VON DER STEINZEIT BIS HEUTE
Verblüffend, dass alle Hunde vom Wolf abstammen. Doch auch die kleinsten und die größten Vertreter der weltweit über 350 anerkannten Rassen und Mischlinge gehen auf den gemeinsamen Urvater zurück.
STEINZEIT-FUNDE
Tief hinein in lockere Torfschichten oder in Permafrostböden führt die Suche nach den ältesten Spuren des Haushundes. Gut, dass moorige Pflanzen und Frost ebenso wirksam konservieren, wie einst ägyptische Balsamierer. Denn so stoßen Archäologen immer wieder auf spektakuläre Funde wie den Pfahlbautenspitz, der 1861 in der Nähe steinzeitlicher Pfahlbautensiedlungen in der heutigen Schweiz gefunden wurde, oder den Welpen, der 2018 nach 18 000 Jahren noch äußerst gut erhalten aus dem sibirischen Permafrostboden in der Region Jakutien geborgen wurde. Ob es sich dabei um einen Wolfswelpen handelt oder um einen Hund, wird noch erforscht. Forscher gehen derzeit davon aus, dass die Domestikation des Hundes vor rund 15 000 - 40 000 Jahren begann. Ein abenteuerlicher Auftakt zu einem außergewöhnlichen Miteinander.
DIE ANTIKE
Mit dem Beginn der Antike vereinfacht sich die Spurensuche. Und die Gewissheit, dass Hunde geschätzt werden. Als treue Jagdgefährten sorgen sie für gut gefüllte Speisekammern. Als aufmerksame Wächter halten sie unerwünschte Gäste von Haus und Hof fern. Einige von ihnen ziehen sogar mit ihren Herren in den Krieg und lassen dort nur allzu oft selbst ihr Leben. Obwohl der praktische Nutzen des Hundes in der Antike wohl der Hauptgrund für seine Haltung ist, gibt es auch Menschen, denen die Vierbeiner tatsächlich ans Herz wachsen. So zieht der Tod eines Hundes in Ägypten Trauerrituale nach sich. In Rom schmeicheln sich Liebende mit dem Kosenamen Catellus, der Hündchen bedeutet. Und der römische Schreiber Arian ruft sogar dazu auf, Hunde auf den Kopf zu küssen und über Nacht mit ins Bett zu nehmen.
© Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
Mit prächtigen Schmuckhalsbändern wurde die Wertschätzung gegenüber den Hunden ausgedrückt .
© Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
. so wie diese beiden handgeschmiedeten Maßanfertigungen mit Verzierungen.
DAS "DUNKLE" MITTELALTER
Im Mittelalter hätten solche Zuneigungsbekundungen den hundebegeisterten Römer wohl den Kopf gekostet. Denn nach dem Rückzug der Römer aus Mitteleuropa geht es bergab mit der Beliebtheit des Haushundes. Streunende Rudel ziehen durch die Gassen, fressen Aas, verbreiten Krankheiten und bedrohen durchaus auch Menschen. Die Kirche heizt die Abscheu gegenüber Hunden an, indem sie die Seelenlosigkeit der Tiere propagiert. Das Wort Hund gilt als gängiges Schimpfwort. Der Dominikaner und Theologe Thomas von Aquin lehrt, dass Hunde wertlos seien. Wie fast alle Kleriker, außer dem Franziskaner Franz von Assisi, der dazu aufruft, Tiere zu achten und zu schützen. Doch viel Gehör findet er nicht. So gilt das "Hundetragen" als übelste Schmach, wenn es darum geht, einen Ritter für unehrenhaftes Verhalten zu bestrafen. Und manchmal baumeln Hund und Straftäter gemeinsam am Strang - als Zeichen größter Demütigung.
© Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
Seinen Einsatz fand der Jagdhund zuerst vor allem bei Hetzjagden. Als Sichtjäger diente er dem Menschen durch sein schnelles und lautloses Einholen der Beutetiere und sorgte an den Höfen für ein hohes Ansehen.
DIE HÖFE EUROPAS
Die Ehrenrettung des Haushundes erfolgt schließlich an den Höfen Europas. Dort begleiten Hunde ihre Herren zur Jagd und dienen hübschen Damen als Schoßhunde zum Zeitvertreib. Dadurch erlangen sie Salonfähigkeit, was sich sogar in der Erzählung "Tristan und Isolde" niederschlägt. Darin schenkt Tristan seiner Geliebten einen Schoßhund als Zeichen seiner Treue. Dass dieser später zu Gunsten eines schneidigen Jagdhundes auf der Strecke bleibt, steht auf einem anderen Blatt.
BAROCK UND ROKOKO
Also hat er es geschafft, der Haushund? Nicht ganz. Denn die Neuzeit wartet erneut mit Widrigkeiten auf. Der Mensch versteht sich zunehmend als denkendes Wesen und Krone der Schöpfung. Tiere sind minderwertig und genießen allenfalls in einer Knechtfunktion Daseinsberechtigung. Bis zur Perfektion dressiert oder unterwürfig schwänzelnd blicken Hunde demütig von den Gemälden des Barock und Rokoko. An den Höfen sind sie dekoratives Detail zur Schau getragener Kultiviertheit.
Doch außerhalb dieser wohlsituierten Kreise schuften Hunde wie Maultiere, Esel und Pferde. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts sind die meisten von ihnen als Hüte- oder Herdenschutzhunde, als Wächter von Haus und Hof oder als Karrenhunde im Einsatz. Schwere Wagen mit Milchkannen, Fleischerwaren oder Lumpensäcken poltern, von Hunden gezogen, durch die Straßen. Andere geschundene Kreaturen drehen in Tretmühlen endlose Runden und treiben mit ihrer Muskelkraft Maschinen an. Vielen Hunden geht es dabei so schlecht, dass den Begriffen "Hundeleben", "Hundeelend" und "Armer Hund" in dieser Zeit Flügel wachsen.
© Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
Schoßhunde galten als Statussymbole des Adels.
© Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
Blanc du Roi - ein weißer Königshund
AUF DEN SPUREN DARWINS
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt erneut Hoffnung für den Haushund auf. Naturwissenschaftler wie der Brite Charles Darwin tragen zu einer Sinneswandlung bei. In den industrialisierten Städten regt sich Sehnsucht nach der Natur und mit ihr auch nach dem Haushund. Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer prescht voran und bricht Tabus, als er mit seinem schwarzen Pudel Butz regelmäßig in ein Restaurant einkehrt. Gleichzeitig entstehen die ersten Tierschutzvereine und nehmen sich den dahinvegetierenden Karrenhunden an. Bald schon sind Liegedecken und Wassernäpfe ebenso Pflicht wie das Ausschirren der Hunde während der kurzen Arbeitspausen. Später kommt noch ein Erlaubnisschein für Ziehhunde hinzu, der von der in Berlin bereits 1812 eingeführten Hundesteuer befreit, bis die Schinderei 1935 schließlich gänzlich zum Verbot kommt. Dies ist ein weiterer Schritt hin zum respektvolleren Miteinander, zu dem auch der vermehrte Einsatz von Vierbeinern als Rettungs-, Polizei- und Blindenführhund beiträgt.
© Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
Zu Ehren von besonders geliebten Hunden wurden teure Gemälde angefertigt, wie hier des Königs Hunde.
ENTSTEHUNG DES HUNDEWESENS
Zeitgleich professionalisiert sich das Hundewesen. Den Start machen die Engländer 1873 mit der Gründung des Kennel Clubs. Hundeausstellungen und von Vereinen betreute Zuchten gibt es jedoch schon länger: Zum Beispiel die erste deutsche Hundeausstellung in Hamburg im Jahr 1863. Oder die Gründung des Hannoverschen Jagdvereins. Die Gründung der Delegierten-Commision im Jahr 1879 ist der zweite große Meilenstein auf dem Weg zum durchstrukturierten Hundewesen. Sie führt ein Jahr später zum gemeinsamen Stammbuch aller Rassen, verführt andere aber auch zum Nachahmen. Baron von Gingins, selbst im Griffonklub aktiv, und Barsoi-Liebhaber Ernst von Otto ordnen die Vielzahl selbstständig agierender Zusammenschlüsse, indem sie 1906 in Frankfurt am Main das "Kartell der stammbuchführenden Spezialclubs für Jagd- und Nutzhunde" gründen. Hieraus entsteht später der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH). Seine Aufgaben sind klar definiert: Interessenvertretung aller Hundehalter und Förderung der Zucht von gesunden und verhaltenssicheren Rassehunden sowie die Erziehung, Ausbildung und Beschäftigung mit Hunden. Hier finden Welpeninteressenten Ansprechpartner für verschiedenste Hunderassen, bekommen Hilfestellungen bei Fragen rund um Aufzucht, Haltung und Erziehung und treffen bundesweit Gleichgesinnte.
VERBAND FÜR DAS DEUTSCHE HUNDEWESEN
Der VDH ist Mitglied der 1911 gegründeten Fédération Cynologique Internationale (FCI), die sich international für Hunde und die Rassehundezucht stark macht.
DAS 20. JAHRHUNDERT
Während sich das Hundewesen organisiert, schliddert der Haushund ins nächste Geschehen: Der Erste Weltkrieg bringt Vierbeiner an die Front, wo sie zu Tausenden sterben. In Jena öffnet ein Lazarett für Kriegshunde. In Oldenburg operieren Tierärzte Sanitätshunde mit Hundebesteck. Kontrastprogramm: In den USA begeistern Filmhunde aus Hollywood die Massen. Allen voran die bellenden Partner des legendären Charlie Chaplin. Nach dem Ersten Weltkrieg trumpft die deutsche Filmindustrie mit vierbeinigen Stars auf. Nicht nur Heinz Rühmann, der Rauhaarteckel hält, profitiert vom bellenden Sympathieträger. Hinzu gesellt sich die Mär vom gebildeten und philosophisch veranlagten Hund - Lieblingsobjekt der aufkeimenden Tierpsychologie. Angeblich ist er literarisch versiert, kommuniziert über Klopfzeichen und rechnet präzise wie ein Mathematik-Professor. "Rolf von Mannheim" macht diesbezüglich Furore, weil er angeblich schreibt, rechnet, dichtet, philosophiert und orakelt.
Parallelen zum "Klugen Hans", einem angeblich rechnenden Pferd, sind unübersehbar. Das Geheimnis der Wundertiere liegt wohl in den feinen körpersprachlichen Signalen ihrer Ausbilder begründet.
WELTKRIEG UND NACHKRIEGSZEIT
Als der Zweite Weltkrieg naht, wiederholt sich - neben der unfassbaren menschlichen Tragödie - das Hundedesaster. Wieder sieht sich der Haushund im gnadenlosen Kriegseinsatz. Außerdem dient er üblen Propagandazwecken. Doch trotz allem überdauert das innige...