zog sich die tatsächliche, also auch wirtschaftliche Befreiung der Bauern noch lange hin.
Da das Oktober-Edikt die Schranken zwischen den Ständen zwar
Das Oktoberedikt über die Bauernbefreiung
nicht beseitigte, aber doch durchlässig machte und der kapitalistischen Wirtschaftsweise den Weg ebnete, waren Stein und seine Reformer bei ihren Gegnern, den konservativen Altpreußen, fortan als Jakobiner verschrien. Steins Intentionen aber waren keine revolutionären. Er, der Sohn einer reichsunmittelbaren Freiherrenfamilie, die ihre reichen Besitzungen an der Lahn hatte, wollte die Stände nicht abschaffen, er wollte sie nur den neuen Bedingungen anpassen, und als Praktiker der Verwaltung nahm er die Ideen dazu auch anderswo her. Er hatte England bereist und sich mit dessen Wirtschafts- und Regierungsmethoden gründlich beschäftigt, und auch die Errungenschaften der von ihm verabscheuten Revolution in Frankreich konnten ihm Vorbild sein.
Er war nach einem Jura-Studium in Göttingen 1780 in preußische Dienste getreten und hatte es dort schon mit vierundzwanzig Jahren zum Direktor der westfälischen Bergwerke gebracht. Da der für die Industrie zuständige Minister von Heinitz den organisationsbegabten und energischen jungen Mann schätzte, ging es auch mit seiner weiteren Karriere relativ schnell voran. Im Krieg von 1806 war er Finanzminister, konnte beim überstürzten Rückzug nach Ostpreußen durch energisches Handeln die Staatskasse retten, doch war sein Verhältnis zum König immer konfliktbeladen, weil sein tatkräftiges, aber auch schroffes, oft aufbrausendes Wesen dem bedächtigen, stets zögernden Monarchen zuwider war. Ihm fehlte die diplomatische Wendigkeit, die zum Beispiel Hardenberg hatte, wodurch er auch am Hofe vielfach auf Feindschaft stieß. Dem ansässigen Adel galt er immer als Fremder, und da er seine Erfolge vorwiegend in den westlichen Landesteilen erzielt hatte, fühlte er sich im ostelbischen Preußen mit seinen endlosen Weiten, den unfreien Bauern und dem in seinen Augen armseligen Landadel nie recht wohl. Seine Herkunft aus einer reichsunmittelbaren, also nur dem Kaiser verpflichteten Freiherrnfamilie blieb für ihn immer bestimmend. Da ihm die deutsche Kleinstaaterei als Übel erschienen war, hatte er sich für das große und wohlorganisierte Preußen Friedrichs des Großen entschieden und dort immer mit dem Gedanken an Deutschland gewirkt. Das Reich hatte ihm mehr als seine Teilstaaten gegolten, und da Napoleon es aufgelöst und von sich abhängig gemacht hatte, musste er dessen erbitterter Gegner sein.
Gegen Napoleon war für ihn auch die Erneuerung Preußens gerichtet, und zwar im zweifachen Sinne. Es musste wirtschaftlich stärker werden, um die riesigen...
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