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»Die gute Absicht der Schriftsteller, durch Moral zu nützen, ist immer mit der zufälligen Unbequemlichkeit verknüpft, daß sie in der Ausführung gar leicht Langeweile erweckt.« (»Geschichte eines dicken Mannes«, Band 2, Nachschrift)
Aufklärung kann nicht frei von Didaktik sein. Wer mehr als andere weiß oder zu wissen glaubt und seine Aufgabe darin sieht, dieses Wissen mitzuteilen, muß zwangsläufig zum Lehrenden werden. Benutzt er dazu die Kunst, muß seine Meisterschaft darin bestehen, das Belehrende, gegen das sich Kunst sträubt, so gut es geht zu verbergen. Denn Kunst, wie auch Leben, lehren am besten durch Beispiel.
Nicolais Roman »Vertraute Briefe von Adelheid B.« ist ein Werk der Aufklärung, das man meisterhaft kaum nennen kann - eher schon schulmeisterhaft. Es erteilt Moralunterricht, dessen Ergebnis lautet: Gutes siegt nur durch Vernunft - wobei dieser Begriff Humanes und Soziales zwar beinhalten soll, aber in der Gestaltung fast gleichgesetzt wird mit: Ordnungserhaltung, Bewahrung des Bewährten, Ablehnung jedes Experiments. Wäre die Mahnung »Ruhe ist erste Bürgerpflicht!« nicht erst sieben Jahre nach Erscheinen des Buches geprägt worden, hätte sie der Roman-Lektion als Motto dienen können. So wird dasselbe in ihm mit andern Worten gesagt: Nicht im Zeichen der Revolution, der Französischen, soll das Zeitalter stehen, sondern in dem Friedrichs II., der dem bedürftigen Land die Kartoffel brachte.
1806 brachte die Revolution die neue Zeit in der furchterregenden Gestalt Napoleons nach Berlin. Vielleicht ist Nicolai, der das noch erlebte, damals klargeworden, daß er beim Schreiben des Briefromans die Vergeblichkeit seiner Warnung geahnt hatte: Zwar siegt in den »Vertrauten Briefen« die Vernunft, aber Adelheid stirbt an ihr.
Reizvoll an diesem Zeitroman ist sein Ver- und Enthüllungsspiel. Personen und Orte werden vom Verfasser maskiert, aber nicht allzusehr. An völliger Unkenntlichkeit ist ihm nicht gelegen. Die Larve, die er den Sündern mit der einen Hand vor das Gesicht hält, lüftet er mit der andern (in den Fußnoten) wieder. Daß die Stadt mit den guten (den aufgeklärten) und den schlechten (den romantischen) Zirkeln nur Berlin sein kann, ist klar; der Haß auf die Universitäten (Berlin bekam erst elf Jahre später eine) macht den Autodidakten kenntlich; und aus der weiblichen Verkleidung der Adelheid B. spricht unverhohlen ein alter Mann.
Auch daß der Roman ohne Verfasserangabe erschien, war nur ein halbes Verstecken. Nicht nur die Rezensenten wußten, daß dieses 1799 in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung erschienene Werk nur den zum Autor haben konnte, der schon seit fünfundzwanzig Jahren die literarische Welt mit seinen vernunftsmoraldurchtränkten Verdammungen erregt, verärgert oder belustigt hatte. Zwar stand der Sechsundsechzigjährige mit seiner Ablehnung alles Neuen in Literatur und Philosophie nicht allein, doch war nur er so leichtsinnig, das an Frühstücks- und Stammtischen Geäußerte auch drucken zu lassen. Denn wer gibt schon gern zu, daß er Vorurteile gegen die Jugend hat! Man hat sie, aber verschweigt oder kaschiert sie, weil auch in den verknöchertsten Alten die Spur einer Ahnung davon lebt, daß eine begabte, selbstbewußte und folglich unbequeme Jugend, wie umwegig auch immer, recht hat.
Der aktuelle Wert der »Vertrauten Briefe« liegt in der Umkehrung ihrer ursprünglichen Absicht. Sollten sie damals vor Irrwegen der Jugend warnen, liest man sie heute als Warnung vor den Vorurteilen des Alters. Allerdings muß, wenn dieser Erfolg eintreten soll, der Leser einige Voraussetzungen mitbringen: Er muß erwachsen sein, also erfahren haben, daß auch das Selbstverständliche selbstverständlich vergeht; er muß unfreiwillige Komik genießen, also gegen den Strich lesen können; er muß (was leicht ist) in mancher Hinsicht klüger als Nicolai sein und schließlich auch Gerechtigkeitssinn haben: den Einer-und-andererseits-Blick, der auch bei drohender Selbsterkenntnis nicht blind wird.
Im Hinblick auf seine (nicht etwa auf unsere) Zeit klüger zu sein als Nicolai, fällt uns, wie gesagt, leicht. Wir können ihn, dessen Name bedeutungslos geworden ist, als Narren empfinden, weil er Jüngere, deren Bedeutung sich inzwischen als dauerhaft erwiesen hat, Narren nennt; wir können komisch finden, für wie leicht der greise Autor die Beherrschung von Leidenschaft hält; wir dürfen das Hohelied auf die Vernunft wie eine Parodie preußischer Aufklärungsmoral lesen - nie aber dabei die Fragen überhören, die dieses Buch an uns selber stellt. Es sind Fragen nach dem Gewohnten und dem Bewährten, nach Tradition und Prinzip, nach allem, was auch uns in der bewegten Zeit feststehend scheint. Weichen wir diesen Fragen aus, nimmt die Selbstgerechtigkeit, die wir belachen, schon von uns selber Besitz.
Zum Glück gibt es in den »Vertrauten Briefen« genügend Details, die auch den Begriffsstutzigsten stutzen lassen. Daß die Schmähung der Jungen bei ihren Haaren und Kleidern beginnt, scheint doch seltsam vertraut, und der Hauptvorwurf an sie: anders sein zu wollen, als die Norm es befiehlt, auch. Wenn der alte Mann, der da dauernd aus Adelheid spricht, der verzärtelten Jugend rät, die Mängel, die die Gesellschaft bei all ihren Vorzügen hat, nicht zu bekämpfen, sondern ruhig zu ertragen, kommt er einem so altertümlich wie seine Redeweise nicht vor. Und wenn er, da Predigen nicht hilft, im Interesse aller, auch streng, ja brutal werden muß und die Pistole zieht, damit die Mähne, das Zeichen der Auflehnung, fällt und die alte Standardisierung siegt, führt er, ohne es zu wollen, auch vor, daß Alter nicht nur weise, sondern auch blind machen kann.
Neben Wesentlicherem hatten die durch die Französische Revolution in Europa eingeleiteten Umwälzungen auch die Haarmoden verändert. Die Frisuren der jungen Männer in den »Vertrauten Briefen« waren also ein Zeichen der Zeit und Nicolais Empörung über sie eins der Rückständigkeit. Obwohl er klug genug war, den Zopf, dessen Zeit bald vorbei war, nicht ausdrücklich zu fordern, empfand er wahrscheinlich nur ihn als gesittet, weil er ihn gewohnt war. In seiner Kindheit waren im Preußen des sparsamen Soldatenkönigs die aufwendigen Perücken von den billigeren Zöpfen abgelöst worden und hatten sich als Männer-Normalfrisuren bis zum Ende des Jahrhunderts gehalten. Über Perücken hat Nicolai später (ohne dem spaßigen Thema, wie Jean Paul erstaunt feststellte, einen Spaß ablocken zu können) ein ganzes Buch geschrieben. Sie waren für ihn Geschichte, der Zopf aber Gegenwart. Noch Nicolais Schwiegersohn Parthey (der allerdings nur wenig jünger als er war) wurde, wie der Enkel berichtet, täglich nach altem Ritus frisiert.
Da tritt, das Frisierzeug unter dem Arm, zuerst Wilhelm, der Diener, auf, breitet ein Leinentuch auf dem Teppich aus, stellt einen Stuhl darauf, hüllt seinen Herrn in einen Umhang und bittet ihn, Platz zu nehmen. Während der Herr sich in die Zeitung vertieft, löst Wilhelm den Vortags-Zopf auf, kämmt das Haar durch und schmiert Pomade hinein, bis es überall glänzt und stark duftet. Mit Hilfe eines Zylinders aus Holz werden die horizontal über den Ohren liegenden Locken gedreht, die des steifenden Fettes wegen den Tag über halten. Die Blechbüchse, in der Weizenmehl ist, wird geöffnet und die Puderquaste aus Flaumfedern hineingetaucht. Das Betupfen des Haars erzeugt eine mehlige Wolke, die Herr und Diener zeitweilig verhüllt. Wenn sie den Boden erreicht hat, ist nicht nur das Fetthaar bepudert, sondern auch die Zeitung, die abgeklopft werden muß, um wieder lesbar zu sein. Der Zopf, der nun an der Reihe ist, wird so straff geflochten, daß er am Nacken dicht anliegt. Das Ende des schwarzseidenen Bandes, das, der Stärke wegen, mitverflochten wird, hält Wilhelm während der Arbeit zwischen den Zähnen, um mit ihm schließlich den fertigen Zopf fest zu umwickeln. Jetzt ist die Frisur perfekt, das Gesicht des Herrn aber bemehlt. Mit dem Pudermesser wird es freigeschabt. Während Wilhelm das Zimmer reinigt, entfernt sich sein Herr, den Hut in der Hand; denn säße der auf dem Kopf, würde er nicht nur die Seitenlocken zerdrücken, sondern auch bald von Fett glänzen.
Gustav (in den »Vertrauten Briefen«) ist also durchaus zu verstehen, wenn er seinen Kurzhaarschnitt für praktischer hält. Die Epoche, die später (von Schinkel und seiner Schule) verächtlich Zopfzeit genannt wird, ist für ihn vorbei, nicht aber für Nicolai, für den das die große Zeit war, die Zeit seiner Erfolge, die Zeit der Aufklärung, der Toleranz, der Vernunft. Er hatte Grund, stolz auf diese Zeit zu sein, auch deshalb, weil er keiner Hochschule bedurft hatte, um zu der Bedeutung aufzusteigen, die er nicht nur für Berlin und Preußen, sondern für ganz Deutschland gehabt hatte. In seiner kurzen, zerrissenen Schulzeit auf insgesamt drei Gymnasien hatte er die Lebensfremdheit der damaligen Bildungsmethoden erfahren, hatte als Buchhändlerlehrling in Frankfurt an der Oder, in einer elenden Kammer hockend, sein Selbststudium begonnen und war damit so erfolgreich gewesen, daß er nicht lange danach, wieder in Berlin, schon bei den literarischen Auseinandersetzungen der fünfziger Jahre hatte mitreden können. Nach beiden Seiten schlechte Noten verteilend, hatte er in den Streit zwischen dem Leipziger Professor Gottsched und dem Schweizer Bodmer eingegriffen und durch diese Kühnheit die Freundschaft Lessings gewonnen. Mit diesem und Moses Mendelssohn gemeinsam hatte er über die Theorie des Trauerspiels korrespondiert, die durch Lessings...
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