Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Kein einziges Auto kam ihm entgegen.
Die Dunkelheit des frühen Wintermorgens hätte etwas Friedvolles gehabt, wäre da nicht dieses tosende Unwetter gewesen, das die gesamte Region seit Stunden fest im Griff hatte.
Es stürmte, der Wind wütete und es regnete Bindfäden.
Die Tropfen prasselten unaufhörlich gegen die Windschutzscheibe und der Motor röhrte so laut, dass er die Musik seiner Lieblingsband nicht mehr hören konnte, obwohl er den kleinen schwarzen Drehknopf an dem alten Radio schon bis zum Anschlag aufgedreht hatte. Das Radio war bereits über 35 Jahre alt. Genau wie das Auto. Die alte rostige Karosserie des Kleintransporters bestand inzwischen fast nur noch aus Ersatzteilen, bunt zusammengewürfelt in den unterschiedlichsten Farben. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, alles einheitlich neu zu lackieren. Der Motor aber war noch original. Eben echte deutsche Wertarbeit. Damals hatte man noch gewusst, wie man gute Autos baute. Deshalb behielt er den Wagen, den er vor Jahren von seinem Vater geerbt hatte. Er würde ihn um nichts in der Welt gegen eine dieser modernen Massenanfertigungen eintauschen. Er liebte seinen klapprigen Oldtimer.
In der Ferne, dort direkt vor den Bergen, blitzte es fast ununterbrochen. Dieses unberechenbare Wetter zusammen mit der unheimlichen Dunkelheit wären Anlass genug, den heftig von Windböen durchgerüttelten Wagen an den Straßenrand zu lenken und zu warten, bis die Weiterfahrt wieder sicher war.
Doch dann würde er zu spät kommen. Und das wäre unverzeihlich, denn eine weitere verpasste Chance konnte er sich einfach nicht leisten.
Mehr als 80 Stundenkilometer gab der Motor nicht her, egal wie fest er das Gaspedal durchtrat. Und jetzt, da die Straße leicht bergauf ging, bewegte sich die Tachonadel nur knapp über die 60, erlaubt waren 100.
Bis Kempten würde er in dieser Geschwindigkeit noch über eine halbe Stunde brauchen. Wenn sein neuer Chef sehr pingelig war und ihm die paar Minuten, die er zu spät kam, gleich vorhalten würde, wäre seine Probezeit vermutlich vorbei, ehe sie überhaupt angefangen hatte. Um 5 Uhr war Arbeitsbeginn und er wollte auf gar keinen Fall eine Viertelstunde später bereits wieder auf dem Heimweg sein, ebenso arbeitslos wie das halbe Jahr davor.
Konzentriert starrte er auf die Straße vor sich, trat das Gaspedal immer noch voll durch und war leicht beunruhigt, weil die alten und leuchtschwachen Scheinwerfer nur gut fünf Meter des Asphaltes vor dem Wagen erhellten. Der gelbe Lichtkegel drang einfach nicht durch den heftigen Regen, der wie ein schwerer dunkler Vorhang direkt vor seiner Windschutzscheibe zu hängen schien.
Ein Blitz schlug plötzlich krachend in einen großen Baum unweit der Straße ein und ließ ihn kurzzeitig lichterloh erglühen. Das grelle Licht und das augenblicklich folgende Donnergrollen ließen ihn erschrocken zusammenfahren. Beinahe hätte er das Lenkrad losgelassen, beinahe wäre der Wagen nach links ausgeschert, doch er fing ihn geschickt ab und seufzte erleichtert.
Das hätte böse enden können.
Er rieb sich beunruhigt mit der rechten Hand den Nacken, stellte aber schnell fest, dass er beide Hände am Lenkrad brauchte, um sein Auto in der Spur zu halten. Die Straße war nass und extrem rutschig, obwohl es seit zwei Tagen keinen Nachtfrost mehr gegeben hatte. Die Räder schlingerten gefährlich über die glitschige Fahrbahn. Gut war allerdings, dass es kein Eisregen war, der vom Himmel fiel, denn die nahezu profillosen alten Reifen taugten für so ein Wetter überhaupt nicht mehr. Dann hätte er mit dem Zug nach Kempten fahren müssen, und dann wäre er definitiv nicht pünktlich angekommen.
Plötzlich riss er voller Panik die Augen auf, starrte durch den Regen in die für einen kurzen Augenblick taghell aufleuchtende, doch dann wieder schwarze Nacht, riss das Lenkrad hart nach rechts und preschte den Abhang neben der Straße hinunter. Der alte Wagen rutschte erst und begann anschließend unkontrolliert zu schlenkern. Die Vorderreifen blockierten, als er jetzt mit beiden Füßen gleichzeitig aufs Bremspedal stieg und es mit aller Kraft nach unten drückte. Dann verlor er die Kontrolle über das heftig vibrierende Lenkrad und konnte nicht verhindern, dass der Transporter hart nach rechts ausscherte, ganz plötzlich die Richtung änderte und sich überschlug. Sein Kopf prallte gegen den Holm der Fahrertür, der Sicherheitsgurt vor seiner Brust brach ihm das linke Schlüsselbein und schnitt ihm tief in die Haut über seiner Schulter. Doch der Wagen kam einfach nicht zum Stehen. Das sich jetzt mehrmals überschlagende Auto schleuderte ihn erst zurück in den Sitz, dann mit voller Wucht gegen das Lenkrad. Die Windschutzscheibe brach im selben Moment wie seine Rippen. Herumfliegende Scherben zerschnitten ihm Hals und Gesicht.
Noch bevor der Transporter weit ab der Straße endlich zum Stehen kam, verlor er das Bewusstsein.
Hauptkommissar Kern blieb am Straßenrand stehen und beobachtete die Einsatzkräfte der Verkehrspolizei und die Sanitäter, die nach getaner Arbeit bereits wieder auf dem Weg zu dem am Straßenrand geparkten Krankenwagen waren.
In der Ferne hörte man das rhythmische Wummern der Rotorblätter des Rettungshubschraubers, der sich langsam entfernte. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, nachdem in der Nacht ein Sturm gewütet hatte, der seinesgleichen suchte.
So ein heftiges Unwetter gab es in dieser Region nur alle paar Jahre.
In seiner direkten Nachbarschaft in Kempten waren einige Keller und Tiefgaragen vollgelaufen, weil das Kanalsystem unter den Straßen völlig überlastet war und die heruntergeregneten Wassermassen nicht mehr aufnehmen konnte. Wäre das alles Schnee gewesen und kein Regen, hätte man in den höher liegenden Alpendörfern den Notstand ausrufen müssen. So war nur hier und da eine Verbindungsstraße unterspült oder von einem Erdrutsch verschüttet worden.
Vorsichtig setzte Kern einen Fuß in das nasse Gras am Straßenrand und drückte mit der Spitze seines ausgetretenen Lederhalbschuhs prüfend in den aufgeweichten Boden. Dann trat er einen Schritt zurück und schüttelte heftig seinen Kopf.
»Sie gehen«, befahl er seiner jungen Kollegin, gestikulierte dabei wild mit dem rechten Arm und zeigte schließlich auf den alten Transporter, der etwa 30 Meter von der Straße entfernt im matschigen Ackerboden lag, gleich neben dem provisorischen Metallgerüst, das durch den Aufprall des Wagens komplett zerstört worden war. Die breite, mehrere Zentimeter tiefe Furche, die das von der Straße geschleuderte Auto in den aufgeweichten Boden gezogen hatte, hatte sich durch den Regen mit Wasser gefüllt.
»Na los, gehen Sie«, wiederholte er ungeduldig. »Vergewissern Sie sich, dass es ein Unfall war, dann ist der Bericht schnell geschrieben.«
Ihm war schleierhaft, was er hier sollte, schließlich war das ganz offensichtlich ein zwar tragischer, aber dennoch ganz normaler Verkehrsunfall. Doch sein Chef Hauptwachtmeister Götze hatte ihn hierhergeschickt, damit er herausfand, ob es sich um grobe Sachbeschädigung handelte. Schließlich war das Unfallfahrzeug geradewegs in eine geplante Baustelle eines ausländischen und sehr einflussreichen Logistikunternehmens gerast, das sich hier im Allgäu niederlassen wollte und über 300 Arbeitsplätze schaffen sollte. Das Fahrzeug hatte das Gerüst mit dem überdimensionierten Werbeplakat zerstört.
Die geplante Allgäuer Niederlassung der Firma wurde trotz der wirtschaftlichen Vorteile für die Region von der hiesigen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. Schon seit Wochen gab es vereinzelt kleine Demonstrationen. Ein anonymer Drohanruf eines besorgten Bürgers im Sekretariat des Bürgermeisters vor ein paar Tagen, bei dem auch Morddrohungen ausgesprochen wurden, hatte die Staatsanwaltschaft und Hauptwachtmeister Götze schließlich veranlasst, Ermittlungen einzuleiten.
Jessica seufzte und stieg nach kurzem Zögern den Abhang hinunter. Schon nach wenigen Metern durchdrang die Feuchtigkeit ihre gefütterten Wildlederstiefel, die knöcheltief im Matsch versanken. Jeder ihrer Schritte machte ein schmatzendes Geräusch, immer dann, wenn sie ihren nassen Schuh aus der durchweichten Erde zog.
Heute war ihr dritter Tag im Dienste der Kemptener Kriminalpolizei.
Hauptwachtmeister Götze war anfangs nicht begeistert gewesen, dass ausgerechnet die ehemalige Freundin von Hauptkommissar Forster eine Bewerbung eingereicht hatte. Er hatte händeringend nach einem Ersatz für den Kollegen Jakob gesucht, der zum Ende des letzten Jahres in Rente gegangen war, doch hatte er Unruhe im Kollegium befürchtet. Jessica hatte ihn schließlich überzeugen können, dass sie und ihr Ex-Freund erwachsen genug waren, professionell mit der Sache umzugehen. Ihre Arbeit würde mit Sicherheit nicht unter ihrer Situation leiden. Jessicas Worte und die durchweg guten Empfehlungen ihrer ehemaligen Vorgesetzten aus Hamburg hatten den Hauptwachtmeister schließlich dazu veranlasst, Jessica einzustellen und an die Seite von Hauptkommissar Detlef Kern zu setzen. Er hatte ja auch kaum eine Wahl. Eine alleinerziehende Mutter hatte immer den größten Anspruch auf eine Stelle in Wohnortnähe und stach jeden männlichen Mitbewerber aus.
»Entschuldigen Sie bitte.« Jessica winkte einem entgegenkommenden Sanitäter zu und lächelte freundlich. »Können Sie mir sagen, wie es dem Fahrer des Transporters geht? Hauptkommissarin Grothe«, stellte sie sich schließlich vor und reichte dem jungen Mann ihre Hand. Gleichzeitig zückte sie ihren Dienstausweis und hielt ihn dem Rettungssanitäter so entgegen, dass er ihn lesen konnte.
»Was hat denn die Kriminalpolizei hier...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.